Fünf Jahr­zehn­te neo­li­be­ra­le Gegen­of­fen­si­ve des Kapitals

 

In die­sem Refe­rat des Früh­jahr-Semi­nars 2021 der ISO-Rhein-Neckar zur Betriebs- und Gewerk­schafts­ar­beit wur­de ver­sucht, die Ent­wick­lung der gesell­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen die­ser Arbeit zu skizzieren.


U. D.

Das Kapi­tal unter Druck

Vor rund 50 Jah­ren war die Welt für die Kapitalist*innen in bedroh­li­cher Unordnung.

Die rus­si­sche Revo­lu­ti­on 1917, das Ent­ste­hen des sowje­ti­schen „Blocks“ in Ost­eu­ro­pa nach 1945 und die chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on 1949 hat­ten die kapi­ta­lis­ti­sche Welt deut­lich ver­klei­nert. Hin­zu kam nach dem II. Welt­krieg die Bedro­hung durch die sich aus­brei­ten­de Kolo­ni­al­re­vo­lu­ti­on. 1959 war die kuba­ni­sche Revo­lu­ti­on im direk­ten Ein­fluss­ge­biet der USA sieg­reich. Die geheim­dienst­li­chen und mili­tä­ri­schen Ver­su­che, die­se Ent­wick­lung zu stop­pen, hat­ten (noch) kei­nen Erfolg.

In den kapi­ta­lis­ti­schen Indus­trie­staa­ten kam es zu mas­si­ven Klas­sen­kämp­fen: In Bel­gi­en gab es 1962 einen äußerst mili­tant geführ­ten Gene­ral­streik. Im Mai 68 brach­ten in Frank­reich die Stu­den­ten­re­vol­te in Ver­bin­dung mit einer mäch­ti­gen Gene­ral­streik­be­we­gung das Sys­tem ins Wan­ken. In Ita­li­en mün­de­ten im Ver­lauf der 1960er Jah­re mili­tant geführ­te Streiks in den hei­ßen Herbst 1969. In Deutsch­land gab es 1969 aus­ge­hend von den Ver­trau­ens­leu­ten des Hoesch-Stahl­werks spon­ta­ne Streiks.

Ende der 60er Jah­re ent­stand eine welt­wei­te Bewe­gung gegen den Viet­nam­krieg. Die stu­den­tisch gepräg­te Jugend­re­vol­te ori­en­tier­te sich an anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Ideen und Theo­rien und beein­fluss­te die poli­ti­sche Debatte.

Auch im sowje­ti­schen Ein­fluss­ge­biet fan­den Klas­sen­kämp­fe statt. Zum Bei­spiel in der DDR 1953 und in Ungarn 1956. In der CSSR wur­de 1968 der „Pra­ger Früh­ling“ von rus­si­schen Pan­zern nie­der­ge­rollt. Die Wie­der­ein­füh­rung des Kapi­ta­lis­mus hat­ten all die­se Bewe­gun­gen nicht zum Ziel.

Zugleich hat­te die kapi­ta­lis­ti­sche Welt­wirt­schaft ihre Nach­kriegs­dy­na­mik ver­lo­ren und trat ab Mit­te der 70er Jah­re in einen Zyklus nied­ri­ge­rer Wachs­tums­ra­ten ein.

Kurz­um: Der Kapi­ta­lis­mus hat­te allen Grund, sich bedroht zu fühlen.

Neo­li­be­ra­le Ant­wor­ten auf die Krise
Vor die­sem Hin­ter­grund stell­ten sich den Kapitalist*innen drän­gen­de Fra­gen: Wie kön­nen der Kapi­ta­lis­mus sta­bi­li­siert und der „kom­mu­nis­ti­sche Block“ desta­bi­li­siert wer­den? Wie kön­nen die Revol­ten der Jugend und der Arbeiter*innenklasse zurück­ge­drängt wer­den? Wie kön­nen die Pro­fit­be­din­gun­gen ver­bes­sert wer­den? Wie kann eine erfolg­rei­che ideo­lo­gi­sche Gegen­of­fen­si­ve aussehen?

Was fehl­te, war eine kapi­ta­lis­ti­sche Gegen­stra­te­gie. Die­se Situa­ti­on konn­ten die neo­li­be­ra­len Vor­den­ker nut­zen, um ihre markt­ra­di­ka­len Ideen zur vor­herr­schen­den öko­no­mi­schen und poli­ti­schen Denk­rich­tung des kapi­ta­lis­ti­schen Bür­ger­tums zu machen. Ihre Ant­wor­ten lau­te­ten: Ent­bü­ro­kra­ti­sie­rung und Dere­gu­lie­rung, Frei­han­del, Pri­va­ti­sie­rung, Sen­kung der Unter­neh­mens­steu­ern, Sen­kung der Staats­aus­ga­ben (d.h. Abbau sozia­ler Für­sor­ge und sozia­ler Infra­struk­tur). Der Staat soll­te im Kern nur den „frei­en Markt“ sichern. Die Orga­ni­sa­tio­nen der Arbeiter*innenklasse waren dabei schäd­lich, da sie die­sen „frei­en Markt“ einschränkten.

Dies war der offen pro­pa­gier­te kapi­ta­lis­ti­sche Gene­ral­an­griff auf die Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen der welt­wei­ten Arbeiter*innenklasse.

Chi­le 1973
In Chi­le war 1970 mit Sal­va­dor Allen­de ein Sozia­list zum Prä­si­den­ten gewählt wor­den. Weder der US-Impe­ria­lis­mus noch die besit­zen­den Klas­sen in Chi­le woll­ten dies hin­neh­men. Sie berei­te­ten einen mili­tä­ri­schen Gegen­schlag vor.

1973 putsch­te das chi­le­ni­sche Mili­tär unter Gene­ral Pino­chet. Die neo­li­be­ra­len „Chi­ka­go Boys“ dien­ten in der Fol­ge als wirt­schafts- und sozi­al­po­li­ti­sche Takt­ge­ber. Zum ers­ten Mal konn­ten die Neo­li­be­ra­len ihre Ideen in einem gan­zen Land kon­kret umset­zen. Sie taten dies ohne Skru­pel, wäh­rend gleich­zei­tig die Arbeiter*innenklasse und die poli­ti­sche Lin­ke mit Repres­si­on, Fol­ter und Mord bru­tal unter­drückt wurden.

Der „Erfolg“ die­ser neo­li­be­ral-auto­ri­tä­ren Ope­ra­ti­on über­zeug­te die herr­schen­den Klas­sen in vie­len Län­dern, nicht zuletzt auch in den west­li­chen Indus­trie­staa­ten. So begann in den 1980er Jah­ren die welt­wei­te neo­li­be­ra­le Gegen­of­fen­si­ve des Kapitals.

Ver­hee­ren­de Bilanz
Inzwi­schen ist die inter­na­tio­na­le Arbeiter*innenklasse seit rund fünf Jahr­zehn­ten mit neo­li­be­ral-kapi­ta­lis­ti­scher Poli­tik kon­fron­tiert. Die Fol­gen davon sind verheerend.

Die glo­ba­len Kri­sen „syn­chro­ni­sie­ren“ und ver­schär­fen sich. Mil­li­ar­den von Men­schen sind von ihnen betrof­fen: Kli­ma­kri­se, Wirt­schafts­kri­sen, glo­ba­le sozia­le Ungleich­heit, Frau­en­feind­lich­keit, ras­sis­tisch und reli­gi­ös moti­vier­te Unter­drü­ckung und Gewalt, Erwerbs­lo­sig­keit, Woh­nungs­kri­se, Armut, Hun­ger, Kin­der­sterb­lich­keit, Angrif­fe auf demo­kra­ti­sche Rech­te und Men­schen­rech­te, Krie­ge, Flucht und nicht zuletzt Epidemien/Pandemien.

Gleich­zei­tig kon­zen­triert sich welt­weit Reich­tum und damit auch rea­le Macht auf immer weni­ger Menschen.

Die mas­si­ve Welt­wirt­schafts­kri­se 2008/2009 hat den neo­li­be­ra­len Kapi­ta­lis­mus erschüt­tert und in Fra­ge gestellt. Selbst die Klas­se der Kapi­tal­be­sit­zen­den war für kur­ze Zeit ver­un­si­chert. Aber letzt­end­lich hielt sie nicht nur am Neo­li­be­ra­lis­mus fest, son­dern ver­stärk­te ihre Angrif­fe auf die Arbeits- und Lebens­be­din­gun­gen der Arbeiterklasse.

Neo­li­be­ra­lis­mus in Deutschland
In der Bun­des­re­pu­blik hat­te die SPD/FDP-Regie­rung bereits Mit­te der 70er und Anfang der 80 Jah­re ers­te „Spar­ope­ra­tio­nen“ durch­ge­führt. Aber das Kapi­tal woll­te mehr.

Das FDP-Mit­glied Graf Lamb­s­dorff ver­öf­fent­lich­te 1982 das nach ihm benann­te Lamb­s­dorff-Papier. Die­ses Papier führ­te zum Ende der dama­li­gen SPD/FDP-Regie­rung und war zugleich das Start­si­gnal und der „Mas­ter­plan“ für die neo­li­be­ra­len Angrif­fe der fol­gen­den Jahr­zehn­te in Deutschland.

Neben „kapi­tal­freund­li­chen“ Vor­schlä­gen wie die Sen­kung von Unter­neh­mens­steu­ern ent­hielt die­ses Papier zahl­rei­che For­de­run­gen, die sich unmit­tel­bar gegen die Arbeiter*innenklasse richteten.

Zum Bei­spiel: Die „Kon­so­li­die­rung der Sozi­al­sys­te­me“ ohne Anhe­bung der Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge: Ein­füh­rung zusätz­li­cher „pri­va­ter“ Abga­ben und Zuzah­lun­gen („Selbst­vor­sor­ge“ und Eigen­be­tei­li­gung). Die Begren­zung des Arbeits­lo­sen­geld­be­zu­ges. Stren­ge­re Zumut­bar­keits­re­geln für Arbeits­lo­se. Abschlä­ge bei der Inan­spruch­nah­me der fle­xi­blen Alters­gren­ze. Die Anhe­bung der Alters­gren­ze. Die Fle­xi­bi­li­sie­rung der Arbeits­zeit. Wei­te­re Aus­he­be­lung des Kündigungsschutzes.

Von „Schwarz-Gelb“ zu „Rot/Grün“
Ab 1982 begann die CDU/C­SU/FDP-Regie­rung unter Kohl/Genscher mit der Umset­zung des im Lamb­s­dorff-Papier for­mu­lier­ten neo­li­be­ra­len Pro­gramms. Ihr war bewusst, dass es dafür Zeit und Beharr­lich­keit brauch­te. Ins­be­son­de­re, um auf ideo­lo­gi­schem Gebiet die ange­kün­dig­te „geis­tig-mora­li­sche Wen­de“ in Deutsch­land durch­zu­set­zen. Die­se Wen­de soll­te den lin­ken „Ungeist“ der 60er und 70er Jah­re über­win­den und die west­deut­schen Gewerk­schaf­ten poli­tisch und orga­ni­sa­to­risch schwächen.

Beharr­lich­keit brauch­te es tat­säch­lich. Denn der anfäng­li­che Wider­stand, auch der gewerk­schaft­li­che, war stär­ker als erwar­tet. Noch 1984 setz­te die IG Metall mit einem wochen­lan­gen Streik die 35-Stun­den­wo­che durch.

Die­ser Streik­kampf übte zwar einen poli­ti­sie­ren­den Ein­fluss auf die gesam­te Gesell­schaft aus, aber er reich­te nicht aus, um den neo­li­be­ra­len Umbruch zu stop­pen. So war er das bedeu­tends­te gro­ße Auf­bäu­men der Gewerk­schaf­ten vor einer lan­gen Pha­se des gewerk­schaft­li­chen und poli­ti­schen Zurück­wei­chens ab Ende der 1980er Jahre.

Ende des letz­ten Jahr­hun­derts ver­stärk­ten der Unter­gang der sta­li­nis­ti­schen Dik­ta­tu­ren und die kapi­ta­lis­ti­sche Wie­der­ver­ei­ni­gung Deutsch­lands die poli­ti­sche Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit der Arbeiter*innenklasse. Nicht zuletzt dadurch war es den Neo­li­be­ra­len mög­lich, auch im ver­ei­nig­ten Deutsch­land ihre Ideo­lo­gie erfolg­reich zu ver­an­kern. Der welt­wirt­schaft­li­che Kon­kur­renz­druck, das Dro­hen mit Stand­ort­ver­la­ge­run­gen, das per­ma­nen­te Schü­ren von Angst durch Regie­rung und Kapi­tal führ­ten zur wei­te­ren Anpassung.

Die mehr­heit­lich sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Gewerk­schafts­füh­run­gen woll­ten und konn­ten dem poli­tisch nichts ent­ge­gen­set­zen. Sie ver­füg­ten weder über ein gesell­schaft­li­ches Gegen­mo­dell noch über eine Stra­te­gie gewerk­schaft­li­cher Gegen­macht. Unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen konn­ten in den Gewerk­schaf­ten und den Betrie­ben „Stand­ort­den­ken“ und neo­li­be­ra­le Ideen immer mehr Fuß fassen.

Erst durch die­se jah­re­lan­ge ideo­lo­gi­sche Infil­trie­rung wur­de der Weg frei gemacht für die ent­schei­den­de Ver­schär­fung der neo­li­be­ra­len Wen­de. Die­se folg­te ab 1998 unter der „rot-grü­nen“ Schrö­der/­Fi­scher-Regie­rung. Hilf­reich war dabei die enge Ver­bin­dung zwi­schen SPD-Füh­rung und Gewerk­schafts­ap­pa­rat. So konn­te „Rot-Grün“ mit sei­ner Agen­da-Poli­tik die von Kohl/Genscher begon­ne­ne neo­li­be­ra­le „Wen­de“ ohne grö­ße­ren gewerk­schaft­li­chen Wider­stand rück­sichts­los und „erfolg­reich“ zu einem vor­läu­fi­gen Ende bringen.

Neo­li­be­ra­lis­mus: Bedroh­lich aktuell
Fast 40 Jah­re nach Ver­öf­fent­li­chung des Lamb­s­dorff-Papiers hat es nichts von sei­ner  bedroh­li­chen Aktua­li­tät ver­lo­ren. Auch wenn Tei­le sei­ner For­de­run­gen in den letz­ten Jahr­zehn­ten um- und durch­ge­setzt wur­den, ist das Kapi­tal mit dem Erreich­ten längst nicht zufrieden.

Bei­spiel­haft dafür sind Ver­öf­fent­li­chun­gen des Bun­des­ver­bands der Arbeit­ge­ber­ver­bän­de (BDA) und des Ver­bands der Metall­un­ter­neh­men (Gesamt­me­tall) aus dem Jahr 2020.

Vor­be­rei­tung wei­te­rer Angriffe
So emp­fiehlt der BDA in sei­nem Papier Zukunft der Sozi­al­ver­si­che­run­gen: Bei­trags­be­las­tung dau­er­haft begren­zen u. a. fol­gen­de Maß­nah­men zur dau­er­haf­ten Begren­zung der Sozialbeiträge:

  • Das Ren­ten­ein­tritts­al­ter soll erhöht wer­den und auto­ma­tisch mit der Lebens­er­war­tung steigen.
  • Der Abschlags­freie vor­zei­ti­ge Ren­ten­ein­tritt soll abge­schafft werden.
  • Nicht bei­trags­ge­deck­te Sozi­al­ver­si­che­rungs­leis­tun­gen sol­len aus dem Bun­des­haus­halt finan­ziert werden.
  • Der Anspruch auf Arbeits­lo­sen­geld soll auf zwölf Mona­te begrenzt werden.

Gesamt­me­tall mar­schiert mit
Die Vor­schlä­ge von Gesamt­me­tall zur wirt­schaft­li­chen Erho­lung nach der Coro­na-Kri­se unter­schei­den sich davon kaum:

  • Büro­kra­ti­sche“ Vor­schrif­ten und Rege­lun­gen (also alles, was unter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dungs­frei­heit ein­engt) sol­len abge­baut werden.
  • Steu­ern und Abga­ben (natür­lich vor allem die der Unter­neh­men und der Rei­chen), sol­len nicht erhöht werden.
  • Der Arbeits­markt soll fle­xi­bler werden.
  • Die Arbeits­zei­ten sol­len fle­xi­bler werden.
  • Die Mit­be­stim­mung der Betriebs- und Per­so­nal­rä­te soll wei­ter geschwächt werden.
  • Das Ren­ten­ni­veau soll wei­ter gesenkt und die vor­zei­ti­ge Ren­te abge­schafft werden.

Aus die­sen und ähn­li­chen Papie­ren dampft Lamb­s­dorffs Ungeist. Sie for­dern nichts ande­res, als auch in den kom­men­den Jah­ren die neo­li­be­ra­le Poli­tik zu Guns­ten der Klas­se der Kapi­tal­be­sit­zen­den fortzusetzen.

Ideo­lo­gi­sche Kriegsführung
Für die „erfolg­rei­che“ Fort­set­zung neo­li­be­ra­ler Poli­tik ist wie bis­her auch die poli­tisch-orga­ni­sa­to­ri­sche und ideo­lo­gi­sche Schwä­chung der Arbeiter*innenklasse eine ent­schei­den­de Voraussetzung.

Die orga­ni­sa­to­ri­sche Schwä­chung erfolgt mit­tels Inte­gra­ti­on, mit direk­ter und indi­rek­ter Bestechung und - wenn nötig - durch blu­ti­ge Unterdrückung.

Die ideo­lo­gi­sche Schwä­chung erfolgt durch einen per­ma­nen­ten und viel­fäl­tig geführ­ten „Kampf um die Köp­fe“ der arbei­ten­den Klasse:

  • Gesell­schaft und Wirt­schafts­sys­tem sei­en unver­än­der­lich und alternativlos.
  • Nur der Kapi­ta­lis­mus kön­ne Wohl­stand und poli­ti­sche Frei­heit schaffen.
  • Die „Frei­heit des Kapi­tals“ wird gleich­ge­setzt mit der „Frei­heit der Menschen“.
  • Nur der der Kapi­ta­lis­mus sei in der Lage, alle Pro­ble­me der Welt zu lösen.
  • Die sta­li­nis­ti­schen Dik­ta­tu­ren in der Sowjet­uni­on, in Chi­na, Nord­ko­rea und der DDR hät­ten bewie­sen, dass der Kom­mu­nis­mus nicht funk­tio­nie­re und auf Unfrei­heit beruhe.
  • Sozia­le Ungleich­heit, Kon­kur­renz­ver­hal­ten, Gewinn­stre­ben, Indi­vi­dua­lis­mus und Ego­is­mus sei­en „nor­mal“ und lägen „in der Natur des Menschen“.
  • Nega­tiv besetz­te Begrif­fe wie „Kapi­ta­lis­mus“ oder „Kapitalist*in“ sei­en zu ver­mei­den. Statt­des­sen müs­se von „sozia­ler Markt­wirt­schaft“ oder „Unter­neh­mern“ gespro­chen werden.
  • Der Inter­es­sen­ge­gen­satz „Kapi­tal und Arbeit“ wird geleug­net. Statt Klas­sen­kampf zu füh­ren, wür­den „Arbeit­ge­ber und Arbeit­neh­mer“ als „Sozi­al­part­ner“ einen „fai­ren sozia­len Aus­gleich“ aushandeln.

Kampf auf allen Ebenen
Die­ser ideo­lo­gi­sche Kampf wird auf allen gesell­schaft­li­chen Ebe­nen geführt. Damit soll das Bewusst­sein der Arbeiter*innenklasse im Sin­ne des Kapi­tals beein­flusst und Wider­stand bereits im Keim erstickt werden.

Ent­ge­gen der erfahr­ba­ren Lebens­wirk­lich­keit wird der Kapi­ta­lis­mus als posi­tiv und alter­na­tiv­los dar­ge­stellt. Aber schon der Gangs­ter­boss AL Capo­ne soll es so auf den Punkt gebracht haben: „Kapi­ta­lis­mus ist der legi­ti­mier­te Betrug der herr­schen­den Klasse.“

Gewerk­schaf­ten im Sog des Neoliberalismus
Der Unter­gang der sta­li­nis­ti­schen Dik­ta­tu­ren in den 1990er Jah­ren ver­un­si­cher­te vie­le der sich als links ver­ste­hen­den Gewerk­schafts-Funk­tio­nä­re und -Mit­glie­der. Dage­gen konn­ten die pro­ka­pi­ta­lis­ti­schen, sozi­al­part­ner­schaft­li­chen Strö­mun­gen die­se Ent­wick­lung nut­zen, um ihren Ein­fluss auszubauen.

Dies war eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung für das wei­te­re Ein­drin­gen neo­li­be­ra­ler Ideen in die Gewerk­schaf­ten und ver­stärk­te deren bis­he­ri­ge Anpas­sung an die bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­sche Ideologie:

  • Nicht mehr der grund­le­gen­de Gegen­satz von Kapi­tal und Arbeit, son­dern sozi­al- part­ner­schaft­li­ches Mit­ver­wal­ten, Co-Manage­ment und „Stand­ort­si­che­rung“ wur­den für vie­le zum „alter­na­tiv­lo­sen“ Handlungsleitfaden.
  • Begrif­fe wie Kapi­ta­lis­mus, Kapi­ta­list, Arbei­ter­klas­se und Klas­sen­kampf wur­den nahe­zu voll­stän­dig durch Sozi­al­staat, Arbeit- geber, Arbeit­neh­mer und Sozi­al-, Tarif-, Betriebs­part­ner­schaft ersetzt.
  • Bei betrieb­li­chen Kon­flik­ten und Streiks wur­de von vorn­her­ein auf „part­ner­schaft­li­che“ und für bei­de Sei­ten „trag­fä­hi­ge“ Lösun­gen orientiert.

Dazu pas­send sprach sich der Deut­sche Gewerk­schafts­bund 1996 in sei­nem Grund­satz­pro­gramm für die „sozi­al regu­lier­te Markt­wirt­schaft“ aus. Im Gegen­satz zum Kapi­ta­lis­mus schaf­fe die­se angeb­lich die Mög­lich­keit, die bestehen­den Inter­es­sens­ge­gen­sät­ze auszugleichen.

Auch wenn die Angrif­fe von Regie­rung und Kapi­tal auf die Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen der arbei­ten­den Klas­se in letz­ten 25 Jah­ren das Gegen­teil bele­gen und sich die Inter­es­sens­ge­gen­sät­ze zuge­spitzt haben, ist dies bis heu­te die offi­zi­el­le Posi­ti­on der Gewerkschaften.

Neo­li­be­ra­lis­mus heißt Generalangriff
Neo­li­be­ra­lis­mus bedeu­tet rück­sichts­lo­se Poli­tik im Inter­es­se der besit­zen­den Klas­sen und Gene­ral­an­griff auf alle Arbeits- und Lebens­be­rei­che der arbei­ten­den Klasse:

  • Umver­tei­lung des gesell­schaft­li­chen Reich­tums von unten nach oben
  • Angrif­fe auf die sozia­len Sicherungssysteme
  • Indi­vi­dua­li­sie­rung und Schwä­chung von Soli­da­ri­tät und Gewerkschaften
  • Per­ma­nen­te „Reor­ga­ni­sa­ti­on“, Arbeits­ver­dich­tung, Fle­xi­bi­li­sie­rung, Zer­stö­rung des Nor­mal­ar­beits­ver­hält­nis­ses, pre­kä­re Beschäf­ti­gung usw.
  • Auf­spal­tung von Unter­neh­men in klei­ne­re Ein­hei­ten und damit auch die Spal­tung der Belegschaften
  • Auf­sau­gen“ von Betrie­ben durch glo­bal agie­ren­de Kon­zer­ne und damit die Anony­mi­sie­rung des „Geg­ners“ mit weit ent­fern­ten Entscheidungszentren.

Die Gewerk­schaf­ten haben die­se Ent­wick­lung nicht mas­siv bekämpft, son­dern auf die „Ver­nunft“ des Kapi­tals gehofft. Die­se Poli­tik des Zurück­wei­chens hat das Bewusst­sein der arbei­ten­den Klas­se über ihre kol­lek­ti­ve Kraft geschwächt, die Über­zeu­gung von der Not­wen­dig­keit einer Klas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on unter­gra­ben und die gemein­sa­me Gegen­wehr sowie die Arbeit von Ver­trau­ens­leu­ten und Betriebs­rä­ten erschwert.

Not­wen­di­ge Erneuerungen 
Die arbei­ten­de Klas­se ist von den Kri­sen des Sys­tems und von der neo­li­be­ra­len Poli­tik mas­siv betrof­fen. Aber nur eine Min­der­heit sucht nach glaub­wür­di­gen anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Ant­wor­ten. In Tei­len ist sie erneut anfäl­lig für anti­ge­werk­schaft­li­che, auto­ri­tä­re oder gar faschis­ti­sche Ideen.

Die „neo­li­be­ra­len“ Jahr­zehn­te haben dar­an mas­si­ven Anteil. Aber die­se Jahr­zehn­te wären nicht mög­lich gewe­sen ohne die Nie­der­la­ge der Novem­ber­re­vo­lu­ti­on von 1918, den Sieg des Faschis­mus 1933, die sta­li­nis­ti­sche Dik­ta­tur in der DDR bis 1989 sowie der pro­ka­pi­ta­lis­ti­schen Rol­le von Sozi­al­de­mo­kra­tie und Gewerkschaftsbürokratie.

All dies zeigt, wie drin­gend eine poli­ti­sche Erneue­rung der Gewerk­schaf­ten und ein Wie­der­auf­bau einer poli­ti­schen Bewe­gung der arbei­ten­den Klas­se ist. Dafür ist die poli­ti­sche Arbeit in den Betrie­ben von zen­tra­ler Bedeu­tung, da sie in den „Brenn­kam­mern“ des kapi­ta­lis­ti­schen Sys­tems statt­fin­det. Wesent­li­cher Teil die­ser Arbeit ist der Auf­bau klas­sen­kämp­fe­ri­sche Ker­ne und Strö­mun­gen und deren soli­da­ri­scher Vernetzung.

War­ten wir nicht län­ger ab, son­dern fan­gen wir heu­te damit an.

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