Fünf Jahr­zehn­te neo­li­be­ra­le Gegen­of­fen­si­ve des Kapitals

(Teil IV)

Wir ver­öf­fent­li­chen hier den vier­ten und letz­ten Teil des Ein­lei­tungs­re­fe­rats unse­res Früh­jahr-Semi­nars 2021 zur Betriebs- und Gewerk­schafts­ar­beit. Hier gibt es den kom­plet­ten Text des Refe­rats.

U. D.

Im Sog des Neoliberalismus
Der Unter­gang der sta­li­nis­ti­schen Dik­ta­tu­ren in den 1990er Jah­ren ver­un­si­cher­te vie­le der sich als links ver­ste­hen­den Gewerk­schafts-Funk­tio­nä­re und -Mit­glie­der. Dage­gen konn­ten die pro­ka­pi­ta­lis­ti­schen, sozi­al­part­ner­schaft­li­chen Strö­mun­gen die­se Ent­wick­lung nut­zen, um ihren Ein­fluss auszubauen.

Warnstreik bei Alstom Mannheim, 23. März 2021. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Warn­streik bei Als­tom Mann­heim, 23. März 2021. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Dies war eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung für das wei­te­re Ein­drin­gen neo­li­be­ra­ler Ideen in die Gewerk­schaf­ten und ver­stärk­te deren bis­he­ri­ge Anpas­sung an die bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­sche Ideologie:
• Nicht der grund­le­gen­de Gegen­satz von Kapi­tal und Arbeit, son­dern sozi­al­part­ner­schaft­li­ches Mit­ver­wal­ten, Co-Manage­ment und „Stand­ort­si­che­rung“ wur­den für vie­le zum alter­na­tiv­lo­sen Handlungsleitfaden.
• Begrif­fe wie Kapi­ta­lis­mus, Kapi­ta­list, Arbei­ter­klas­se und Klas­sen­kampf wur­den fast voll­stän­dig durch Sozi­al­staat, Arbeit­ge­ber, Arbeit­neh­mer sowie Sozi­al-, Tarif- und Betriebs­part­ner­schaft ersetzt.
• Bei betrieb­li­chen Kon­flik­ten und Streiks wur­de von vorn­her­ein auf „part­ner­schaft­li­che“ und für bei­de Sei­ten „trag­fä­hi­ge“ Lösun­gen orientiert.

Dazu pas­send sprach sich der Deut­sche Gewerk­schafts­bund 1996 in sei­nem Grund­satz­pro­gramm für die „sozi­al regu­lier­te Markt­wirt­schaft“ aus. Im Gegen­satz zum Kapi­ta­lis­mus schaf­fe die­se angeb­lich die Mög­lich­keit, die bestehen­den Inter­es­sens­ge­gen- sät­ze auszugleichen.

Auch wenn die Angrif­fe von Regie­rung und Kapi­tal auf die Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen der arbei­ten­den Klas­se in den letz­ten 25 Jah­ren das Gegen­teil bele­gen und sich die Inter­es­sens­ge­gen­sät­ze zuge­spitzt haben, ist dies bis heu­te die offi­zi­el­le Posi­ti­on der Gewerkschaften.

Neo­li­be­ra­lis­mus heißt Generalangriff
Neo­li­be­ra­lis­mus bedeu­tet rück­sichts­lo­se Poli­tik im Inter­es­se der besit­zen­den Klas­sen und Gene­ral­an­griff auf alle Arbeits- und Lebens­be­rei­che der arbei­ten­den Klasse:
• Umver­tei­lung des gesell­schaft­li­chen Reich­tums von unten nach oben
• Angrif­fe auf die sozia­len Sicherungssysteme
• Indi­vi­dua­li­sie­rung, und Schwä­chung von Soli­da­ri­tät und Gewerkschaften
• Per­ma­nen­te „Reor­ga­ni­sa­ti­on“, Arbeits­ver­dich­tung, Fle­xi­bi­li­sie­rung, Zer­stö­rung des Nor­mal­ar­beits­ver­hält­nis­ses, pre­kä­re Beschäf­ti­gung usw.
• Auf­spal­tung von Unter­neh­men in klei­ne­re Ein­hei­ten und damit auch die Spal­tung der Belegschaften
• „Auf­sau­gen“ von Betrie­ben durch glo­bal agie­ren­de Kon­zer­ne und damit die Anony­mi­sie­rung des „Geg­ners“ mit weit ent­fern­ten Entscheidungszentren.

Die Gewerk­schaf­ten haben die­se Ent­wick­lung nicht mas­siv bekämpft, son­dern auf die „Ver­nunft“ des Kapi­tals gehofft. Die­se Poli­tik des Zurück­wei­chens hat das Bewusst­sein der arbei­ten­den Klas­se über ihre kol­lek­ti­ve Kraft geschwächt, die Über­zeu­gung von der Not­wen­dig­keit einer Klas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on unter­gra­ben und die gemein- same Gegen­wehr sowie die Arbeit von Ver-trau­ens­leu­ten und Betriebs­rä­ten erschwert.

Not­wen­di­ge Erneue­run­gen
Die arbei­ten­de Klas­se ist von den Sys­tem­kri­sen und der neo­li­be­ra­ler Poli­tik mas­siv betrof­fen. Aber nur eine Min­der­heit sucht glaub­wür­di­ge anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Ant­wor­ten. In Tei­len ist sie erneut anfäl­lig für anti­ge­werk­schaft­li­che, auto­ri­tä­re oder gar faschis­ti­sche Ideen.

Die „neo­li­be­ra­len“ Jahr­zehn­te haben dar­an mas­si­ven Anteil. Aber die­se wären ohne die Nie­der­la­ge der Novem­ber­re­vo­lu­ti­on von 1918, den Sieg des Faschis­mus 1933, die sta­li­nis­ti­sche Dik­ta­tur in der DDR bis 1989 sowie der pro­ka­pi­ta­lis­ti­schen Rol­le von Sozi­al­de­mo­kra­tie und Gewerk­schafts­bü­ro­kra­tie nicht mög­lich gewesen.

Dies zeigt, wie drin­gend eine poli­ti­sche Erneue­rung der Gewerk­schaf­ten und ein Wie­der­auf­bau einer poli­ti­schen Bewe­gung der arbei­ten­den Klas­se ist. Dafür ist die poli­ti­sche Arbeit in den Betrie­ben von zen­tra­ler Bedeu­tung, da sie in den „Brenn- kam­mern“ des kapi­ta­lis­ti­schen Sys­tems statt­fin­det. Wesent­lich ist dabei der Auf­bau klas­sen­kämp­fe­ri­sche Ker­ne und Strö­mun­gen und deren soli­da­ri­scher Vernetzung.

War­ten wir nicht län­ger , son­dern fan­gen wir heu­te damit an.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Sep­tem­ber 2021
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