H.N.
Eine sehr lesenswerte und sehr ansprechend gestaltete Broschüre mit dem Titel „Gesundheitsschutz muss erkämpft werden!“ ist jetzt in Mannheim erschienen. Ihre Herausgabe ist dank der Unterstützung durch die örtliche IG Metall und die Berliner Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt ermöglicht worden.
Der Arbeits- und Gesundheitswissenschaftler Wolfgang Hien und der ehemalige Alstom-Betriebsrat Wolfgang Alles wollen mit dieser Veröffentlichung einen „Blick zurück auf die Auseinandersetzungen bei Alstom Power in Mannheim – und ein[en] Blick nach vorne“ werfen.
In vier Kapiteln befassen sich die Autoren mit der Bedeutung von Gesundheit, dem Verhältnis von Arbeit und Gesundheit / Krankheit, den Kämpfen bei Alstom Power in Mannheim sowie mit dem Gesundheitsschutz in Zeiten von Corona.
Sabotage der Kapitalverbände
1996 war das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) mit großer Verspätung in Kraft getreten. Kapitalverbände und große Konzerne blockierten jedoch dessen Umsetzung und sabotieren sie bis heute.
Dem in der IG Metall organisierten Betriebsrat von Alstom Power gelang es deshalb erst nach mehrjährigen harten Konflikten mit der Geschäftsleitung, einen bundesweit bedeutenden Sieg zu erringen. Durch den Spruch der Einigungsstelle vom 10. Oktober 2000 konnten die Rechte der Interessenvertretung und der Beschäftigten beim vorbeugenden Gesundheitsschutz bestätigt und konkretisiert werden.
Im Zentrum des Streits mit der Kapitalseite stand die Frage, wie gesundheitliche Gefährdungen am Arbeitsplatz zu analysieren und zu beurteilen sind. Mittels einer ganzheitlichen Gefährdungsanalyse / Gefährdungsbeurteilung (GFA / GFB) wurde die Grundlage für einen organisierten und überprüfbaren Gesundheitsschutz für alle Kolleginnen und Kollegen im Betrieb gelegt.
Zentral dabei war die Einrichtung eines von beiden Betriebsparteien paritätisch besetzten Steuerungsgremiums − der „Gemeinsamen Kommission GFA“. Sie war verantwortlich für die Durchführung eines sich alle drei Jahre wiederholenden Kreislaufprozesses.
Es ging dabei nicht nur um die systematische Erfassung aller physischen und psychischen Belastungen und Gefährdungen, sondern auch um die Festlegung von wirksamen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nach dem „STOP-Prinzip“*. Zudem war die Wirkungskontrolle der Maßnahmen und die Dokumentation der Gefährdungen nach § 6 ArbSchG zwingend erforderlich. Letztere erleichterte es Kolleginnen und Kollegen sehr, Ansprüche wegen berufsbedingter Erkrankungen gegenüber der Berufsgenossenschaft durchzusetzen.
Aktivierung der Belegschaft
Ein wesentliches Kennzeichen des bei Alstom Power erkämpften betrieblichen Gesundheitsschutzes war die systematische Einbeziehung der Belegschaft. Sie geschah durch einen kontinuierlichen Kommunikationsprozess. Dadurch gelang es, fast alle Kolleginnen und Kollegen für Gesundheitsgefahren zu sensibilisieren.
Abteilungsbezogene GFA-Unterrichtungen, das Ausfüllen und Auswerten von Fragebögen sowie die Information über die Ergebnisse der Befragungen, die direkte Ansprache von Beschäftigten bei Begehungen am Arbeitsplatz, die Möglichkeit der Mitarbeit von Vertrauensleuten in einer „Erweiterten Kommission GFA“ − alle diese Beispiele stehen für einen aktivierenden Gesundheitsschutz. Nur ein solcher Ansatz, das belegen die Autoren mit beeindruckenden Fakten, kann wirklich erfolgreich sein.
In der Einleitung zur Broschüre heißt es: „Spätestens nach der Fabrikschließung 2017 durch General Electric (GE) drohen die wichtigen Erfahrungen von Betriebsrat und Belegschaft in Vergessenheit zu geraten.“ Der dort formulierte Anspruch, „diesen Erfahrungsschatz lebendig zu halten und ihn in den Kontext der gegenwärtigen Auseinandersetzungen um Gesundheitsschutz im Arbeitsleben zu stellen“ ist überzeugend eingelöst worden.