Fünf Jahr­zehn­te neo­li­be­ra­le Gegen­of­fen­si­ve des Kapitals

(Teil III)


Wir ver­öf­fent­li­chen hier den drit­ten Teil des Ein­lei­tungs­re­fe­rats unse­res Früh­jahr-Semi­nars 2021 zur Betriebs- und Gewerk­schafts­ar­beit. Teil I erschien in der Mai-Aus­ga­be der Avan­ti² Rhein-Neckar, Teil II in der Juni-Aus­ga­be. Der vier­te und letz­te Teil wird in der Sep­tem­ber-Avan­ti² erscheinen.

U.D.

Neo­li­be­ra­lis­mus: Bedroh­lich aktuell
Fast 40 Jah­re nach Ver­öf­fent­li­chung des „Lamb­s­dorff-Papiers“ hat es nichts von sei­ner bedroh­li­chen Aktua­li­tät ver­lo­ren. Auch wenn Tei­le sei­ner For­de­run­gen in den letz­ten Jahr­zehn­ten um- und durch­ge­setzt wur­den, ist das Kapi­tal mit dem Erreich­ten längst nicht zufrieden.

Bei­spiel­haft dafür sind Ver­öf­fent­li­chun­gen des Bun­des­ver­bands der Arbeit­ge­ber­ver­bän­de (BDA) und des Ver­bands der Metall­un­ter­neh­men (Gesamt­me­tall) aus dem Jahr 2020.

Demo „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ in Frankfurt/Main,  28. März 2009 (Foto: BR Alstom Power)

Demo „Wir zah­len nicht für Eure Kri­se!“ in Frankfurt/Main, 28. März 2009 (Foto: BR Als­tom Power)

Vor­be­rei­tung wei­te­rer Angrif­fe
So emp­fiehlt der BDA in sei­nem Papier „Zukunft der Sozi­al­ver­si­che­run­gen: Bei­trags­be­las­tung dau­er­haft begren­zen“ u. a. fol­gen­de Maß­nah­men zur dau­er­haf­ten Begren­zung der Sozialbeiträge:

• Das Ren­ten­ein­tritts­al­ter soll erhöht wer­den und auto­ma­tisch mit der Lebens­er­war­tung steigen.

• Der abschlags­freie vor­zei­ti­ge Ren­ten­ein­tritt soll abge­schafft werden.

• Nicht bei­trags­ge­deck­te Sozi­al­ver­si­che­rungs­leis­tun­gen sol­len aus dem Bun­des­haus­halt finan­ziert werden.

• Der Anspruch auf Arbeits­lo­sen­geld soll auf zwölf Mona­te be grenzt werden.

Gesamt­me­tall mar­schiert mit
Die Vor­schlä­ge von Gesamt­me­tall zur wirt­schaft­li­chen Erho­lung nach der Coro­na-Kri­se unter­schei­den sich davon kaum:

• „Büro­kra­ti­sche“ Vor­schrif­ten und Rege­lun­gen (also alles, was unter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dungs­frei­heit ein­engt) sol­len abge­baut werden.

• Steu­ern und Abga­ben (natür­lich vor allem die der Unter­neh­men und der Rei­chen), sol­len nicht erhöht werden.

• Der Arbeits­markt soll noch fle­xi­bler werden.

• Die Arbeits­zei­ten sol­len noch fle­xi­bler werden.

• Die Mit­be­stim­mung der Betriebs- und Per­so­nal­rä­te soll wei­ter geschwächt werden.

• Das Ren­ten­ni­veau soll wei­ter gesenkt und die vor­zei­ti­ge Ren­te abge­schafft werden.

Aus die­sen und ähn­li­chen Papie­ren dampft Lamb­s­dorffs Ungeist. Sie for­dern nichts ande­res, als auch in den kom­men­den Jah­ren die neo­li­be­ra­le Poli­tik zu Guns­ten der Klas­se der Kapi­tal­be­sit­zen­den fortzusetzen.

Ideo­lo­gi­sche Kriegsführung
Für die „erfolg­rei­che“ Fort­set­zung neo­li­be­ra­ler Poli­tik ist wie bis­her auch die poli­tisch-orga­ni­sa­to­ri­sche und ideo­lo­gi­sche Schwä­chung der arbei­ten­den Klas­se eine ent­schei­den­de Voraussetzung.

Die orga­ni­sa­to­ri­sche Schwä­chung erfolgt mit­tels Inte­gra­ti­on, mit direk­ter und indi­rek­ter Bestechung und − wenn nötig − durch blu­ti­ge Unterdrückung.

Die ideo­lo­gi­sche Schwä­chung erfolgt durch einen per­ma­nen­ten und viel­fäl­tig geführ­ten „Kampf um die Köp­fe“ der arbei­ten­den Klasse:

• Gesell­schaft und Wirt­schafts­sys­tem sei­en unver­än­der­lich und alternativlos.

• Nur der Kapi­ta­lis­mus kön­ne Wohl­stand und poli­ti­sche Frei­heit schaffen.

• Die „Frei­heit des Kapi­tals“ sei gleich­zu­set­zen mit der „Frei­heit der Menschen“.

• Nur der Kapi­ta­lis­mus sei in der Lage, alle Pro­ble­me der Welt zu lösen.

• Die sta­li­nis­ti­schen Dik­ta­tu­ren in der Sowjet­uni­on, in Chi­na, Nord­ko­rea und der DDR hät­ten bewie­sen, dass der Kom­mu­nis­mus nicht funk­tio­nie­re und auf Unfrei­heit beruhe.

• Sozia­le Ungleich­heit, Kon­kur­renz­ver­hal­ten, Gewinn­stre­ben, Indi­vi­dua­lis­mus und Ego­is­mus sei­en „nor­mal“ und lägen „in der Natur des Menschen“.

• Nega­tiv besetz­te Begrif­fe wie „Kapi­ta­lis­mus“ oder „Kapi­ta­list“ sei­en zu ver­mei­den. Statt­des­sen müs­se von „sozia­ler Markt­wirt­schaft“ und „Unter­neh­mern“ gespro­chen werden.

• Der Inter­es­sen­ge­gen­satz von Kapi­tal und Arbeit exis­tie­re nicht. Statt Klas­sen­kampf zu füh­ren, wür­den „Arbeit­ge­ber“ und „Arbeit­neh­mer“ als „Sozi­al­part­ner“ einen „fai­ren sozia­len Aus­gleich“ aushandeln.

Kampf auf allen Ebenen
Die­ser ideo­lo­gi­sche Kampf wird auf allen gesell­schaft­li­chen Ebe­nen geführt. Damit soll das Bewusst­sein der arbei­ten­den Klas­se im Sin­ne des Kapi­tals beein­flusst und Wider­stand bereits im Keim erstickt werden.

Ent­ge­gen der erfahr­ba­ren Lebens­wirk­lich­keit wird der Kapi­ta­lis­mus als posi­tiv und alter­na­tiv­los dar­ge­stellt. Aber schon der Gangs­ter­boss Al Capo­ne soll es so auf den Punkt gebracht haben: „Kapi­ta­lis­mus ist der legi­ti­mier­te Betrug der herr­schen­den Klasse.“

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Juli/August 2021
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