Grund­zü­ge einer bedürf­nis­ori­en­tier­ten-Öko­no­mie (III+IV)

Bern­hard Brosius

(Teil 3 - 4 des Refe­rats auf unse­rem Semi­nar Alter­na­ti­ven zum Kapitalismus. 
Teil 1 und 2 sind in Avan­ti² Nr. 14 von Okto­ber 2015 ver­öf­fent­licht worden.)

 

Teil 3:
Der Wirtschaftskreislauf

Wenn wir nach einer Wirt­schaft suchen, wel­che die Bevöl­ke­rung ver­sorgt ohne durch Kon­kur­renz und Pro­fit­gier ange­trie­ben zu sein, müs­sen wir zuerst schau­en, wie die Ver­sor­gung heu­te erfolgt. 
Heu­te erfolgt die Ver­sor­gung durch Kau­fen: Ich bekom­me nur dann etwas, wenn ich etwas ande­res, aber gleich­wer­ti­ges (in der Regel Geld) dafür her­ge­ben kann. Eine logi­sche Kon­se­quenz die­ses Prin­zips sind bei­spiels­wei­se die Hun­gers­nö­te in Ban­gla­desch. Wenn star­ke Regen­fäl­le und Über­schwem­mun­gen Miss­ern­ten im Süden des Lan­des ver­ur­sa­chen, bleibt den Bau­ern dort nichts, was sie ver­kau­fen kön­nen und dem­zu­fol­ge haben sie kein Geld, um etwas zu kau­fen. Die Bau­ern im Nor­den, deren Ern­te­er­trä­ge für alle Men­schen im Land aus­rei­chen wür­den, kön­nen die von ihnen erzeug­ten Nah­rungs­mit­tel aber nicht im Süden ver­kau­fen, denn dort haben die Men­schen ja kein Geld. Also ver­kau­fen sie ihre Pro­duk­te nach Indi­en, wo noch Kauf­kraft vor­han­den ist – und die Men­schen im Süden von Ban­gla­desch (ver)hungern.

Wenn ich die Güter, die ich brau­che, kau­fen will, gehe ich wie folgt vor: Zuerst bege­be ich mich auf den Markt (Arbeits­markt) und bie­te mei­ne Arbeits­kraft an. Wenn ich einen Stel­le fin­de, bekom­me ich Geld dafür, dass ich arbei­te, also mei­ne Arbeits­kraft ver­aus­ga­be. Mit dem Geld gehe ich wie­der auf den Markt (in den Super­markt) und kau­fe die benö­tig­ten Güter – an deren Pro­duk­ti­on ich selbst zuvor betei­ligt war!

Schon hier drängt sich der Ver­dacht auf, dass das auch ein­fa­cher ablau­fen könnte:
1.    Zuerst stel­len wir gemein­sam fest, was wir brauchen.
2.    Danach ent­schei­den wir, wie die ein­zel­nen Res­sour­cen auf die Pro­duk­ti­on der benö­tig­ten Güter ver­teilt werden.
3.    Dann wird das Benö­tig­te hergestellt.
4.    Zuletzt wer­den die pro­du­zier­ten Güter ver­teilt und konsumiert.
Das hat den gro­ßen Vor­teil, dass wir nur noch das her­stel­len müs­sen, was wir hin­ter­her auch kon­su­mie­ren wol­len. Was kei­ner braucht, wird gar nicht erst gemacht. Also
–    kein gen­tech­nisch ver­än­der­tes Getreide,
–    kein neu­es Sturm­ge­wehr für die Bundeswehr,
–    kei­ne Atom­kraft­wer­ke, kei­ne Braunkohlekraftwerke,
–    kei­ne Opti­ons­schei­ne auf fal­len­de oder stei­gen­de Aktienkurse,
–    kei­ne Rekla­me­flut für unse­re Briefkästen,
–    und so weiter.
Wir sehen, dass mit einer Umstel­lung der Wirt­schaft auf die Bedürf­nis­ori­en­tie­rung eine enor­me Schrump­fung des not­wen­di­gen Arbeits­auf­kom­mens ver­bun­den wäre. Da über die Ver­tei­lung der vor­han­de­nen Res­sour­cen – und Arbeits­zeit ist eine die­ser Res­sour­cen – gemein­schaft­lich ent­schie­den wür­de, wäre das Resul­tat nicht Arbeits­lo­sig­keit, son­dern Arbeits­zeit­ver­kür­zung für alle.
Betrach­ten wir nun im Ein­zel­nen die vier ent­schei­den­den Schrit­te der bedürf­nis­ori­en­tier­ten Ökonomie:
1. Mes­sung des Bedarfs,
2. Auf­tei­lung der Ressourcen,
3. Pro­duk­ti­on des Benö­tig­ten und
4. Ver­tei­lung des Produzierten.

Teil 4: 
Von der Mes­sung des Bedarfs zur Pro­duk­ti­on des Benötigten

Zur Mes­sung des Bedarfs
müs­sen wir – wie heu­te auch – dort­hin gehen, wo die Din­ge sind, die wir brau­chen (Super­markt, Ein­zel­han­del, Inter­net), also dort­hin, wo ein Vor­rat der benö­tig­ten Din­ge exis­tiert. Dort ent­neh­men wir die­sem Vor­rat so viel, wie wir brau­chen. Das bedeu­tet: Es muss für alle Güter ein Vor­rat exis­tie­ren über den Bedarf hin­aus! Die Mes­sung des Bedarfs ist dann nichts ande­res als die Mes­sung der Geschwin­dig­keit, mit der die Güter dem Vor­rat ent­nom­men wer­den. Auch in einem zukünf­ti­gen Super­markt wer­den die Pro­duk­te zuletzt an der „Kas­se“ gescannt. Wir müs­sen sie dann zwar nicht mehr bezah­len, aber wir müs­sen wei­ter­hin sehr wohl mes­sen, wie schnell der Vor­rat schwin­det. Denn mit die­ser Geschwin­dig­keit muss nach­pro­du­ziert werden!
Der Vor­rat muss also so groß sein, dass er bis zur nächs­ten Lie­fe­rung nicht auf­ge­braucht ist, und zwar auch dann, wenn außer­ge­wöhn­li­che Nach­fra­ge­spit­zen auf­tre­ten. Nur so kann der Bedarf fest­ge­stellt wer­den. (Wür­de der Vor­rat vor­zei­tig auf­ge­braucht, herrsch­te Man­gel. Aber dann könn­te nicht mehr gemes­sen wer­den, wie groß der Man­gel ist.)

Der Vor­rat ist gesell­schaft­li­cher Reich­tum und kei­ne Ver­schwen­dung, denn alle Güter aus dem Vor­rat wer­den kon­su­miert. Die Grö­ße des Vor­rats bestimmt ledig­lich die zeit­li­che Ver­zö­ge­rung, mit der das Gut End­ver­brau­che­rIn­nen erreicht. Durch die­se Vor­ge­hens­wei­se legen die Kon­su­men­tIn­nen selbst fest, was und wie­viel sie brau­chen. Eine Behör­de oder Büro­kra­tie, die den Bedarf schätzt, die Güter also zuteilt und den Men­schen somit vor­schreibt, was sie brau­chen, kann gar nicht erst ent­ste­hen. Wenn klar ist, was und wie­viel benö­tigt wird, folgt der zwei­te Schritt:

Die Bereit­stel­lung der benö­tig­ten Res­sour­cen.
Arbeits­zeit, Maschi­nen, Roh­stof­fe, Ener­gie, Infra­struk­tur etc. müs­sen zur Ver­fü­gung ste­hen. Aber da für die Pro­duk­ti­on von Maschi­nen, Roh­stof­fen, Infra­struk­tur etc. eben­falls Arbeits­zeit not­wen­dig ist, lässt sich für die Her­stel­lung aller Pro­duk­te und aller Res­sour­cen die not­we­ni­ge Arbeits­zeit berech­nen. Nun hat die Gesell­schaft nur ein end­li­ches Bud­get an Arbeits­zeit: Die Anzahl der Arbeits­kräf­te, mul­ti­pli­ziert mit der Anzahl der Arbeits­stun­den eines Men­schen pro Jahr ergibt die Gesamt­zahl der ver­füg­ba­ren Arbeits­stun­den. Die­se Arbeits­stun­den müs­sen nun ent­spre­chend des gemes­se­nen Bedarfs auf die Pro­duk­ti­on der benö­tig­ten Güter und Res­sour­cen auf­ge­teilt wer­den. Dazu gehört auch die Berück­sich­ti­gung des nöti­gen Zeit­be­darfs für die Erzie­hung der Kin­der! Die jeweils kon­kre­ten Ent­schei­dun­gen zur Bereit­stel­lung der Res­sour­cen wie­der­um sind Auf­ga­be der demo­kra­ti­schen Struk­tu­ren. Es müs­sen folg­lich bereits vor der Ein­füh­rung der bedürf­nis­ori­en­tier­ten Öko­no­mie Struk­tu­ren exis­tie­ren, die aus der Fül­le von Infor­ma­tio­nen letzt­end­lich zu Ent­schei­dun­gen füh­ren und die­se auch umset­zen kön­nen. Grund­le­gend ist, dass die­se Pro­zes­se demo­kra­tisch ablau­fen, denn die bedürf­nis­ori­en­tier­te Öko­no­mie ist ja nichts ande­res als die Ein­füh­rung der Demo­kra­tie in die Öko­no­mie! Und dann ste­hen bei­spiels­wei­se dem Bedarf an Han­dys in den USA und der EU ganz sicher auch die Bedürf­nis­se der kon­go­le­si­schen Arbei­te­rIn­nen in den Col­tan­mi­nen gegenüber…

Es gibt also vie­le Ent­schei­dungs­ebe­nen: Betrieb, Bran­che, Stadt­teil, Stadt, Regi­on, … bis zur glo­ba­len Ebe­ne. Gene­rell ist die­ser Aspekt also nur bedingt ein öko­no­mi­scher, wesent­lich ist er eine Fra­ge der direk­ten Demo­kra­tie. Denn auf den glei­chen Wegen, auf denen die poli­ti­schen und sozia­len Infor­ma­tio­nen und Ent­schei­dun­gen über den Pla­ne­ten strö­men wer­den, müs­sen auch die öko­no­mi­schen und öko­lo­gi­schen Infor­ma­tio­nen und Ent­schei­dun­gen fließen.

Keim eines neu­en Wider­spruchs wäre es, wür­den die öko­no­mi­schen Fra­gen in einer ande­ren Struk­tur abge­han­delt als die sozia­len und öko­lo­gi­schen Fol­gen, die sich aus ihnen ergeben.
Der glei­chen Fra­ge nach der Bereit­stel­lung der benö­tig­ten Res­sour­cen kön­nen wir uns auch auf ande­rem Wege nähern, indem wir uns anschau­en, wie die Pro­duk­ti­on der benö­tig­ten Güter erfolgt. Die Pro­duk­ti­on des Benö­tig­ten ist nur mög­lich, wenn zuvor die Bedürf­nis­se der Pro­du­zen­tIn­nen befrie­digt wur­den. Denn nicht nur die Kon­su­men­tIn­nen haben Bedürf­nis­se, son­dern auch die ProduzentInnen.

In ihrer Eigen­schaft als Kon­su­men­tIn­nen haben die Men­schen die Bedürf­nis­se nach Nah­rung, Klei­dung, Woh­nung, etc. In ihrer Funk­ti­on als Pro­du­zen­tIn­nen haben die glei­chen Leu­te die Bedürf­nis­se nach Roh­stof­fen, Ener­gie, Werk­zeu­gen, Maschi­nen, Ersatz­tei­len, Räum­lich- kei­ten, Wis­sen, Infor­ma­tio­nen, Infrastruktur, …
Erst wenn die­se Bedürf­nis­se der Pro­du­zen­tIn­nen befrie­digt sind, kön­nen sie damit begin­nen, die Pro­duk­te für die Kon­su­men­tIn­nen herzustellen. 
Damit wird das Prin­zip der Bedürf­nis­ori­en­tie­rung auf die nächs­te Ebe­ne geho­ben: von den Kon­sum­gü­tern zur Pro­duk­ti­on der Kon­sum­gü­ter. Inso­fern Maschi­nen, Werk­zeu­ge, Kraft­wer­ke … zur Pro­duk­ti­on der Kon­sum­gü­ter not­wen­dig sind, müs­sen die­se eben­falls her­ge­stellt wer­den, und das Prin­zip der Bedürf­nis­ori­en­tie­rung erreicht die nächs­te Stu­fe, die der Pro­duk­ti­on der Pro­duk­ti­ons­mit­tel. Zuletzt geht es dann um die Pro­duk­ti­on der Roh­stof­fe.
Jede die­ser Stu­fen wird erreicht, indem immer wie­der die­sel­ben bei­den Grund­fra­gen gestellt werden:
1. Was wird benötigt? 
2. Was wird benö­tigt, um es herzustellen?
Die damit ver­bun­de­nen wei­te­ren Fra­gen (Sinn der Pro­duk­ti­on, Umwelt­be­las­tung, sozia­le Aus­wir­kun­gen …) sind Gegen­stand der demo­kra­ti­schen Dis­kus­si­on, und die gesell­schaft­li­chen Ant­wor­ten füh­ren letzt­end­lich zur Ent­schei­dung über die Bereit­stel­lung der benö­tig­ten Res­sour­cen, wie oben beschrie­ben. Dadurch aber, dass jede Stu­fe der Wirt­schaft durch die immer glei­chen bei­den Grund­fra­gen struk­tu­riert wird, führt die Ori­en­tie­rung an den Bedürf­nis­sen zur Ent­wick­lung einer eige­nen, inne­ren Logik – so, wie heu­te das Prin­zip des Kau­fens die inne­re Logik der Markt­wirt­schaft darstellt.

Es bleibt nun noch die Fra­ge, wie die Pro­duk­te zu den Kon­su­men­tIn­nen gelan­gen. Heu­te erfolgt die Aneig­nung der Güter dadurch, dass Kon­su­men­tIn­nen an der Kas­se die auf dem Preis­schild ange­ge­be­ne Geld­men­ge abge­ben. Wie aber erfolgt in der bedürf­nis­ori­en­tier­ten Öko­no­mie die Aneig­nung der Güter durch die KonsumentInnen? 

Der Schluß­teil des Refe­rats wird in der nächs­ten Avan­ti² veröffentlicht.

aus der Rhein-Neckar Bei­la­ge zur Avan­ti 241, Febru­ar 2016
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