Neue Wege zu einer aktiven Gewerkschaft?
H. N.
Ende 2018 hat ein Beschluss des Ortvorstandes der Mannheimer IG Metall (IGM) den Weg für eine aktivierende Kampagne in 2019 geebnet. „Wir in Mannheim – Gemeinsam stark“ lautet das Motto dieser bisher einmaligen Aktion.
Ein dreitägiger Auftakt mit 100 KollegInnen in Oberursel und danach mehrere eintägige Treffen mit etwa der gleichen Zahl von TeilnehmerInnen bereiteten inhaltlich und organisatorisch einen „Blitz“ vor. Vom 14. bis zum 16. Mai 2018 sollten möglichst viele KollegInnen auf ihre betriebliche Situation und auf eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft persönlich angesprochen werden.
Nach Angaben der IGM-Geschäftsstelle konnten so in und um Mannheim 4.150 Beschäftigte in 16 teilnehmenden Betrieben erreicht werden. Unter dem Motto „Gemeinsam für gute Einkommen, Arbeits- und Lebensbedingungen“ engagierten sich über 200 ehren- und haupt- amtliche MetallerInnen aus Mannheim, aus dem IGM-Bezirk Baden-Württemberg und insbesondere aus dem bezirklichen Gewerkschaftlichen Erschließungs-Projekt.
Gewerkschaftliches Organizing
Insgesamt 2.240 KollegInnen beteiligten sich an verschiedenen Formen des gewerkschaftlichen Organizings – an Betriebsrats-Sprechstunden, Beratungsge- sprächen über Eingruppierung und andere tarifliche Fragestellungen, Flugblatt-Aktionen vor dem Werkstor, Abteilungsbesuchen und nicht zuletzt aktiven Mittagspausen. Letztere fanden bei Bombardier, Bopp & Reuther, Bosch Rexroth, Caterpillar, Mercedes-Benz-Niederlassung, Rhenus, Südkabel, Wabco und VAG statt.
Von großer Bedeutung war diese Aktionsform insbesondere bei VAG und bei Bopp & Reuther. Den Belegschaften beider Firmen droht aktuell Stellenabbau. Bei Bopp & Reuther sollen mehr als zwanzig, bei VAG sogar etwa achtzig der noch rund 230 Arbeitsplätze vernichtet werden. Insbesondere dieser für den VAG-Standort existenzbedrohende Angriff durch den neuen „Investor“ Aurelius Equity Opportunities SE & Co. KGaA orientiert sich offenbar an dem großen „Vorbild“ aller Plattmacher, dem US-Konzern General Electric. Es ist sehr zu hoffen, dass sich bei VAG nun endlich eine aktive Gegenwehr entwickelt.
Insgesamt reichte die Bandbreite der an der IGM-Kampagne beteiligten Betriebe vom Großbetrieb Benz bis zu einem kleineren Logistikbetrieb des Rhenus-Konzerns. Laut dem 1. Bevollmächtigten der IGM Mannheim, Klaus Stein, konnten allein an den drei „Blitz“-Tagen über 100 neue Mitglieder für die IG Metall gewonnen werden.
Direkter Kontakt mit den Beschäftigten
Besonders positiv kam bei den meisten KollegInnen an, dass sie persönlich von Betriebsräten, Vertrauensleuten und externen GewerkschafterInnen auf ihre Arbeitssituation angesprochen wurden.
Das direkte Gespräch mit den Beschäftigten war früher Standard einer aktiven betrieblichen Gewerkschaftsarbeit. Durch den Generationenwechsel und durch die politischen Anpassungsprozesse der meisten gewerkschaftlichen Strukturen sind viele Dinge verlernt worden. Ein enormes Problem in diesem Zusammenhang ist die weitverbreitete Stellvertreter-Politik auf der Ebene von Betriebsräten, aber auch von hauptamtlichen FunktionärInnen. Deren negative Auswirkungen werden verstärkt durch Kapitalstrategien, die die Interessenvertretungen vermeintlich „vertrauensvoll“ einbinden und gleichzeitig zu Getriebenen herabstufen.
Wirksame gewerkschaftliche Gegenmacht stärken
Noch ist es zu früh, um die beachtlichen Anstrengungen der Mannheimer IGM zu bilanzieren. Klar ist aber schon jetzt, dass die Festigung einer aktivierenden Gewerkschaftsarbeit noch weiterer großer Anstrengungen bedarf. Insbesondere bedarf es des Aufbaus harter und aktionsfähiger betrieblicher Kerne. Sie sind unabdingbar, damit gewerkschaftliche Gegenmacht wieder wirksam und erfahrbar werden kann. Die strategisch angelegte Offensive des Kapitals in den Betrieben und darüber hinaus ist keineswegs beendet – im Gegenteil. Verstärkte Angriffe auf Betriebsratsmitglieder in einzelnen Betrieben, die an der Kampagne beteiligt sind, sprechen eine deutliche Sprache. Wirksame Antworten gegen diesen Klassenkampf von oben stehen noch aus.