ISO-Info­abend Sep­tem­ber 2023

50 Jah­re Putsch in Chile -
Durch­bruch des Neoliberalismus“

R. G.

Am 11. Sep­tem­ber 1973 putsch­te das Mili­tär in Chi­le gegen den demo­kra­tisch gewähl­ten Prä­si­den­ten Sal­va­dor Allen­de und errich­te­te eine Militärdiktatur.

Chile-Solidarität 1974. (Foto: Privatarchiv.)

Chi­le-Soli­da­ri­tät 1974. (Foto: Privatarchiv.)

Das vor­züg­li­che Ein­lei­tungs­re­fe­rat unse­res Refe­ren­ten stell­te den welt­po­li­ti­schen Hin­ter­grund die­ses ein­schnei­den­den Gesche­hens dar. Es ver­deut­lich­te, wel­che bis heu­te nach­wir­ken­de Bedeu­tung die­ser Putsch für den welt­wei­ten Sie­ges­zug des Neo­li­be­ra­lis­mus hatte.

Die Regie­rung Allen­de
1970 ist der Sozia­list Allen­de zum Prä­si­den­ten gewählt wor­den. Er hat wich­ti­ge Indus­trien und Ban­ken ver­staat­licht, eine Boden­re­form umge­setzt und zahl­rei­che sozi­al­po­li­ti­sche Maß­nah­men wie kos­ten­lo­se Bil­dung und kos­ten­lo­se Gesund­heits- ver­sor­gung durchgeführt.

Allen­de ist davon über­zeugt gewe­sen, dass das Par­la­ment, die besit­zen­den Klas­sen und das Mili­tär gegen­über die­ser Poli­tik neu­tral und loy­al blei­ben wür­den. Die­sen Irr­tum haben er und Zehn­tau­sen­de lin­ker und gewerk­schaft­li­cher Akti­ver mit dem Leben bezahlt.

Der Putsch
Nach ihrem Putsch haben die Mili­tärs jeg­li­chen Wider­stand unter­drückt. Zehn­tau­sen­de sind ver­haf­tet, inter­niert, grau­sam gefol­tert und ermor­det wor­den. Tau­sen­de haben die Mord­ban­den der Dik­ta­tur „ver­schwin­den lassen“.

Wich­tigs­ter aus­län­di­scher Draht­zie­her war der US-Geheim­dienst CIA. Die USA haben nach 1945 auf die Ver­grö­ße­rung der sowje­ti­schen Ein­fluss­zo­ne, die chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on 1949 und die Kolo­ni­al­re­vo­lu­tio­nen mit einer aggres­si­ven Außen­po­li­tik reagiert. Ziel ist es gewe­sen, welt­weit und mit allen Mit­teln eine wei­te­re Aus­brei­tung des „Kom­mu­nis­mus“ zu ver­hin­dern. Ohne Rück­sicht auf Völ­ker­recht, Demo­kra­tie und Men­schen­rech­te haben die USA auf allen Kon­ti­nen­ten Staatstrei­che orga­ni­siert und unter­stützt. Der chi­le­ni­sche Putsch ist ein zen­tra­les Glied in der blut­ver­schmier­ten Ket­te die­ser impe­ria­lis­ti­schen Schand­ta­ten gewesen.

Aber auch die BRD und ihr Aus­lands­ge­heim­dienst BND sind mit­ver­ant­wort­lich für die dama­li­gen Gräu­el gewe­sen. So ist die deut­sche Sied­lung Colo­nia Digni­dad und deren mör­de­ri­sche Unter­stüt­zung der Dik­ta­tur gedeckt wor­den. Gesuch­te Nazi-Ver­bre­cher, dar­un­ter vom BND bezahl­te Leu­te, haben die Put­schis­ten bei der Unter­drü­ckung der Oppo­si­ti­on mit Fol­ter und Mord „unter­stützt“.

Neo­li­be­ra­le „Schock­the­ra­pie“
Unmit­tel­bar nach dem Putsch haben die „Chi­ca­go Boys“ aus USA der Mili­tär­re­gie­rung ein neo­li­be­ra­les Pro­gramm vor­ge­legt. Es hat unter ande­rem Repri­va­ti­sie­run­gen sowie die Kür­zung und Strei­chung sozia­ler Leis­tun­gen beinhaltet.

Auf­grund des Ver­bots von Gewerk­schaf­ten und oppo­si­tio­nel­ler Orga­ni­sa­tio­nen sowie der Unter­drü­ckung jeg­li­chen Wider­stands ist Chi­le ein „idea­les“ gesell­schaft­li­ches Groß­la­bor gewe­sen. In ihm konn­ten „unge­stört“ neo­li­be­ra­le Ideo­lo­gien umge­setzt wer­den. Dass sie sich damit zu Hand­lan­gern einer men­schen­ver­ach­ten­den Dik­ta­tur mach­ten, hat die „Chi­ca­go Boys“ kei­nes­wegs gestört.

1975 ist die neo­li­be­ra­le Poli­tik noch­mals ver­schärft wor­den. Nach einem Besuch in Chi­le hat der neo­li­be­ra­le Vor­den­ker Mil­ton Fried­man, Gene­ral Pino­chet eine Schock­the­ra­pie für Chi­le emp­foh­len. Ihr Inhalt: mas­si­ve Kür­zung des Staats­haus­halts, Öff­nung Chi­les für aus­län­di­sche „Inves­to­ren“, wei­te­rer Abbau von Sozi­al­leis­tun­gen. In der Fol­ge hat sich die sozia­le Lage der arbei­ten­den Klas­sen mas­siv ver­schlech­tert. Die Pro­fi­te hin­ge­gen sind enorm gestei­gert worden.

Das ist der gewalt­tä­ti­ge Start des neo­li­be­ra­len Durch­bruchs gewe­sen. Welt­weit hat seit­dem das Kapi­tal sei­ne Raub­zü­ge ver­schärft. Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jah­re ist zuerst in Eng­land unter That­cher, in den USA unter Rea­gan und bald danach in ande­ren Staa­ten neo­li­be­ra­le Poli­tik umge­setzt wor­den − nicht zuletzt auch in der BRD.

Bis heu­te ist der Neo­li­be­ra­lis­mus die glo­bal vor­herr­schen­de Ideo­lo­gie. Er ver­stärkt sozia­les Elend und die unge­hemm­te Aus­beu­tung und Zer­stö­rung von Mensch und Natur. Zugleich begüns­tigt er den Auf­stieg auto­ri­tä­rer und faschis­ti­scher Bewe­gun­gen. In sei­nem Kern ist er pro­fit­ori­en­tiert, anti­de­mo­kra­tisch und aso­zi­al. Dar­in gleicht er der faschis­ti­schen Ideologie.

Brei­te Diskussion
Die Dis­kus­si­on behan­del­te vie­le his­to­ri­sche und tages­ak­tu­el­le The­men. So wur­den die Fol­gen neo­li­be­ra­ler Poli­tik wie die glo­ba­len Kri­sen, die Kon­zen­tra­ti­on von Reich­tum, der Auf­schwung der Rech­ten und der Ukrai­ne-Krieg diskutiert.

Nicht zuletzt ging es um die Mög­lich­kei­ten des Wider­stands. Ange­sichts der aktu­el­len Stär­ke auto­ri­tä­rer, rech­ter Strö­mun­gen sowie der Schwä­che der Lin­ken und der Gewerk­schaf­ten dürf­ten kei­ne kurz­fris­ti­gen Erfol­ge erwar­tet wer­den. Es gehe zum einen um das Erfahr­bar­ma­chen gemein­sa­mer Stär­ke im Rah­men kon­kre­ter betrieb­li­cher, gewerk­schaft­li­cher, sozia­ler, femi­nis­ti­scher und öko­lo­gi­scher Kämp­fe. Zum ande­ren um die Erneue­rung einer gesell­schaft­li­chen Uto­pie, die demo­kra­tisch, ega­li­tär, soli­da­risch und öko­lo­gisch ist.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Okto­ber 2023
Tagged , , , , . Bookmark the permalink.