ISO-Info­abend

Kapi­ta­lis­mus erzeugt Armut –
rei­chen 12 Euro Mindestlohn?“

K. S.

Die ISO Rhein-Neckar hat­te am Frei­tag, den 22. Okto­ber 2021, zu einem wei­te­ren hybri­den Dis­kus­si­ons­abend ein­ge­la­den. Gegen­stand war die sozia­le Spal­tung im Land, die sich durch den neo­li­be­ra­len Sozi­al­ab­bau der ver­gan­ge­nen Deka­de und die Coro­na-Kri­se wei­ter zuspitzt.

Reich­tum …
Der ein­lei­ten­de Vor­trag warf ein Schlag­licht auf die extrem unglei­chen Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se. In Deutsch­land besitzt das 1 Pro­zent der reichs­ten Deut­schen mehr als 35 Pro­zent des Gesamt­ver­mö­gens. An der Spit­ze der gesell­schaft­li­chen Reich­tums-Pyra­mi­de kon­zen­triert sich nahe­zu das gesam­te Betriebs­ver­mö­gen des Landes.

Im Gegen­satz dazu besit­zen die unte­ren 10 Pro­zent der Bevöl­ke­rung, jene mit dem gerings­ten Ver­mö­gen, sogar ein „nega­ti­ves Ver­mö­gen“, das heißt mehr Schul­den als Ver­mö­gens­be­stän­de. Die­ser Gegen­satz lässt sich mit einem Blick auf die „Reich­tums­uhr“ ver-deut­li­chen (www.dgb.de/themen/). Sie zeigt anschau­lich, wie die tie­fe sozia­le Spal­tung im Land rasend voranschreitet.

IGM-Aktionstag in Stuttgart, 29. Oktober 2021. (Foto: Avanti².)

IGM-Akti­ons­tag in Stutt­gart, 29. Okto­ber 2021. (Foto: Avanti².)

… und Armut 
Auch mit Blick auf die Kli­ma­kri­se spielt die bestehen­de sozia­le Ungleich­heit in Zusam­men­hang mit der Abwäl­zung der öko­lo­gi­schen Fol­ge­kos­ten eine zen­tra­le Rol­le. Bei Preis­stei­ge­run­gen wie etwa bei Sprit, den Mie­ten und den Lebens­mit­teln wer­den die unte­ren Klas­sen weit emp­find­li­cher getrof­fen als die­je­ni­gen, die sich neben Inlands­flü­gen gar einen Pri­vat­jet leis­ten können. 
Aus glo­ba­ler Per­spek­ti­ve spitzt sich das Dra­ma der sozia­len Ungleich­heit noch wei­ter zu. Das reichs­te Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung, also fast 63 Mil­lio­nen Men­schen, ver­ur­sacht mehr als dop­pelt so viel CO₂-Treib­haus­gas wie die ärme­re Hälf­te der Mensch­heit, also 3,1 Mil­li­ar­den Men­schen. Aus die­ser Per­spek­ti­ve ist Kli­ma­ge­rech­tig­keit zugleich eine Fra­ge glo­ba­ler sozia­ler Gerechtigkeit. 
Selbst im rei­chen Deutsch­land gilt ein Fünf­tel der Bevöl­ke­rung als arm, da sie 60 Pro­zent weni­ger als das mitt­le­re Ein­kom­men erhal­ten. Nied­ri­ge Ren­ten, Ver­fall der öffent­li­chen Infra­struk­tur, Kür­zun­gen bei Sozi­al­leis­tun­gen, Hartz IV und Nied­rig­löh­ne – all die­se Fak­to­ren ver­ur­sa­chen bei einem beträcht­li­chen Teil der Men­schen in Deutsch- land Armut. Auch der 2015 ein­ge­führ­te Min­dest­lohn hilft, selbst bei einer Erhö­hung auf 12 €, nicht wei­ter. Er ist und bleibt ein Armutslohn.

Wirk­sa­me Arbeitszeitverkürzung
Eine all­ge­mei­ne, radi­ka­le Arbeits­zeit­ver­kür­zung bei vol­lem Lohn- und Per­so­nal­aus­gleich ist – gemes­sen am Stand der Pro­duk­tiv­kräf­te – ein zwin­gen­des Erfor­der­nis. Sie kann der insti­tu­tio­na­li­sier­ten Armut und der durch Ratio­na­li­sie­rung und Ver­la­ge­rung erzeug­ten Arbeits­lo­sig­keit ent­ge­gen­wir­ken. Dies wäre ein prin­zi­pi­el­ler „Sieg der poli­ti­schen Öko­no­mie der Arbeit über die poli­ti­sche Öko­no­mie des Kapi­tals“, wie Marx es genannt hat (MEW 16, S. 11).

Es gilt einer­seits zu bekämp­fen, dass ein bestimm­ter Teil der arbei­ten­den Klas­se im High­tech-Kapi­ta­lis­mus in eine gesetz­lich fest­ge­leg­te Zone der Armut – Hartz IV und Nied­rig­lohn – abge­drängt wird. Und ande­rer­seits, dass die Pro­fit­ma­xi­mie­rung sich mit kon­ti­nu­ier­li­chen Abbau­pro­zes­sen bis hin zu Betriebs­schlie­ßun­gen und mit der Deindus­tria­li­sie­rung gan­zer Regio­nen durch- setzt. Dadurch wer­den immer mehr auch die „siche­ren“ Arbeits­plät­ze von „Stamm­be­leg­schaf­ten“ bedroht.

Neben der kon­se­quen­ten Umver­tei­lung der vor­han­de­nen Arbeit soll­ten des­halb Gewerk­schaf­ten für das Recht auf men­schen­wür­di­ge Tätig­kei­ten für alle und das Ver­bot von Ent­las­sun­gen eintreten.

Kampf um Würde
In der Dis­kus­si­on kam zur Spra­che, dass die Rei­chen und Super­ei­chen in Deutsch­land ihr Ver­mö­gen ver­ber­gen. Zugleich bleibt auch Armut in Deutsch­land häu­fig unsicht­bar. Sie kommt vor allem im öffent­li­chen Bewusst­sein als gesell­schaft­li­ches Pro­blem kaum vor, obwohl die nack­ten Zah­len kras­se sozia­le Gegen­sät­ze im Land aufzeigen.

Die Phra­se von der „nivel­lier­ten Mit­tel­schichts­ge­sell­schaft“ dient noch immer als Deck­man­tel für eine enor­me sozia­le Kluft.

Die Fra­ge kam auf, wie kol­lek­ti­ve Stär­kung trotz Armut gelin­gen kann. Kann Man­gel zu For­men der gegen­sei­ti­gen Hil­fe, der Für­sor­ge und einem Kampf um sozia­le Rech­te füh­ren? Wie kön­nen Stra­te­gien aus­se­hen, die die Pro­test-Poten­zia­le stär­ken und die Bekämp­fung der Armut in den Wider-stand gegen die kapi­ta­lis­ti­schen Klas­sen­ver­hält­nis­se ins­ge­samt einbeziehen?

Mit dem Auf­bau einer star­ken sozia­len und öko­lo­gi­schen Front kön­nen die oben skiz­zier­ten Ant­wor­ten den Anti­ka­pi­ta­lis­mus in der arbei­ten­den Klas­se stärken.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Novem­ber 2021
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