Kein Selbst­be­stim­mungs­recht für das kur­di­sche Volk?

 

H. S.

Am 10. und am 17. Okto­ber 2020 gin­gen in Mann­heim 250 bezie­hungs­wei­se 350 meist kur­di­sche Men­schen auf die Stra­ße. Sie demons­trier­ten für ihre Rech­te und für die Frei­las­sung des seit über 20 Jah­ren in der Tür­kei inhaf­tier­ten PKK-Vor­sit­zen­den Abdul­lah Öcalan.

Wie bei kur­di­schen Ver­an­stal­tun­gen üblich, gab es auch die­ses Mal weit­ge­hen­de Auf­la­gen durch die Stadt Mann­heim. Fah­nen und Sym­bo­le mit PKK-Bezug sind nach wie vor ver­bo­ten. Das Glei­che gilt auch für das Rufen von Paro­len oder das Zei­gen von Bil­dern der kur­di­schen Sym­bol­fi­gur Öcalan.

Kur­di­sche Demo am 10. Okto­ber 2020 in Mann­heim (Foto:Avanti²)

Bei­de Demons­tra­tio­nen wur­den von einem gro­ßen Poli­zei­auf­ge­bot beglei­tet. Wäh­rend die Demo am 10. Okto­ber 2020 noch fried­lich ver­lief, kam es am 17.10.2020 zu Zwi­schen­fäl­len. Die Poli­zei unter­band mit Schlag­stock­ein­sät­zen gewalt­sam das Tra­gen von Öcalan-Bil­dern. In der Fol­ge wur­den meh­re­re Demons­trie­ren­de ver­letzt und Ermitt­lungs­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet. Den­noch konn­te auch die zwei­te Demo trotz wei­te­rer Stör­ver­su­che der Poli­zei noch rela­tiv fried­lich auf dem Alten Mess­platz mit kur­di­schen Tän­zen und Musik been­det werden.

Sol­che Poli­zei­ein­sät­ze, die fried­li­che Demons­tra­tio­nen oft genug in Gewalt enden las­sen, wer­den immer wie­der mit dem 1993 in Deutsch­land ver­häng­ten PKK-Ver­bot begrün­det. In den ein­zel­nen Bun­des­län­dern wird das Ver­bot von Trans­pa­ren­ten, Fah­nen und Öcalan-Bil­dern jedoch unter­schied­lich gehandhabt.

Die EU bezeich­net die PKK eben­so wie die BRD als „Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on“. Die­se am Sprach­ge­brauch der tür­ki­schen Regie­rung ori­en­tier­te Kri­mi­na­li­sie­rung tei­len aber längst aber nicht alle EU-Staa­ten. Auch die UN stuft die PKK nicht als „Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on“ ein.

Kri­ti­sche Solidarität?
Die Geschich­te der Kur­din­nen und Kur­den ist in den letz­ten zwei Jahr­hun­der­ten die einer stän­di­gen Abfol­ge von Unter­jo­chung und Ver­fol­gung. Sie wur­den gewalt­sam aus ihren Gebie­ten ver­trie­ben. Vie­le muss­ten ins Aus­land flie­hen, um ihr Leben zu ret­ten. Ihre Spra­che und ihre Kul­tur wur­den unter­drückt. Ihr Volk und ihre Geschich­te soll­ten von den Land­kar­ten und aus dem Gedächt­nis getilgt werden.

Wen wun­dert es, dass dage­gen Men­schen orga­ni­sier­ten Wider­stand leis­te­ten? Im Jahr 1978 wur­de die Arbei­ter­par­tei Kur­di­stans (PKK) gegrün­det, um den bewaff­ne­ten Kampf für ein frei­es Kur­di­stan aufzunehmen.

Doch die heu­ti­ge PKK ist nicht mehr die auto­ri­tä­re Kader­par­tei der 1980er Jah­re. Sie hat theo­re­tisch und prak­tisch die Ent­wick­lung des demo­kra­ti­schen Kon­fö­de­ra­lis­mus vor­an­ge­trie­ben. Sie hat Reli­gi­on und Eth­nie neu bewer­tet. Sie hat die Not­wen­dig­keit der Frau­en­be­frei­ung und des Kampfs gegen die Natur­zer­stö­rung erkannt. Mit all­dem hat die PKK ihre poli­ti­schen Wur­zeln kri­tisch hin­ter­fragt und ihre Zie­le neu bestimmt.

Für die­se Neu­be­stim­mung steht ins­be­son­de­re das poli­ti­sche Pro­jekt „Roja­va“. Es ist in Nord­sy­ri­en bei­spiel­haft für das selbst­be­stimm­te gesell­schaft­li­che Zusam­men­le­ben unter­schied­li­cher Eth­ni­en und Reli­gio­nen. Es war der poli­ti­sche Kopf Abdul­lah Öcalan, der die­se Neu­be­stim­mung aus der Haft her­aus initi­iert hat.

Auch wenn vie­le lin­ke Kur­din­nen und Kur­den in ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen und Ver­ei­nen orga­ni­siert sind, ist die bedeu­ten­de Rol­le der PKK für den kur­di­schen Frei­heits­kampf ins­be­son­de­re in der Tür­kei nicht zu leug­nen. Der tür­ki­sche Staat hat nicht nur die PKK, son­dern auch ande­re Par­tei­en und Orga­ni­sa­tio­nen, die der kur­di­schen Sache eine Stim­me geben wol­len, zu poli­ti­schen Haupt­fein­den erklärt hat. Und die deut­sche Regie­rung? Sie ist in die­ser Fra­ge erklär­ter­ma­ßen ein Hand­lan­ger des men­schen­ver­ach­ten­den Erdogan-Regimes.

Wie ent­le­digt sich die­ses Regime eines poli­ti­schen Geg­ners? Es bezeich­net ihn als Ter­ro­ris­ten und ver­schafft sich damit die Recht­fer­ti­gung für Ver­fol­gung und Ver­nich­tung. Es ver­brei­tet Angst und Schre­cken und macht ihn damit unglaub­wür­dig und ver­ab­scheu­ens­wert. Nach die­ser Metho­de wird mit der PKK bis heu­te verfahren.

Kri­mi­na­li­sie­rung stop­pen
Auf dem 1993 in Deutsch­land ver­häng­ten Ver­bot der PKK beruht die fort­ge­setz­te Kri­mi­na­li­sie­rung der kur­di­schen Bewe­gung ins­ge­samt. Die­se betrifft auch die YPG.

Die Nähe von PKK und YPG wur­de wäh­rend der Ver­tei­di­gung von Kobanê 2014 sehr deut­lich. Als sie kurz zuvor Tau­sen­de Jezi­din­nen und Jezi­den im Irak vor dem dro­hen­den Geno­zid durch den Daesh geret­tet haben, bewer­te­ten deut­sche Medi­en dies als sehr posi­tiv. Selbst CDU- und FDP-Krei­se signa­li­sier­ten damals, es sei nun an der Zeit, über eine Been­di­gung des PKK-Ver­bots nachzudenken.

Doch nach die­ser kur­zen Zeit der Ent­span­nung, in der uns das hel­den­haf­te Ver­hal­ten der kur­di­schen Kämp­fe­rin­nen und Kämp­fer prä­sen­tiert wur­de, hat sich die Situa­ti­on wie­der ver­än­dert. Kur­di­sche Akti­ve wer­den der PKK zuge­rech­net, wie­der ver­folgt und in ihren Frei­heits­rech­ten beschnit­ten. Die­se Kri­mi­na­li­sie­rung muss gestoppt wer­den. Weg mit dem PKK-Verbot!

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Okto­ber 2020
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