Kriegs­ge­fahr und Kampf um Sozialismus

von

Ernest Man­del

 


Redak­tio­nel­le Vorbemerkung
Die­ser wich­ti­ge Text Ernest Man­dels (1927 - 1995) datiert vom 1. Juli 1982.

Kurz zuvor − am 10. Juni 1982 − hat­te in der dama­li­gen Bun­des­haupt­stadt Bonn eine Groß­de­mons­tra­ti­on unter dem Mot­to „Auf­stehn! Für den Frie­den“ statt­ge­fun­den. Etwa 500.000 Men­schen pro­tes­tier­ten dort unter ande­rem gegen die Auf­rüs­tungs­po­li­tik von NATO und Bun­des­re­gie­rung. Damals befand sich die Frie­dens­be­we­gung in der BRD auf ihrem Höhepunkt.

Die inter­na­tio­na­le Lage war gekenn­zeich­net vom extrem bedroh­li­chen ato­ma­ren Rüs­tungs­wett­lauf des „demo­kra­ti­schen“ (kapi­ta­lis­ti­schen) Wes­tens und des sei­ner­zeit noch exis­tie­ren­den „real-sozia­lis­ti­schen“ (sta­li­nis­ti­schen) Ostens, den ent­schei­den­de Sek­to­ren der dort Herr­schen­den zu ihrer eige­nen Berei­che­rung weni­ge Jah­re spä­ter von einer büro­kra­ti­schen Kom­man­do­wirt­schaft in ein kapi­ta­lis­tisch-olig­ar­chi­sches Sys­tem umwandelten.

In deut­scher Spra­che ist Man­dels Ana­ly­se erst­mals in INPREKORR Nr. 9 (148) vom 7. Okto­ber 1982 ver­öf­fent­licht wor­den. Wir haben die­sen Text über­ar­bei­tet, die dama­li­ge Schreib­wei­se aber beibehalten.

H. N. (1. Juli 2022)



Ver­schie­dent­lich ent­stand in den letz­ten zwei Jah­ren der Ein­druck, als könn­te die all­ge­mei­ne Gefahr eines Drit­ten Welt­kriegs kurz­fris­tig rea­le Gestalt anneh­men. Ober­fläch­li­che Kom­men­ta­to­ren haben des Öfte­ren die­sen Schluß gezo­gen. Vor allem in gewis­sen intel­lek­tu­el­len Krei­sen hat sich sogar Panik breit­ge­macht. Davon wur­de auch die mäch­ti­ge und ver­hei­ßungs­vol­le Anti­kriegs­be­we­gung − wenigs­tens zum Teil − ange­steckt, die sich gegen­wär­tig in den kapi­ta­lis­ti­schen Län­dern entwickelt.

Eine unüber­schau­ba­re Zahl von Büchern ist die­sem Drit­ten Welt­krieg, der schon begon­nen habe, der gera­de im Gan­ge sei, ja der sogar vor sei­nem Abschluß ste­he, gewid­met.1

Für die­se Wel­le der Panik gibt es zwei­fels­oh­ne in den poli­ti­schen Ereig­nis­sen selbst eine Rei­he von ernst­zu­neh­men­den Grün­den. Hat es im Juni 1982 nicht gleich­zei­tig ein Wie­der­auf­fla­ckern des Krie­ges zwi­schen dem Iran und dem Irak gege­ben, den Krieg um die Mal­wi­nen, die Vor­be­rei­tun­gen der Inva­si­on des Liba­non durch Isra­el, eine Erwei­te­rung der aus­län­di­schen Inter­ven­ti­on in den Bür­ger­krieg in EI Sal­va­dor, ohne von den mehr oder weni­ger ver­ges­se­nen „klei­nen Krie­gen“ etwa im Tschad, in Eri­trea, in Nami­bia, in der West­sa­ha­ra zu reden, ohne den Bür­ger­krieg im Jemen, den nie­mals erlo­sche­nen Bür­ger­krieg in Ango­la und in Mozam­bi­que zu erwäh­nen − und selbst die­se Lis­te ist noch unvoll­stän­dig … Von da aus ist es nur ein Schritt zur Schluß­fol­ge­rung, der Krieg sei dabei, sich auf den gan­zen Pla­ne­ten aus­zu­wei­ten, einen Schritt, den vie­le gegan­gen sind, ohne sich dar­über Rechen­schaft abzu­le­gen, was die­se unge­recht­fer­tig­te Schluß­fol­ge­rung bedeu­te­te. Da es sich um eine Fra­ge von grund­le­gen­der Bedeu­tung han­delt, darf man sich weder von Panik noch Eupho­rie hin­rei­ßen las­sen, die bei­de gleich unver­ant­wort­lich sind ange­sichts des­sen, was auf dem Spiel steht, näm­lich buch­stäb­lich das nack­te Über­le­ben des Menschengeschlechts.

Welt­re­vo­lu­ti­on und kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Kriege
Mehr als je zuvor ist der Impe­ria­lis­mus ent­schlos­sen, sei­ne kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Gewalt jedem Vor­an­schrei­ten der Revo­lu­ti­on auf der Welt ent­ge­gen­zu­stel­len. Die­se kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Gewalt erfolgt in Form von sys­te­ma­ti­schen bewaff­ne­ten Inter­ven­tio­nen, die sich manch­mal als „Unter­stüt­zung“ eines der am Bür­ger­krieg betei­lig­ten Lager tar­nen, aber bei ande­rer Gele­gen­heit auch klar die Form einer aus­län­di­schen mas­si­ven Inter­ven­ti­on annehmen.

Da das impe­ria­lis­ti­sche Welt­sys­tem von einer tie­fen Ver­falls­kri­se heim­ge­sucht wird, da revo­lu­tio­nä­re Her­de unauf- hör­lich seit mehr als einem hal­ben Jahr­hun­dert auf­fla­ckern, kommt die haupt­säch­li­che Kriegs­ge­fahr aus den zuneh­men­den aus­län­di­schen Inter­ven­tio­nen gegen Revo­lu­tio­nen, die gera­de im Gan­ge sind. Im Ver­lau­fe der letz­ten Jahr­zehn­te war die gro­ße Mehr­zahl der Krie­ge sol­cher Art. Das Glei­che gilt heu­te und wird in Zukunft auch nicht anders sein.

Es han­delt sich also kei­nes­wegs um eine neue Erschei­nung. Denn tat­säch­lich hat sich seit der Inter­ven­ti­on gegen Sowjet­russ­land 1918 - 22 jede sieg­rei­che Revo­lu­ti­on und jeder Schritt hin zu wich­ti­gen Sie­gen gegen einen kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Krieg von außen weh­ren müs­sen. Die wich­tigs­ten sei­en hier auf­ge­zählt: die Inter­ven­ti­on des deut­schen Impe­ria­lis­mus gegen die fin­ni­sche Revo­lu­ti­on 1918, die Inter­ven­ti­on der Entente (Frank­reich, Polen, Tsche­cho­slo­wa­kei, Jugo­sla­wi­en, Rumä­ni­en) − wobei Rumä­ni­en als Speer­spit­ze gebraucht wur­de − gegen die unga­ri­sche Sowjet­re­pu­blik von Bela Kun 1919, die Inter­ven­ti­on Hit­lers und Mus­so­li­nis gegen die spa­ni­sche Revo­lu­ti­on 1936 - 37, die bri­ti­sche und ame­ri­ka­ni­sche Inter­ven­ti­on gegen die grie­chi­sche Revo­lu­ti­on 1944 - 49, die impe­ria­lis­ti­sche Inter­ven­ti­on gegen die drit­te chi­ne­si­sche Revo­lu- tion 1946 - 49, der ers­te Indo­chi­na­krieg 1945 - 54, die impe­ria­lis­ti­sche Inter­ven­ti­on gegen die korea­ni­sche und die chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on 1950 - 53, der impe­ria­lis­ti­sche Krieg gegen die alge­ri­sche Revo­lu­ti­on 1954 - 62, die impe­ria­lis­ti­sche Inter­ven­ti­on gegen den Krieg in Malay­sia 1948 - 60 und in Kenia 1952, die impe­ria­lis­ti­sche Inter­ven­ti­on gegen die Revo­lu­ti­on in Ango­la 1961, Mozam­bi­que 1964 und Gui­nea-Bis­sau 1971, die impe­ria­lis­tisch-zio­nis­ti­schen Inter­ven­tio­nen gegen Ägyp­ten 1956 und 1967 sowie die ver­schie­de­nen impe­ria­lis­ti­schen Inter­ven­tio­nen gegen die paläs­ti­nen­si­sche Revo­lu­ti­on (1969, 1970, 1975, 1976, 1978, 1981, 1982).

Eini­ge von die­sen Krie­gen hat­ten einen weit über den Mal­wi­nen­krieg oder die gegen­wär­tig statt­fin­den­de impe­ria­lis­ti­sche Inter­ven­ti­on in Mit­tel­ame­ri­ka hin­aus­ge­hen­den Umfang. Wir wol­len nur den ers­ten Indo­chi­na­krieg, den israe­li­schen Angriff und die gleich­zei­ti­ge fran­zö­sisch-bri­ti­sche Inter­ven­ti­on am Suez-Kanal, den Alge­ri­en­krieg und schließ­lich den zwei­ten Indo­chi­na­krieg erwäh­nen, in die Hun­dert­tau­sen­de von Sol­da­ten impe­ria­lis­ti­scher Län­der ver­wi­ckelt waren.

Die­se begrenz­ten kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Krie­ge stel­len also kei­ne Neu­heit dar. Sie sind viel­mehr die Regel. Neu war hin­ge­gen die Aus­nah­me, wie sie die nica­ra­gua­ni­sche und ira­ni­sche Revo­lu­ti­on dar­stel­len, gegen die zu inter­ve­nie­ren, wenigs­tens zum Zeit­punkt des Stur­zes von Somo­za und des Schahs, sich der Impe­ria­lis­mus poli­tisch (nicht mate­ri­ell oder mili­tä­risch!) außer­stan­de sah − und zwar auf­grund der Aus­wir­kun­gen der in Indo­chi­na 1975 erlit­te­nen Niederlage.

Schon damals schätz­te die IV. Inter­na­tio­na­le jene Läh­mung als kurz­zei­tig ein. Sowohl die auf dem XI. Welt­kon­gress 1979 ange­nom­me­ne wie auch die vom Inter­na­tio­na­len Exe­ku­tiv­ko­mi­tee im Mai 1981 ver­ab­schie­de­te Reso­lu­ti­on zei­gen kor­rekt, daß der Impe­ria­lis­mus auf dem Wege war, sich die Mit­tel zum kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Ein­grei­fen gegen lau­fen­de Revo­lu­tio­nen oder neue anti­im­pe­ria­lis­ti­sche Initia­ti­ven wie­der zu ver­schaf­fen, etwa durch den Auf­bau der ame­ri­ka­ni­schen Schnel­len Ein­greif­trup­pe (RDF). Die­se Ein­schät­zung hat sich seit­her bestätigt.

Der Krieg um die Mal­wi­nen, die Inva­si­on im Liba­non, die impe­ria­lis­ti­sche Inter­ven­ti­on in Mit­tel­ame­ri­ka und in kom­ple­xe­rer Wei­se auch der Krieg Iran - Irak bedeu­ten des­halb über­haupt kei­ne „neue inter­na­tio­na­le Situa­ti­on“ und füh­ren uns auch nicht an die Schwel­le des Drit­ten Welt­krie­ges, son­dern stel­len die „Rück­kehr zur Norm“ dar, also den sys­te­ma­ti­schen und kon­zen­trier­ten Ver­such des Impe­ria­lis­mus, sei­ne kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Gewalt jedem neu­en Fort­schritt der Revo­lu­ti­on ent­ge­gen­zu­stel­len, eine seit etwa 65 Jah­ren immer wie­der bestä­tig­te Norm.

Kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Krie­ge und Weltkrieg
Von die­ser prak­tisch unun­ter­bro­che­nen Ket­te von loka­len Krie­gen, die wir in der gan­zen von der Rus­si­schen Revo­lu­ti­on eröff­ne­ten geschicht­li­chen Peri­ode wie­der­fin­den − und die die Unfä­hig­keit des Impe­ria­lis­mus bewei­sen, der Mensch­heit Frie­den zu sichern, einer der wich­tigs­ten Grün­de, sich die­ses Sys­tem vom Hal­se zu schaf­fen, das aus allen Poren Gewalt abson­dert − muß man die bei­den 1914 und 1939 aus­ge­bro­che­nen Welt­krie­ge unter­schei­den. Und noch mehr natür­lich einen Drit­ten Weltkrieg.

Die Unter­schie­de sind nicht nur quan­ti­ta­ti­ver, sie sind qua­li­ta­ti­ver Natur. Im Unter­schied zu den „loka­len“ kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Krie­gen waren in die Welt­krie­ge Dut­zen­de, ja Hun­der­te von Mil­lio­nen Men­schen ver­wi­ckelt. Sie ver­ur­sach­ten eine ent­spre­chen­de Zahl von Toten und mate­ri­el­len Schä­den und ver­än­der­ten das Funk­tio­nie­ren der Welt­wirt­schaft von Grund auf. Sie bewirk­ten einen star­ken Ver­lust an Pro­duk­tiv­kräf­ten und an ange­häuf­tem Reich­tum der Mensch­heit und ver­schlech­ter­ten dadurch die Aus­gangs­be­din­gun­gen für eine sozia­lis­ti­sche Umge­stal­tung der Welt. Dies zu sagen, bedeu­tet kei­ne Annä­he­rung an den „Pazi­fis­mus“, son­dern stellt nur die ver­hee­ren­den Aus­wir­kun­gen der Welt­krie­ge fest. Rufen wir uns dies­be­züg­lich das Urteil der Kom­in­tern vom 6. März 1919 in Erinnerung:

Euro­pa ist von Trüm­mern und rau­chen­den Rui­nen über­sät … Die Wider­sprü­che des kapi­ta­lis­ti­schen Regi­ments haben sich im Gefol­ge des Krie­ges für die Mensch­heit in Gestalt kör­per­li­cher Lei­den gezeigt: Hun­ger, Frie­ren, Epi­de­mien und Wie­der­ein­bruch der Bar­ba­rei … Es han­delt sich jetzt nicht nur um sozia­le Ver­elen­dung, son­dern um phy­sio­lo­gi­sche und bio­lo­gi­sche Ver­ar­mung, was sich uns in sei­ner häss­li­chen Wirk­lich­keit dar­stellt.“ („Mani­fest des 1. Kon­gres­ses der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­le an die Pro­le­ta­ri­er der gan­zen Welt“.)

Es stimmt, daß „loka­le“ kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Krie­ge in einem Lan­de die glei­chen Aus­wir­kun­gen haben kön­nen. Es genügt, an die schreck­li­chen Fol­gen zu den­ken, die von den in Kam­bo­dscha durch den Impe­ria­lis­mus ver­ur­sach­ten Zer­stö­run­gen aus­gin­gen (von März bis August 1973 wur­den sechs Mona­te lang alle Gebie­te mit dich­ter Bevöl­ke­rung durch die gesam­te in Indo­chi­na sta­tio­nier­te US-Luft­waf­fe bom­bar­diert). Aber aus mate­ria­lis­ti­scher Sicht ist es doch ein gro­ßer Unter­schied, ob es sich um ein Land (oder eini­ge weni­ge) han­delt, das in die „Stein­zeit zurück­ge­bombt“ wird, wo die Mög­lich­keit besteht, daß der Pro­duk­ti­ons­aus­fall vom Rest der Welt rasch kom­pen­siert wird, oder ob es die gan­ze Mensch­heit ist (oder deren gro­ße Mehr­heit), die in die Bar­ba­rei zurück­ge­trie­ben wird, ohne daß noch Reser­ven bestehen, die eine bal­di­ge Über­win­dung des Elends erlauben.

Die­ser Unter­schied zwi­schen „loka­len“ kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Krie­gen und einem Welt­krieg wur­zelt in den ver­schie­de­nen objek­ti­ven Grün­den für die bei­den Erschei­nun­gen. „Loka­le“ kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Krie­ge sind kon­junk­tu­rel­le Ant­wor­ten auf Teil­fort­schrit­te der Revo­lu­ti­on. Der Welt­krieg ent­steht aus der struk­tu­rel­len Kri­se des Sys­tems, gewis­ser­ma­ßen stellt er die letz­te Zuflucht gegen die Struk­tur­kri­se dar.

Sicher­lich muß man bei die­ser Unter­schei­dung nuan­cie­ren. Wenn es immer wie­der Fort­schrit­te der Revo­lu­ti­on gibt, und sei­en es auch nur Teil­fort­schrit­te, so sind die­se selbst Aus­druck der­sel­ben struk­tu­rel­len Kri­se des Sys­tems, die schließ­lich den Welt­krieg her­vor­bringt. Aber wenn man beim qua­li- tati­ven Unter­schied auch abstu­fen muß, so bleibt er doch groß genug. Die „loka­len“ kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Krie­ge kön­nen mit „fried­li­chen Auf­stiegs­pha­sen der kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schaft“ zusam­men­fal­len, und das war oft genug auch der Fall. Ein Welt­krieg ent­steht nur, wenn eine schwe­re wirt­schaft­li­che Depres­si­on für lan­ge Zeit jeden neu­en fried­li­chen Auf­schwung der inter­na­tio­na­len kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schaft zu blo­ckie­ren scheint. Vor allem stel­len die „loka­len“ kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Krie­ge Ant­wor­ten auf Teil­fort­schrit­te der Revo­lu­ti­on dar, wel­che mit auf­stei­gen­den Mas­sen­be­we­gun­gen zusam­men­fal­len kön­nen und im All­ge­mei­nen auch zusam­men­fal­len. Die­se brem­sen, ja läh­men den Marsch des Impe­ria­lis­mus in den Krieg.

Der Aus­bruch des Zwei­ten Welt­kriegs hin­ge­gen drück­te auf syn­the­ti­sche Wei­se eine Nie­der­la­ge aus oder eine Rei­he so schwe­rer Nie­der­la­gen der Mas­sen­be­we­gung in den Schlüs­sel­län­dern des Klas­sen­kamp­fes, daß wegen der zeit­wei­li­gen Läh­mung des Pro­le­ta­ri­ats die­ses den Kriegs­ge­lüs­ten der Bour­geoi­sie nicht ent­ge­gen­tre­ten konn­te. Mit ande­ren Wor­ten, „loka­le“ kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Krie­ge beglei­ten Fort­schrit­te oder Teil­fort­schrit­te der Welt­re­vo­lu­ti­on. Hin­ge­gen drück­te der Aus­bruch des Zwei­ten Welt­krie­ges eine schwe­re his­to­ri­sche Nie­der­la­ge die­ser Revo­lu­ti­on aus.

Atom­waf­fen und Weltkrieg
Die Bedeu­tung die­ser Unter­schei­dung wird noch dadurch unter­stri­chen, daß der Drit­te Welt­krieg aller Vor­aus­sicht nach ein Atom­krieg sein wür­de. Umso wich­ti­ger, daß man den Unter­schied macht.

Es wäre absurd und wür­de den Grund­prin­zi­pi­en des his­to­ri­schen Mate­ria­lis­mus zuwi­der­lau­fen, wenn man behaup­tet, die Ansamm­lung eines Atom­waf­fen­po­ten­ti­als, das die gan­ze Mensch­heit zwan­zig­mal2 aus­zu­lö­schen in der Lage ist, wür­de nichts „Grund­le­gen­des“ an der „Natur des Welt­krie­ges“ ändern oder die­ser wür­de dem Welt­pro­le­ta­ri­at oder den Revo­lu­tio­nä­ren die „glei­chen stra­te­gi­schen und tak­ti­schen Pro­ble­me“ stel­len wie der Ers­te und der Zwei­te Weltkrieg.

Um eine klas­sen­lo­se Gesell­schaft auf­zu­bau­en, braucht es beträcht­li­che mensch­li­che und tech­ni­sche Pro­duk­tiv­kräf­te. Aus der ato­ma­ren Asche wird sich nicht der Sozia­lis­mus erhe­ben, son­dern ein von Grä­sern und Insek­ten beherrsch­ter Pla­net.3 Oder viel­leicht Im güns­tigs­ten Fall eine bar­ba­ri­sche Men­schen­ge­sell­schaft, auf deren Grund­la­ge die Über­le­ben­den der ato­ma­ren Mas­sen­ver­nich­tung einen lang­wie­ri­gen und schwie­ri­gen Neu­be­ginn ver­su­chen könn­ten. Der Sozia­lis­mus wäre jeden­falls für eine lan­ge Peri­ode nicht mehr mög­lich, man kann natür­lich davon aus­ge­hen − nach unse­rer Mei­nung zu Unrecht - daß all dies bereits unaus­weich­lich gewor­den ist. Aber es ist schwer­lich ein­zu­se­hen, was beson­ders „revo­lu­tio­när“ dar­an ist, wenn man den Sozia­lis­mus durch ein ande­res Gesell­schafts­kon­zept auf­grund der Annah­me ersetzt, die mate­ri­el­len Grund­la­gen des Sozia­lis­mus sei­en zum Ver­schwin­den ver­ur­teilt, wenn man also von der Unver­meid­lich­keit der ato­ma­ren Mas­sen­ver­nich­tung ausgeht.

Dar­aus folgt, daß es das stra­te­gi­sche Ziel der Arbei­ter − und der welt­wei­ten revo­lu­tio­nä­ren Bewe­gung sein muß −, einen ato­ma­ren Welt­krieg zu ver­hin­dern und nicht, ihn zu gewin­nen (was immer der ver­rück­te Inhalt jener letz­ten For­mel auch sein mag). Oder drü­cken wir die­ses Ziel noch deut­li­cher aus: Wir müs­sen alles tun, damit der Fort­schritt der Welt­re­vo­lu­ti­on − obwohl er die „loka­len“ kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Inter­ven­tio­nen des Impe­ria­lis­mus nicht wird ver­hin­dern kön­nen (denn dies ist uto­pisch, solan­ge der Impe­ria­lis­mus sei­ne poli­ti­sche Macht und sei­ne mate­ri­el­le und mili­tä­ri­sche Stär­ke in den Schlüs­sel­län­dern behält) − in stei­gen­dem Maße die Inter­ven­ti­ons­mög­lich­kei­ten des Impe­ria­lis­mus mit Atom­waf­fen lähmt und so nach und nach durch den Sturz sei­ner poli­ti­schen Macht auch zur ato­ma­ren Ent­mach­tung führt. Wie es bereits in zahl­rei­chen Doku­men­ten der IV. Inter­na­tio­na­le dar­ge­legt wur­de, ist die­se Abrüs­tung nur im Innern der impe­ria­lis­ti­schen Fes­tun­gen, die über Atom­waf­fen ver­fü­gen, durch- setz­bar und nicht von außen.4 Nur das nord­ame­ri­ka­ni­sche, fran­zö­si­sche, bri­ti­sche, west­deut­sche und japa­ni­sche Pro­le­ta­ri­at kann die Atom­waf­fen ent­schär­fen, ihren Ein­satz ein für alle Mal unter­bin­den und sie ein für alle Mal von der Erde ver­ban­nen (mit Unter­stüt­zung des sowje­ti­schen und chi­ne­si­schen Pro­le­ta­ri­ats). Alles ande­re läuft dar­auf hin­aus, an ein Wun­der zu glau­ben, auf das man lan­ge war­ten kann, näm­lich daß die Impe­ria­lis­ten schließ­lich wei­se genug sind, oder zu ängst­lich oder demo­ra­li­siert, jene Ver­zweif­lungs­waf­fen nicht ein­zu­set­zen, selbst wenn sie die Macht behal­ten, es zu tun.

Auf den ers­ten Blick könn­te man einen Wider­spruch fin­den zwi­schen der Tat­sa­che, daß wir die Unver­meid­lich­keit von „begrenz­ten“ kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Krie­gen unter­strei­chen und gleich­zei­tig die Not­wen­dig­keit und Mög­lich­keit beto­nen, einen ato­ma­ren Welt­krieg zu ver­hin­dern. Ent­wi­ckeln sich ers­te­re nicht Schritt für Schritt und gleich­sam unmerk­lich zum zwei­ten? Gibt es nicht die rea­le Gefahr, daß „tak­ti­sche“ Atom­waf­fen eines Tages gegen das Vor­an­schrei­ten der Revo­lu­ti­on ein­ge­setzt wer­den, ent­we­der vom Impe­ria­lis­mus direkt oder aber von einem sei­ner beson­ders „moti­vier­ten“ Ver­bün­de­ten (etwa den zio­nis­ti­schen Extre­mis­ten im Vor­de­ren Ori­ent oder den radi­ka­len Ver­fech­tern der Apart­heid in Süd­afri­ka)? Läuft nicht jede Aus­wei­tung von „loka­len“ Krie­gen Gefahr, einen all­ge­mei­nen Zusam­men­stoß vom Zaun zu bre­chen, der zum ato­ma­ren Welt­krieg füh­ren kann?

In die­sen Ein­wän­den steckt ein Körn­chen Wahr­heit, aber eben nur ein Körn­chen. Es beinhal­tet, daß die Gefahr eines Atom­krie­ges in dem Maße steigt, wie das ato­ma­re Arse­nal zunimmt und die „loka­len“ Kon­flik­te sich aus­wei­ten. Aber man gerät von der Dia­lek­tik in die Spitz­fin­dig­keit, wenn man aus der Fest­stel­lung, daß die Gefahr eines Atom­krie­ges grö­ßer wur­de, die Schluß­fol­ge­rung zieht, des­sen Aus­bruch sei bereits unver­meid­lich geworden.

Es ist gera­de die Eigen­art die­ser Atom­waf­fen, die uns mit dem Kopf auf jenen ent­schei­den­den Unter­schied stößt: Solan­ge der Impe­ria­lis­mus über­lebt, sind loka­le Krie­ge und die Gefahr eines Atom­krie­ges unver­meid­lich; der Atom­krieg selbst aber ist es nicht.

Gleich­ge­wicht des Schreckens“?
Tat­sa­che ist, daß − obwohl seit drei­ßig Jah­ren ein immer schreck­li­che­res Arse­nal an Atom­waf­fen ange­häuft wor­den ist − die­ses bis­lang nicht ein­ge­setzt wur­de, wäh­rend sich die „loka­len” Krie­ge ver­viel­facht haben und immer mehr aus­ge­klü­gel­te und mör­de­ri­sche­re „klas­si­sche“ Waf­fen Anwen­dung fin­den. Der Grund für die­sen Unter­schied scheint uns klar: Die­je­ni­gen, wel­che Atom­waf­fen besit­zen und über Ihren Ein­satz ent­schei­den, wis­sen genau um deren selbst­mör­de­ri­schen Cha­rak­ter für die Mensch­heit. Das gro­ße Publi­kum kann man mit mons­trö­sen Erzäh­lun­gen über die Atom­krie­ge, „die nur eini­ge hun­dert Mil­lio­nen Tote kos­ten” (sic), und Behaup­tun­gen, daß „die­je­ni­gen, wel­che Schutz­bun­ker haben, über­le­ben wer­den”, zum Nar­ren hal­ten. Aber die Mäch­ti­gen die­ser Welt sind so blö­de nicht.

Es stimmt, daß ein beson­ders „ratio­na­ler” Aspekt des ver­rück­ten ato­ma­ren Rüs­tungs­wett­laufs in der fie­ber­haf­ten Suche nach so „klei­nen” und „sau­be­ren” Atom­waf­fen liegt, daß ihre „tak­ti­sche” Anwen­dung in „begrenz­ten” Kon­flik­ten mög­lich wird, ohne auto­ma­tisch einen ato­ma­ren Welt­krieg aus­zu­lö­sen. Ohne daß man die­se Hypo­the­se von vorn­her­ein aus­schlie­ßen kann, lässt sich jedoch sagen, daß sie sehr unwahr­schein­lich ist, und daß sie in jedem Fall zu schreck­li­chen Kos­ten an Men­schen­le­ben und Mate­ri­al füh­ren würde.

Das bedeu­tet in aller Klar­heit, daß bis­lang die Mensch­heit vor einer ato­ma­ren Mas­sen­ver­nich­tung des­halb bewahrt wur­de, weil die Sowjet­uni­on Atom­waf­fen her­stell­te und zur Ver­fü­gung hat­te. Ohne jenes „Gleich­ge­wicht des Schre­ckens“, soviel steht fest, hät­te mit ziem­li­cher Sicher­heit der Impe­ria­lis­mus die Atom­waf­fe bereits gegen die „chi­ne­si­schen Frei­wil­li­gen” im Korea­krieg ein­ge­setzt,5 viel­leicht auch gegen ande­re Revolutionen.

Trotz der tota­li­tä­ren und kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Dik­ta­tur der sowje­ti­schen Büro­kra­tie, die zu einem gro­ßen Teil für das Über­le­ben des Impe­ria­lis­mus im Welt­maß­stab (und damit indi­rekt für das Bestehen der ato­ma­ren Bedro­hung) ver­ant­wort­lich ist, behält die Exis­tenz des sowje­ti­schen Arbei­ter­staats als eines sei­ner Natur nach von den impe­ria­lis­ti­schen Staa­ten ver­schie­de­nen Staa­tes, als Staat einer Gesell­schaft, die durch kei­ne höl­li­sche Logik auf den Weg der ato­ma­ren Mas­sen­ver­nich­tung getrie­ben wird, ein­mal mehr ihre gan­ze wider­sprüch­li­che Bedeu­tung in der heu­ti­gen Welt. Sie bestä­tigt noch­mals die mar­xis­ti­sche Ana­ly­se, selbst wenn das jenen miss­fällt, die ober­fläch­lich und leicht­fer­tig behaup­ten, er habe die glei­che gesell­schaft­li­che Natur wie die Ver­ei­nig­ten Staaten.

Wenn wir sagen, daß bis­lang das „Gleich­ge­wicht des Schre­ckens“ tat­säch­lich den Aus­bruch eines ato­ma­ren Welt­krie­ges ver­hin­dert hat, dann ist dies kei­ne Mei­nung, die auf einem nai­ven Glau­ben an die „mensch­li­che Ver­nunft“ grün­det. Wir haben zu oft den über­aus unver­nünf­ti­gen Cha­rak­ter des Spät­ka­pi­ta­lis­mus ange­pran­gert, um uns einen sol­chen Vor­wurf zuzu­zie­hen.6 Wir grün­den unse­re Mei­nung auf etwas viel Grund­le­gen­de­res als die Ver­nunft: auf den Instinkt der Selbst­er­hal­tung im phy­si­schen Sin­ne der besit­zen­den Klas­sen und beson­ders ihrer mäch­ti­gen Ver­tre­ter in den Rei­hen des Finanz­ka­pi­tals, des mili­tä­risch-indus­tri­el­len Kom­ple­xes und ihrer poli­ti­schen Füh­rer. Die­se Leu­te stel­len die reichs­te herr­schen­de Klas­se dar, die die Welt je gese­hen hat. Sich vor­zu­stel­len, sie wären bereit, all ihren Reich­tum, all ihre Freu­den, all ihre Macht zu irgend­wel­chem Zeit­punkt und unter belie­bi­gen Bedin­gun­gen auf dem Altar abs­trak­ter Ideen oder „abso­lu­ter“ Prin­zi­pi­en wie dem „Anti­kom­mu­nis­mus“, der „Ver­tei­di­gung der Markt­wirt­schaft“ (genannt „Ver­tei­di­gung der Frei­heit“) oder dem „Haß auf die Revo­lu­ti­on“ zu opfern, hie­ße, sich grund­le­gend über Beweg­grün­de und Ver­hal­ten die­ser Klas­se zu täuschen.

Was man von Zeit zu Zeit erle­ben kann, ist eine ato­ma­re Erpres­sung, die dar­auf abzielt, das Kräf­te­ver­hält­nis inner­halb des „Gleich­ge­wich­tes des Schre­ckens“ etwas zu ver­schie­ben. Doch dies ist etwas ande­res als ein selbst­mör­de­ri­scher Ver­such, Atom­waf­fen zu benut­zen, um im Osten den Kapi­ta­lis­mus wie­der ein­zu­füh­ren oder um auf Welt­ebe­ne das Kräf­te­ver­hält­nis zwi­schen der Gesamt­heit der impe­ria­lis­ti­schen Kräf­te einer­seits und der der nicht­ka­pi­ta­lis­ti­schen Kräf­te auf der ande­ren Sei­te (dar­un­ter die Sowjet­uni­on und Chi­na) zu ändern.

Im Übri­gen han­delt es sich um das drit­te Mal seit Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges, daß der Impe­ria­lis­mus einen der­ar­ti­gen ver­schär­fen ato­ma­ren Rüs­tungs­wett­lauf star­tet. Erst­mals hat er das wäh­rend des Korea­krie­ges getan (1950 - 53). Dann zum zwei­ten Mal Anfang der sech­zi­ger Jah­re. Zum drit­ten Mal geschah dies Ende der 1970er Jah­re. Jeder die­ser Wett­läu­fe hat schließ­lich zu einem neu­en „Entspannung“-Versuch geführt, also zu einer Betä­ti­gung des „Gleich­ge­wich­tes des Schreckens“.

Die Gren­zen des „Gleich­ge­wich­tes des Schreckens“
Wir sind über­zeugt, daß das „Gleich­ge­wicht des Schre­ckens“ bis­lang über einen erheb­li­chen Zeit­raum den Ein­satz von Atom­waf­fen ver­hin­dert hat − und damit wegen der Ver­gel­tung und dro­hen­den Eska­la­ti­on den Aus­bruch des Drit­ten Welt­krie­ges. Den­noch wis­sen wir, daß die­ser Zustand nicht ewig dau­ern wird. Der Grund für eine mög­li­che Ände­rung scheint uns wie­der­um ver­bun­den mit der Aus­wei­tung der struk­tu­rel­len Kri­se, die das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem im Welt­maß­stab trifft.

Der heu­ti­ge Rüs­tungs­wett­lauf unter­schei­det sich von dem der fünf­zi­ger und sech­zi­ger Jah­re vor allen dadurch, daß er mehr einem der impe­ria­lis­ti­schen Wirt­schaft selbst inne­woh­nen­den öko­no­mi­schen Bedürf­nis ent­spricht, das mit der lang­fris­ti­gen Ver­schlech­te­rung der Wirt­schafts­si­tua­ti­on des Kapi­ta­lis­mus zusam­men­hängt. Wenn die Pro­fi­tra­te fällt und die „nor­ma­len“ Absatz­märk­te sta­gnie­ren, stellt die Waf­fen­pro­duk­ti­on mehr und mehr den ent­schei­den­den Ersatz­markt dar, der die Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on wie­der in Schwung bringt.

Je grö­ßer aber das Gewicht der Rüs­tungs­aus­ga­ben in der impe­ria­lis­ti­schen Wirt­schaft ist, umso grö­ßer wird der Druck, eine „Spar­po­li­tik“ zu betrei­ben und mit dem Wohl­fahrts­staat in all sei­nen For­men Schluß zu machen, umso schär­fer wird der Klas­sen­kampf auch bei Sofort­for­de­run­gen und Abwehr­kämp­fen und umso mehr wird die Bour­geoi­sie sich ver­an­laßt sehen, sich auch in ihren wich­tigs­ten Hoch­bur­gen nach einem Wech­sel des poli­ti­schen Sys­tems umzu­se­hen.7

Wenn wir sagen, daß die herr­schen­den Klas­sen Nord­ame­ri­kas, Euro­pas und Japans im Ver­lauf der letz­ten drei­ßig Jah­re ihre Hand­lun­gen danach aus­rich­te­ten, und bis heu­te aus- rich­ten, was ihr Reich­tum in der Pra­xis bedeu­tet und vor allem, wel­che Mög­lich­kei­ten für Manö­ver sich aus ihren nach wie vor unge­heu­ren Reser­ven erge­ben, bedeu­tet das etwas ganz Prä­zi­ses für uns. Näm­lich ein poli­ti­sches, gesell­schaft­li­ches, mili­tä­ri­sches und ideo­lo­gi­sches Gesamt­kli­ma, das aus einer lan­gen Peri­ode beschleu­nig­ten Wachs­tums resul­tiert und das poli­ti­sche Füh­rungs­per­so­nal des Impe­ria­lis­mus tief geprägt hat. Die­ses hat sich vor dem Hin­ter­grund eines spe­zi­fi­schen Kräf­te­ver­hält­nis­ses sowohl bezo­gen auf die Arbei­ter- klas­se als auch bezo­gen auf die sowje­ti­sche und chi­ne­si­sche Büro­kra­tie ent­wi­ckelt. Natür­lich ist die­ses Per­so­nal zu unzäh­li­gen bar­ba­ri­schen Aktio­nen gegen die Kolo­ni­al­re­vo­lu­ti­on fähig (Fol­ter in Alge­ri­en, Ent­lau­bung in Viet­nam, Mas­sa­ker in Latein­ame­ri­ka, Vaku­um­bom­ben gegen das paläs­ti­nen­si­sche Volk etc.). Aber es ist nicht bereit für die selbst­zer­stö­re­ri­sche Bar­ba­rei eines Adolf Hit­ler 1944 - 45 oder eines Gene­rals Hide­ki Tojo zur sel­ben Zeit in Japan.

Um ein poli­ti­sches Per­so­nal in den wich­tigs­ten impe­ria­lis­ti­schen Staa­ten an die Macht brin­gen zu kön­nen, das zu einer „fina­len Lösung“ für die gan­ze Mensch­heit bereit ist, bedarf es eines ganz ande­ren wirt­schaft­li­chen Kli­mas. Dann müss­ten die wich­tigs­ten Kräf­te des Groß­ka­pi­tals buch­stäb­lich völ­lig in die Enge getrie­ben wor­den sein. Es müss­ten ande­re Ideo­lo­gien vor­herr­schend wer­den und ein ande­res Kräf­te­ver­hält­nis zwi­schen den Klas­sen in die­sen Län­dern ent­ste­hen. Natür­lich wer­den mit dem Anhal­ten des Abwärts­trends der inter­na­tio­na­len kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schaft und mit der Ver­schär­fung der Austeri­täts­po­li­tik sowie der Kriegs­trei­be­rei des inter­na­tio­na­len Kapi­tals nach und nach am Ran­de oder an der Kan­te der Büh­ne neue Per­sön­lich­kei­ten, Ten­den­zen, ja sogar poli­ti­sche Kräf­te auf­zu­tre­ten begin­nen. Sie wer­den wie Adolf Hit­ler oder Hide­ki Tojo die Ent­schlos­sen­heit ver­kör­pern, sich, wenn nötig, auf Leben und Tod zu schla­gen und dabei den kol­lek­ti­ven Selbst­mord in Kauf zu neh­men – für den höchs­ten Ruhm von Pri­vat­ei­gen­tum, Nati­on oder Ras­se. Aber dann wür­de es den Atom­tod bedeuten.

Es wäre völ­lig unver­ant­wort­lich, die Mög­lich­keit einer sol­chen „Wen­de zum Selbst­mord“ des Füh­rungs­per­so­nals des Groß­ka­pi­tals mit leich­ter Hand hin­weg zu wischen, wenn erst ein­mal eine gewis­se Schwel­le der Struk­tur­kri­se des nie­der­ge­hen­den Kapi­ta­lis­mus über­schrit­ten ist – wie das 1932 in Deutsch­land der Fall gewe­sen ist. Die­je­ni­gen die glau­ben, das „Gleich­ge­wicht des Schre­ckens“ oder die Pro­pa­gan­da gegen die Atom­waf­fen könn­ten uns für immer vor der nuklea­ren Ver­nich­tung bewah­ren, han­deln, als ob sie nur auf ihre inne­re Stim­me hör­ten, die flüs­tert: „Du kannst nicht ster­ben“. Doch lei­der ist es den Men­schen vor­ge­ge­ben, daß nicht nur die Indi­vi­du­en zwangs­läu­fig ster­ben müs­sen, son­dern daß auch die Gat­tung ver­schwin­den kann. Dies ist der Fall, wenn sie nicht recht­zei­tig ihre eige­ne Zukunft gestal­tet, wenn sie nicht ange­sichts der ato­ma­ren Bedro­hung kla­re Gesell­schafts­re­geln auf­stellt. Dies erfor­dert die Schaf­fung einer welt­wei­ten Gesell­schafts­ord­nung, die den Krieg ver­un­mög­licht. Anders aus­ge­drückt bedeu­tet dies die Auf­he­bung des Pri­vat­ei­gen­tums [an den Pro­duk­ti­ons­mit­teln] und des sou­ve­rä­nen Natio­nal­staa­tes sowie den Auf­bau einer Welt­re­gie­rung der Pro­du­zen­ten (einer welt­wei­ten sozia­lis­ti­schen Föde­ra­ti­on), die die Her­stel­lung aller grö­ße­ren Waf­fen unter­sagt und die in der Lage ist, die­ses Ver­bot durchzusetzen.

Das „Gleich­ge­wicht des Schre­ckens“ ver­liert nach und nach sei­ne Wir­kung, wenn sowohl die Depres­si­on sich ver­tieft und die Kri­se sich ver­län­gert, wenn sich das Kräf­te­ver­hält­nis inner­halb der impe­ria­lis­ti­schen bür­ger­li­chen Gesell­schaf­ten ver­än­dert, aber auch wenn die Austeri­täts­po­li­tik und die Kriegs­trei­be­rei sich ver­schär­fen. Alle die­se Phä­no­me­ne hän­gen struk­tu­rell mit­ein­an­der zusammen.

Dar­aus ergibt sich eine ers­te grund­le­gen­de Schluß­fol­ge­rung: Die Mög­lich­keit, ob eine Grup­pe von bür­ger­li­chen Poli­ti­kern an die Macht gelangt oder nicht, die bereit ist, den Atom­krieg aus­zu­lö­sen, hängt vom Aus­gang der Gesamt­heit aller poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Klas­sen­kämp­fe der kom­men­den Jah­re und Jahr­zehn­te in den wich­tigs­ten kapi­ta­lis­ti- schen Län­dern ab. Die­se Poli­ti­ker müs­sen zuerst das west­li­che Pro­le­ta­ri­at (und die anti­im­pe­ria­lis­ti­sche Bewe­gung in den am meis­ten ent­wi­ckel­ten abhän­gi­gen Län­dern) besie­gen, bevor sie auf den Knopf der ato­ma­ren Ver­nich­tung drü­cken kön­nen. Die­ses Ver­ständ­nis muß die Leit­li­nie der revo­lu­tio­nä­ren Mar­xis­ten und der poli­ti­sche Kurs aller derer sein, die die Grö­ße der ato­ma­ren Bedro­hung ver­stan­den haben.

Es kommt einem sofort ein Ver­gleich ins Gedächt­nis. Gegen Ende der 1920er Jah­re hat die sta­li­nis­ti­sche Frak­ti­on die dro­hen­de Kriegs­ge­fahr zur Recht­fer­ti­gung des ver­bre­che­ri­schen ultra­lin­ken Kur­ses der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­le − der „Drit­ten Peri­ode” − benutzt. Es gab in die­ser Ein­schät­zung eini­ge rich­ti­ge Punk­te. Aber heu­te wis­sen wir, wie sehr Trotz­ki damals recht hat­te, als er beton­te, daß über­haupt noch nichts end­gül­tig ent­schie­den war. Weder 1928, 1929 oder 1931 (als der japa­ni­sche Krieg gegen Chi­na begann, der zugleich eine all­ge­mei­ne­re und dif­fu­se­re Aus­wei­tung der impe­ria­lis­ti­schen Aggres­si­on gegen die Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on und der Beginn des Mar­sches in den Zwei­ten Welt­krieg war) und auch nicht 1936.

Zwei­fels­oh­ne hat­te der Marsch in den Zwei­ten Welt­krieg schon begon­nen. Aber unver­meid­lich wur­de der Zwei­te Welt­krieg erst nach der Nie­der­la­ge des deut­schen Pro­le­ta­ri­ats 1933, nach dem Ver­rat des revo­lu­tio­nä­ren Auf­schwungs in Frank­reich 1936 und vor allem nach­dem die spa­ni­sche Revo­lu­ti­on 1936 - 37 zuerst abge­würgt und dann ver­nich­tet wur­de. Dar­an war nichts unver­meid­bar, und schon gar nicht in den Jah­ren 1928 - 29.

In die­sem Sin­ne − und mit all den bei his­to­ri­schen Ver­glei­chen erfor­der­li­chen Vor­be­hal­ten − nähert sich die Situa­ti­on heu­te mehr der­je­ni­gen von 1928 - 31 an als der nach 1938. Die ent­schei­den­den Klas­sen­schlach­ten lie­gen noch vor, nicht hin­ter uns. Und erst sie wer­den über den Marsch in den Krieg entscheiden.

Man kann eine zwei­te wesent­li­che Schluß­fol­ge­rung zie­hen: Das Schick­sal der Mensch­heit hängt einer­seits ab von der Fähig­keit der inter­na­tio­na­len Arbei­ter­be­we­gung, die herr­schen­de Macht in den wich­tigs­ten impe­ria­lis­ti­schen Bas­tio­nen zu stür­zen − wobei jede äuße­re Schwä­chung selbst­ver­ständ­lich zu die­sem Stur­ze bei­trägt, ohne ihn jedoch erset­zen zu kön­nen − und einen Durch­bruch zum Sozia­lis­mus errei­chen zu kön­nen. Ande­rer­seits hängt es von dem Bemü­hen des Impe­ria­lis­mus ab, der inter­na­tio­na­len Arbei­ter­be­we­gung ent­schei­den­de Nie­der­la­gen zufü­gen zu kön­nen, die dann den Weg für einen Atom­krieg ebnen wür­den. Die sozia­len Kür­zungs- und mili­tä­ri­schen Auf­rüs­tungs­of­fen­si­ven wer­den frü­her oder spä­ter zu einer offen­si­ven Infra­ge­stel­lung der wich­tigs­ten demo­kra­ti­schen Grund­rech­te der Arbei­ter­be­we­gung füh­ren, die ihrer­seits das Tor für eine radi­ka­le Erset­zung des poli­ti­schen Füh­rungs­per­so­nals des Impe­ria­lis­mus öff­nen könn­te.8

Der ers­te Weg impli­ziert das Wachs­tum der Welt­re­vo­lu­ti­on von ihrer gegen­wär­tig frag­men­tier­ten und empi­ri­schen Ent­wick­lung zu einer uni­ver­sel­len und bewuss­ten Durch­füh­rung. Der zwei­te bedeu­tet die Nie­der­la­ge der Welt­re­vo­lu­ti­on. Wäh­rend der ers­te Weg die Mensch­heit ret­ten und die Chan­cen für eine Wie­der­ge­burt der Zivi­li­sa­ti­on in einem von der Angst vor der ato­ma­ren Ver­nich­tung befrei­ten Sozia­lis­mus wah­ren wird,9 kann der zwei­te mög­li­cher­wei­se − oder wird sogar wahr­schein­lich − zu die­ser ato­ma­ren Ver­nich­tung führen.

Anti­kriegs- und Antiatom-Mobilisierungen
In dem Maße, wie sich die Kür­zungs­of­fen­si­ve beschleu­nigt, wie die Auf­rüs­tung zunimmt, wie immer hef­ti­ge­re Angrif­fe gegen die sozia­len und poli­ti­schen Errun­gen­schaf­ten des Pro­le­ta­ri­ats der west­li­chen impe­ria­lis­ti­schen Län­der erfol­gen – im Gleich­schritt mit mör­de­ri­schen und bar­ba­ri­schen Schlä­gen gegen die Kolo­ni­al­re­vo­lu­ti­on – ver­liert das „Gleich­ge­wicht des Schre­ckens” sei­ne Wirk­sam­keit als wich­tigs­tes Hin­der­nis für den Marsch in den Drit­ten Welt­krieg. Ange­sichts einer sol­chen Ten­denz wächst umso mehr die Bedeu­tung der Anti­kriegs­be­we­gung (vor allem der Anti­atom­waf­fen- bewe­gung), wel­che sich heu­te in den wich­tigs­ten impe­ria­lis­ti­schen Län­dern kräf­tig ent­wi­ckelt. Die Demons­tra­ti­on vom 1. Juni 1982 in New York stellt nur ein ers­tes Indiz für das Poten­ti­al die­ser Bewe­gung dar. Sie war mit einer Mil­li­on Teil­neh­mern die größ­te Demons­tra­ti­on in der Geschich­te der Ver­ei­nig­ten Staa­ten, wenn nicht sogar der impe­ria­lis­ti­schen Län­der überhaupt.

Was die­se Bewe­gung moti­viert, ist nicht das unmit­tel­ba­re Ver­lan­gen, den Kapi­ta­lis­mus zu stür­zen, der ein­zig für den Rüs­tungs­wett­lauf ver­ant­wort­lich ist, oder die Revo­lu­ti­on welt­weit zu unter­stüt­zen. Es ist natür­lich wahr, dass vie­le Akti­vis­ten dadurch moti­viert sind und dass es die Auf­ga­be der revo­lu­tio­nä­ren Mar­xis­ten ist, die­se Ideen unab­läs­sig zu pro­pa­gie­ren und ihren Ein­fluss in der Bewe­gung zu stär­ken. Aber die fun­da­men­ta­le Moti­va­ti­on die­ser Bewe­gung ist Angst vor der ato­ma­ren Ver­nich­tung, ist der phy­si­sche Selbst­er­hal­tungs­in­stinkt. Des­halb betei­li­gen sich auch zur all­ge­mei­nen Über­ra­schung die deut­schen Mas­sen, die doch ein sehr viel nied­ri­ge­res poli­ti­sches Bewusst­sein haben als etwa die fran­zö­si­schen oder ita­lie­ni­schen Mas­sen, weit zahl­rei­cher an der Bewe­gung als ihre Klas­sen­brü­der und -schwes­tern in den Nach­bar­län­dern. Denn die deut­schen Mas­sen sind davon über­zeugt, daß ganz Deutsch­land in den ers­ten Tagen eines Atom­krie­ges völ­lig zer­stört sein wird. Sie wol­len aber leben.

Wer pedan­tisch der Akti­on die­ser Mas­sen ihre objek­tiv revo­lu­tio­nä­re Stoß­kraft abspricht unter dem Vor­wand, sie wür­den nicht zwi­schen büro­kra­ti­sier­ten Arbei­ter­staa­ten und bür­ger­li­chen Staa­ten unter­schei­den, sie wür­den manch­mal die USA und die UdSSR mit dem Begriff „Super­mäch­te“ als gleich gefähr­lich kenn­zeich­nen, und sie wür­den kei­nen „pro­le­ta­ri­schen Inter­na­tio­na­lis­mus” hin­sicht­lich der gegen­wär­tig sich ent­wi­ckeln­den Revo­lu­tio­nen zei­gen (Vor­wür­fe, die im Übri­gen teil­wei­se falsch sind), der ver­kennt zwei ent­schei­den­de Aspek­te der Weltsituation.

Ers­tens ist es der Impe­ria­lis­mus, und nur die­ser, der Atom­waf­fen für sei­ne kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re mili­tä­ri­sche Stra­te­gie um jeden Preis benö­tigt. Die Bewe­gung gegen die Atom­waf­fen aus­zu­rich­ten, ist also objek­tiv ein Schlag gegen den Imperialismus.

Zwei­tens lösen in dem Maße, wie die­se Mas­sen­be­we­gun­gen wach­sen­de Tei­le der orga­ni­sier­ten Arbei­ter­be­we­gung und der Jugend umfas­sen, eine objek­tiv anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Dyna­mik aus − unab­hän­gig von der Phra­seo­lo­gie gewis­ser Füh­rer. Denn sie zie­len dar­auf ab, nicht nur kon­kre­te Maß­nah­men der ein­sei­ti­gen Abrüs­tung gegen den Impe­ria­lis­mus durch­zu­set­zen (gegen die Auf­stel­lung der Pers­hing Il und der Marsch­flug­kör­per, gegen die Basen des Nord­at­lan­tik­pak­tes), son­dern auch eine Wirt­schafts­po­li­tik, die auf einer Alter­na­ti­ve zur „Spar“- und Auf- rüs­tungs­po­li­tik grün­det: Arbeits­plät­ze statt Bom­ben, Schu­len und Kran­ken­häu­ser statt Mili­tär­ba­sen, die 35-Stun­den-Woche durch radi­ka­le Kür­zung der Mili­tär­aus­ga­ben etc. …

Auf eine all­ge­mei­ne­re Wei­se über­schnei­det sich der Kampf gegen den ato­ma­ren Rüs­tungs­wett­lauf und gegen die Auf­rüs­tungs­of­fen­si­ve min­des­tens in einem Punkt mit dem Kampf gegen die kapi­ta­lis­ti­sche Kri­se und gegen den Kapi­ta­lis­mus über­haupt. Die­ser Kampf lehrt brei­tes­te Schich­ten der Mas­sen, daß kein vor­ge­ge­be­nes Schick­sal in einen Drit­ten Welt­krieg führt, genau­so wenig wie es für eine Wirt­schafts­kri­se, für 35 Mil­lio­nen Arbeits­lo­se in den impe­ria­lis­ti­schen Län­dern oder für den Hun­ger und die Fol­ter in der Drit­ten Welt ursäch­lich ist. Die apo­ka­lyp­ti­schen Rei­ter kön­nen auf­ge­hal­ten wer­den unter der Bedin­gung, daß die Mas­sen, die Aus­ge­beu­te­ten und Unter­drück­ten, Ihre Geschi­cke in die eige­nen Hän­de nehmen.

Unter sol­chen Bedin­gun­gen ist es die Auf­ga­be der revo­lu­tio­nä­ren Mar­xis­ten, in der ers­ten Rei­he der Anti­kriegs- und der Anti­atom­waf­fen-Bewe­gung zu kämp­fen, dort eini­gend und zusam­men­fas­send zu wir­ken und mög­lichst vie­le Kräf­te der orga­ni­sier­ten Arbei­ter­be­we­gung und ande­rer „sozia­ler Bewe­gun­gen“, die ihre natür­li­chen Ver­bün­de­ten sind, zu akti­vie­ren, damit welt­weit Mil­lio­nen und Aber­mil­lio­nen von Men­schen auf die Stra­ße gehen. Wenn die­se Bewe­gung sich aus­wei­tet und sich ver­all­ge­mei­nert, dann wird die Rei­se in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung von 1913 - 14 oder 1938 - 39 gehen. In jenen Jah­ren wur­de die Revo­lu­ti­on vom Krieg erstickt, dies­mal wird die Revo­lu­ti­on den Krieg ver­hin­dern. Im Rah­men die­ser Mas­sen­be­we­gung ver­tei­di­gen wir unser gesam­tes Pro­gramm, sowohl in Soli­da­ri­tät mit den gegen­wär­ti­gen Revo­lu­tio­nen als auch mit allen Opfern der „loka­len” kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Krie­ge des Impe­ria­lis­mus. Wir revo­lu­tio­nä­ren Mar­xis­ten ord­nen die gemein­sa­men Mobi­li­sie­run­gen nicht der ideo­lo­gi­schen Dis­kus­si­on unter, denn wir wis­sen um den ent­schei­den­den Ein­fluß sol­cher Mobi­li­sie­run­gen auf die objek­ti­ven Mög­lich­kei­ten der Weltrevolution.

In der­sel­ben Wei­se unter­stüt­zen wir ent­schie­den die unab­hän­gi­gen Mas­sen­be­we­gun­gen gegen den Rüs­tungs­wett­lauf in der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik (DDR) und in den ande­ren ost­eu­ro­päi­schen Län­dern. Nicht, weil wir die bür­ger­li­chen und die [büro­kra­ti­sier­ten] Arbei­ter­staa­ten auf die glei­che Stu­fe stel­len, oder weil wir die Auf­ga­be, die letz­te­ren gegen die ers­te­ren im Fal­le eines mili­tä­ri­schen Kon­flik­tes zu ver­tei­di­gen, ver­ges­sen hät­ten. Wir ver­ste­hen jedoch, daß ange­sichts der heu­ti­gen Welt­la­ge alles, was mög­lichst weit­ge­hen­de und ein­heit­li­che Mobi­li­sie­run­gen für die ein­sei­ti­ge Abrüs­tung des Impe­ria­lis­mus in Euro­pa begüns­tigt, einen tau­send­mal här­te­ren Schlag gegen den Impe­ria­lis­mus dar­stellt und daher eine tau­send­mal wirk­sa­me­re Ver­tei­di­gung der Sowjet­uni­on und der ande­ren [büro­kra­ti­sier­ten] Arbei­ter­staa­ten als eini­ge Rake­ten mehr oder eini­ge Dis­zi­plin­schwie­rig­kei­ten weni­ger in der Armee die­ses oder jenes [büro­kra- tisier­ten] Arbeiterstaates.

Die Anti­kriegs­be­we­gung im Osten trifft den Impe­ria­lis­mus objek­tiv här­ter als die Büro­kra­tie, indem sie der Bour­geoi­sie eines ihrer bedeu­tends­ten Argu­men­te aus der Hand schlägt, durch das sie die Anti­kriegs­be­we­gung im Wes­ten zu spal­ten und ihren Auf­schwung zu brem­sen ver­sucht. Die auto­no­me Anti­kriegs­be­we­gung in Ost­eu­ro­pa und der UdSSR för­dert objek­tiv die anti­bü­ro­kra­ti­sche poli­ti­sche Revo­lu­ti­on, indem sie eine öffent­li­che und demo­kra­ti­sche Kon­trol­le über die Ver­tei­di­gungs- und Außen­po­li­tik ver­langt. Dies ist ein inte­gra­ler Bestand­teil der Welt­re­vo­lu­ti­on und damit des Kamp­fes um die Ret­tung der Mensch­heit vor der ato­ma­ren Ver­nich­tung. Die Fort­schrit­te der poli­ti­schen Revo­lu­ti­on und dann der Kon­ter­re­vo­lu­ti­on in Polen10 haben gera­de gezeigt, daß sol­che Ent­wick­lun­gen nahe­zu unmit­tel­bar Kon­se­quen­zen haben. Näm­lich posi­ti­ve Fol­gen im ers­ten und nega­ti­ve im zwei­ten Fall für den anti­im­pe­ria­lis­ti­schen und anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Kampf auf inter­na­tio­na­ler Ebene.

Unse­re Dis­kus­si­on mit den Pazi­fis­ten
Es ist falsch und unpro­duk­tiv, mit den Pazi­fis­ten eine Dis­kus­si­on dar­über anzu­fan­gen, ob man zuerst die Atom­waf­fen ver­nich­ten muß (genau­so wie die Grü­nen sagen, man müs­se zuerst die Umwelt von der Ver­schmut­zung befrei­en) oder das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem über­win­den muß. Man kann unmög­lich die ato­ma­re Bedro­hung besei­ti­gen, ohne das kapi­ta­lis­ti­sche Regime zu besei­ti­gen. Solan­ge das Pri­vat­ei­gen­tum an Pro­duk­ti­ons­mit­teln über­lebt und die dar­aus resul­tie­ren­de Kon­kur­renz, die Markt­wirt­schaft, die dies alles mit sich bringt, der Kampf um den indi­vi­du­el­len Vor­teil, das Sys­tem der Pro­duk­ti­on um des Pro­fi­tes wil­len mit sei­ner gan­zen töd­li­chen Logik ein­schließ­lich wach­sen­der Frus­tra­ti­on und Gewalt, wird nichts und nie­mand, Grup­pen oder Indi­vi­du­en dar­an hin­dern kön­nen, Maschi­nen und Arbeits­kräf­te zu kau­fen, um mit der Her­stel­lung von die Mensch­heit bedro­hen­den Waf­fen noch mehr Geld ein­zu­neh­men. Um ver­hin­dern zu kön­nen, dass gesell­schaft­li­che Grup­pen mit dem Über­le­ben des Men­schen­ge­schlechts rus­si­sches Rou­lette spie­len, müs­sen die erfor­der­li­chen gesell­schaft­li­chen und mate­ri­el­len Bedin­gun­gen für das geschaf­fen wer­den, was wir alle wol­len: durch den Sieg der sozia­lis­ti­schen Welt­re­vo­lu­ti­on, durch den Auf­bau einer sozia­lis­ti­schen Welt­fö­de­ra­ti­on, durch die Ver­ge­sell­schaf­tung der Pro­duk­ti­ons­mit­tel und deren Gebrauch unter mög­lichst weit­ge­hen­der öffent­li­cher Kon­trol­le ohne jedes „Geschäfts­ge­heim­nis“.

Wir kri­ti­sie­ren die Pazi­fis­ten also nicht des­we­gen, weil sie die Gefahr von Atom­waf­fen „über­trei­ben“, son­dern wir wer­fen ihnen vor, daß sie sie unter­schätzt haben. Wir wer­fen ihnen vor, sich mit vor­läu­fi­gen Maß­nah­men zu begnü­gen − dem Kampf für die­se oder jene Sofort­maß­nah­me, die wir natür­lich auch unter­stüt­zen, etwa den Kampf für eine atom­waf­fen­freie Zone in Euro­pa von Por­tu­gal bis Polen. Wir hal­ten ihnen vor, daß die schreck­li­che Gefahr genau­so lan­ge exis­tie­ren wird, wie es das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem und den sou­ve­rä­nen Natio­nal­staat gibt. Das heißt solan­ge also die Mög­lich- keit für eini­ge weni­ge besteht, hin­ter dem Rücken der gro­ßen Mehr­heit der Welt­be­völ­ke­rung die Her­stel­lung sol­cher Bom­ben zu beschlie­ßen. Den radi­ka­len Pazi­fis­ten sagen wir: Die Mensch­heit wird vom Alp­traum der ato­ma­ren Bedro­hung nur befreit wer­den kön­nen, wenn sie das Recht und die Macht, dar­über zu ent­schei­den, was pro­du­ziert wird, und was zu pro­du­zie­ren ver­bo­ten ist, in die eige­nen Hän­de nimmt. Dies ver­langt die Besei­ti­gung des Pri­vat­ei­gen­tums an den Pro­duk­ti­ons­mit­teln, der Kon­kur­renz zwi­schen Indi­vi­du­en und Staa­ten sowie der Markt­wirt­schaft. Wenn Ihr nicht bereit seid, die­sen Preis zu bezah­len, dann nehmt Ihr lie­ber das Risi­ko der Aus­lö­schung der Mensch­heit in Kauf als das Gesell­schafts­sys­tem zu ändern, das zu die­sem kol­lek­ti­ven Selbst­mord führt.

Für uns ist der Kampf gegen den Krieg und für den Sozia­lis­mus iden­tisch. Nur eine selbst­ver­wal­te­te sozia­lis­ti­sche Welt wird eine Welt ohne Waf­fen sein. Die Frau­en und Män­ner, die die­sen Pla­ne­ten bewoh­nen und die schreck­li­che sie bedro­hen­de Gefahr begrif­fen haben, wer­den gemein­sam ent­schei­den, daß kei­ne Ver­nich­tungs­waf­fen mehr her­ge­stellt wer­den. Sie wer­den das Gesell­schafts­sys­tem auf­bau­en, das allein ein sol­ches Ver­bot auf Dau­er durch­set­zen kann.

Wir unter­stüt­zen jeden Kampf, jede kon­kre­te aktu­el­le Mobi­li­sie­rung gegen den vom Impe­ria­lis­mus wie­der­auf­ge­nom­me­nen Rüs­tungs­wett­lauf. Den­noch wer­den wir unauf­hör­lich die his­to­ri­sche Illu­si­on anpran­gern, dass es mög­lich sei, die Ver­nich­tungs­waf­fen zu besei­ti­gen, ohne das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem zu zer­stö­ren. Sie steht auf der glei­chen Stu­fe wie jene Illu­si­on der 1950er oder 1960er Jah­re, wonach es mög­lich gewe­sen wäre, Wirt­schafts­kri­sen zu ver­hin­dern, ohne die Herr­schaft des Kapi­tals auf­zu­he­ben. Es besteht die Gefahr, daß die aktu­el­le Illu­si­on genau­so kra­chend zer­stört wer­den wird − nur mit einem tau­send­mal schlim­me­ren Ergeb­nis für die Menschheit.

Der Kampf gegen die Auf­rüs­tung kann eben­so wie der Wider­stand gegen die „Spar“-Politik sei­ne vol­le Wir­kung nur errei­chen − und vor allem sieg­reich sein −, wenn er eine umfas­sen­de anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Per­spek­ti­ve ver­folgt. Es gibt kei­ne ande­re his­to­ri­sche Lösung für die Kri­se der Mensch­heit – deren zuge­spitz­ter Aus­druck der selbst­mör­de­ri­sche nuklea­re Rüs­tungs­wett­lauf ist − als die Erobe­rung und die Aus­übung der Macht durch die Arbei­ter auf Welt­ebe­ne. Dies muß im Rah­men der brei­tes­ten plu­ra­lis­ti­schen sozia­lis­ti­schen Demo­kra­tie erfol­gen, die auf der Basis einer von den Pro­du­zen­ten selbst­ver­wal­te­ten Plan­wirt­schaft beruht.


Fuß­no­ten
1 Wir wol­len von den vie­len Büchern nur das­je­ni­ge des frü­he­ren ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Richard Nixon, The Third World War Has Begun, zitie­ren und das des frü heren Lei­ters des Gene­ral­stabs der bri­ti­schen Armee, Gene­ral Sir John Hackett, The Third World War, (Sphe­re Books, Lon­don 1978). Nen­nen wir auch noch den berühm ten Arti­kel von Edward Thomp­son „Exter­mi­na­ti­on, the Last Step of Civi­li­sa­ti­on“, der in dem von New Left Review ver­öf­fent­lich­ten Sam­mel­band Exter­mi­nism and the Cold War ent­hal­ten ist (Ver­so Books, Lon­don 1982).
2 Laut der Unter­su­chung „Com­pre­hen­si­ve Stu­dy on Nuclear Wea­pons”, die der Voll­ver­samm­lung der Ver­ein­ten Natio­nen 1980 vor­ge­legt wur­de, soll der Ein­satz von 1.000 Atom spreng­köp­fen mit je einer Mega­ton­ne Spreng­kraft gegen die UdSSR und die USA sofort zum Tod von 150 bis 200 Mil­lio­nen Men­schen in den bei­den Län­dern füh­ren. Heu­te gibt es aber bereits mehr als 40.000 Atom­spreng­köp­fe auf der Welt. Zudem müs­sen die Ver­lus­te durch radio­ak­ti­ve Nie­der­schlä­ge, Hun­ger, Ver­seu­chung usw. berück­sich­tigt werden.
3 Dies ist der Titel der Ein­lei­tung zu dem Buch von Jona­than Shell, The Fate of the Earth, (Pan Books, Lon­don 1982), eine ansons­ten schwa­che und unbe­deu­ten­de Ver öffent­li­chung. Er beschreibt aber mit gro­ßer Über­zeu­gungs­kraft die selbst­mör­de­ri­schen Fol­gen eines Atom­krie­ges für die Menschheit.
4 „Letz­ten Endes kann nur der Sieg des Pro­le­ta­ri­ats in den ent­wi­ckelts­ten impe­ria­lis­ti­schen Staa­ten, ins­be­son­de­re aber der Sieg des ame­ri­ka­ni­schen Pro­le­ta­ri­ats, die Mensch heit end­gül­tig vom Alp­druck der nuklea­ren Ver­nich­tung befrei­en. Das ist die revo­lu­tio­när-sozia­lis­ti­sche Losung, die von der IV. Inter­na­tio­na­le den uto­pi­schen Illu­sio­nen der ‚fried­li­chen Koexis­tenz‘ und des ‚Sie­ges‘ in einem ato­ma­ren Welt­krieg ent­ge­gen­ge­setzt wird.“ („Die Dia­lek­tik der Welt­re­vo­lu­ti­on in unse­rer Epo­che“, ein vom Wie­der ver­ei­ni­gungs-Kon­greß der IV. Inter­na­tio­na­le im Juni 1963 ange­nom­me­nes Dokument.)
5 Es gibt zahl­rei­che bereits ver­öf­fent­lich­te Quel­len, die die Dis­kus­sio­nen von ame­ri­ka­ni­schen Füh­rern über die Anwen­dung von Atom­waf­fen bele­gen. Wenn die heu­te noch gehei­men Quel­len ein­mal zugäng­lich sein wer­den, wird man sehen, daß dies nicht die ein­zi­gen Debat­ten über die­ses The­ma waren.
6 Sie­he das Kapi­tel „Staat und Ideo­lo­gie im Zeit­al­ter des Spät­ka­pi­ta­lis­mus“, in: Ernest Man­del, Der Spät­ka­pi­ta­lis­mus, Frank­furt 1972.
7 Ein zusätz­li­ches durch die Wie­der­auf­nah­me des ato­ma­ren Rüs­tungs­wett­laufs vom Impe­ria­lis­mus ver­folg­tes Ziel ist die Ver­schär­fung der wirt­schaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Kri­se in der UdSSR. In Fol­ge der sin­ken­den Wachs­tums­ra­ten der Sowjet­öko­no­mie sieht sich der Kreml gezwun­gen, pro­ble­ma­ti­sche Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, wenn er, wie von Washing­ton beab­sich­tigt, die Ver­tei­di­gungs­aus­ga­ben spür­bar erhöht. Um die­se Zwangs­la­ge ver­hin­dern zu kön­nen, müss­te er einen poli­ti­schen Preis bezah­len, den der Impe­ria­lis­mus so hoch als mög­lich zu trei­ben versucht.
8 Wir haben mehr­fach auf die poli­ti­schen Risi­ken ver­wie­sen, die der bür­ger­li­chen Demo­kra­tie ent­ste­hen, wenn sie eine Poli­tik der sys­te­ma­ti­schen Ver­ar­mung der arbei­ten­den Mas­sen ein­schlägt. Natür­lich gibt es kei­nen Auto­ma­tis­mus für Sie­ge der refor­mis­ti­schen Lin­ken unter sol­chen Umstän­den. Die­se hän­gen von vie­len Fak­to­ren ab, die sich je nach Land und je nach Situa­ti­on ver­än­dern. Trotz­dem lau­fen die bür­ger­li­chen Par­tei­en Gefahr, ver­hee­ren­de Wahl­nie­der­la­gen wie die vom 10. Mai 1981 in Frank­reich zu erlei­den. Kürz lich hat, zum ers­ten Mal in der Geschich­te, die refor­mis­ti­sche Lin­ke auf der Insel Mau­ri­ti­us alle Abge­ord­ne­ten­man­da­te bei der von der Rech­ten organ­sier­ten Wahl erhalten.
9 Zwei angel­säch­si­sche Intel­lek­tu­el­le, die abso­lut kei­ne Revo­lu­tio­nä­re sind, spre­chen sich für die sofor­ti­ge Besei­ti­gung und das Ver­bot von Atom­waf­fen aus: der bri­ti­sche Lord Sol­ly Zucker­mann (Nuclear Illu­si­on and Rea­li­ty, Viking Press, New York 1982), ein frü­he­rer wis­sen­schaft­li­cher Chef­be­ra­ter des bri­ti­schen Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums, sowie der Ame­ri­ka­ner Theo­do­re Dra­per, ein sozi­al­de­mo­kra­ti­scher, auf das Stu­di­um des Sta­li­nis­mus spe­zia­li­sier­ter His­to­ri­ker und über­zeug­ter Anti­kom­mu­nist („How not to Think About Nuclear War“, in: New York Review of Books vom 15. Juli 1982). Aber sie geben kei­ne Ant­wort auf die Fra­ge, wel­ches die poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Vor­be­din­gun­gen für die Besei­ti­gung und das Ver­bot von Atom­waf­fen sind.
10 „Poli­ti­sche Revo­lu­ti­on und Kon­ter­re­vo­lu­ti­on in Polen”, Reso­lu­ti­on des Inter­na­tio­na­len Exe­ku­tiv­ko­mi­tees der IV. Inter­na­tio­na­le vom 27. Mai 1982, in: INPREKORR, Nr. 8 (147) vom 16. Sep­tem­ber 1982.

Aus Theo­rie­bei­la­ge Avan­ti² Rhein-Neckar Juli/August 2022
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