Für eine kämpferische Internationale!
L. M.
Vom 8. bis 10. August fand in Speyer die erste Sommerschule des RSB statt. Auf dem Programm standen die Geschichte, die Entwicklung sowie die Perspektiven unserer Internationale: Steht die „Vierte“ heute vor dem Scheitern oder vor einem neuen Aufschwung?
Die Sommerschule begann mit einer Einführung in die Entstehungsgeschichte der IV. Internationale: Die GründerInnen der Vierten waren eine kleine Minderheit, die gegen den Strom schwamm. Gegründet wurde sie im September 1938, also zu einer Zeit, die als „Mitternacht im Jahrhundert“ bezeichnet wurde. Die Gründung fand statt auf Initiative der Liga der Kommunisten-Internationalisten (LKI), wie sich die Internationale Linke Opposition (ILO) ab Herbst 1933 nannte. Drei der ursprünglich vier Organisationen, die sich 1933 für eine neue revolutionäre Internationale eingesetzt hatten, trugen schließlich weder die Entwicklung eines gemeinsamen Programms noch die organisatorische Gründung der Internationale mit. Wenige Jahre später verschwanden sie von der politischen Bildfläche. Es hat sich gezeigt, dass die Gründung der Internationale ein richtiger Schritt war: Sie hat einer bereits existierenden internationalen Bewegung den nötigen politischen und organisatorischen Rahmen gegeben. Vor dem Hintergrund des historischen Scheiterns von Sozialdemokratie und Stalinismus konnte die kleine Internationale das Erbe der Oktoberrevolution verteidigen und das revolutionär-marxistische Programm weiter entwickeln.
Programmatische Grundlagen
Im Laufe des Seminar-Wochenendes wurden verschiedene Texte zu den programmatischen Grundlagen der IV. Internationale vorgestellt: 1932 hat Trotzki in dem Text „Die Internationale Linksopposition, ihre Aufgaben und Methoden“ das Programm der ILO zusammengefasst und in elf Punkten deren Grundprinzipien formuliert. Diese Punkte sind heute noch bemerkenswert aktuell. Der bedeutendste inhaltliche Beitrag für die Gründungskonferenz der Vierten 1938 war das „Übergangsprogramm“, ein im wesentlichen ebenfalls von Trotzki verfasster Text. Unter der Überschrift „Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale“ knüpft es an das strategische Erbe der Oktoberrevolution an. Es will den Massen in ihren Tageskämpfen helfen, die Brücke zu finden zwischen ihren aktuellen For derungen und dem Programm der sozialistischen Revolution. Im Jahr 1992 erschien der Text „Sozialismus Oder“ – das Programmatische Manifest der IV. Internationale.
Obwohl über 20 Jahre alt, ist die hier getroffene Analyse der politischen Lage – sieht mensch von den Ausführungen zu Osteuropa und der UdSSR ab – weiterhin aktuell. Und nicht nur das: Sowohl die Analyse als auch die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind so umfassend und von einer solchen Schärfe, dass dieser Text für uns heute eine Richtschnur sein sollte. Eine der wesentlichen Grundlagen der „Vierten“ ist ihr Verständnis von sozialistischer Demokratie und der „Diktatur des Proletariats“. Aufgrund der großen Bedeutung, die dieses Thema für uns hat, wurde es bei der Sommerschule als eigener Programmpunkt behandelt. Der Begriff „Diktatur“ hat hier nichts mit der Abschaffung demokratischer Freiheiten zu tun und meint auch kein Einparteiensystem. Gemeint ist vielmehr die Ausübung der Staatsmacht durch die ArbeiterInnenklasse in der Form demokratisch gewählter ArbeiterInnenräte – als der Herrschaft der Mehrheit der Bevölkerung über die Ausbeuter und Unterdrücker. Nach unserem Verständnis ist dies verbunden mit einer Ausweitung der demokratischen politischen Rechte der arbeitenden Bevölkerung über die der bürgerlichen Demokratie hinaus auf den sozialen und den wirtschaftlichen Bereich. Hierzu gehört das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln und die Verfügung der ArbeiterInnenklasse über das gesellschaftliche Mehrprodukt.
Wo steht die „Vierte“ heute?
Der Versuch einer Bestandsaufnahme der IV. Internationale zeigte jedoch, dass dieses Manifest in der Realität nicht die Rolle spielt, die es aus den oben genannten Gründen spielen sollte. Auch das in den Statuten der Internationale formulierte Selbstverständnis sowie die Prinzipien der „Vierten“ finden sich nicht unbedingt in der Praxis wieder. In diesem Zusammenhang fand auch das vom RSB im Jahr 1996 verabschiedete Programm Erwähnung, das klar auf diesen Grundlagen basiert. Um bei der Bestandsaufnahme der Internationale heute nicht auf der abstrakten Ebene zu bleiben, wurden zwei konkrete Beispiele für unterschiedliche Aufbaukonzepte vorgestellt: Ein Beispiel war Frankreich, wo sich im Jahr 2009 die LCR, die französische Sektion der IV. Internationale , auf einem Hochpunkt ihrer Entwicklung – sie hatte zu dem Zeitpunkt 3.000 Mitglieder – selbst auflöste. Gemeinsam mit anderen gründeten sie die Nouveau Parti anticapitaliste (NPA), ohne sich innerhalb der neuen Partei als Strömung zu organisieren. Sie sind heute Einzelmitglieder der „Vierten“ .
Nach anfänglichen Erfolgen – die NPA hatte zu Beginn über 9.100 Mitglieder – folgten diverse schwere Krisen. Heute hat sich die NPA wieder stabilisiert, auf einem Niveau von etwa 2.500 Aktiven. Das zweite Beispiel war Podemos in Spanien. Podemos ist aus der Bewegung 15-M hervorgegangen, wird getragen von ca. 400 Basiskomitees und hat sich im Januar 2014 als Partei konstituiert. Bei den Europawahlen hat Podemos mit 8 Prozent der Stimmen einen deutlichen Erfolg erzielt. Die spanische Organisation der „Vierten“, Izquierda Anticapitalista, ist Teil von Podemos und will dazu beitragen, dass das Bündnis ein dauerhaftes politisches Engagement für einen Bruch mit dem herrschenden System entwickelt und als pluralistische, basisdemokratische Partei, gestützt auf eine Massenbewegung, aufgebaut wird. Aber auch die Stärkung der eigenen Strömung sehen unsere GenossInnen als ihre Aufgabe an. Es gab bislang keine Initiative, die mit Podemos vergleichbar wäre, und ihre weitere Entwicklung werden wir mit Interesse verfolgen.
Vor dem nächsten Weltkongress
Langsam laufen die Vorbereitungen für den kommenden Weltkongress der IV. Internationale an. Während der Sommerschule wurde deshalb darüber diskutiert, welchen Beitrag wir dazu leisten wollen. In diesem Zusammenhang wurde ein Papier vorgestellt, das im Februar 2014 vom Internationalen Komitee, dem Leitungsgremium der Internationale, diskutiert wurde und dort auf wenig Widerspruch stieß. In diesem Text werden die internationale Lage analysiert und die Aufgaben der „Vierten“ heute formuliert. Die internationale Leitung orientiert damit offenbar weiter auf die Bildung breiter, antikapitalistischer Parteien. Die Aufgabe der Internationale wird in dem Papier darin gesehen, international neue Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit anderen Strömungen zu ermöglichen und neue Perspektiven für die Einheit der RevolutionärInnen zu eröffnen. Es fällt auf, dass in dem Text das Programm, auf dessen Basis die Einheit der RevolutionärInnen sich vollziehen soll, praktisch keine Rolle spielt. Es fällt weiterhin auf, dass von der Notwendigkeit des Aufbaus „revolutionärer Führungen in jedem Land und einer revolutionären Koordination auf internationaler Ebene“ die Rede ist, nicht aber vom Aufbau und der Weiterentwicklung der IV. Internationale selbst und auch nicht vom Aufbau revolutionärer Organisationen als Sektionen der „Vierten“. Was sind nach unserer Auffassung heute die Aufgaben der Internationale? Auch hier ist für uns ein älterer Text hilfreich, der eine gute Beschreibung der heutigen Situation der Internationale und der sich daraus ableitenden Aufgaben enthält: „Die gegenwärtige Etappe des Aufbaus der Internationale“ stammt aus dem Jahr 1985. Aber es gibt keinen neueren Text, der für uns heute auf die Fragen, welche Internationale wir heute brauchen, und wir sie aufbauen können, bessere Antworten gibt als dieser. Er sieht in der „Vierten“ die einzige wirkliche internationale Struktur revolutionärer Organisationen, der als solcher wichtige Aufgaben zukommen. Er zieht eine kritische Bilanz ihrer Politik und analysiert ihren Zustand, um daraus Schlüsse für die künftige Praxis zu ziehen. Probleme sieht er in der sozialen Zusammensetzung der Sektionen, denen ein proletarisches Rückgrat fehlte, und in der Nichtanwendung der revolutionären Parteikonzeption. Er erteilt Vorstellungen eine Absage, die die Funktion und die Zukunft der Internationale in „irgendeiner kurzfristigen Wunderlösung“ sehen, womit u. a. das Hoffen auf bestimmte Fusionen oder Vereinigungen oder das Auftauchen einer neuen Avantgarde gemeint sind. Als Ziel formuliert der Text den Aufbau einer revolutionären Masseninternationale, die nicht lediglich proklamiert wird, sondern aus gemeinsamen Kämpfen entsteht.
Schlussfolgerungen
Sowohl unsere Erfahrungen aus der politischen Praxis als auch die Diskussionen während der Sommerschule haben gezeigt, dass uns das Werkzeug fehlt, um auf die heutige politische Lage angemessen zu reagieren: Unsere Aufgabe als RevolutionärInnen besteht auch heute darin, den Widerspruch zwischen der Reife der objektiven Bedingungen der Revolution und der Unreife der arbeitenden Klasse und ihrer Vorhut zu überwinden. Wir brauchen auch heute eine Brücke, die die von den Lohnabhängigen geführten Tageskämpfe mit dem Programm der sozialistischen Revolution verbindet. Wir brauchen ein Übergangsprogramm für das 21. Jahrhundert. Eine Schlussfolgerung aus der Sommerschule ist, dass wir die Initiative ergreifen für die Entwicklung eines solchen Übergangsprogramms. Der RSB allein kann dies nicht leisten – und dieses Programm sollte auch nicht von einer einzelnen Organisation oder gar Einzelperson geschrieben werden. Die Entwicklung des Übergangsprogramms für das 21. Jahrhundert ist eine internationale Aufgabe, und viele GenossInnen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen sollten daran beteiligt sein. Aber der RSB kann den Anfang machen und andere zur Mitwirkung auffordern und einladen. Weitere Schlussfolgerungen aus der Sommerschule waren unter anderem, dass es Seminare wie dieses regelmäßig geben sollte. Die Teilnahme sollte zur Grundschulung unserer Mitglieder gehören. Außerdem sollen zu Unrecht in Vergessenheit geratene ältere Texte der „Vierten“ möglichst breit bekannt und zugänglich gemacht werden. Am Ende der Sommerschule äußerten sich die TeilnehmerInnen sehr zufrieden: Die Themenauswahl sei gelungen und die einleitenden Vorträge sehr informativ gewesen. Der Kommentar einer Teilnehmerin war für die OrganisatorInnen besonders erfreulich: „Das Seminar war gut gegen Resignation.“ TIPP: Kopien aller in diesem Artikel genannten Texte könnt ihr gegen Erstattung der Kosten beim RSB Oberhausen bekommen. Email: info@rsb4-oberhausen.de