Soli­da­ri­tät statt „Remi­gra­ti­on“

Der faschis­ti­schen Het­ze entgegentreten

 

H. N.

Mehr als ein Vier­tel der in Deutsch­land leben­den Men­schen hat einen „Migra­ti­ons­hin­ter­grund“. Sie sind ent­we­der selbst in die BRD ein­ge­wan­dert oder direk­te Nach­fah­ren von Ein­ge­wan­der­ten. Die faschis­ti­sche und ras­sis­ti­sche Het­ze gegen die­se Bevöl­ke­rungs­grup­pe ist ein men­schen­ver­ach­ten­des Lügen­kon­strukt. Es lenkt von der Haupt­ur­sa­che der heu­ti­gen Pro­ble­me – dem Sys­tem der Pro­fit­ma­xi­mie­rung – ab.

Demo gegen AfD in Mannheim, 7. Juni 2024. (Foto: Helmut Roos.)

Demo gegen AfD in Mann­heim, 7. Juni 2024. (Foto: Hel­mut Roos.)

Deutsch­land ist nicht zuletzt des­halb ein Ein­wan­de­rungs­land, weil die export­ori­en­tier­te BRD-Wirt­schaft dies gefor­dert hat­te. „Wir rie­fen Arbeits­kräf­te, und es kamen Men- schen“, so for­mu­lier­te es bereits 1965 der Schrift­stel­le Max Frisch. Der­zeit sind mehr als zwölf Mil­lio­nen Men­schen mit „Migra­ti­ons­hin­ter­grund“ hier­zu­lan­de in der Arbeits­welt tätig.

Erwerbs­ar­beit ist in der kapi­ta­lis­ti­schen Klas­sen­ge­sell­schaft ent­schei­dend, um die eige­ne Exis­tenz finan­zi­ell absi­chern zu kön­nen. Die Arbeits­welt ist aber auch des­halb ein wich­ti­ger Bereich, weil sie Koope­ra­ti­on för­dert, sozia­le Kon­tak­te schafft, gesell­schaft­li­che Akti­vi­tät erleich­tert und Mög­lich­kei­ten für die Ent­wick­lung von Soli­da­ri­tät bietet.

Aller­dings ist die Rea­li­tät auf­grund der neo­li­be­ra­len Poli­tik der letz­ten Jahr­zehn­te oft einen ande­re. Mit der Bil­li­gung und Unter­stüt­zung von betrieb­li­chen Auf­spal­tungs- und Ver­la­ge­rungs­stra­te­gien hat sie die Ent­so­li­da­ri­sie­rung der arbei­ten­den Klas­se bis hin zu einer teil­wei­sen Ato­mi­sie­rung spür­bar vorangetrieben.

Unge­schütz­te („pre­kä­re“) Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se, Arbei­ten im Bil­lig­lohn­sek­tor und eine bewusst pro­pa­gier­te gesell­schaft­li­che Gering­schät­zung von geleis­te­ten Tätig­kei­ten för­dern in der Regel nicht nur Aus­gren­zung, son­dern ver­stär­ken auch Abhän­gig­kei­ten und för­dern Dis­kri­mi­nie­rung. Schlech­te Arbeits­be­din­gun­gen gehen meist mit unsi­che­ren Lebens­per­spek­ti­ven ein­her. Sie erschwe­ren Teil­ha­be am gesell­schaft­li­chen Leben und behin­dern sozia­le Anerkennung.

Gute und mög­lichst glei­che Arbeits- und Ent­loh­nungs­be­din­gun­gen für alle Beschäf­ti­gen sind ein ele­men­ta­res Ziel, um der Spal­tung der arbei­ten­den Klas­se ent­ge­gen­wir­ken zu können.

Für Men­schen mit Ein­wan­de­rungs­ge­schich­te hat dies eine beson­de­re Bedeu­tung. Auf Basis der Daten des DGB-Index Gute Arbeit wur­de jetzt ins­be­son­de­re „die Ver­brei­tung von ‚Ein­fach­ar­beit‘, von befris­te­ter Beschäf­ti­gung sowie von Leih­ar­beit, von aty­pi­schen Arbeits­zeit­la­gen und pre­kä­ren Ein­kom­mens­ver­hält­nis­sen analysiert“.*

Ein wesent­li­ches Ergeb­nis die­ser Unter­su­chung ist, dass der Ver­gleich „pre­kä­rer und aty­pi­scher Beschäf­ti­gungs­merk­ma­le“ bei Beschäf­tig­ten ver­deut­licht, dass „,Ein­fach­ar­beit‘, unsi­che­re Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se, belas­ten­de Arbeits­zei­ten und unzu­rei­chen­de Ein­kom­men in der Grup­pe mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund häu­fi­ger auf­tre­ten als bei Beschäf­tig­ten ohne Migra­ti­ons- hintergrund“.

Ein­heit statt Spaltung
In Zah­len bedeu­tet die­se Spaltung: 
• Ein Drit­tel der ein­ge­wan­der­ten Erwerbs­tä­ti­gen arbei­tet als An gelern­te und Hilfsarbeiter:innen. Bei Kolleg:innen ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund sind es 18 Prozent.
• Arbei­ten­de mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund sor­gen sich häu­fi­ger um ihre beruf­li­che Zukunft als Kolleg:innen ohne Migrationshintergrund.
• Befris­te­te Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se sind für 17 Pro­zent der Erwerbs­tä­ti­gen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund bit­te­re Rea­li­tät. Das ist drei­mal so viel wie bei Kolleg:innen ohne Migrationshintergrund.
• Auch Leih­ar­beit und Schicht­ar­beit sind bei ein­ge­wan­der­ten Be schäf­tig­ten wei­ter ver­brei­tet als in der Vergleichsgruppe.
• Für mehr als 40 Pro­zent der migran­ti­schen Arbeiter:innen ist ihr Ein­kom­men kaum oder gar nicht existenzsichernd.
• Kei­ne oder nur gering­fü­gi­ge betrieb­li­che Wei­ter­bil­dungs­mög lich­kei­ten beklagt knapp die Hälf­te der Beschäf­tig­ten mit Migrationshintergrund.
• Am stärks­ten betrof­fen von aty­pi­schen und pre­kä­ren Beschäf­ti­gungs­merk­ma­len sind eigen­stän­dig Zuge­wan­der­te vor allem aus Staa­ten außer­halb des Euro­päi­schen Wirtschaftsraums.

Gewerk­schaf­ten, lin­ke Orga­ni­sa­tio­nen und sozia­le Bewe­gun­gen müs­sen – nicht nur wegen des anhal­ten­den Rechts­rucks – die­ser unak­zep­ta­blen Spal­tung kon­se­quent ent­ge­gen­tre­ten. Klas­sen­so­li­da­ri­tät und -ein­heit sind das bes­te Mit­tel gegen die wach­sen­de faschis­ti­sche Gefahr. In der Arbeits­welt heißt das: Geschütz­te Arbeits­ver­hält­nis­se mit Tarif­bin­dung und Inter­es­sen­ver­tre­tung (Betriebs­rat und Gewerk­schaft) für alle!
*[Quel­le: DGB-Index Gute Arbeit, Kom­pakt 02/2024.]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Sep­tem­ber 2024
Tagged , , , . Bookmark the permalink.