Redaktionelle Vorbemerkung
Im Februar 2025 findet der 18. Weltkongress der IV. Internationale statt. Unter anderem soll dort der Entwurf für ein Manifest des revolutionären Marxismus im Zeitalter kapitalistischer Zerstörung von Umwelt und Gesellschaft diskutiert werden. Wir veröffentlichen im Folgenden – gekürzt und redaktionell bearbeitet – das 4. Kapitel dieses Textes, der im Netz unter www.iso-4-rhein-neckar.de/manifest abrufbar ist.
28. November 2024.
Grundzüge einer ökologisch-sozialistischen Alternative zum kapitalistischen Wachstum
Die Befriedigung elementarer sozialer Bedürfnisse unter Beachtung der ökologischen Grenzen ist nur möglich, wenn es gelingt, mit der produktivistischen und konsumorientierten Logik des Kapitalismus zu brechen. Dieser verstärkt die Ungleichheit, schadet Mensch und Natur und untergräbt die beiden einzigen „Springquellen allen Reichtums …: die Erde und den Arbeiter“ (Marx).
Der Bruch mit dieser Logik bedeutet, vorrangig für die nachfolgend genannten Schwerpunkte zu kämpfen, […], die je nach nationalen und regionalen Besonderheiten ergänzt und angepasst werden müssen. Denn auf jedem Kontinent und in jedem Land müssen im Sinne dieses Übergangsprogramms spezifische Maßnahmen ergriffen werden.
1. Katastrophenschutz durch demokratische und sozial angepasste öffentliche Präventionspläne.
Einige Auswirkungen der Klimazerstörung (wie der Anstieg des Meeresspiegels) sind unumkehrbar oder werden lange anhalten (Hitzewellen, Dürreperioden, außergewöhnliche Niederschläge, heftigere Wirbelstürme usw.). Die kapitalistischen Versicherungsgesellschaften schützen die Bevölkerung nicht oder bestenfalls nur unzureichend. […] Die technokratische und autoritäre kapitalistische „Anpassung“ wird vom IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change / Weltklimarat) als „Fehlanpassung“ bezeichnet. Sie verschärft Ungleichheit, Diskriminierung und Enteignung. Sie erhöht auch die Anfälligkeit für steigende Temperaturen und birgt das Risiko, die Möglichkeit einer echten Anpassung in Zukunft ernsthaft zu gefährden, insbesondere in den armen Ländern.
Der kapitalistischen „Fehlanpassung“ setzen wir die sofortige Forderung nach öffentlichen und an die Lebenswelt der armen Bevölkerung angepassten Präventionsplänen entgegen. Diese ist schließlich Hauptleidtragende der extremen Wetterphänomene, insbesondere in den abhängigen Ländern. Diese Pläne müssen entsprechend ihrer Bedürfnisse und ihrer Lebenslage im Dialog mit der Wissenschaft entwickelt werden. Sie müssen alle Bereiche umfassen, insbesondere Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wohnungsbau, Wasserwirtschaft, Energie, Industrie, Arbeitsrecht, Gesundheit und Bildung. Sie müs- sen Gegenstand umfassender demokratischer Entscheidungsfindungsprozesse sein, mit einem Vetorecht für die betroffenen Gemeinden und für die arbeitende Bevölkerung.
2. Den Reichtum teilen, um kostenfrei für die Menschen und für unsere Umwelt zu sorgen.
Qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung, gute Bildung, gute Betreuung für Kleinkinder, ein würdiger Ruhestand und ein Pflegesystem, das den Bedürfnissen der Betroffenen Rechnung trägt, zugänglicher, dauerhafter und angemessener Wohnraum, effiziente öffentliche Verkehrsmittel, erneuerbare Ener- gien, gesunde Lebensmittel, sauberes Wasser, Internetzugang und eine natürliche Umwelt in gutem Zustand: Das sind die wirklichen Bedürfnisse, die eine Zivilisation, die diesen Namen verdient, für alle Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihren Überzeugungen, ausreichend erfüllen sollte. Das ist möglich – sogar bei gleichzeitig deutlicher Verringerung der globalen Belastung unserer Umwelt. Warum gibt es das alles nicht? Weil die Wirtschaft auf die Förderung des Konsums angelegt ist – gewissermaßen als industrielles Nebenprodukt des Kapitalismus. Im Interesse des Profits werden Investitionen und Konsum laufend gesteigert. Die Kapitalisten eignen sich alle Ressourcen an und verwandeln alles in Waren. Ihre egoistische Logik sät Unglück und Tod.
Eine 180°-Wende ist erforderlich. Die natürlichen Ressourcen und das Wissen sind ein Gemeingut, das umsichtig und kollektiv verwaltet werden muss. Die Befriedigung tatsächlicher Bedürfnisse und die Wiederbelebung der Ökosysteme müssen demokratisch geplant und vom öffentlichen Sektor unter aktiver Kontrolle der breiten Bevölkerung mitgetragen werden, indem die kostenfreie Nutzung so weit wie möglich ausgeweitet wird. Dieses kollektive Projekt muss sich das wissenschaftliche Fachwissen zu Nutze machen. Der erste notwendige Schritt ist die Bekämpfung von Ungleichheit und Unterdrückung. Soziale Gerechtigkeit und ein gutes Leben für alle sind auch ökologische Forderungen!
3. Gegen Privatisierung und Vermarktung: Gemeingüter und öffentliche Dienste ausbauen.
Hier handelt es sich um eine der Kernfragen eines sozialen und ökologischen Übergangs, und zwar in vielen Bereichen des Lebens. Zum Beispiel:
Wasser: Die derzeitigen Privatisierungen, der verschwenderische Verbrauch und die Verschmutzung von Wasser – Flüssen, Seen und unterirdischen Gewässern – sind eine soziale und ökologische Katastrophe. Wasserknappheit und Überschwemmungen aufgrund des Klimawandels stellen eine enorme Bedrohung für Milliarden von Menschen dar. Wasser ist ein Gemeingut und sollte daher von öffentlichen Einrichtungen unter Kontrolle der Verbraucher:innen verwaltet und verteilt werden. Flächen auf dem Land und in den Städten sollten wasserdurchlässig gemacht werden und imstande sein, Wasser zu spei- chern, um massive Überschwemmungen zu vermeiden.
Wohnen: Das Grundrecht aller Menschen auf angemessenen, dauerhaften und ökologisch nachhaltigen Wohnraum kann im Kapitalismus nicht gewährleistet werden. Das Gesetz des Profits bringt Zwangsräumungen, den Abriss von Gebäuden und die Kriminalisierung derjenigen mit sich, die sich dagegen wehren, aber auch hohe Energiekosten für die Armen und subventionierte erneuerbare Energie für die Reichen. Die öffentliche Kontrolle des Immobilienmarktes, die Senkung und das Einfrieren der Zinsen und Profite der Banken, der radikale Ausbau von gutem, öffentlichem, sozialem und genossenschaftlichem Wohnraum, die Wärmedämmung von Häusern durch die öffentliche Hand und ein umfangreiches Programm zum Bau von energetisch autonomen Gebäuden sind erste Schritte einer alternativen Politik.
Gesundheit: Die Schlussfolgerungen aus der COVID-19- Pandemie sind glasklar: Privatisierungen und Kürzungen im Pflegebereich gefährden die breite Bevölkerung – insbesondere Kinder, Frauen und ältere Menschen – und stellen eine beträchtliche Bedrohung für die öffentliche Gesundheit im Allgemeinen dar. Dieser Sektor muss massiv refinanziert und vollständig in die Hände der Allgemeinheit gelegt werden. Investitionen müssen vorrangig in die Prävention fließen. Die Pharmaindustrie muss vergesellschaftet werden.
Transport: Der Kapitalismus privilegiert im Personenverkehr das Privatauto, was schwerwiegende gesundheitliche und ökologische Folgen hat. Die Alternative dazu ist ein breit angelegtes und effizientes System der kostenlosen Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie die massive Ausweitung von Fuß- gänger- und Radfahrerzonen. Derzeit werden Güter über große Entfernungen mit Lastwagen oder Containerschiffen transportiert, was enorme CO₂-Emissionen verursacht; daher sind die Reduktion des verschwenderischen Verbrauchs und die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene dringend erforderlich. Der Flugverkehr muss erheblich reduziert und für Ent- fernungen, die auch mit der Bahn zurückgelegt werden können, gänzlich abgeschafft werden.
4. Das Geld dort holen, wo es ist: Die Kapitalisten und die Reichen müssen zahlen.
Eine globale Übergangsstrategie, die diesen Namen verdient, muss den Ersatz fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energien, den Schutz vor den bereits spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, die Entschädigung für Verluste und Schäden, die Unterstützung bei der Produktions-Umstellung (insbesondere garantierte Einkommen für die betroffenen Beschäftigten) und die Wiederherstellung der Ökosysteme zum Ziel haben. Bis zum Jahr 2050 werden dafür mehrere Billionen Dollar benötigt. Wer soll das bezahlen? Diejenigen, die für die Katastrophe verantwortlich sind: multinationale Unternehmen, Banken, Pensionsfonds, imperialistische Staaten und die Reichen des Nordens und des Südens.
Die ökosozialistische Alternative erfordert ein umfassendes Programm zur Steuerreform und zum radikalen Abbau von Ungleichheit, um das Geld dort zu holen, wo es ist: durch progressive Besteuerung, Aufhebung des Bankgeheimnisses, ein einsehbares Kataster des Grundbesitzes, die Besteuerung von Vermögenswerten, eine außerordentliche Sondersteuer mit hohem Steuersatz auf das Erbe von Grundbesitz, die Beseitigung von Steueroasen, Abschaffung der Steuerprivilegien für Unternehmen und Reiche, Öffnung der Geschäftsbücher von Un- ternehmen, Deckelung hoher Einkommen, Abschaffung von als „illegitim“ anerkannten öffentlichen Schulden (ohne Entschädigung, außer für Kleinanleger:innen), Entschädigung der abhängigen Länder für die Kosten des Verzichts auf die Ausbeutung ihrer fossilen Ressourcen (etwa das Yasuni-Park-Projekt) durch reiche Länder.
5. Keine Emanzipation ohne antirassistischen Kampf.
Rassistische Unterdrückung ist ein struktureller und strukturierender Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise. Sie sorgte für die ursprüngliche Kapitalakkumulation durch Kolonisierung und den Handel mit versklavten Schwarzen. Um eine neue, von jeglicher Unterdrückung und Ausbeutung freie Welt aufzubauen, müssen wir den Kampf gegen Rassismus als zentrales Element der ökosozialistischen Strategie verstehen. Wir müssen anerkennen, dass Rassismus gesellschaft- liche Verhältnisse prägt und dazu dient, die Mechanismen der Ausbeutung durch die Bourgeoisie und die Anhäufung von Reichtum zu stärken und komplexer zu gestalten. Daher wird Vielfalt, die von der weißen Norm abweicht, unterdrückt. Die erzwungene Diaspora von Millionen von Afrikaner:innen, ihre Umwandlung in eine Ware, ihre Kommerzialisierung auf dem amerikanischen Kontinent und die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft sorgten für die Bereicherung Europas und sichern auch heute noch die Privilegien der Herrschenden.
Es gilt, mit der völkermörderischen Logik gegen nicht-weiße Gruppen zu brechen und den Kampf gegen Gefängnisse und die massenhafte Inhaftierung nicht-weißer Personen aufzunehmen. Hohe Haftstrafen für bestimmte Gruppen sind eine Begleiterscheinung des absurden „Kriegs gegen Drogen“, mit dem sich im Sinn der neoliberalen Strategie die völkermörderische Politik gegen sozial und rassistisch unterdrückte Bevölkerungsgruppen rechtfertigen lässt. Der Kampf gegen die Militarisierung der Polizei muss im Mittelpunkt eines antirassistischen Kampfes stehen, aber auch der Zugang zu angemessenen Lebensbedingungen für alle.
Rassismus ist bis heute ein zentraler Mechanismus der Unterdrückung von Teilen der arbeitenden Klasse. Er äußert sich in einem ausgeklügelten System von Zugangsmöglichkeiten und Beschränkungen, das sich ausschließlich an weißen Menschen orientiert, die als vermeintlich universelles Subjekt definiert werden. Für alle anderen – die rassistisch abgewerteten Menschen – gelten andere Regeln. Es ist notwendig, sich gegen jegliche Austeritätspolitik zu stellen, da sie die arbeitende Klasse insgesamt ins Prekariat abdrängt, aber vor allem nicht-weiße Menschen verstärkt trifft. Damit wird auch die Umweltpolitik rassistisch, denn im Zuge der Klimakrise werden die tödlichen Folgen der kapitalistischen Produktion ungleich verteilt.
6. Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit auf der Erde! Niemand ist illegal!
Die Umweltzerstörung ist ein Motor, der die Migration rasant beschleunigt. Zwischen 2008 und 2016 wurden im Jahresdurchschnitt 21,5 Millionen Menschen durch wetterbedingte Ereig- nisse zwangsumgesiedelt. Die meisten von ihnen sind bedürf-tige Menschen aus armen Ländern. Es wird erwartet, dass die durch den Klimawandel ausgelöste Migration in den kommenden Jahrzehnten stark zunehmen wird. Bis 2050 könnten weltweit 1,2 Milliarden Menschen vertrieben werden. Anders als Asylsuchende haben „Klimaflüchtlinge“ keinen legalen Status. Sie tragen keine Verantwortung für die ökologische Katastrophe, aber der eigentliche Verursacher – das kapitalistische System – zwingt sie, die Schar der 108,4 Millionen Menschen weiter zu vergrößern, die im Jahr 2020 weltweit aufgrund von Verfolgung, Konflikten, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zwangsumgesiedelt wurden.
Die Grundrechte dieser Menschen – das Recht auf Schutz vor Gewalt, auf ausreichend Wasser und Nahrung, auf sichere Unterkunft, auf Familienleben und auf einen angemessenen Arbeitsplatz – sind ständigen Angriffen ausgesetzt. Eine wachsen- de Zahl (10 Millionen) wird sogar von der UNHCR als staatenlos eingestuft. All das steht im Widerspruch zu elementarster Gerechtigkeit und spielt den Faschisten in die Hände, die Migrant:innen zum Sündenbock machen und ihnen das Menschsein absprechen. Das ist eine immense Bedrohung für die de- mokratischen und sozialen Rechte aller Menschen. Als Internationalist:innen kämpfen wir gegen das Kapital, nicht für eine restriktive Politik gegen Migrant:innen. Wir sind gegen den Bau von Mauern, die Internierung in speziellen Zentren, den Bau von Lagern, gegen Ausweisungen, Abschiebungen und gegen eine rassistische Rhetorik. Niemand ist illegal auf der Welt, alle müssen das Recht haben, sich frei zu bewegen. Die Grenzen müssen für alle offen sein, die aus ihrem Land fliehen, sei es aus sozialen, politischen, wirtschaftlichen oder ökologischen Gründen.
7. Unnötige und schädliche Wirtschaftszweige abschaffen.
Um die Klimakatastrophe und den Rückgang der Artenvielfalt zu verhindern, muss der Endenergieverbrauch auf globaler Ebene umgehend und spürbar reduziert werden. Daran führt kein Weg vorbei. Zu den ersten Schritten gehören die drastische Verringerung der Kaufkraft der Reichen, der Verzicht auf Wegwerfkleidung, auf Werbung und Luxusprodukte bzw. Luxuskonsum (Kreuzfahrten, Yachten, Privatjets oder Privathubschrauber, Weltraumtourismus usw.), die Einschränkung der Massenproduktion von Fleisch- und Milchprodukten sowie die Beendigung der programmierten Obsoleszenz von Produkten, an deren Stelle die Verlängerung ihrer Lebensdauer und eine einfachere Reparatur gesetzt werden muss. Gütertransporte auf dem Luft- und Seeweg müssen durch Produktionsverlagerungen drastisch reduziert und durch den Schienenverkehr ersetzt werden, wo immer das möglich ist. Strukturell gesehen sind Einschränkungen beim Energieverbrauch nur dann realistisch, wenn nutzlose und schädliche wirtschaftliche Tätigkeiten so schnell wie möglich reduziert werden. Dabei sind vor allem folgende Produktionszweige zu berücksichtigen: die Waffenproduktion, fossile Energie und Petrochemie, die extraktive Industrie, nichtnachhaltige Produktionsweisen, die Holz- und Zell- stoffindustrie, der Bau von Personenkraftwagen, Flugzeugen und Schiffen.
8. Ernährungssouveränität! Raus aus der Agrarindustrie, der industriellen Fischerei und der Fleischindustrie!
Diese drei Wirtschaftssektoren stellen eine ernsthafte Bedrohung für das Klima, die Gesundheit der Menschen und die Artenvielfalt dar. Ihre Beseitigung erfordert Maßnahmen im Bereich der Produktion, aber auch erhebliche Veränderungen des Konsumverhaltens (in den Industrieländern und bei den Reichen in allen Ländern) sowie eine andere Beziehung zu allen Lebewesen. Es bedarf einer proaktiven Politik, um die Entwaldung aufzuhalten und die Agrarindustrie, die industriellen Baumplantagen und die Großfischerei durch kleinbäuerliche Agrarökologie, Ökoforstwirtschaft bzw. Kleinfischerei zu ersetzen, die weniger Energie verbrauchen, mehr Arbeitskräfte beschäftigen und wesentlich mehr Rücksicht auf die Artenvielfalt nehmen. Kleinbäuer:innen und Fischer:innen sind von der Allgemeinheit angemessen zu entschädigen, nicht nur für ihren Beitrag zur menschlichen Ernährung, sondern auch aus ökologischen Gründen. Die Rechte der indigenen Völker auf den Wald und andere Ökosysteme müssen geschützt und der weltweite Fleischkonsum muss drastisch reduziert werden. Dafür braucht es gravierende Einschnitte bei der Fleisch- und Milchindustrie und die Förderung einer Ernährungsweise, die vorwiegend auf lokaler Gemüseproduktion beruht. So lässt sich auch die unwürdige Behandlung von Tieren in der Fleischindustrie und in der industriellen Fischerei beenden.
Vorrangiges Ziel ist die Ernährungssouveränität im Sinne der Vorschläge von Via Campesina. Das erfordert eine radikale Agrarreform: das Land denjenigen, die es bearbeiten, insbesondere den Frauen; Enteignung der Großgrundbesitzer und der kapitalistischen Agrarindustrie, die Waren für den Weltmarkt produzieren; Verteilung von Land an Kleinbäuer:innen und Landlose (Familien oder Genossenschaften) zugunsten einer biologischen Landwirtschaft; Verbot alter und neuer Kulturen gentechnisch veränderter Organismen (GVO) im Freiland und giftiger Pestizide (angefangen bei denjenigen, deren Verwendung in den imperialistischen Ländern verboten, deren Export in die abhängigen Länder jedoch zugelassen ist).
9. Umbau der Städte im Interesse der Menschen.
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in immer größeren Städten. Gleichzeitig entvölkern sich die ländlichen Regionen; sie werden durch die Agrarindustrie und den Bergbau zugrunde gerichtet und sind zunehmend von den elementarsten Dienstleistungen abgeschnitten. Einige der größten Megastädte der Welt (Jakarta, Manila, Mexiko-Stadt, Neu-Delhi, Bombay, São Paulo und andere) befinden sich in den abhängigen Ländern; die Zahl der Obdachlosen und der Slums, in denen Millionen von Menschen (um Karachi, Nairobi, Bagdad …) unter unwürdigen Bedingungen leben und (im informellen Sektor) arbeiten, nimmt weiter zu. Das ist eine der schlimmsten Folgen der kapitalistischen Entwicklung und der imperialistischen Herrschaft. Neben der Gewalt erschweren Hitzewellen das Überleben in den Slums und Armenvierteln, vor allem in feuchten Klimazonen.
Die ökosozialistische Alternative steht für ein umfangreiches Programm für sozialen Wohnungsbau, begleitet von einer Stadtplanung im Interesse der Menschen und unter Mitwirkung von Verbänden der Wohnungslosen, um das Leben in den Großstädten neu zu gestalten. Das erfordert einerseits eine Arbeitsgesetzgebung zum Schutz der Beschäftigten und andererseits eine attraktive Agrarreform, um eine Gegenbewegung zur Landflucht in Gang zu setzen.
10. Energie und Finanzsektor ohne Entschädigung oder Rückkaufoptionen vergesellschaften, um so schnell als möglich aus fossilen Brennstoffen und Atomkraft aussteigen zu können.
Die Energiemultis und die Banken, die sie finanzieren, wollen jede Tonne Kohle, jeden Liter Öl und jeden Kubikmeter Gas bis zum Ende ausbeuten. Zuerst haben sie die Auswirkungen des CO2 auf den Klimawandel verschwiegen und geleugnet. Heute versprechen sie alle möglichen Scheintechnologien (Greenwashing, Tausch von „Verschmutzungsrechten“, „Emissionsaus- gleich“, „Kohlenstoffabscheidung, -sequestrierung und -verwertung“) und preisen die Atomenergie als „kohlenstoffarm“ an, um die Plünderung der Ressourcen ungehindert fortzusetzen, wobei ihnen die großen Preissteigerungen gigantische Extraprofite sichern. Es besteht kein Zweifel: Diese profitgierigen Konzerne stürzen den Planeten über die Klimazerstörung in die nicht mehr beherrschbare erdgeschichtliche Kata- strophe. Gleichzeitig stehen sie an der Spitze der kapitalistischen Angriffe auf die arbeitende Klasse. Daher ist ihre Vergesellschaftung durch Enteignung ein Gebot der Stunde, und zwar ohne Entschädigung und ohne Rückkaufoptionen. Um die soziale und ökologische Zerstörung abwenden und unsere Zukunft gemeinsam in die Hand nehmen zu können, ist nichts dringender als die Schaffung eines dezentralisierten und vernetzten öffentlichen Energie- und Kreditsektors unter demokratischer Kontrolle der Bevölkerung.
11. Für die Befreiung und die Selbstbestimmung der Völker, gegen Krieg, Imperialismus und Kolonialismus.
Wir vertreten ein internationalistisches Programm auf Grundlage sozialer Gerechtigkeit; wir treten gemeinsam mit fortschrittlichen Kräften für einen ökosozialistischen Wandel und für den Frieden zwischen den Völkern ein. Wir wenden uns gegen jegliche Politik der Unterdrückung. Deshalb sind wir gegen die NATO und andere Militärbündnisse, die die Welt in neue Konflikte zwischen den imperialistischen Mächten treiben. Wir kämpfen gegen die Erhöhung der Militärbudgets, für ein Ende der Rüstungsproduktion und für die Vernichtung aller Bestände an nuklearen, chemischen, bakteriologischen und Cyberwaffen sowie für die Zerschlagung aller privaten Rüstungskonzerne. Waffen dürfen keine Ware sein. Ihr Einsatz darf ausschließlich unter politischer Kontrolle zum Zweck der Verteidigung und des Schutzes vor Aggression erfolgen. Der einzige Weg zum Frieden führt über den siegreichen Kampf für das Recht auf Selbstbestimmung und für die Beendigung von Landraub und ethnischer Säuberung. Als Internationalist:innen sind wir solidarisch mit allen Unterdrückten, die für ihre Rechte kämpfen, vor allem in Palästina und in der Ukraine.
12. Beschäftigungsgarantie für alle, Gewährleistung der notwendigen Umschulung auf ökologisch nachhaltige und gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten.
Es darf nicht sein, dass Menschen, die in nicht-nachhaltigen und schädlichen Branchen (Förderung fossiler Brennstoffe, Agrarindustrie, Großfischerei, Fleischindustrie …) beschäftigt sind, den Preis für das kapitalistische Management zahlen. Es muss eine Garantie für den Umstieg auf grüne Arbeitsplätze geben, damit es während der gesamten Umschulung auf Tätigkeiten im öffentlichen Interesse, zur Deckung der tatsächlichen Bedürfnisse und zur Wiederherstellung der Ökosysteme zu keinen Einkommensverlusten kommt. Eine solche Garantie wird die berechtigten Ängste der betroffenen Beschäftigten zerstreuen und der zynischen Instrumentalisierung dieser Ängste durch die Kapitalisten im Interesse ihrer produktivistischen und konsumfixierten Ambitionen den Wind aus den Segeln nehmen. Eine grüne Arbeitsplatzgarantie wird die Beschäftigten in den aussterbenden Branchen ermutigen, sich fortzubilden und sich aktiv und im Dialog mit der Öffentlichkeit an der Umsetzung eines grünen Programms zu beteiligen, das allen zugutekommt. Dabei werden sie ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und ihre Erfahrung in eine sinnstiftende, emanzipatorische, wahrhaft menschliche, weil auf das Leben künftiger Generationen gerichtete Arbeit einbringen können.
13. Weniger und besser arbeiten, ein gutes Leben führen.
Eine radikale Verringerung des Endenergieverbrauchs durch Vermeidung nutzloser und schädlicher Produktion/Konsumption hat logischerweise eine radikale Verkürzung der Zeit für bezahlte gesellschaftliche Arbeit zur Folge. Diese Verringerung muss für alle gelten. Die kapitalistische Verschwendung hat ein Ausmaß erreicht, dass durch ihre Beseitigung eine beträchtliche Verkürzung der Wochenarbeitszeit (bis um die Hälfte) und eine erhebliche Senkung des Rentenalters ohne Zweifel realistisch sind. Diese Tendenz wird teilweise durch eine ebenfalls notwendige Reduktion der Arbeitsintensität sowie durch die Zunahme der erforderlichen sozialen und ökologischen Reproduktionsarbeit ausgeglichen werden (Kinder- und Altenbetreuung – einschließlich der Vergesellschaftung eines Teils der über- wiegend von Frauen unentgeltlich geleisteten Hausarbeit – sowie Schutz der Ökosysteme).
Eine demokratische Planung wird für die schrittweise Realisierung dieser Vorhaben unerlässlich sein. Der ökosozialistische Bruch mit dem kapitalistischen Wachstum geht mit einer doppelten Transformation der Arbeitswelt einher. Quantitativ werden wir weit weniger arbeiten. Qualitativ wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Arbeit zu einer Tätigkeit des guten Lebens wird – eine bewusste Vermittlung zwischen den Menschen (also auch zwischen Männern und Frauen) und zwischen den Menschen und der nicht-menschlichen Natur. Diese tiefgreifende Umgestaltung von Arbeit und Leben wird Änderungen beim Konsum mehr als ausgleichen. Das betrifft in erster Linie die am besten bezahlten Schichten der arbeitenden Klasse, vor allem in den entwickelten Ländern.
14. Das Recht der Frauen garantieren, über ihren eigenen Körper zu bestimmen.
Die Menschheit wird nicht in der Lage sein, ihre Beziehung zur nicht-menschlichen Natur bewusst zu gestalten, ohne ihre Beziehung zu sich selbst bewusst zu gestalten. Das betrifft die eigene biologische Reproduktion durch den Körper der Frau. Es ist kein Zufall, dass die patriarchalen Angriffe auf die Rechte der Frauen überall zunehmen, denn diese Angriffe sind integraler Bestandteil von politischen Projekten, die darauf abzielen, die Herrschaft der Reichen und der Kapitalisten zu konsolidieren. Sie erfolgen meist im Namen einer reaktionären „Pro-Life“-Ideologie, die im Übrigen auch den menschengemachten Klimawandel leugnet. Neben diesen reaktionären Kräften gibt es aber auch technokratische Strömungen, die die ökologische Krise auf die „Überbevölkerung“ schieben und so versuchen, eine autoritäre Politik der Geburtenkontrolle durchzusetzen. Angesichts dieser doppelten Bedrohung halten wir daran fest, dass keine Moral, kein höherer Grund, auch kein ökologischer, geltend gemacht werden kann, um Frauen ihr elementares Recht abzusprechen, über ihre eigene Fruchtbarkeit zu bestimmen. Die Verweigerung dieses Rechts unterscheidet sich nicht von allen anderen Herrschaftsmechanismen zum Nutzen des Patriarchats in seiner derzeitigen kapitalistischen Gestalt – einschließlich der „menschlichen Herrschaft“ über die nicht-menschliche Natur. Es gibt keine menschliche Emanzipation ohne Frauenemanzipation. Das bedeutet in erster Linie, dass Frauen freien Zugang zu Verhütungsmitteln (einschließlich Aufklärung über ihre Anwendung), Abtreibung und allgemein zu reproduktiver Gesund- heitsversorgung haben müssen.
15. Wissen ist ein gemeinsames Gut, Reform des Bildungswesens und der Forschung.
Die Umsetzung des ökosozialistischen Sofortprogramms erfordert umgehend die Befreiung des Wissens von neokolonialen und Kapitalinteressen – mit Hilfe einer großen Zahl an gut ausgebildeten Lehrer:innen und Forscher:innen aller Disziplinen. Es geht um eine Reform des Bildungswesens, den Ausbau öffentlicher Schulen und Universitäten und das Ende jeglicher Diskriminierung im Bildungswesen, der in einigen Ländern vor allem Mädchen zum Opfer fallen. Wissen und Kenntnisse von Indigenen müssen anerkannt und herangezogen werden. In der Forschung sind weitreichende Reformen erforderlich, um ihrer Unterwerfung unter das Kapital ein Ende zu setzen. Der Schwerpunkt muss dabei auf der Wiederherstellung der Ökosysteme und auf der Befriedigung der Bedürfnisse der arbeitenden Klassen liegen – und zwar in Absprache mit den Betroffenen.
16. Hände weg von den demokratischen Rechten! Kontrolle durch die Bevölkerung und Selbstorganisation der Kämpfe.
Da die herrschende Klasse nicht in der Lage ist, die von ihr verursachte ökologische Katastrophe einzudämmen, verhärtet sie ihr Regime, kriminalisiert den Widerstand und benennt Sündenböcke. Ihre Politik ebnet den Weg für einen nihilistischen, nationalistischen, rassistischen und machistischen Neofaschismus. Während die Bourgeoisie ihre Maske fallen lässt, tritt der Ökosozialismus für eine Erweiterung der Rechte und Freiheiten ein: Vereinigungs- und Demonstrationsrecht, Streikrecht; freie Wahl der parlamentarischen Organe in einem Mehrparteiensystem, Verbot der privaten Finanzierung politischer Parteien, Legalisierung von Basisinitiativen zur Abhaltung von Volksabstimmungen, Abschaffung undemokratischer Institutionen (etwa einer autonomen Zentralbank), Verbot des Privat-eigentums an den wichtigsten Kommunikationsmitteln, Abschaffung der Zensur, für den Kampf gegen die Korruption, für die Auflösung privater Milizen, die Achtung der Rechte und Territorien der indigenen Gemeinschaften und anderer unterdrückter Völker usw. Eine ökosozialistische Gesellschaft lässt sich nicht ohne breiteste Demokratie verwirklichen. All das lässt sich am besten vorbereiten durch die demokratische Selbstorganisation von Basisbewegungen und die Forderung nach Transparenz und Kontrolle auf allen Ebenen inklusive von Vetorechten der Bevölkerung.
17. Für eine Kulturrevolution in Einklang mit der Achtung vor dem Leben und der „Liebe zur Mutter Erde“.
Ein radikaler Bruch mit der Ideologie der Herrschaft des Menschen über die Natur ist für die Entwicklung einer ökologischen und (öko)feministischen Kultur der „Fürsorge“ für Mensch und Umwelt unerlässlich. Insbesondere der Schutz der Artenvielfalt kann sich nicht allein auf die Vernunft (das menschliche Interesse im engeren Sinn) verlassen. Hier sind auch Einfühlungsvermögen, Respekt, Umsicht und eine globale Sichtweise vonnöten, die von den indigenen Völkern mit dem Begriff „Liebe zur Mutter Erde“ zum Ausdruck gebracht wird. Die Aufrechterhaltung oder Wiederaneignung dieser Weltsicht – in den Kämpfen, im künstlerischen Schaffen, über Bildung sowie durch Produktions-/Konsumalternativen – stellt eine enorme ideologische Herausforderung im ökosozialistischen Kampf dar. In der westlichen Moderne hat sich die Vorstellung vom Menschen als göttliches Wesen durchgesetzt, das den Auftrag hat, die Natur zu beherrschen sowie andere Lebewesen zum eigenen Vorteil zu nutzen und auf eine Stufe mit Maschinen zu stellen. Diese nicht-materialistische Konzeption, die eng mit kolonialen und patriarchalen Herrschaftsverhältnissen verbunden ist, wird durch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse widerlegt. Wir sind Teil der lebendigen Erde, wir sind auch Lebewesen und menschliches Leben wäre ohne Pflanzen und ohne Tiere, ohne das Netzwerk des Lebens auf diesem Planeten nicht denkbar.
18. Selbstverwaltete ökosozialistische Planung.
Der ökosozialistische Übergang, insbesondere die Umwandlung des Energiesektors (Ausstieg aus der Atomenergie und fossilen Brennstoffen, Energieeinsparung und Ausbau der erneuerbaren Energien) muss geplant werden. Im Gegensatz zu gängigen Behauptungen steht Planung nicht im Widerspruch zu Demokratie und Selbstverwaltung. Das katastrophale Beispiel der Länder des „real existierenden Sozialismus“ zeigt lediglich, dass Selbstverwaltung unvereinbar ist mit einer autoritären, bürokratischen und von oben verordneten Planung, die alle demokratischen Grundsätze missachtet.
Was verstehen wir also unter demokratischer ökosozialistischer Planung? Konkret bedeutet sie, dass es Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, die Prioritäten der Produktion und die Höhe der Mittel, die in Bildung, Gesundheit oder Kultur fließen müssen, demokratisch festzulegen. Weit davon entfernt, „despotisch“ zu sein, bedeutet demokratische ökosozialistische Planung in der Praxis Entscheidungsfreiheit auf allen Ebenen der Gesellschaft, von der lokalen über die nationale bis zur globalen. Das ist unerlässlich, um sich von den entfremdeten und verdinglichten „ökonomischen Gesetzen“ und „eisernen Käfigen“ der kapitalistischen und bürokratischen Struk- turen zu befreien.
Eine demokratische Planung, verbunden mit einer Verkürzung der Arbeitszeit, wäre ein beträchtlicher Fortschritt der Menschheit in Richtung dessen, was Marx „das Reich der Freiheit“ genannt hat. Mehr Freizeit ist zweifellos eine Voraussetzung für die Beteiligung der arbeitenden Bevölkerung an demokratischen Diskussionen und an der Selbstverwaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei geht es um relevante wirtschaftliche Entscheidungen, also nicht um lokale Restaurants, Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien, kleine Läden und Handwerksbetriebe.
Ebenso wichtig ist es zu betonen, dass ökosozialistische Planung nicht im Widerspruch zur Selbstverwaltung der Beschäf- tigten in ihren Produktionseinheiten steht. Selbstverwaltung bedeutet demokratische Kontrolle der Planung auf allen Ebenen – lokal, regional, national, kontinental und global, da ökologische Fragen wie die Klimazerstörung sich global stellen und nur auf dieser Ebene angegangen werden können. Eine ökosozialistische demokratische Planung steht im Gegensatz zu dem, was oft als „zentrale Planung“ bezeichnet wird, weil Entscheidungen eben nicht von einem „Zentrum“ getroffen werden, sondern demokratisch und gemäß dem Subsidiaritäts- prinzip von den jeweils betroffenen Menschen. Die Verantwortung für erforderliche öffentliche Maßnahmen muss der jeweils kleinsten Einheit übertragen werden, die in der Lage ist, das Problem selbst zu lösen.