Sozia­lis­ti­sche Politik

1954-19661

 

Wil­ly Boepple


Redak­tio­nel­le Vorbemerkung

Vor 70 Jah­ren, am 15. Sep­tem­ber 1954, erschien – zunächst noch unter dem Namen Der Sozia­list – die ers­te Aus­ga­be einer unge­wöhn­li­chen lin­ken Zei­tung. Sie wur­de bald in Sozia­lis­ti­schen Poli­tik (SOPO) umbe­nannt. Der Autor des nach­fol­gen­den Tex­tes, unser Genos­se Wil­ly Boepp­le (1911-1992), spiel­te in der Redak­ti­on der SOPO eine zen­tra­le Rolle.

H. N., 31. Juli 2024.


Willy Boepple Anfang der 1930er Jahre. (Foto: Privatarchiv.)

Wil­ly Boepp­le Anfang der 1930er Jah­re. (Foto: Privatarchiv.)

 

Im März 1954 stimm­te der Bezirks­par­tei­tag der Köl­ner SPD für die Annah­me des von den Jung­so­zia­lis­ten ein­ge­brach­ten „Köl­ner Mani­fests“. Es wand­te sich gegen die wei­te­re Rechts­ent­wick­lung der SPD, gegen den Ver­zicht auf eine sozia­lis­ti­sche Ziel­set­zung (ver­tre­ten durch den „Bal­last­ab­wer­fer“ Car­lo Schmid), gegen den immer aggres­si­ver wer­den Anti­kom­mu­nis­mus, gegen die büro­kra­ti­sche Dik­ta­tur in der UdSSR und deren Gla­cis­län­dern und setz­te sich ein für inter­na­tio­na­le Soli­da­ri­tät mit der Kolo­ni­al­re­vo­lu­ti­on. Das Mani­fest fand bei der Lin­ken bis hin­ein in die Rei­hen der SPD und der Gewerk­schaf­ten ein gewis­ses Echo. Unter ande­rem mel­de­te sich aus Boven­den Arthur von Behr, Besit­zer einer klei­nen Dru­cke­rei, ehe­ma­li­ges SAP-Mit­glied, der sich spä­ter als ver­kapp­ter Anhän­ger der KPD/SED ent­pupp­te. Er schlug vor, ein lin­kes Blätt­chen zum Selbst­kos­ten­preis zu dru­cken und als Her­aus­ge­ber zu fun­gie­ren. Die Redak­ti­on soll­te von den Ver­fas­sern des „Köl­ner Mani­fests“ und von ihnen zu benen­nen­den ande­ren Lin­ken gebil­det werden.

Als poli­ti­sche Mini­mal­platt­form dien­te das „Köl­ner Mani­fest“. Als innen­po­li­ti­sche Auf­ga­ben der Zeit­schrift wur­den fest­ge­legt: kri­ti­sche Beob­ach­tung, Kom­men­tie­rung und – in Fäl­len pro­gres­si­ver Ent­schei­dun­gen – Unter­stüt­zung der SPD und der Gewerk­schaf­ten, kri­ti­sche Soli­da­ri­tät mit der SPD-Lin­ken und lin­ken Gewerk­schaf­tern, für die Stär­kung der inner­ge­werk­schaft­li­chen Demo­kra­tie, Kampf für die Ver­bes­se­rung des Betriebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes, Mit­be­stim­mung als Hebel zum Kampf um das Fern­ziel „Arbei­ter­kon­trol­le“, gegen Remi­li­ta­ri­sie­rung, gegen Wie­der­auf­rüs­tung und Antikommunismus.

Die außen­po­li­ti­sche Ori­en­tie­rung wur­de bestimmt durch den poli­ti­schen Kampf gegen die Vor­herr­schafts­an­sprü­che der USA im Wes­ten und der UdSSR in den Volks­de­mo­kra­tien (bei gleich­zei­ti­ger kri­ti­scher Soli­da­ri­tät mit den „sozia­lis­ti­schen“ Län­dern) und durch die bedin­gungs­lo­se Unter­stüt- zung der Kolonialrevolution.

Der nach der Tren­nung von Pro und Con­tra (eine peri­odi­sche Ber­li­ner lin­ke Publi­ka­ti­on, die zeit­wei­se für plu­ra­lis­ti­sche lin­ke Posi­tio­nen geöff­net war, sich in ent­schei­den­den Fra­gen aber dann doch als ein ver­mut­lich von der SED finan­zier­tes Pro­jekt erwies) ver­blie­be­ne Redak­ti­ons­stamm, fast aus­schließ­lich Trotz­kis­ten, nahm Ver­bin­dung auf mit bekann­ten Lin­ken (so Theo Pir­ker, Wolf­gang Abend­roth, Sieg­fried Braun, Peter von Oert­zen und ande­ren) mit dem Vor­schlag, gemein­sam mit den Trotz­kis­ten ein lin­kes, unab­hän­gi­ges Organ zu schaf­fen und eine Redak­ti­on zu bil­den. Die Bemü­hun­gen hat­ten Erfolg. Es gelang, eine Redak­ti­on aus fol­gen­den Mit­glie­dern zusam­men­zu­brin­gen: Wolf­gang Abend­roth, Sieg­fried Braun, Wil­ly Boepp­le, Erich Ger­lach (SPD-Abge­ord­ne­ter im nie­der­säch­si­schen Land­tag), Georg Jung­clas, Theo Pir­ker, Peter von Oert­zen. Gesprä­che mit pro­mi­nen­ten lin­ken Gewerk­schaf­tern führ­ten zu dem Ergeb­nis, daß eini­ge von ihnen die SOPO (wenn auch in beschei­de­nem Maße) finan­zi­ell unter­stütz­ten oder Ver­samm­lungs- und Schu­lungs­räu­me für Refe­ra­te zur Ver­fü­gung stell­ten. Zu die­sem Kreis gehör­ten in mehr oder weni­ger loser Ver­bin­dung Fritz Stroth­mann, Wil­ly Blei­cher, Jakob Mone­ta, Hans Wisch­new­s­ki (alle IG Metall), der DGB-Vor­sit­zen­de von Bay­ern, Lin­sert, Har­ry Ris­tock (Ber­lin), Heinz Ruh­nau (Ham­burg) und andere.

Der Sozia­list
Stän­di­ge Mit­ar­bei­ter waren (zu ver­schie­de­ner Zeit) Ernest Man­del (ali­as Pierre Gous­set, Ger­main, Spren­ger), Bert­hold Schel­ler, Jür­gen Sei­fert (aller­dings nur kur­ze Zeit), Jakob Mone­ta, Rudolf Segall, um nur eini­ge zu nen­nen. Die Bemü­hun­gen, Leo Kof­ler als stän­di­gen Mit­ar­bei­ter zu gewin­nen, blie­ben erfolg­los. Immer­hin erschien im Novem­ber 1955 im „Ver­lag Sozia­lis­ti­sche Poli­tik“ eine umfang­rei­che Bro­schü­re von Kof­ler, „Mar­xis­ti­scher oder ethi­scher Sozialismus“.

Die meis­ten der Genann­ten waren bereits fes­te oder gele­gent­li­che Mit­ar­bei­ter der Redak­ti­on von Pro und Con­tra, des­sen „Ver­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on“, soweit die­ser Aus­druck anwend­bar ist, zum gro­ßen Teil über­nom­men wurde.

Die ers­te Num­mer des Blat­tes erschien am 15. Sep­tem­ber 1954 unter dem Namen Der Sozia­list. Der Ver­trieb erfolg­te haupt­säch­lich über im Vor­feld der SPD und der Gewerk­schaf­ten ent­stan­de­ne lin­ke Arbeits­krei­se, etwa die „Mar­xis­ti­schen Arbeits­krei­se“ in der SPD, bei den Jung­so­zia­lis­ten und bei den Fal­ken, sowie im lin­ken Milieu der Gewerk­schaf­ten. Die Auf­la­ge betrug cir­ca 1200, davon etwa 800 bis 900 für Abon­ne­ments und Ver­kauf. Der Rest wur­de ent­we­der bei bestimm­ten Anläs­sen (wie Par­tei- oder Gewerk­schafts­ta­gen) an bestimm­te Adres­sa­ten ver­schickt oder auf poli­ti­schen und gewerk­schaft­li­chen Ver­an­stal­tun­gen ver­teilt, im güns­tigs­ten Fall ver­kauft. SOPO erschien jeden Monat. Bemü­hun­gen, ein 14-tägi­ges Erschei­nen zu errei­chen, schei­ter­ten an den mate­ri­el­len Bedin­gun­gen. Die finan­zi­el­le und per­so­nel­le Situa­ti­on war und blieb schwie­rig. Zu Beginn des Jah­res 1957 erfolg­te die Tren­nung von von Behr, des­sen sta­li­nis­tisch gefärb­te Ansich­ten immer deut­li­cher her­vor­tra­ten. Es gab Ver­mu­tun­gen, daß von Behr im Auf­trag oder in einer irgend­wie gear­te­ten Zusam­men­ar­beit mit der SED/KPD das Ziel ver­folg­te, die SOPO auf eine qua­si neu­tra­lis­ti­sche Linie brin­gen. Sei­ne poli­ti­sche Hal­tung, die sich schon bald als unver­ein­bar mit der poli­ti­schen Linie der SOPO erwies, mach­te eine wei­te­re Zusam­men­ar­beit unmög­lich. Nach der Tren­nung von ihm muß­te die SOPO im Lohn­druck her­ge­stellt wer­den. Die unver­meid­li­che Fol­ge war eine Ver­schär­fung der finan­zi­el­len Mise­re. Nur durch gro­ße mate­ri­el­le Opfer eini­ger Genos­sen und gele­gent­li­che klei­ne Spen­den von pro­mi­nen­ten Sym­pa­thi­san­ten konn­te die SOPO eini­ger­ma­ßen über Was­ser gehal­ten werden.

Die monat­li­chen Redak­ti­ons­sit­zun­gen wur­den unter gro­ßen orga­ni­sa­to­ri­schen und tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten durch­ge­führt. Meist traf man sich in Frank­furt in einem Lokal, mit­un­ter in einer Woh­nung. Auch Köln und gele­gent­lich Mar­burg dien­ten als Sit­zungs­or­te. Mar­burg vor allem, um die Teil­nah­me von W. Abend­roth zu sichern.

Der Mit­ar­bei­ter­kreis wur­de im Lau­fe der Jah­re klei­ner. Theo Pir­ker, Sieg­fried Braun und Peter von Oert­zen zogen sich zu Beginn der 60er Jah­re all­mäh­lich zurück. Ab Godes­berg war die Arbeit an der SPD-Basis immer schwie­ri­ger gewor­den. Hin­ge­gen zeig­ten die gewerk­schaft­li­chen Kon­tak­te der SOPO – ver­stärkt durch die im Jah­re 1961 geschaf­fe­ne Bei­la­ge „Betrieb und Gewerk­schaft“ – eine gewis­se Sta­bi­li­tät, nicht zuletzt durch eine gute Basis in eini­gen weni­gen Großbetrieben.

Die trotz­kis­ti­schen Mit­glie­der der Redak­ti­on sahen in der SOPO das geeig­ne­te Organ für ein poli­ti­sches Hin­ein­wir­ken in die SPD und in die Gewerk­schaf­ten. Aber die SOPO soll­te ursprüng­lich nach ihren Vor­stel­lun­gen nur mit­tel­bar ein „ent­ris­ti­sches“ Organ sein. Die Trotz­kis­ten ver­tra­ten in der Redak­ti­on ihre poli­ti­schen Posi­tio­nen eben­so offen wie Theo Pir­ker, Peter von Oert­zen oder Wolf­gang Abend­roth die ihren.

Fusi­on mit express international
Resi­gna­ti­on und Anpas­sung began­nen sich auch in der redak­tio­nel­len Arbeit und Zusam­men­set­zung des Mit­ar­bei­ter­sta­bes aus­zu­wir­ken. Es wur­de von Jahr zu Jahr schwie­ri­ger, Autoren zu fin­den, vor allem Autoren, die kei­ne Trotz­kis­ten und bereit waren, zu aktu­el­len innen­po­li­ti­schen The­men etwas zu schrei­ben. So wur­de die SOPO gegen den Wil­len der Trotz­kis­ten zu einem fast aus­schließ­lich von ihnen her­aus­ge­ge­be­nen und geschrie­be­nen Blatt. Das führ­te letz­ten Endes zu dem Ent­schluß, das Blatt auf­zu­ge­ben und eine Fusi­on mit express inter­na­tio­nal zu vollziehen.

Zum Zeit­punkt der Ver­ei­ni­gung mit express – im Novem­ber 1966 – bestand die Redak­ti­on der SOPO aus fol­gen­den Mit­glie­dern: W. Abend­roth, H. Dah­mer, H. Grze­ski, Anton Hess­ler [d. i. R. Segall], Paul Neiß [d. i. J. Mone­ta], Bert­hold Schel­ler, Peter Schuh und Wal­ter Steen [d. i. G. Jung­clas]. (Auch in die­ser Auf­zäh­lung fin­den sich noch eini­ge Pseud­ony­me.) Der Arti­kel, mit dem sich die Redak­ti­on der SOPO von ihren Lesern ver­ab­schie­de­te und der sich wie ein „ent­ris­ti­sches Ver­mächt­nis“ liest, wur­de eben­falls von einem Trotz­kis­ten geschrie­ben.2

Immer­hin hat die SOPO als ein­zi­ges unab­hän­gi­ges lin­kes Blatt 12 Jah­re über­dau­ert, eine Insel im Meer des Anti­kom­mu­nis­mus, der „Libe­ra­li­sie­rung“ und Ent­po­li­ti­sie­rung der orga­ni­sier­ten Arbei­ter und Ange­stell­ten. Ande­ren lin­ken Blät­tern oder Blätt­chen, wie der von Vik­tor Agartz3 her­aus­ge­ge­be­nen, sehr lesens­wer­ten WISO, der Arbei­ter­po­li­tik, her­aus­ge­ge­ben von Theo Berg­mann (Grup­pe Arbei­ter­po­li­tik) und den Fun­ken von Fritz Lamm (Stutt­gart)4 ist schon frü­her der Atem aus­ge­gan­gen. (Die Fun­ken hat­ten bereits im August 1959 ausgefunkt.)

Zur WISO gab es gewis­se Kon­tak­te über Theo Pir­ker, auch ließ Agartz sich ab und zu her­bei, der SOPO ein Scherf­lein zukom­men zu las­sen. Die Ver­bin­dung zu [den] Fun­ken und Fritz Lamm, die mehr von all­ge­mei­ner Soli­da­ri­tät als von poli­ti­scher oder tak­ti­scher Gemein­sam­keit getra­gen war, blieb ohne Rele­vanz. Das Ver­hält­nis zur Arbei­ter­po­li­tik war und blieb, wegen der sta­li­no­iden und ziem­lich unbe­weg­li­chen poli­ti­schen Hal­tung ihrer Trä­ger, trotz guter per­sön­li­cher Bezie­hun­gen, immer recht kühl bis skeptisch.

Kal­ter Krieg und Wirtschaftswunder
In der Geburts­stun­de der SOPO war die poli­ti­sche Land­schaft gekenn­zeich­net durch eine zuneh­men­de wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Kon­so­li­die­rung und Kräf­ti­gung des deut­schen Kapi­ta­lis­mus und sei­nes Groß­bür­ger­tums (die pro­mi­nen­ten Wehr­wirt­schafts­füh­rer und Wirt­schafts­ka­pi­tä­ne des „Drit­ten Rei­ches“ waren an die Hebel wirt­schaft­li­cher Macht zurück­ge­kehrt). Mit dem im Gefol­ge des Korea­krie­ges begin­nen­den wirt­schaft­li­chen Auf­schwung – dem deut­schen „Wirt­schafts­wun­der“ – stieg der Lebens­stan­dard, die Ent­po­li­ti­sie­rung der Arbei­ter­schaft wuchs, die Gewerk­schaf­ten ten­dier­ten, zumin­dest in ihrer Pra­xis, zur „Sozi­al­part­ner­schaft“, und die SPD drif­te­te immer wei­ter nach rechts. Dem stand zu Anfang der 60er Jah­re eine zuneh­men­de Radi­ka­li­sie­rung der Jugend, ins­be­son­de­re der aka­de­mi­schen, gegen­über, die immer mehr durch aus­ge­spro­che­ne Tra­di­ti­ons- und Orga­ni­sa­ti­ons­feind­lich­keit geprägt war (die Par­tei­en haben alle ver­sagt; trau’ kei­nem über 30; die Arbei­ter­klas­se ist kein poten­ti­el­ler poli­ti­scher Fak­tor mehr).

Auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne bestimm­te der „Kal­te Krieg“” die Bezie­hun­gen zwi­schen den bei­den Super­mäch­ten und ihrem Gefol­ge. Der Sieg der chi­ne­si­schen Revo­lu­ti­on, der gegen die poli­ti­schen Zie­le Sta­lins und der KPdSU errun­gen wur­de, und der Abfall Jugo­sla­wi­ens von Mos­kau kün­dig­ten den Zer­fall des abso­lu­ten Herr­schafts- und Füh­rungs­an­spruchs der UdSSR und der KPdSU im „sozia­lis­ti­schen Lager“ an. Der Korea­krieg ende­te mit einem Patt und der Tei­lung des Lan­des (1953). In der Peri­ode des all­mäh­lich wach­sen­den Kon­sen­sus zwi­schen den USA und der UdSSR (Aner­ken­nung von Ein­fluß­sphä­ren) ent­fal­te­te sich die Kolo­ni­al­re­vo­lu­ti­on. Ihre mar­kan­tes­ten Zei­chen setz­te sie in Dien Bien Phu und in dem Beginn des Befrei­ungs­kriegs in Alge­ri­en (1954). Die Suez­kri­se bezeich­ne­te mit der Demons­tra­ti­on der Ohn­macht der „alten, klei­nen“ kapi­ta­lis­ti­schen Mäch­te das unüber­seh­ba­re Ende einer über­hol­ten Form impe­ria­lis­ti­scher Herrschaft.

Die von den Gewerk­schaf­ten halb­her­zig geführ­te Aus­ein­an­der­set­zung um den Inhalt des Betriebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes bescher­te den Arbeit­neh­mern die zwei­fel­haf­te Frucht der Mit­be­stim­mung im Mon­tan­be­reich, die sich weit­ab von der betrieb­li­chen Pra­xis eta­blier­te und ihre Man­dats­trä­ger korrumpierte.

Die SOPO hat sich in vie­len Arti­keln mit dem Pro­blem der Mit­be­stim­mung aus­ein­an­der­ge­setzt. Ein Grund­satz­ar­ti­kel von Georg Jung­clas, der im April 1966 erschien und sich sehr gründ­lich mit die­ser Fra­ge befaß­te5, dien­te in eini­gen unte­ren und mitt­le­ren Orga­ni­sa­ti­ons­ebe­nen der IG Metall und der IG Tex­til in Bay­ern als Schu­lungs­ma­te­ri­al. The­se des Arti­kels: Die Mit­be­stim­mung soll Hebel zum Fern­ziel „Arbei­ter­kon­trol­le der Pro­duk­ti­on“ werden.

Mit der Nie­der­la­ge der Arbei­ter­be­we­gung im Kampf gegen die Remi­li­ta­ri­sie­rung – 1956 Wie­der­ein­füh­rung der all­ge­mei­nen Wehr­pflicht, 1955 Auf­nah­me der BRD in die NATO – und mit dem Beginn des Auf­baus der Bun­des­wehr unter Strauß als Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter (1956) war eine Zäsur gesetzt, die ihre bei­na­he logi­sche Krö­nung im sym­bo­lisch zu wer­ten­den Ver­bot der KPD fand (1956). Der Anti­kom­mu­nis­mus fei­er­te wah­re Triumphe.

Die Ent­wick­lung der DDR zum „ers­ten sozia­lis­ti­schen Staat auf deut­schem Boden“ ver­lief bei­na­he zwangs­läu­fig in Rich­tung einer per­ma­nen­ten „Ent­frem­dung“ der bei­den Tei­le Deutsch­lands. Jeder Zug der West­mäch­te zur Inte­gra­ti­on der BRD in das west­li­che Wirt­schafts- und Pakt­sys­tem wur­de von der UdSSR mit einem Gegen­zug beant­wor­tet. Nach­dem die SPD die gro­ße Chan­ce, eine Wen­de zu erzwin­gen und das Wie­der­ver­ei­ni­gungs­an­ge­bot Sta­lins zum Kern­stück einer akti­ven Anti-Ade­nau­er-Deutsch­land­po­li­tik zu machen, nicht nur ver­säumt, son­dern sabo­tiert hat­te, war die his­to­ri­sche Ent­schei­dung gefal­len (SOPO, Juni 1955: „Ollen­hau­er muß nach Mos­kau“; Juli 1955: „Ein­zi­ge Chan­ce – deut­sche Neutralitätspolitik“).

Die mas­sen­haf­te Abwan­de­rung von DDR-Bür­gern nach dem Wes­ten Deutsch­lands wur­de zu einem ernst­haf­ten Pro­blem für den Wie­der­auf­bau der DDR. Das Ulb­richt-Regime „lös­te“ die­ses Pro­blem durch die Errich­tung von Sperr­zo­nen und Sta­chel­draht­zäu­nen ent­lang der Gren­ze zur BRD (1952); ein Jahr­zehnt spä­ter (1961) wur­de die Ber­li­ner Mau­er gebaut.

1953 durch­brach die gären­de Unzu­frie­den­heit die Däm­me der büro­kra­ti­schen Dik­ta­tur, wahr­schein­lich begüns­tigt durch Frak­ti­ons­kämp­fe inner­halb der rus­si­schen Füh­rung. Es kam zu dem von rus­si­schen Trup­pen nie­der­ge­schla­ge­nen Juni-Auf­stand in Ber­lin und vie­len ande­ren Städ­ten der DDR. Das Jahr der durch die rus­si­sche „Bedro­hung“ beschleu­nig­ten Auf­nah­me der Bun­des­re­pu­blik in die NATO (1955) war auch das Jahr der Auf­stel­lung der Volks­ar­mee in der DDR und ihrer Ein­glie­de­rung in den neu geschaf­fe­nen War­schau­er Pakt.

Man muß die­sen klei­nen Aus­schnitt aus der Nach­kriegs­ge­schich­te Revue pas­sie­ren las­sen, um sich eine wirk­lich­keits­na­he Vor­stel­lung von der poli­ti­schen Groß­wet­ter­la­ge und dem poli­tisch-mora­li­schen Druck zu machen, unter dem die Redak­teu­re, Mit­ar­bei­ter und Ver­tei­ler der SOPO stan­den. Wur­de in der SOPO eine Lan­ze für den Sozia­lis­mus gebro­chen, so kam von „drü­ben“ eine Hiobs­bot­schaft nach der ande­ren. Wur­de die DDR als grund­sätz­lich pro­gres­si­ve Gesell­schafts­for­ma­ti­on ver­tei­digt, so folg­te ein Schlag gegen die oppo­si­tio­nel­le Lin­ke in der SED. Wur­de der Kapi­ta­lis­mus trotz deut­schem Wirt­schafts­wun­der als kri­sen­an­fäl­li­ge und inhu­ma­ne Gesell­schaft des Klas­sen­kamp­fes und der sozia­len Ungleich­heit denun­ziert, so gewann infol­ge des per­ma­nent stei- gen­den Lebens­stan­dards die Sozi­al­part­ner­schaft in der Poli­tik der Gewerk­schafts­füh­rung stän­dig an Boden. Wur­de der Impe­ria­lis­mus – ins­be­son­de­re der ame­ri­ka­ni­sche – wegen sei­ner aggres­si­ven Groß­macht­po­li­tik der Kriegs­trei­be­rei [beschul­digt] und wur­den sei­ne kri­mi­nel­len Geheim­dienst­ak­ti- vitä­ten in der Drit­ten Welt von der SOPO ange­grif­fen, so mar­schier­ten die Trup­pen der UdSSR [1956] in Ungarn ein, um die räte­de­mo­kra­ti­sche Revo­lu­ti­on nie­der­zu­schla­gen und so wei­ter und so fort.

Die SOPO war bemüht, trotz des beschei­de­nen Umfangs ihrer 12 Sei­ten und der Dürf­tig­keit ihrer redak­tio­nel­len und finan­zi­el­len Mit­tel die Ereig­nis­se kri­tisch zu kom­men­tie­ren, wobei es galt, Prio­ri­tä­ten zu set­zen, um einer­seits der Aktua­li­tät und ande­rer­seits der gestell­ten Auf­ga­be gerecht zu werden.

Die von der SOPO in den ers­ten Jah­ren ihres Bestehens behan­del­ten The­men geben, wie das bis 1961 vor­lie­gen­de Regis­ter6 zeigt, ein recht anschau­li­ches Bild von der jour­na­lis­ti­schen Arbeit der SOPO-Redak­ti­on und ihrer Mit­ar­bei­ter sowie von der Gewich­tung der The­ma­tik: Es gab über­wie­gend innen­po­li­ti­sche The­men, ohne daß die inter­na­tio­na­le Poli­tik dabei zu kurz kam.

Für die SPD- und Gewerkschaftskader
Die Ziel­grup­pe, für die die SOPO in ers­ter Linie geschrie­ben wur­de, waren die unte­ren und mitt­le­ren Funk­tio­närs­ka­der der SPD und der Gewerk­schaf­ten sowie Betriebs­rä­te und Ver­trau­ens­leu­te in Großbetrieben.

Die Beschlüs­se des Godes­ber­ger Par­tei­tags der SPD von 1959 stell­ten der poli­ti­schen und tak­ti­schen Arbeit der SOPO immer grö­ße­re Hin­der­nis­se in den Weg. Den­noch setz­te die SOPO ihren Wider­stand gegen die Ent­po­li­ti­sie­rung der Arbeit­neh­mer und gegen die Ver­teu­fe­lung des Sozia­lis­mus-Kom­mu­nis­mus fort. Die Unver­ein­bar­keits­er­klä­rung [der SPD] gegen den SDS (1961) und die Bil­dung der Gro­ßen Koali­ti­on [aus CDU/CSU und SPD] (1966) gaben der Orga­ni­sa­ti­ons­feind­lich­keit der radi­ka­len Jugend wei­te­re Nah­rung und erschwer­ten es der SOPO, auf die­sen poli­tisch beson­ders wich- tigen Teil der Jugend einen ins Gewicht fal­len­den Ein­fluß zu gewin­nen. Den­noch gab es per­sön­li­che und auch eini­ge „offi­ziö­se“ Ver­bin­dun­gen zu füh­ren­den Kadern des SDS. Im Zwei­fel über die wei­te­re Ent­wick­lung des SDS, aus dem Beden­ken, ob ein even­tu­el­les Enga­ge­ment der SOPO für den SDS das Opfer zu erwar­ten­der Sank­tio­nen von Sei­ten der SPD und der Gewerk­schaf­ten auf­wie­gen wür­de, und nicht zuletzt aus dem Wis­sen um die Exis­tenz von Quer­ver­bin­dun­gen eini­ger ein­fluß­rei­cher Per­so­nen inner­halb der SDS-Füh­rung zu sta­li­nis­ti­schen Krei­sen (bis in die Füh­rungs­eta­gen der SED) konn­te sich die Mehr­heit der Redak­ti­on nicht dazu ent­schlie­ßen, die Poli­tik des SDS offi­zi­ell gegen die SPD zu ver­tei­di­gen, wenn sie auch den Unver­ein­bar­keits­be­schluß scharf kri­ti­sier­te und als unde­mo­kra­ti­sches, admi­nis­tra­ti­ves Manö­ver zurück­wies. Als eine Ges­te der Soli­da­ri­tät mit den als posi­tiv ein­ge­schätz­ten Kräf­ten des SDS erklär­ten W. Abend­roth und G. Jung­clas öffent­lich ihre Soli­da­ri­tät mit dem SDS. Bei­de wur­den dar­auf­hin aus der SPD ausgeschlossen.

Im Dezem­ber 1966 ver­ab­schie­de­te sich die SOPO-Redak­ti­on von ihren Lesern.


End­no­ten

1 Aus: Links, 12. Jg., Nr. 118 von Janu­ar 1980, dort unter dem Titel „Sozia­lis­ti­sche Poli­tik 1951[!]-1966“ abge­druckt. Signa­tur: Wil­ly Boepp­le. Der Text wur­de mit dem Manu­skript ver­gli­chen, das sich im Nach­laß Wil­ly Boepp­les befin­det, und ist – mit Anmer­kun­gen − wie­der ver­öf­fent­licht wor­den in: Wolf­gang Alles (Hg.), Gegen den Strom, Tex­te von Wil­ly Boepp­le (1911-1992), Köln 1997, S. 125 ff. Die dama­li­ge Schreib­wei­se wur­de beibehalten.

2 Vgl. „Ver­ei­ni­gung ‚Sozia­lis­ti­sche Poli­tik‘ − ‚Expreß Inter­na­tio­nal‘“; in: SOPO, 13. Jg., Nr. 11/12 von November/Dezember 1966.

3 Vik­tor Agartz (1897-1964), füh­ren­der mar­xis­ti­scher Gewerk­schafts­theo­re­ti­ker nach 1945. 1956 aus dem Gewerk­schafts­ap­pa­rat gedrängt, Grün­dung der Zeit­schrift WISO. 1957 wegen „ver­fas­sungs­feind­li­cher“, „kom­mu­nis­ti­scher“ und „lan­des­ver­rä­te­ri­scher“ Betä­ti­gung ver­haf­tet und ange­klagt, Frei­spruch durch den Bun­des­ge­richts­hof. 1959 aus der SPD ausgeschlossen.

4 Fritz Lamm(1911-1977), Ver­lags­an­ge­stell­ter. 1929 SAJ, 1931 SAP. Nach 1933 wegen sei­ner Wider­stands­tä­tig­keit mehr­fach ver­haf­tet. 1936 Flucht ins Aus­land. 1948 Rück­kehr nach Deutsch­land, SPD-Bei­tritt. Seit 1951 maß­geb­lich an der Her­aus­ga­be der Fun­ken betei­ligt. 1963 aus der SPD ausgeschlossen.

5 Im April 1966 erschien kein der­ar­ti­ger Text. Ver­mut­lich han­del­te es sich um den mit Wal­ter Jung gezeich­ne­ten Arti­kel „Die Mit­be­stim­mung“; in SOPO, 9. Jg., Nr. 8 von August 1962.

6 Das Regis­ter wur­de offen­bar von Wil­ly Boepp­le selbst erstellt. Manu­skript im Nachlaß.


Aus Theo­rie­bei­la­ge Avan­ti² Rhein-Neckar Sep­tem­ber 2024
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