Tarif­run­de Metall und Elek­tro 2022

Hän­de­druck statt Streik“

H. N.

So über­schrieb jeden­falls sehr tref­fend die FAZ vom 19. Novem­ber 2022 ihren Bericht am Tag nach dem Pilot­ab­schluss in Baden-Württemberg.

Azubis bei Alstom-Demo in Mannheim, 2. November 2010. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Azu­bis bei Als­tom-Demo in Mann­heim, 2. Novem­ber 2010. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Die IG Metall (IGM) spricht von einem „Paket aus dau­er­haf­ten Ent­gelt­stei­ge­run­gen um ins­ge­samt 8,5 Pro­zent sowie Infla­ti­ons­aus­gleichs­prä­mi­en von 3.000 Euro in zwei Stu­fen“. Der Ers­te Vor­sit­zen­de der IGM, Jörg Hof­mann, rede­te sogar von einer „spürbare[n] Ent­las­tung ange­sichts der gestie­ge­nen Preise“.

Für Fach­ar­bei­ter in der „Eck­ent­gelt­grup­pe“ EG 7 gebe es über die Lauf­zeit von 24 Mona­ten rund 7.000 Euro mehr. Davon sei­en 4.000 Euro dau­er­haft und 3.000 Euro „steu­er- und abgabenfrei“.

Die ers­te Stu­fe der „Infla­ti­ons­aus­gleichs­prä­mie“ von 1.500 Euro net­to (Aus­zu­bil­den­de 550 Euro) soll bis Ende Febru­ar 2023 aus­ge­zahlt wer­den, die zwei­te in glei­cher Höhe Anfang 2024.

Etli­che Schwachpunkte
Der Haken bei der Sache ist, dass die­ses Geld nicht zu einer tabel­len­wirk­sa­men, dau­er­haf­ten Erhö­hung der Ent­gel­te führt. Zudem ent­puppt sich der schein­ba­re kurz­fris­ti­ge Vor­teil der Steu­er- und Abga­ben­be­frei­ung als lang­fris­ti­ger Nach­teil. Er führt näm­lich zu Min­de­run­gen bei der Berech­nung der Sozi­al­leis­tun­gen für die Beschäf­tig­ten (Kran­ken­geld, Arbeits­lo­sen­geld, Ren­te …). Dage­gen spa­ren die Kapi­ta­lis­ten ihre ent­spre­chen­den „Arbeit­ge­ber­an­tei­le“.

Im Juni 2023 stei­gen die tabel­len­wirk­sa­men Tari­fent­gel­te um 5,2 %, im Mai 2024 um wei­te­re 3,3 %. Die Lauf­zeit des Tarif­ver­trags endet am 30. Sep­tem­ber 2024.

Nur wer genau nach­rech­net und sich für die Fol­gen die­ses Abschlus­ses inter­es­siert (sie­he die Bei­spiel­rech­nung im Kas­ten), wird nicht zufrie­den sein.

Die aktu­el­len Ent­gelt­ta­bel­len gel­ten näm­lich seit dem 1. April 2018 unver­än­dert und wer­den erst im Juni 2023 wie­der erhöht. Das heißt, es gibt dann seit 62 Mona­ten einen mas­si­ven Real­lohn­ver­lust, der durch die jet­zi­ge Rekord­in­fla­ti­on noch ver­stärkt wird.

Lan­ge Laufzeit
Durch die lan­ge Lauf­zeit des neu­en Tarif­ver­trags ist ein kurz­fris­tig erfor­der­li­cher Lohn­nach­schlag für ein Lin­sen­ge­richt ver­kauft wor­den. Das ist einer der Haupt­feh­ler des jet­zi­gen Abschlusses.

Die IGM-Füh­rung hat schon vor der „hei­ßen“ Pha­se der Tarif­run­de erklärt, dass Tarif­po­li­tik allein nicht die Real­lohn­ver­lus­te durch die galop­pie­ren­de Infla­ti­on aus­glei­chen kön­ne. Es sei auch poli­ti­sches Han­deln erfor­der­lich. Das ist nicht falsch, wur­de aber letzt­lich als Hilfs­ar­gu­ment für das Akzep­tie­ren eines „gedämpf­ten“ Real­lohn­ver­lus­tes missbraucht.

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Ent­wick­lung der Ent­gel­te in der Metallindustrie.

Zudem gibt es kei­ne mas­sen­haf­te poli­ti­sche Mobi­li­sie­rung der IGM (und der ande­ren Gewerk­schaf­ten) auf den Stra­ßen und in den Betrie­ben gegen die Ursa­chen der Preis­trei­be­rei. Die Kos­ten des aktu­el­len Kri­sen­knäu­els müs­sen end­lich durch die immer grö­ße­ren Ver­mö­gen der Rei­chen und Super­rei­chen sowie die Rekord­ge­win­ne der Kon­zer­ne gedeckt wer­den. Das ist aber nur gegen die Ampel-Regie­rung und die geball­te Macht des Kapi­tals zu erreichen.

Im Unter­schied zu den Gewerk­schaf­ten ver­fol­gen die Kapi­tal­ver­bän­de sehr kon­se­quent ihre stra­te­gi­schen Pro­jek­te. Neben der wei­te­ren Fle­xi­bi­li­sie­rung der Arbeits­zei­ten und der Ent­gel­te ist das die wei­te­re Schwä­chung der Flä­chen­ta­rif­ver­trä­ge und der ver­blie­be­nen Gegen­macht der Gewerkschaften.

Stra­te­gi­sche Streik­ver­mei­dung
Der Klas­sen­kampf von oben und das aggres­si­ve Vor­ge­hen von Gesamt­me­tall in der Tarif­run­de 2022 bele­gen, dass die IG Metall mit ihrer anhal­ten­den Stra­te­gie der Streik­ver­mei­dung sich letzt­end­lich selbst schwächt.

Die gro­ßen Warn­streik­wel­len mit bun­des­weit über 900.000 Metal­le­rin­nen und Metal­lern haben erst Bewe­gung in die Tarif­ver­hand­lun­gen gebracht. Vor allem die Kern­schich­ten der IGM in der Pro­duk­ti­on waren zu mehr bereit.

Der „letz­te Ver­such für eine Ver­hand­lungs­lö­sung“ am 17. Novem­ber in Lud­wigs­burg war beglei­tet von der Ankün­di­gung der IGM, dass im Fal­le des Schei­terns zu 48-Stun­den­streiks und danach in meh­re­ren Bezir­ken zur Urab­stim­mung und unbe­fris­te­tem Streik auf­ge­ru­fen werde.

Das brach­te zwar in letz­ter Minu­te ein (schwa­ches) Ver­hand­lungs­er­geb­nis, vor allem aber blieb erneut eine gro­ße Chan­ce unge­nutzt. Ein Erzwin­gungs­streik hät­te das Kräf­te­ver­hält­nis zuguns- ten der Gewerk­schaft geän­dert. Er hät­te end­lich wie­der drin­gend not­wen­di­ge Kampf­erfah­run­gen ermög­licht und dadurch das Selbst­be­wusst­sein von zehn­tau­sen­den Metal­le­rin­nen und Metal­lern gestärkt.

Wie heißt es doch: Nur wer kon­se­quent kämpft, kann gewin­nen. Wer nicht oder nur halb­her­zig kämpft, hat schon verloren.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Dezem­ber 2022
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