Ein Gespräch mit Betriebsräten
Wenn KapitalistInnen Unternehmen verkaufen, Arbeitsplätze vernichten oder unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen angreifen, dann hilft nur die gemeinsame Gegenwehr von unten (siehe hierzu Avanti² Nr. 57 von Mai 2019). Wir haben mit Betriebsratsmitgliedern aus drei Chemie- und Metallbetrieben über ihre Situation, ihre Befürchtungen und Hoffnungen gesprochen.*
Wie sieht die derzeitige Entwicklung im Unternehmen aus?
Clara: Wir wurden bereits verkauft. Derzeit soll uns eine neue „Unternehmenskultur“ eingeimpft werden. Gleichzeitig beginnen Umstrukturierungen: Verwaltung, IT-Abteilung, Einkauf, Marketing usw. sollen in die jeweiligen Strukturen des Käuferkonzerns „integriert“ werden. Das wird ziemlich sicher Arbeitsplätze bei uns vernichten. Ein weiteres Problem ist, dass unser Betrieb jetzt vom Konzern „ferngesteuert“ wird. Das entscheidende Management sitzt nicht mehr an unserem Standort. Die Unternehmensvertreter, mit denen wir verhandeln, haben nur noch geringe, vom Konzern vorgegebene Spielräume.
Kevin: Wir hatten die letzten Monate die Befürchtung, dass ein Verkauf bevorsteht. Aktuelle scheint der Verkauf vom Tisch. Vielmehr will man das Unternehmen „optimieren“. Auf allen Ebenen will man die Effizienz und damit den Profit zu steigern. Vielleicht um einen höheren Verkaufspreis zu erzielen. Wir wissen es nicht.
Heiko: Wir wurden vor Jahren zerschlagen und verkauft. Der verbliebene Rest erfuhr und erfährt immer wieder neue Umstrukturierungen und Veränderungen. Derzeit herrscht eine trügerische Ruhe. Auch in den verkauften Unternehmensteilen gibt es keine Ruhe mehr. Vielmehr ist ein permanenter Optimierungs- und Weiterverkaufsdruck zu spüren.
Was sind Eure persönlichen Befürchtungen?
Clara: Im schlimmsten Fall eine Schließung des Standortes, aber auf jeden Fall den Verlust von vielen Arbeitsplätzen.
Kevin: Im Rahmen der Umstrukturierung Personalabbau und Entlassungen und danach vielleicht doch ein Verkauf.
Heiko: Der Arbeitsdruck wird wohl weiter gesteigert werden. Unklar ist immer noch, welche strategische Ausrichtung die Konzernleitung für das Unternehmen plant. Deshalb ist bisher auch überhaupt nicht erkennbar, welche Rolle unser Standort in Zukunft spielen wird und was mit uns Beschäftigten passieren soll.
Nimmt die Belegschaft die Veränderungen wahr?
Clara: Obwohl eine gewisse Anspannung und Unsicherheit spürbar ist, herrscht insgesamt eine abwartende Ruhe.
Kevin: Die meisten Kolleginnen und Kollegen glauben nicht so recht, dass Verschlechterungen auf uns zukommen werden.
Heiko: Derzeit herrscht bei uns Ruhe. Aber die Folge der Maßnahmen der letzten Jahre ist Unsicherheit bezüglich der Zukunft und Unzufriedenheit über gesteigerten Arbeitsdruck sowie das verschlechterte Betriebsklima.
Was tut der Betriebsrat angesichts der Entwicklung?
Clara: Der Betriebsrat ist in seiner großen Mehrheit mit der Situation überfordert.
Kevin: Der Betriebsrat versucht, die Belegschaft über die drohenden Gefahren aufzuklären. Aber so richtig will man ihm nicht glauben.
Welche Haltung hat Eure Gewerkschaft?
Clara: Die Verantwortlichen setzen auf vertrauensvolle Zusammenarbeit und wollen die Veränderungen nicht verhindern, sondern mitgestalten. Dies wird zwar von unseren Vertrauensleuten zum Teil anders gesehen, aber sie sind nicht wirklich in der Lage zu eigenständiger Aktion. Die VL haben mit einer Unterschriftenliste eine Standortsicherungsvereinbarung gefordert, aber mehr war bislang nicht drin.
Kevin: Unsere Gewerkschaft lässt uns schlichtweg hängen.
Gibt es unabhängige Initiativen zur Gegenwehr seitens Eurer KollegInnen?
Clara: Nein. Bis auf die erwähnte Unterschriftensammlung gibt es keine Eigeninitiative.
Kevin: Nein. Aber wir haben bisher auch nicht versucht, entsprechende Initiativen zu starten.
Heiko: Es gab solche Initiativen. Aber inzwischen sitzt der Frust so tief, dass es schwierig ist, die ehemals Aktiven wieder zu reaktivieren.
Gibt es bei Euch einen „kämpferischen Kern“ von Aktiven, der den Widerstand organisiert?
Clara: Es gibt einen kleinen Kreis, der im Betriebsrat und im Vertrauensleutekörper arbeitet. Aber von einem wirklichen stabilen Kern sind wir noch ein ziemliches Stück entfernt.
Kevin: Es gibt einen Kern, der im Betriebsrat aktiv ist und der versucht, seine Arbeit zu diskutieren und zu koordinieren. Dieser Kern ist für uns alle extrem wichtig. Wir stehen ja im Dauerkonflikt mit dem Unternehmen und teilweise auch mit unserer Gewerkschaft. Ohne diesen Kern hätte wir viel weniger Wirkung, und ehrlicherweise würde ich das alles ohne diesen Kern nicht durchhalten.
Heiko: Naja, es gibt schon einen organisierenden Kern im Betriebsrat. Aber meiner Meinung nach fehlt ihm eine klare politische Orientierung, um dauerhaft wirksam sein zu können.
Organisiert Ihr Öffentlichkeit? Habt Ihr Kontakt zu Medien und PolitikerInnen?
Clara: Nein. Dafür haben wir bislang nicht die Notwendigkeit gesehen.
Kevin: So ist es auch bei uns.
Heiko: Das haben wir im Verlauf der Zerschlagung gemacht. Aber letztendlich konnten wir damit nichts aufhalten. Jedoch glauben wir, dass damit der Druck auf die Unternehmensleitung erhöht werden konnte und wir bessere Bedingungen aushandeln konnten.
Seid Ihr überbetrieblich vernetzt mit anderen Belegschaften und Betriebsräten?
Clara: Ja, zum Teil. Aber es reicht nicht aus und führt nicht zu gemeinsamen Aktionen. Was fehlt sind überbetriebliche gewerkschaftliche Aktionen.
Kevin: Wir drei sind ja zusammen in denselben Komitees. Aber mehr ist zurzeit nicht. Die Gewerkschaften bleiben bei schönen Reden und verbalen Solidaritätserklärungen stehen.
Welche Möglichkeiten seht Ihr?
Kevin: Vielleicht gelingt es uns, die Belegschaft zu mobilisieren. Dann hätten wir die Chance, einen Teil der Verschlechterungen abzuwehren. Zumindest wäre es möglich, neue Kolleginnen und Kollegen in der Gewerkschaft zu organisieren und von der Notwendigkeit gemeinsamer Gegenwehr zu überzeugen. Das wäre ein wichtiger Schritt und wir könnten so wenigstens die Vertrauensleute und den Betriebsrat stärken. Und wir wären damit bei den nächsten Angriffen besser aufgestellt.
Heiko: Wir müssen erstmal den Betriebsrat und die Vertrauensleute reorganisieren. Vorher sehe ich keine Möglichkeit dauerhafter und erfolgreicher Gegenwehr.
* [Die Fragen stellte U.D., die Namen der GesprächsteilnehmerInnen wurden aus Datenschutzgründen geändert.]