Interview mit Bernd Köhler
Wir sprachen mit dem Mannheimer Künstler über seine Inszenierung „O Heiland, reiss die Himmel auf” und darüber, was Karl Marx uns heute noch zu sagen hat.
Du hast gemeinsam mit ewo² im letzten November die Veranstaltung „1917 – Als sich alles änderte” musikalisch begleitet und vor allem den beeindruckenden Abend „O Heiland, reiß die Himmel auf“ zu Luther und Müntzer organisiert. Was motiviert Dich, die künstlerische Auseinandersetzung mit einer scheinbar lange zurückliegenden Vergangenheit zu suchen?
Ich denke, man kann die Heutzeit mit ihren wachsenden Unsicherheiten und politischen Abgründen nur verstehen und einordnen, wenn man auch etwas über die Mensch-heitsgeschichte überhaupt weiß. Ich verbinde also meine eigene historische Erkenntnisarbeit mit künstlerischen Projekten die, wie ich hoffe, auch anderen Menschen einen sinnlichen und sinnigen Zugang zu historischen Themen verschaffen, inklusive der Bezüge zur Heutzeit.
Gerade das 16. Jahrhundert, mit seinen gewaltigen religiösen, technologischen, politischen und kulturellen Um- und Aufbrüchen hat viele Parallelen zu unserer heutigen Epoche. In der Aufführung ging es mir darum, den Widerspruch zwischen einem reformatorischen und einem revolutionär-radikalen Ansatz politischer Veränderung herauszuarbeiten. Mit einer Montage authentischer Aussagen, mit Liedern, Bildern und historischen Dokumenten. Als Lehrstück darüber, wie und warum sich Menschen so oder so in gesellschaftlichen Umbrüchen verhalten. Konkret ging es um das Verhältnis von Luther und Müntzer gegenüber den revoltierenden Bauern und Luthers Schwenk von einem Verständnis für die Aufständischen zu deren Todfeind.
Ist die Niederschlagung der Bauernaufstände des 16. Jahrhunderts durch die damals Herrschenden oder die Vernichtung des freiheitlichen Erbes der Oktoberrevolution durch den Stalinismus kein Grund, sich von Aufbruchsversuchen hin zu einer Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu verabschieden?
Es war eine Grundbotschaft der Inszenierung, dass es ohne den Aufstand der Bauern, ohne die Organisationsformen, die sie in diesen Auseinandersetzungen entwickelten und ohne deren gewachsenes demokratisches Selbstbewusstsein, das sich u. a. in den „12 Artikeln” formulierte, dass es also ohne diese kulturelle und politische Vorlage des 16. Jahrhunderts keine Aufklärung, keine französische Revolution, kein 1848 und keine Oktoberrevolution gegeben hätte. Die demokratischen Errungenschaften die wir heute haben, sind auch ein Ergebnis dieser Aufstände und Revolutionen. Was unsere derzeit dominierende Wirtschafts- und Gesellschaftsform betrifft, so farbenfroh leicht und beschwingt der Kapitalismus sich auch gibt, so lecker er beim ersten Bissen schmeckt, ist und bleibt er doch ein ganz schlechter Wechsel auf ein menschenwürdiges Leben oder eine friedliche Zukunft. Ist er doch die Ursache stetiger Zerstörung, Unruhe und Ungewissheit. Daraus generiert sich das „Immer Mehr” an Profit. Die Kolleginnen und Kollegen von GE, früher Alstom, in Mannheim, können ein Lied von dieser Unlogik singen. Das Elend der Arbeitendenbewegung war, dass sie es nie geschafft hat ihre Ideale über längere Zeit real umzusetzen, entweder weil sie sich korrumpieren lies oder weil sie gewaltsam niedergeschlagen wurde.
Nun stehen in der nächsten Zeit weitere historische Jubiläen an – zum Beispiel der 200. Geburtstag von Karl Marx oder 100 Jahre Novemberrevolution. Hast Du in diesem Zusammenhang auch wieder künstlerische Pläne?
Zum 200. Geburtstag von Karl Marx unterstütze ich aktiv die Initiative für einen bunt-aufklärerischen Festumzug durch den Mannheimer Stadtteil Almenhof, der durch Strassennamen die sich auf die Revolution von 1848 beziehen, geprägt ist. Die Idee ist, dass viele Menschen, Gruppen, Organisationen, die mit der Systemkritik von Marx etwas anfangen können, ihre Ansichten und Ideen in der Art einer künstlerischen Intervention auf die Straße bringen. Also nicht einfach nur Demo, sondern anschaulicher, illustrierter, satirischer, grotesker und bunter. Mit kleinen Objekten, Fahnen, mobilen Inszenierungen, Masken, Schwellköpfen oder Puppen, auf Stelzen oder mit Rettungsreifen. Hauptsache im Bezug zu Aussagen von Karl Marx. Dazu Schallmeienmusik, gesprochene oder gesungene Chöre usw. Das Grundmotto der Aktion, nach einem Zitat von Karl Marx – „Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!” –, bietet ja schon jede Menge Anregung.
Feiern wir also am 6. Mai ein besonderes Geburtstagsfest für einen besonderen Menschen. Einen Revolutionär, der mit seinen Erkenntnissen und Ideen nicht nur die Ökonomie und Philosophie radikal veränderte, sondern auch gemäß seinem Motto – „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern!” – selbst aktiv dafür eintrat.
Beginn der Aktion ist am 6. Mai, 15 Uhr an der Ecke Freiheitsplatz/Karl-Marx-Straße. Der Umzug endet auf dem Achtundvierziger Platz, benannt nach der Revolution von 1848, in der Mitte des Almenhofs.
[Die Fragen stellte W.A.]
aus der Rhein-Neckar Beilage zur Avanti Mai 2018