Von Münt­zer zu Marx

Inter­view mit Bernd Köhler

 

Wir spra­chen mit dem Mann­hei­mer Künst­ler über sei­ne Insze­nie­rung „O Hei­land, reiss die Him­mel auf” und dar­über, was Karl Marx uns heu­te noch zu sagen hat.

Du hast gemein­sam mit ewo² im letz­ten Novem­ber die Ver­an­stal­tung „1917 – Als sich alles  änder­te” musi­ka­lisch beglei­tet und vor allem den beein­dru­cken­den Abend „O Hei­land, reiß die Him­mel auf“ zu Luther und Münt­zer orga­ni­siert. Was moti­viert Dich, die künst­le­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit einer schein­bar lan­ge zurück­lie­gen­den Ver­gan­gen­heit zu suchen? 

Bernd Köhler am 16.01.2018 im Mannheimer Gewerkschaftshaus

Bernd Köh­ler am 16.01.2018 im Mann­hei­mer Gewerk­schafts­haus (Foto: Avanti²)

Ich den­ke, man kann die Heut­zeit mit ihren wach­sen­den Unsi­cher­hei­ten und poli­ti­schen Abgrün­den nur ver­ste­hen und ein­ord­nen, wenn man auch etwas über die Mensch-heits­ge­schich­te über­haupt weiß. Ich ver­bin­de also mei­ne eige­ne his­to­ri­sche Erkennt­nis­ar­beit mit künst­le­ri­schen Pro­jek­ten die, wie ich hof­fe, auch ande­ren Men­schen einen sinn­li­chen und sin­ni­gen Zugang zu his­to­ri­schen The­men ver­schaf­fen, inklu­si­ve der Bezü­ge zur Heutzeit.
Gera­de das 16. Jahr­hun­dert, mit sei­nen gewal­ti­gen reli­giö­sen, tech­no­lo­gi­schen, poli­ti­schen und    kul­tu­rel­len Um- und Auf­brü­chen hat vie­le Par­al­le­len zu unse­rer heu­ti­gen Epo­che. In der Auf­füh­rung ging es mir dar­um, den Wider­spruch zwi­schen einem refor­ma­to­ri­schen und einem revo­lu­tio­när-radi­ka­len Ansatz poli­ti­scher Ver­än­de­rung her­aus­zu­ar­bei­ten. Mit einer Mon­ta­ge authen­ti­scher Aus­sa­gen, mit Lie­dern, Bil­dern und his­to­ri­schen Doku­men­ten. Als Lehr­stück dar­über, wie und war­um sich Men­schen so oder so in gesell­schaft­li­chen Umbrü­chen ver­hal­ten. Kon­kret ging es um das Ver­hält­nis von Luther und Münt­zer gegen­über den revol­tie­ren­den Bau­ern und Luthers Schwenk von einem Ver­ständ­nis für die Auf­stän­di­schen zu deren Todfeind.

Ist die Nie­der­schla­gung der Bau­ern­auf­stän­de des 16. Jahr­hun­derts durch die damals Herr­schen­den oder die Ver­nich­tung des frei­heit­li­chen Erbes der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on durch den Sta­li­nis­mus kein Grund, sich von Auf­bruchs­ver­su­chen hin zu einer Welt ohne Aus­beu­tung und Unter­drü­ckung zu verabschieden?

Es war eine Grund­bot­schaft der Insze­nie­rung, dass es ohne den Auf­stand der Bau­ern, ohne die Orga­ni­sa­ti­ons­for­men, die sie in die­sen Aus­ein­an­der­set­zun­gen ent­wi­ckel­ten und ohne deren gewach­se­nes demo­kra­ti­sches Selbst­be­wusst­sein, das sich u. a. in den „12 Arti­keln” for­mu­lier­te, dass es also ohne die­se kul­tu­rel­le und poli­ti­sche Vor­la­ge des 16. Jahr­hun­derts kei­ne Auf­klä­rung, kei­ne fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on, kein 1848 und kei­ne Okto­ber­re­vo­lu­ti­on gege­ben hät­te. Die demo­kra­ti­schen Errun­gen­schaf­ten die wir heu­te haben, sind auch ein Ergeb­nis die­ser Auf­stän­de und Revo­lu­tio­nen. Was unse­re der­zeit domi­nie­ren­de Wirt­schafts- und Gesell­schafts­form betrifft, so far­ben­froh leicht und beschwingt der Kapi­ta­lis­mus sich auch gibt, so lecker er beim ers­ten Bis­sen schmeckt, ist und bleibt er doch ein ganz schlech­ter Wech­sel auf ein men­schen­wür­di­ges Leben oder eine fried­li­che Zukunft. Ist er doch die Ursa­che ste­ti­ger Zer­stö­rung, Unru­he und Unge­wiss­heit. Dar­aus gene­riert sich das „Immer Mehr” an Pro­fit. Die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von GE, frü­her Als­tom, in Mann­heim, kön­nen ein Lied von die­ser Unlo­gik sin­gen. Das Elend der Arbei­ten­den­be­we­gung war, dass sie es nie geschafft hat ihre Idea­le über län­ge­re Zeit real umzu­set­zen, ent­we­der weil sie sich kor­rum­pie­ren lies oder weil sie gewalt­sam nie­der­ge­schla­gen wurde.

Aufführung "O Heiland, reiss die Himmel auf" in der Lutherkirche Mannheim an 25.11.2017 (Foto: Helmut-roos@web.de)

Auf­füh­rung “O Hei­land, reiss die Him­mel auf” in der Luther­kir­che Mann­heim an 25.11.2017 (Foto: Helmut-roos@web.de)

Nun ste­hen in der nächs­ten Zeit wei­te­re his­to­ri­sche Jubi­lä­en an – zum Bei­spiel der 200. Geburts­tag von Karl Marx oder 100 Jah­re Novem­ber­re­vo­lu­ti­on. Hast Du in die­sem Zusam­men­hang auch wie­der künst­le­ri­sche Pläne?

Zum 200. Geburts­tag von Karl Marx unter­stüt­ze ich aktiv die Initia­ti­ve für einen bunt-auf­klä­re­ri­schen Fest­um­zug durch den Mann­hei­mer Stadt­teil Almen­hof, der durch Stras­sen­na­men die sich auf die Revo­lu­ti­on von 1848 bezie­hen, geprägt ist. Die Idee ist, dass vie­le Men­schen, Grup­pen, Orga­ni­sa­tio­nen, die mit der Sys­tem­kri­tik von Marx etwas anfan­gen kön­nen, ihre Ansich­ten und Ideen in der Art einer künst­le­ri­schen Inter­ven­ti­on auf die Stra­ße brin­gen. Also nicht ein­fach nur Demo, son­dern anschau­li­cher, illus­trier­ter, sati­ri­scher, gro­tes­ker und bun­ter. Mit klei­nen Objek­ten, Fah­nen, mobi­len Insze­nie­run­gen, Mas­ken, Schwell­köp­fen oder Pup­pen, auf Stel­zen oder mit Ret­tungs­rei­fen. Haupt­sa­che im Bezug zu Aus­sa­gen von Karl Marx. Dazu Schall­mei­en­mu­sik, gespro­che­ne oder gesun­ge­ne Chö­re usw. Das Grund­mot­to der Akti­on, nach einem Zitat von Karl Marx – „Man muss die­se ver­stei­ner­ten Ver­hält­nis­se dadurch zum Tan­zen zwin­gen, daß man ihnen ihre eig­ne Melo­die vor­singt!” –, bie­tet ja schon jede Men­ge Anregung.
Fei­ern wir also am 6. Mai ein beson­de­res Geburts­tags­fest für einen beson­de­ren Men­schen. Einen Revo­lu­tio­när, der mit sei­nen Erkennt­nis­sen und Ideen nicht nur die Öko­no­mie und Phi­lo­so­phie radi­kal ver­än­der­te, son­dern auch gemäß sei­nem Mot­to – „Die Phi­lo­so­phen haben die Welt nur ver­schie­den inter­pre­tiert, es kommt aber dar­auf an, sie zu ver­än­dern!” – selbst aktiv dafür eintrat.

Beginn der Akti­on ist am 6. Mai, 15 Uhr an der Ecke Frei­heits­plat­z/­Karl-Marx-Stra­ße. Der Umzug endet auf dem Acht­und­vier­zi­ger Platz, benannt nach der Revo­lu­ti­on von 1848, in der Mit­te des Almenhofs.

[Die Fra­gen stell­te W.A.]

aus der Rhein-Neckar Bei­la­ge zur Avan­ti Mai 2018

 

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