Trotz­kis Faschismustheorie*

(Ernest Man­del)

 

Trotz­kis Faschis­mus­theo­rie bil­det eine Ein­heit von sechs Ele­men­ten, denen eine gewis­se Auto­no­mie zukommt; jedes durch­läuft auf Grund sei­ner inne­ren Gegen­sät­ze eine bestimm­te Ent­wick­lung, aber sie kön­nen nur als geschlos­se­ne und dyna­mi­sche Tota­li­tät ver­stan­den wer­den und nur in ihrem inne­ren Zusam­men­hang Auf­kom­men, Sieg und Nie­der­gang der faschis­ti­schen Dik­ta­tur erklären.

 

Ernest Mandel (rechts) mit seinen Eltern und seinem Bruder 1937 (Foto aus: S. 5: Foto aus: Gertjan Desmet, „Eine kostbare Kette standhafter Revolutionäre“; in: De Internationale Kommunisten*Deutschlands in Antwerpen en Brussel (1933-1940), Revue Belge d'Histoire contemporaine, XLV 2015 2/3, pp. 80-119)

Ernest Man­del (rechts) mit sei­nen Eltern und sei­nem Bru­der 1937 (Foto aus: S. 5: Foto aus: Gert­jan Des­met, „Eine kost­ba­re Ket­te stand­haf­ter Revo­lu­tio­nä­re“; in: De Inter­na­tio­na­le Kommunisten*Deutschlands in Ant­wer­pen en Brussel (1933-1940), Revue Bel­ge d’His­toire con­tem­po­rai­ne, XLV 2015 2/3, pp. 80-119)

a) Das Auf­kom­men des Faschis­mus ist Aus­druck einer schwe­ren gesell­schaft­li­chen Kri­se des Spät­ka­pi­ta­lis­mus, einer Struk­tur­kri­se, die, wie in den Jah­ren 1929 bis 1933, wohl mit einer klas­si­schen wirt­schaft­li­chen Über­pro­duk­ti­ons­kri­se zusam­men­fal­len kann, aber weit über eine sol­che Kon­junk­tur­schwan­kung hinausgeht.

Es han­delt sich grund­sätz­lich um eine Kri­se der Ver­wer­tungs­be­din­gun­gen des Kapi­tals, d. h. um die Unmög­lich­keit, eine „natür­li­che“ Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on unter den gege­be­nen Kon­kur­renz­be­din­gun­gen auf dem Welt­markt (d. h. auf dem bestehen­den Niveau der Real­löh­ne und der Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät, bei dem bestehen­den Zugang zu Roh­stof­fen und Absatz­märk­ten) fort­set­zen zu können.

Die his­to­ri­sche Funk­ti­on der faschis­ti­schen Macht­er­grei­fung besteht dar­in, die­se Ver­wer­tungs­be­din­gun­gen schlag­ar­tig und gewalt­sam zuguns­ten der ent­schei­den­den Grup­pen des Mono­pol­ka­pi­ta­lis­mus zu ändern.

b) Die poli­ti­sche Herr­schaft des Bür­ger­tums wird unter den Bedin­gun­gen des Impe­ria­lis­mus und der his­to­risch gewach­se­nen, moder­nen Arbei­ter­be­we­gung am güns­tigs­ten – d. h. mit den gerings­ten Unkos­ten – auf dem Wege der bür­ger­lich-par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie aus­ge­übt, die u. a. gleich­zei­tig die Vor­tei­le bie­tet, durch gewis­se Sozi­al­re­for­men die Explo­si­vi­tät der gesell­schaft­li­chen Gegen­sät­ze peri­odisch abbau­en zu kön­nen und einen bedeu­ten­den Sek­tor der bür­ger­li­chen Klas­se direkt oder indi­rekt (über bür­ger­li­che Par­tei­en, Zei­tun­gen, Hoch­schu­len, Unter­neh­mer­ver­bän­de, Kom­mu­nal- und Regio­nal­ver­wal­tungs­or­ga­ne, die Spit­zen des Staats­ap­pa­ra­tes, das Zen­tral­bank­sys­tem usw.) an der Aus­übung der poli­ti­schen Macht zu beteiligen.

Die­se Herr­schafts­form des Groß­bür­ger­tums – his­to­risch gese­hen kei­nes­wegs die ein­zi­ge1 – ist jedoch durch ein sehr labi­les Gleich­ge­wicht von wirt­schaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Kräf­te­ver­hält­nis­sen bedingt. Wird die­ses Gleich­ge­wicht durch die objek­ti­ve Ent­wick­lung zer­schla­gen, dann bleibt dem Groß­bür­ger­tum kaum ein ande­rer Aus­weg als der Ver­such, auch um den Preis der Auf­ga­be der unmit­tel­ba­ren Aus­übung der poli­ti­schen Macht eine höhe­re Form der Zen­tra­li­sie­rung der exe­ku­ti­ven Staats­ge­walt zur Ver­wirk­li­chung sei­ner his­to­ri­schen Inter­es­sen durchzusetzen.

His­to­risch gese­hen ist also der Faschis­mus Ver­wirk­li­chung wie Ver­nei­nung der dem Mono­pol­ka­pi­tal inne­woh­nen­den und von Hil­fer­ding zuerst erkann­ten Ten­den­zen zur tota­li­tä­ren „Orga­ni­sie­rung“ des gesam­ten gesell­schaft­li­chen Lebens in sei­nem Inter­es­se;2 Ver­wirk­li­chung, weil der Faschis­mus letz­ten Endes die­se his­to­ri­sche Funk­ti­on erfüllt hat; Ver­nei­nung, weil er sie, ent­ge­gen den Annah­men Hil­fer­dings, nur durch die weit­ge­hen­de poli­ti­sche Expro­pria­ti­on des Bür­ger­tums selbst erfül­len konn­te.3

Ernest Mandel bei einer Veranstaltung im Rahmen der BUKO-Kampgane gegen IWF und Weltbank in Köln, 19. April 1988 (Foto: copyright Burkhard Maus, Bergisch Gladbach)

Ernest Man­del bei einer Ver­an­stal­tung im Rah­men der BUKO-Kamp­ga­ne gegen IWF und Welt­bank in Köln, 19. April 1988 (Foto: copy­right Burk­hard Maus, Ber­gisch Gladbach)

c) Unter den Bedin­gun­gen des moder­nen indus­tri­el­len Mono­pol­ka­pi­ta­lis­mus und der zah­len­mä­ßig unge­heu­ren Dis­pro­por­ti­on zwi­schen Lohn­ab­hän­gi­gen und Groß­ka­pi­tal­be­sit­zern ist eine sol­che gewalt­sa­me Zen­tra­li­sie­rung der Staats­ge­walt mit Aus­schal­tung der meis­ten (wenn nicht aller) Errun­gen­schaf­ten der moder­nen Arbei­ter­be­we­gung (u. a. jener „Kei­me der pro­le­ta­ri­schen Demo­kra­tie im Rah­men der bür­ger­li­chen Demo­kra­tie“, wie Trotz­ki zu Recht die Orga­ni­sa­tio­nen der Arbei­ter­be­we­gung nennt) prak­tisch mit rein tech­ni­schen Mit­teln unmöglich.

Weder eine Mili­tär­dik­ta­tur noch ein rei­ner Poli­zei­staat – ganz zu schwei­gen von einer abso­lu­tis­ti­schen Mon­ar­chie – ver­fü­gen über zurei­chen­de Mit­tel, um eine mil­lio­nen­star­ke, bewuß­te Gesell­schafts­klas­se für län­ge­re Zeit zu ato­mi­sie­ren, zu ent­mu­ti­gen und zu demo­ra­li­sie­ren, und so einem schon durch das ein­fa­che Spiel der Markt­ge­set­ze peri­odisch begüns­tig­ten Wie­der­auf­fla­ckern wenigs­tens ele­men­ta­rer Klas­sen­kämp­fe vorzubeugen.

Dazu ist eine Mas­sen­be­we­gung not­wen­dig, die ihrer­seits gro­ße Men­schen­men­gen in Bewe­gung bringt, die bewuß­te­ren Tei­le des Pro­le­ta­ri­ats in sys­te­ma­ti­schem Mas­sen­ter­ror, in Klein­krieg und Stra­ßen­krieg zer­mürbt und demo­ra­li­siert und es nach der Macht­über­nah­me durch völ­li­ge Zer­schla­gung der Mas­sen­or­ga­ni­sa­tio­nen nicht nur ato­mi­siert, son­dern auch ent­mu­tigt und resi­gnie­ren lässt.

Die­se Mas­sen­be­we­gung kann es – mit den ihr eige­nen, den Bedürf­nis­sen der Mas­sen­psy­cho­lo­gie ange­pass­ten Metho­den – dann sogar errei­chen, daß nicht nur ein rie­si­ger Appa­rat von Block­war­ten, Stra­ßen­kon­trol­leu­ren, NSBO-Zel­len und ein­fa­chen Spit­zeln die Mas­sen der klas­sen­be­wuß­ten Lohn­ab­hän­gi­gen stän­dig über­wacht, son­dern daß auch ein Teil der weni­ger bewuß­ten Arbei­ter und (vor allem) Ange­stell­ten ideo­lo­gisch beein­flußt und teil­wei­se in eine funk­tio­nie­ren­de Klas­sen­zu­sam­men­ar­beit reinte­griert wird.

d) Eine sol­che Mas­sen­be­we­gung kann nur auf dem Boden der drit­ten Gesell­schafts­klas­se ent­ste­hen, die im Kapi­ta­lis­mus neben Bür­ger­tum und Pro­le­ta­ri­at exis­tiert: des Kleinbürgertums.

Collage aus Fotos von Ernest Mandel (Montage von www.workerscontrol.net)

Col­la­ge aus Fotos von Ernest Man­del (Mon­ta­ge von www.workerscontrol.net)

Ist die­ses Klein­bür­ger­tum von der Struk­tur­kri­se des Spät­ka­pi­ta­lis­mus so schwer betrof­fen, daß es in Hoff­nungs­lo­sig­keit ver­fällt (Infla­ti­on, Bank­rott der Klein­un­ter­neh­men, Mas­sen­er­werbs­lo­sig­keit von Aka­de­mi­kern, Tech­ni­kern und höhe­ren Ange­stell­ten usw.), dann wird wenigs­tens in einem Teil die­ser Gesell­schafts­klas­se aus einer Ver­bin­dung von ideo­lo­gi­schen Remi­nis­zen­zen und psy­cho­lo­gi­schen Res­sen­ti­ments eine typisch klein­bür­ger­li­che Bewe­gung ent­ste­hen, die extre­men Natio­na­lis­mus und, zumin­dest ver­bal aus­ge­präg­te, anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Dem­ago­gie4 mit größ­ter Feind­schaft gegen­über der orga­ni­sier­ten Arbei­ter­be­we­gung („wider den Mar­xis­mus“, „wider den Kom­mu­nis­mus“) verknüpft.

Sobald sich die­se vor allem in den deklas­sier­ten Tei­len des Klein­bür­ger­tums rekru­tier­te Bewe­gung auf den Ein­satz direk­ter phy­si­scher Gewalt gegen die Lohn­ab­hän­gi­gen, ihre Aktio­nen und Orga­ni­sa­tio­nen ein­stellt, ist eine faschis­ti­sche Bewe­gung geboren.

Nach­dem sie eine auto­no­me Ent­wick­lung durch­lau­fen hat, um eine Mas­sen­be­we­gung zu wer­den und Mas­sen­wir­kung zu errei­chen, bedarf sie der finan­zi­el­len und poli­ti­schen Unter­stüt­zung wich­ti­ger Tei­le des Mono­pol­ka­pi­tals, um sich bis zur Macht­er­grei­fung durchzusetzen.

e) Die vor­he­ri­ge Zer­mür­bung und Zurück­schla­gung der Arbei­ter­be­we­gung, die, wenn die faschis­ti­sche Dik­ta­tur ihre his­to­ri­sche Rol­le erfül­len will, uner­läß­lich ist, ist jedoch nur mög­lich, wenn sich in der der Macht­er­grei­fung vor­an­ge­hen­den Peri­ode die Waag­scha­le ent­schei­dend zuguns­ten der faschis­ti­schen Ban­den und zuun­guns­ten der Lohn­ab­hän­gi­gen senkt.5

Der Auf­stieg der faschis­ti­schen Mas­sen­be­we­gung kommt sozu­sa­gen einer Insti­tu­tio­na­li­sie­rung des Bür­ger­kriegs gleich, in dem jedoch objek­tiv gese­hen bei­de Sei­ten eine Erfolgs­chan­ce besit­zen (dies ist, neben­bei gesagt, der Grund, wes­halb das Groß­bür­ger­tum nur unter ganz beson­de­ren, „abnor­men“ Bedin­gun­gen der­lei Expe­ri­men­te gut­hei­ßen und finan­zie­ren wird; ein bestimm­tes Risi­ko ist in sol­cher Vaban­que-Poli­tik ohne Zwei­fel von vorn­her­ein vorhanden).

Gelingt es den Faschis­ten, den Feind, d. h. die orga­ni­sier­te Arbei­ter­schaft, zu zer­split­tern, zu para­ly­sie­ren, zu ent­mu­ti­gen und zu demo­ra­li­sie­ren, dann ist ihnen der Sieg gewiß. Gelingt es aber der Arbei­ter­be­we­gung, erfolg­reich zurück­zu­schla­gen und selbst die Initia­ti­ve zu ergrei­fen, dann kann nicht nur dem Faschis­mus, son­dern auch dem Kapi­ta­lis­mus, der ihn gebar, eine ent­schei­den­de Nie­der­la­ge zuge­fügt werden.

Originalausgabe der von Helmut Dahmer herausgegebenen und von Ernest Mandel eingeleiteten Schriften Trotzkis über Deutschland (Foto: Avanti²)

Ori­gi­nal­aus­ga­be der von Hel­mut Dah­mer her­aus­ge­ge­be­nen und von Ernest Man­del ein­ge­lei­te­ten Schrif­ten Trotz­kis über Deutsch­land (Foto: Avanti²)

Das hat tech­nisch-poli­ti­sche wie sozi­al­po­li­ti­sche und sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Gründe.

Die faschis­ti­schen Ban­den orga­ni­sie­ren anfangs nur die ent­schlos­sens­ten und despe­ra­tes­ten Tei­le des Klein­bür­ger­tums (sei­nen „wild­ge­wor­de­nen“ Teil).

Die Mas­se der Klein­bür­ger, wie auch der bewußt­lo­se und nicht orga­ni­sier­te Teil der Lohn­ab­hän­gi­gen und vor allem der Arbei­ter- und Ange­stell­ten­ju­gend, wird nor­ma­ler­wei­se zwi­schen den bei­den Lagern hin- und her­schwan­ken. Er wird dazu nei­gen, sich auf die­je­ni­ge Sei­te zu schla­gen, die am meis­ten Kühn­heit und Ent­schluß­kraft zeigt; er setzt am liebs­ten auf das Pferd, das gewinnt.

Des­halb läßt sich sagen, daß der Sieg des Faschis­mus his­to­risch gese­hen die Unfä­hig­keit der Arbei­ter­be­we­gung zum Aus­druck bringt, die Struk­tur­kri­se des Spät­ka­pi­ta­lis­mus in ihrem eige­nen Inter­es­se und gemäß ihren eige­nen Zie­len zu lösen.

Erst eine sol­che Kri­se bie­tet im all­ge­mei­nen der Arbei­ter­be­we­gung die Chan­ce, sich durch­zu­set­zen. Nur wenn die­se Chan­ce ver­paßt wird und die Klas­se ver­führt, gespal­ten und demo­ra­li­siert ist, kann der Zusam­men­stoß zum Tri­umph des Faschis­mus führen.

f) Ist es dem Faschis­mus gelun­gen, „als Ramm­bock die Arbei­ter­be­we­gung zu zer­schla­gen“, dann hat er vom Stand­punkt der Mono­pol­ka­pi­ta­lis­ten sei­ne Schul­dig­keit getan. Sei­ne Mas­sen­be­we­gung wird büro­kra­ti­siert und dem bür­ger­li­chen Staats­ap­pa­rat weit­ge­hend ein­ver­leibt, was nur gesche­hen kann, wenn die extrems­ten For­men ple­be­jisch-klein­bür­ger­li­cher Dem­ago­gie, die zu den „Zie­len der Bewe­gung“ gehör­ten, von der Ober­flä­che und aus der offi­zi­el­len Ideo­lo­gie ver­schwin­den.6

Dies steht zu der fort­dau­ern­den Ver­selb­stän­di­gung des höchst zen­tra­li­sier­ten Staats­ap­pa­ra­tes kei­nes­wegs im Gegen­satz. Ist aber die Arbei­ter­be­we­gung besiegt und haben sich die Ver­wer­tungs­be­din­gun­gen des Kapi­tals im Inne­ren ent­schei­dend zuguns­ten des Groß­bür­ger­tums ver­än­dert, so kon­zen­triert sich des­sen poli­ti­sches Inter­es­se mit Not­wen­dig­keit auf eine ähn­li­che Ände­rung auf dem Weltmarkt.

Dazu drängt gleich­falls der dro­hen­de Staats­bank­rott. Die Vaban­que-Poli­tik des Faschis­mus wird aus der sozi­al­po­li­ti­schen in die finan­zi­el­le Sphä­re hin­ein­ge­tra­gen, schürt die per­ma­nen­te Infla­ti­on und läßt letz­ten Endes kei­nen ande­ren Aus­weg als das außen­po­li­tisch-mili­tä­ri­sche Abenteuer.

Die­se gan­ze Ent­wick­lung bedingt jedoch innen­po­li­tisch wie wirt­schaft­lich (im Zuge der Kriegs­wirt­schaft) kei­nen Aus­bau, son­dern einen Abbau der Posi­ti­on des Klein­bür­ger­tums (mit Aus­nah­me jenes Teils, der mit Pfrün­den im ver­selb­stän­dig­ten Staats­ap­pa­rat abge­speist wer­den kann).

Es kommt zu kei­ner „Bre­chung der Zins­knecht­schaft“, son­dern zur pro­non­cier­ten Beschleu­ni­gung der Kon­zen­tra­ti­on des Kapi­tals. Hier­in zeigt sich der Klas­sen­cha­rak­ter der faschis­ti­schen Dik­ta­tur, der dem der faschis­ti­schen Mas­sen­be­we­gung nicht ent­spricht. Nicht die his­to­ri­schen Inter­es­sen des Klein­bür­ger­tums, son­dern die des Mono­pol­ka­pi­tals wer­den durch sie ver­tre­ten. Setzt sich die­se Ten­denz ein­mal durch, dann ver­min­dert sich not­wen­di­ger­wei­se die bewuß­te und akti­ve Mas­sen­ba­sis des Faschismus.

Die faschis­ti­sche Dik­ta­tur hat die Ten­denz, selbst die­se Mas­sen­ba­sis abzu­bau­en und zu zer­set­zen. Die faschis­ti­schen Ban­den wer­den zu Anhäng­seln der Poli­zei. Der Faschis­mus ver­wan­delt sich in der Pha­se sei­nes Nie­der­gangs in eine beson­de­re Form des Bona­par­tis­mus zurück.7

Dies sind die kon­sti­tu­ti­ven Ele­men­te von Trotz­kis Faschis­mus­theo­rie. Sie fußt auf einer Ana­ly­se der beson­de­ren Bedin­gun­gen, unter denen sich der Klas­sen­kampf in den hoch­in­dus­tria- lisier­ten Län­dern wäh­rend der spät­ka­pi­ta­lis­ti­schen Struk­tur­kri­se (Trotz­ki selbst sprach von der „Epo­che des Nie­der­gangs des Kapi­ta­lis­mus“) ent­wi­ckelt, und auf einer beson­de­ren – für Trotz­kis Mar­xis­mus cha­rak­te­ris­ti­schen – Ver­bin­dung objek­ti­ver und sub­jek­ti­ver Fak­to­ren in der Theo­rie des Klas­sen­kamp­fes wie beim Ver­such, ihn prak­tisch zu beeinflussen.


Anmer­kun­gen
1 Man ist immer wie­der über den eigen­tüm­li­chen Gedächt­nis­schwund bür­ger­li­cher Ideo­lo­gen in bezug auf die jün­ge­re Geschich­te der bür­ger­li­chen Gesell­schaft erstaunt. In den zwei Jahr­hun­der­ten seit der I. indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on wech­sel­ten die Staats­for­men in West­eu­ro­pa zwi­schen aris­to­kra­ti­scher Mon­ar­chie, ple­bis­zi­tä­rem Cäsa­ris­mus, kon­ser­va­tiv-libe­ra­lem Par­la­men­ta­ris­mus (mit einem auf etwa 10%, manch­mal sogar weni­ger als 5% der Bevöl­ke­rung beschränk­ten Wahl­recht) und aus­ge­spro­che­ner Auto­kra­tie, je nach dem Land, des­sen poli­ti­sche Ent­wick­lung man stu­diert. Bür­ger­li­che Demo­kra­tie par­la­men­ta­ri­schen Mus­ters mit all­ge­mei­nem, glei­chem Wahl­recht für alle ist prak­tisch über­all – mit Aus­nah­me einer kur­zen Pha­se wäh­rend der gro­ßen fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on – ein Pro­dukt des Kamp­fes der Arbei­ter­be­we­gung und nicht des libe­ra­len Bür­ger­tums gewesen.
2 „Öko­no­mi­sche Macht bedeu­tet zugleich poli­ti­sche Macht. Die Herr­schaft über die Wirt­schaft gibt zugleich die Ver­fü­gung über die Macht­mit­tel der Staats­ge­walt. Je stär­ker die Kon­zen­tra­ti­on in der wirt­schaft­li­chen Sphä­re, des­to unum­schränk­ter die Beherr­schung des Staates.
Die­se straf­fe Zusam­men­fas­sung aller Macht­mit­tel des Staa­tes erscheint als sei­ne höchs­te Macht­ent­fal­tung, der Staat als unüber­wind­li­ches Instru­ment der Auf­recht­erhal­tung der öko­no­mi­schen Herr­schaft … Das Finanz­ka­pi­tal in sei­ner Voll- endung bedeu­tet die höchs­te Stu­fe öko­no­mi­scher und poli­ti­scher Macht­voll­kom­men­heit in der Hand der Kapi­talo­lig­ar­chie. Es voll­endet die Dik­ta­tur der Kapitalmagnaten.“
Rudolf Hil­fer­ding, Das Finanz­ka­pi­tal (ver­faßt im Jah­re 1909), hier zitiert nach der Aus­ga­be von 1923, Wien (Ver­lag der Wie­ner Volks­buch­hand­lung), S. 476 f.
3 Dies führ­te Hil­fer­ding am Ende sei­nes Lebens und am Vor­abend sei­nes tra­gi­schen Todes zu dem Trug­schluß, Nazi-Deutsch­land sei kei­ne kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaft mehr, son­dern die Macht gehö­re dort einer tota­li­tä­ren Büro­kra­tie, einem Trug­schluß, der zeit­lich mit der Burn­ham­schen The­se vom „Mana­ger-Zeit­al­ter“ zusammenfällt.
4 Es han­delt sich jedoch immer um eine bestimm­te Form von Dem­ago­gie, die nur bestimm­te For­men des Kapi­ta­lis­mus angreift („Zins­knecht­schaft“, Waren­häu­ser, „raf­fen­des“ im Gegen­satz zum „schaf­fen­den“ Kapi­tal usw.); Pri­vat­ei­gen­tum als sol­ches oder Unter­neh­mer­herr­schaft im Betrieb wer­den nie in Fra­ge gestellt.
5 Ist dies nicht der Fall und behal­ten die Werk­tä­ti­gen ihre Kampf­kraft und ihren Kampf­wil­len, so kann der Ver­such einer faschis­ti­schen Macht­er­grei­fung zum Auf­takt eines groß­ar­ti­gen revo­lu­tio­nä­ren Auf­schwungs wer­den. In Spa­ni­en wur­de der faschis­ti­sche Mili­tär­putsch im Juli 1936 mit einem revo­lu­tio­nä­ren Auf­stand der Arbei­ter­schaft beant­wor­tet, der in weni­gen Tagen den Faschis­ten in sämt­li­chen Groß­städ­ten und Indus­trie­re­vie­ren eine ver­nich­ten­de mili­tä­ri­sche Nie­der­la­ge zufüg­te und sie zum Rück­zug in die unter­ent­wi­ckel­ten Agrar­ge­bie­te des Lan­des zwang. Die Tat­sa­che, daß die Faschis­ten von dort aus – in müh­sa­mem, bei­na­he drei Jah­re dau­ern­den Bür­ger­krieg – die Macht schließ­lich doch erobern konn­ten, erklärt sich sowohl aus der Ein­wir­kung inter­na­tio­na­ler Fak­to­ren, wie aus der ver­häng­nis­vol­len Rol­le der Par­tei- und Staats­füh­rung der Lin­ken, die die Werk­tä­ti­gen dar­an hin­der­te, die erfolg­reich begon­ne­ne sozia­lis­ti­sche Revo­lu­ti­on vom Juli 1936 rasch zu been­den und, u. a. durch radi­ka­le Boden­ver­tei­lung und Pro­kla­ma­ti­on der Selb­stän­dig­keit Marok­kos, Fran­cos letz­te Macht­ba­sis unter, rück­stän­di­gen Bau­ern und nord­afri­ka­ni­schen Söld­nern zu zersetzen.
6 Sie­he dazu u. a. Dani­el Gue­rin, a.a.O., [Fascis­me et grand capi­tal, Paris 1938] S. 141-168.
7 Auf den Unter­schied von Bona­par­tis­mus und Faschis­mus wird wei­ter unten noch ein­ge­gan­gen. [Vgl. Leo Trotz­ki, Schrif­ten über Deutsch­land, Bd. I, hg. von Hel­mut Dah­mer, Frank­furt am Main 1971, S. 35.]

*[Dies ist ein Aus­zug aus Ernest Man­dels Ein­lei­tung (datiert 30.01.1969) zu Leo Trotz­ki, Schrif­ten über Deutsch­land, Bd. I, hg. von Hel­mut Dah­mer, Frank­furt am Main 1971, S. 21- 26. Wir geben die­sen Aus­zug in der dama­li­gen Schreib­wei­se wie­der. Die Zäh­lung der Fuß­no­ten wur­de ange­passt. Anmer­kun­gen in ecki­gen Klam­mern wur­den hin­zu­ge­fügt. Zur bes­se­ren Les­bar­keit haben wir Absät­ze eingefügt.]

Theo­rie­bei­la­ge Avan­ti² Rhein-Neckar Juli/August 2020
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