Ein Gespräch mit Bernd Köhler
Fangen wir mit dem Ende an. Du kannst auf 15 Jahre besonders engagierte Arbeit mit dem Chor zurückblicken. Das wurde mit dem sehr gelungenen Festkonzert Ende Oktober gebührend gefeiert. Was hat da bei Dir überwogen: Erleichterung oder Wehmut?
Weder noch. Das waren 15 erfüllte Jahre, ich denke für alle Beteiligten. Für mich war es eine unglaubliche Erfahrung, von Probe zu Probe immer mehr erleben zu können, welche Wirkung das gemeinsame Singen, das offene Debattieren und die lockere Stimmung auf uns alle hatte. Das war den Einsatz wirklich wert. Auch ich hatte dieses Projekt ja frei gewählt, es war meine Idee, bei der Präsentation des Résistance-Liedes die spontane Forderung einzubringen, dass die Kolleginnen und Kollegen dieses Lied, ihr Lied, auch selber singen sollten. Keiner hätte damals je gedacht, dass aus diesem kratzstimmigen und etwas verlegenen Haufen ein selbstbewusster und später auch wohlklingender Chor werden sollte – und ein Freundeskreis dazu.
Du hast schon früher einmal angemerkt, dass im September 2003 eine derart lange Existenz des Chors kaum vorstellbar war, zumal sich anfangs im Betrieb – von einer winzigen Minderheit abgesehen – die Begeisterung in sehr engen Grenzen hielt. Wie konnte dann aber eine solch stabile Basis und letztlich auch spürbare Anerkennung für dieses Projekt entstehen?
Dadurch, dass der Anspruch für den Chor, die Frage, was wollen wir und was können wir, immer sehr niedrig gehalten wurde. Ich verstand den Chor immer und vorrangig als ein gewerkschaftspolitisches Kampfinstrument.
Die Begehrlichkeiten, besser oder harmonischer Singen zu wollen, konnten sich also langsam entwickeln, langsam wachsen. Es wurden keine zu hohen künstlerischen Anforderungen hineingepresst. Jede und jeder konnte sich mit den eigenen persönlichen Fähigkeiten einbringen – zunächst gesanglich, später sogar instrumental. Das war für mich nicht immer einfach, war aber auch ein Teil der Erdung, die ich durch dieses Projekt erfahren habe. Qualität nicht nur als formale Größe zu sehen, sondern auch die menschliche Komponente wahrzunehmen, die kleinen Entwicklungen, wie zum Beispiel Menschen in dem Chorgebilde persönlich wuchsen, mit der Zeit gelöster und freier sangen und sich auch sonst mehr einbrachten.
Das war schon ein Hammer und hat sich bei Auftritten durch Authentizität und lockere Direktheit vermittelt. Das stetig zu sondieren und entsprechend zu fördern, war auch für mich eine neue Herausforderung, über der ich nicht selten sogar meine Texte oder Melodien vergaß. Die Leute aus dem Chor wissen, was ich meine [lacht].
Hat sich Dein Blick auf die kapitalistische Arbeitswelt durch die Kontakte mit den AlstomerInnen verändert?
Na ja, durch die konkrete Erfahrung mit der Politik der Kapitalseite, die vor allem durch permanent geschürte Unsicherheit und Unruhe geprägt war, hat sich auch mein Blick weiter geschärft. Es ist ein Unterschied, ob du das gefiltert aus den Medien entnimmst oder ob du das hautnah durch den Kontakt mit den Betroffenen erfährst.
Manchmal war die erste Viertelstunde der Chorprobe geprägt von einer kontroversen Debatte rund um diese Themen – und das obwohl die meisten aus dem aktiven betrieblichen Kern kamen, also diese Diskussionen schon genug führten. Vielleicht, dass durch das lockere Umfeld der Chorprobe ein anderer Blick, auch eine andere Offenheit möglich war, sogar herausgefordert wurde. Für mich waren die Chorproben und noch mehr die Auftritte bei stimmungsgeladenen Betriebsversammlungen oder in besetzten Betrieben echte Bildungsveranstaltungen, die ich jedem sozial engagierten Künstler wünsche.
Der AlstomChor ist für viele Ausdruck einer glaubwürdigen Verbindung von Musik und betrieblichem Widerstand. Seit Mitte 2014 ist die Résistance im Betrieb und dann ab Ende 2016 auch die Gegenwehr massiv geschwächt worden. Was hat das für Dich und Deine Arbeit mit dem Chor bedeutet?
Die Verunsicherung durch die zersetzende Methodik und Psychotaktik des neuen Eigentümers GE kam natürlich auch im Chor an, waren doch die meisten aktive Betriebsräte oder Vertrauensleute. Die Leichtigkeit und Frechheit der ersten Jahre, als wir getragen von einem erfolgreichen Kampf ganz selbstverständlich in der Mittagspause im Betrieb unsere Lieder probten, auch wenn oben drüber gerade die Geschäftsleitung tagte, wich einer zunehmenden Verunsicherung. Der Rückzug von selbstbewussten klassenkämpferischen Positionen war auch im Chor spürbar. Plötzlich probten wir außerhalb des Betriebs, nach der Arbeit. Auftritte auf der eigenen Betriebsversammlung wurden immer seltener. Um diese Auftritte wurde auch nicht mehr gerungen, weil die Schwere der Auseinandersetzung, in der es um Sein oder Nichtsein ging, alles überdeckte.
Das war nicht mehr das Betriebsratsbüro als bedingungslose Kampfzentrale, das mich 2003 zu meinem ebenso bedingungslosen Engagement motiviert hatte. So dachte ich schon vor einigen Jahren daran, mich aus dem Projekt wieder zurückzuziehen. Aber ich wollte die, die mir zu Freundinnen und Freunden geworden waren, in dieser Phase nicht im Stich lassen. Nun nachdem die Schlacht, die leider keine wurde, verloren ist, die meisten Chorleute auch zu den über 1.000 Entlassenen gehören und nicht mehr im Betrieb sind, hat sich auch das Projekt AlstomChor selbst aufgekündigt, müsste durch ein ganz normales Chorprojekt ersetzt werden. Das war aber nie mein Ding oder Anliegen. Deshalb bin ich froh, dass wir noch das wunderbare 15 Jahre-Fest geschafft haben und somit alle eine frische Erinnerung an etwas Großes und Einzigartiges mitnehmen können.
Welche Bilanz ziehst Du für Dich aus 15 Jahren AlstomChor, und was sind Deine musikalischen Pläne für die Zukunft?
Die Arbeit mit dem Chor hatte mich vor 15 Jahren wieder in die ArbeiterInnenbewegung zurück katapultiert. Die Erfahrung, dass die arbeitende Klasse auch wirkungsmächtig sein kann, keine pure Theorie ist, hätte ich ohne mein Engagement mit dem Chor nicht machen können. Aber auch nicht die Erfahrung, wie schnell das Ganze instabil werden kann. Wie wichtig also gewerkschaftliche Bildung und das Entwickeln einer Haltung wären, um dem wachsenden Druck und der Raffinesse der Gegenseite auch standhalten zu können.
Das alles ist schon in viele weitergehende Kulturprojekte eingeflossen, den „Karl-Marx-Umzug” im Mai dieses Jahres zum Beispiel, das gemeinsame Singen auf der 1. Mai-Demonstration an dem sich ein ansehnlicher SängerInnen-Haufen beteiligte oder die multimediale Kultur-Veranstaltung zu den Bauernkriegen und dem Konflikt zwischen Luther und Müntzer im letzten Jahr – um nur einige naheliegende zu nennen. Alles übrigens Aktivitäten, die von der örtlichen IG Metall unterstützt wurden, was nicht hoch genug zu bewerten ist.
Die Verfeinerung der politischen Musik von ewo2, dem kleinen elektronischen weltorchester, steht auf der kulturellen Agenda des kommenden Jahres genauso ganz oben wie die Herausgabe eines Buches mit einer Auswahl meiner Songs, Texte und Gedichte von 1967 bis heute, inklusive einer Tour im Herbst 2019 unter dem Titel „Bernd Köhler singt Schlauch”, womit ich in diesen verfahrenen Zeiten auch wieder an rebellischere Traditionen erinnern will, als ich unter diesem Spitznamen in den politischen Bewegungen nach den 60er Jahren unterwegs war. Wer eine Veranstaltung mit dem Programm machen möchte, soll sich bitte melden bei: bk@ewo2.de.
[Die Fragen stellte W.A., 30.10.2018.]