“Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen!”
(Politische Resolution der ISO Teil I)
Dies war das Thema unserer Diskussionsveranstaltung am 27. Januar. Eine gute Gelegenheit, um sich mit dem entfesselten Kapitalismus und seinen Krisen auseinander zu setzen.
Grundlage des Einleitungsreferats war die politische Resolution der ISO, deren ersten Teil wir in dieser Avanti² veröffentlichen.
Die Massenmobilisierungen von Pegida gegen die „Islamisierung des Abendlands“ seit dem Herbst 2014 und die nachfolgende Festsetzung der „Alternative für Deutschland“ als Sammelbecken für ein breites Spektrum von Verlierern der neoliberalen Politik über enttäuschte Rechtskonservative bis hin zu Alt-Nazis haben das gesellschaftliche Klima und Kräfteverhältnis in Deutschland massiv nach rechts verschoben.
Der AfD ist es binnen kürzester Zeit gelungen, eine parlamentarische Präsenz zu etablieren, die sich als „die einzige wirkliche Oppositionspartei“ und als wählbare Alternative für Menschen anbietet, die sich gesellschaftlich und politisch „abgehängt“ fühlen. Rechtsextremismus ist wählbar geworden in Deutschland, und zwar nicht mit einem vergangenheitsbezogenen Programm, sondern mit Antworten, die die grundsätzlich ungleiche Wertigkeit der Menschen und die aggressive Bekämpfung der sozial Schwächeren, in erster Linie – aber nicht nur – der Flüchtlinge und EinwanderInnen predigen.
Die regierenden Parteien der Großen Koalition lassen sich davon unter Druck setzen. Die Flüchtlingsfrage und das Problem der islamistischen Anschläge und nicht die soziale Frage und die Klima- frage beherrschen die öffentliche Debatte. Das Asylrecht wurde in zwei Anläufen bis zur Unkenntlichkeit ausgehebelt, die Rechte der Flüchtlinge werden weiter eingeschränkt und die Festung Europa ausgebaut, um möglichst viele Menschen daran zu hindern, auf der Flucht vor Krieg, Unterdrückung und Elend in die EU und nach Deutschland zu gelangen.
Parallel dazu verschärft sich der Diskurs der Inneren Sicherheit und Aufrüstung und die Militarisierung der deutschen Außenpolitik wird forciert. Mit dieser Entwicklung haben die deutschen Verhältnisse Anschluss an den Rechtsruck in zahlreichen anderen europäischen Ländern gefunden.
Diese Entwicklung ist äußerst bedrohlich. Wir verstehen sie als Ausdruck der tiefen Krise des Kapitalismus. Sie erfordert eine konsequente Gegenwehr der Linken und der ArbeiterInnenbewegung. Allein der Kampf gegen die soziale Ungleichheit, die Verschärfung der Ausbeutung, die Entsolidarisierung und die Spaltungen in der arbeitenden Klasse kann das Kräfteverhältnis wieder zugunsten der Letzteren verändern. Doch trotz massiver Angriffe auf gewerkschaftliche und soziale Rechte in allen europäischen Ländern fehlt in Deutschland wie in Europa ein koordinierter Widerstand.
Die Bekämpfung der kapitalistischen Krisenlösung (EU-Agenda 2020) und der damit verbundene Aufschwung der extremen Rechten bilden deshalb auf absehbare Zeit eine entscheidende Herausforderung für Linke und die Gewerkschaften.
Polarisierte Gesellschaft
Die Gesellschaft ist polarisiert. Nach wie vor gibt es die starke Flüchtlingshilfebewegung, die breit verankerte Willkommenskultur, die antifaschistischen Mobilisierungen, die mit Ausnahme von Ostdeutschland stärker waren und sind als die Pegida-Aufmärsche. Doch in dieser Polarisierung erscheinen die Kräfte der Solidarität und die Kräfte der Linken auf politischer Ebene als die schwächeren.
Rücksichtsloser Wirtschaftsimperialismus und globale Interventionskriege haben das geopolitische Chaos hervorgebracht, dessen Folgen jetzt spürbar auch die reichen Industrieländer Europas erreichen. Dennoch gibt es bisher keine starke Antikriegsbewegung, und die Bewegung für internationale Solidarität und weltweite Gerechtigkeit ist derzeit nicht so stark wie früher.
Kapitaloffensive
Der Aufschwung der Rechten ist nicht zuletzt eine der Folgen der jahrzehntelangen neoliberalen Kapitaloffensive mit ihrer Fülle entsolidarisierender Effekte. Einen nicht unbedeutenden rechten Bodensatz gibt es in Deutschland schon seit Langem. Der Aufschwung der rechten Organisationen, in Deutschland vor allem der AfD, ist kein plötzlicher Schlechtwettereinbruch. Seit Jahrzehnten weisen Studien darauf hin, dass in Deutschland ein konstanter Teil zwischen 10 und 15 Prozent der Bevölkerung ein „geschlossenes rechtsradikales Weltbild“ hat, darin ist auch ein Teil der ArbeiterInnenklasse und sogar der gewerkschaftlich Organisierten eingeschlossen.
Es ist die kapitalistische Produktionsweise selbst, die Konkurrenz, Individualisierung und Entfremdung in den Köpfen der ArbeiterInnen erzeugt und damit die Einfallstore für kleinbürgerliche Ideologien schafft. Statt eines Bewusstseins vom kollektiven Widerstand des Unten gegen Oben, frisst sich die schreckliche Denke vom Innen gegen Außen, von denen, die dazugehören gegen die, die angeblich oder tatsächlich eindringen wollen, in die Hirne.
In einer politischen und ökonomischen Konjunktur wie im heutigen Neoliberalismus kommt diese schlum- mernde rechte Gesinnung zum massenhaften Ausbruch. Die tatsächliche Verarmung von Teilen der Mittelschicht, die Schaffung eines großen Sektors von prekär Beschäftigten in der ArbeiterInnenklasse, der fast vollständig von kollektiven, gewerkschaftlichen Widerstandsformen unberührt bleibt, aber auch und besonders die nur eingebildete Angst vor einem solchen Absturz in die Verarmung sind der Nährboden für den radikalen Sozialdarwinismus, Rassismus und Nationalismus der AfD und ähnlicher Gruppierungen.
Nur eine linke Politik des Kampfes gegen Armut und Prekarisierung kombiniert mit der Einübung des kollektiven Prinzips der Solidarität in betrieblichen Kämpfen und gewerkschaftlicher Organisierung wird dieser rechten Polarisierung eine angemessene Antwort gegenüberstellen: der Aufbau eines kämpferischen und programmatisch festen linken Pols in der Gesellschaft. Gegen Rechts hilft nur Links.
Die seit Jahrzehnten anhaltende Systemkrise hat den Klassenkampf von oben verschärft. Eine Vielzahl von Kapitalstrategien soll die Krisenlösung auf dem Rücken der lohnabhängigen Bevölkerung konsequent fortführen: durch technologische Rationalisierungen bis hin zur Digitalisierung; durch permanente Arbeitsverdichtung und das Gebot ständiger Verfügbarkeit der Arbeitskraft; durch Produktionsverlagerungen und Globalisierung der Wertschöpfungsketten und damit einhergehende Deindustrialisierung in den „entwickelten“ kapitalistischen Ländern.
Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben eine wachsende industrielle Reservearmee hervorgebracht, die höchst wirksam als Mittel zur Prekarisierung der lohnabhängigen Existenz und zur Lohndrückerei eingesetzt wird; die Agenda-Politik hat mit Einführung der Hartz-Gesetze die Betroffenen eines elementaren Schutzschildes, nämlich der Arbeitslosenhilfe, beraubt. So ist ein großer und wachsender Niedriglohnsektor entstanden. Er ist in sich extrem differenziert, und die ArbeiterInnenklasse ist in viele Teile zersplittert und gespalten.
Aus diesem kapitalistischen Umstrukturierungsprozess geht die ArbeiterInnenbewegung objektiv und subjektiv geschwächt hervor. Sie befindet sich strategisch in der Defensive. Wo sie vormals über starke Bastionen verfügte, muss sie nun in Niediglohn-Unternehmen erneut elementare Formen der kollektiven Organisierung erkämpfen. Belegschaften wird das Recht verwehrt, Betriebsräte zu gründen, gewerkschaftliche Betätigung wird oft bekämpft und manchmal sogar verboten. Nicht wenige Unternehmen treten aus dem Unternehmerverband aus (oder sind nur noch OT-Mitglieder, also ohne Tarifbindung), um sich damit dem Wirkungsbereich von Tarifverträgen zu entziehen und die verbliebeneTarifmacht der Gewerkschaften mithilfe der EU-Agenda 2020 zu schwächen. Trotz guter Konjunktur rollen Rationalisierungs- und Entlassungswellen.
Überwiegend versuchen Gewerkschaften, darauf mit den alten Mitteln der Sozialpartnerschaft zu antworten, und kommen damit nicht weiter. Die sozialpartnerschaftlich geführten Gewerkschaften sind erheblich geschwächt und in die Defensive gedrängt worden. Die Deindustrialisierung ganzer Regionen, vorwiegend aber nicht nur im Osten Deutschlands, die früher von Großbetrieben der industriellen Produktion und des Bergbaus geprägt waren und in denen die Gewerkschaften starke Bastionen hatten, hat das Kräfteverhältnis zugunsten des Kapitals verschoben zum Teil gegen den erbitterten Widerstand der Belegschaften. Wie darauf und wie auf die anhaltende Massenerwerbslosigkeit, die immer weiter getriebene Prekarisierung und die Individualisierung reagiert werden soll, darauf hat die Gewerkschaftsbewegung seit den Kämpfen für die Arbeitszeitverkürzung in der ersten Hälfte der 80er Jahre keine Antwort mehr gefunden. Der Transnationalisierung des Kapitals steht keine entsprechende Internationalisierung gewerkschaftlicher Handlungsfähigkeit gegenüber. Die Gewerkschaften haben deshalb weitgehend die Fähigkeit eingebüßt, gesellschaftliche Themen vorzugeben.
In jeder historischen Phase musste die Arbeiterbewegung sich selbst neu erfinden. In den letzten Jahren begeben sich manche Gewerkschaften und Beschäftigte in Betrieben aktiv auf die Suche nach Möglichkeiten einer Erneuerung der gewerkschaftlichen Durchsetzungsfähigkeit. Dies reicht von konsequenten Kämpfen wie etwa bei der GdL über neue Streiktaktiken bis hin zu Organizing-Ansätzen. Gerade angesichts der Ökonomisierung von immer mehr Bereichen wie etwa Bildung und Gesundheit und von internationalen Einflüssen, gibt es ebenso verstärkt Rufe, solche Kämpfe als gesellschaftliche Kämpfe zu führen. Dies sind jedoch noch zarte Pflänzchen, die der Orientierung auf Sozialpartnerschaft und Standortpolitik der Gewerkschaften erst wenig entgegensetzen konnten.
SPD und Grüne sind für den Aufschwung der Rechten mitverantwortlich. Sie sind zu einer neoliberalen, prokapitalistischen Kraft geworden, die mit der Agenda-Politik von Gerhard Schröder die schlimmsten Einschnitte ins soziale Netz selbst verantwortet. Die Partei Die Linke erscheint ihrerseits vielfach als Teil des politischen Establishments. Wo sie in Bundesländern mitregiert, trägt sie das neoliberale Dogma der Haushaltskonsolidierung und entsprechende Konterreformen mit. Ihre Kritik am Kapitalismus und an den sozialen Ungerechtigkeiten hat so an Glaubwürdigkeit verloren und genügt nicht, um als Systemalternative wahrgenommen zu werden. Zudem wirkt sich ihre mangelnde Verankerung in Initiativen vor Ort ausgesprochen negativ aus.
[Fortsetzung folgt].
aus der Rhein-Neckar Beilage zur Avanti Februar 2017