„Starkes Signal für Gute Arbeit“?
Vom 17. bis 22. September 2023 hat in Berlin der 6. ordentliche ver.di-Bundeskongress mit ca. 1000 Teilnehmenden stattgefunden. Für Avanti² Anlass genug, um mit Petra, einer Delegierten, über ihre Eindrücke zu sprechen.*
Avanti²: Der Umgang der Gewerkschaft mit dem Krieg in der Ukraine hatte schon im Vorfeld zu großen Diskussionen geführt. Wie hat sich der Bundeskongress dazu positioniert? Welche Anträge wurden beschlossen?
Petra: Schon Wochen vor dem Kongress kursierte eine Petition, mit der die Delegierten aufgefordert wurden, gegen den Leitantrag des Gewerkschaftsrats „Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung in einer Welt im Umbruch“ zu stimmen. In diesem Antrag werden unter anderem die Reaktionen der Europäischen Union und der Bundesregierung auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als grundsätzlich richtig bezeichnet, also auch Waffenlieferungen und Sanktionen gebilligt. Die Forderung an die Regierung, sich für einen Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen einzusetzen, fehlt dagegen. Dies wurde von nicht wenigen als Verstoß gegen die ver.di-Grundsatzerklärung von 2010 gesehen, die auf eine fried- liche Regelung von Konflikten abstellt. Außerdem erweckt die Formulierung im Antrag den Eindruck, dass ver.di mit der Ampel-Regierung den Schulterschluss sucht. Dieser Eindruck wird noch verstärkt dadurch, dass in dem Antrag keine Verbindung hergestellt wird zwischen dem milliardenschweren und auf Dauer angelegten Hochrüstungsprogramm der Bundesregierung einerseits und Kürzungen bei Sozialausgaben und der Daseins- vorsorge andererseits. Obwohl klar ist, dass das Geld, das für Waffen fließt, für wichtige gesellschaftliche Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht. Auch nicht für die Bekämpfung der Klimakatastrophe.
Es war absehbar, dass es unter den Delegierten einen großen Diskussionsbedarf zu diesem Antrag geben würde. Die konstruktive und inhaltsreiche Diskussion endete jedoch abrupt mit der Annahme eines Antrags auf Ende der Debatte und Abstimmung aller Änderungsanträge en bloc entsprechend der Empfehlung der Antragskommission. Und diese hatte wesentliche Änderungsanträge auf Ablehnung gestellt.
Am Ende stimmten 275 Delegierte gegen den leicht geänderten Leitantrag – ein Drittel der 856 Delegierten, die sich an der Abstimmung beteiligten. Man kann also nicht sagen, dass sich ver.di als Ganzes hinter die kriegstreiberische, unsoziale Politik der Bundesregierung gestellt hat. Außerdem hat der Bundeskongress klar zum Ausdruck gebracht, dass ver.di Teil der Friedensbewegung bleiben will.
Avanti²: BR-Mobbing als Mittel von Geschäftsleitungen, um aktive Betriebsratsmitglieder zum Beispiel mit „Verdachtskündigungen“ zu bekämpfen, kommt immer häufiger zur Anwendung. BR-Mobbing findet sehr häufig in Branchen statt, für die ver.di zuständig ist. Inwiefern hat dieses Thema auf dem Kongress eine Rolle gespielt? Gab es diesbezüglich Anträge? Und was ist mit diesen passiert?
Petra: Ein Antrag aus Niedersachsen/Bremen wurde nur als als unverbindliches Arbeitsmaterial für den Bundesvorstand angenommen. Darin wird der Bundesvorstand aufgefordert, eine ver.di-interne Koordinierungsstelle „Union Busting“ einzurichten. Eine zentrale Anlaufstelle für alle Fälle von Gewerkschafts- bekämpfung, die Gegenstrategien entwickelt, juristische Einschät- zungen bündelt, Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre berät und für diese sowie für von BR-Mobbing Betroffene Handlungshilfen erarbeitet. Betroffene sollen psychosoziale Unterstützung erhalten und sich vernetzen können. Weitere Aufgaben der Koordinierungsstelle sollen die Unterstützung und Bündelung von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen gegen konkrete Fälle der Gewerkschaftsbekämpfung sein. Auch der Aufbau von Bündnissen soll helfen, den nötigen öffentlichen Gegendruck zu erzeugen.
Auch ein Antrag der Landesbezirkskonferenz Rheinland-Pfalz-Saarland wurde zum Arbeitsmaterial degradiert. Unter anderem soll die Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften sowie die Behandlung von Straftaten gegen die Betriebsverfassungs- organe als Offizialdelikte in ein modernisiertes Betriebsverfassungsgesetz aufgenommen werden.
Bei den Diskussionen auf dem Kongress hat das Thema bezeichnenderweise keine Rolle gespielt. Wie andere unstrittige Anträge wurden auch diese en bloc abgestimmt.
Avanti²: Welche Diskussionen und Entscheidungen auf dem Kongress findest Du erwähnenswert?
Petra: Es gab großen Diskussionsbedarf bei der Aussprache zum Geschäftsbericht des scheidenden Bundesvorstands. An die fünfzig Kolleginnen und Kollegen meldeten sich zu Wort. Es gab diverse Beiträge, die sich gegen die Praxis der Sozialpartnerschaft richteten und stattdessen eine antikapitalistische Haltung und ein entsprechendes Vorgehen von ihrer Gewerkschaft einforderten. Auch die Nähe zur SPD-Politik stieß auf Kritik. Es gab diverse Appelle für eine bessere Zusammenarbeit innerhalb von ver.di, sowohl in Bezug auf die unterschiedlichen Bereiche und Gremien, als auch in Bezug auf die Friedensfrage.
Bemerkenswert finde ich auch, dass es nun eine neue Personengruppe Queer bei ver.di gibt. Die Antragskommission hatte ursprünglich empfohlen, den entsprechenden Satzungsantrag der Bundesfrauenkonferenz abzulehnen. Der Antrag war jedoch nicht nur gut vorbereitet, sondern wurde von den Frauen und von der Jugend sichtbar unterstützt, was viele Delegierte und am Ende auch die Antragskommission überzeugte.
Avanti²: Hat der Gewerkschaftskongress zu einer politischen Umorientierung in Richtung einer kämpferischen Gegenmachtstrategie geführt?
Petra: Ich habe nicht den Eindruck, dass der Kongress zu einer politischen Neuausrichtung geführt hat.
Aber es ist deutlich geworden, dass es viele kritische Stimmen und vielfältige Aktivitäten an der Basis gibt, von denen einige auf dem Kongress durch Aktionen sichtbar wurden. So kamen Aktive von Fridays for Future zu Besuch und stellten gemeinsam mit Beschäftigten im kommunalen Nahverkehr die Petition #wirfahrenzusammen vor.
Erwartungsgemäß wurde der oppositionelle Kandidat Orhan Akman nicht in den Bundesvorstand gewählt. Aber er hat 201 von 905 abgegebenen Stimmen bekommen. Und 66 Delegierte haben sich enthalten. Das heißt sicherlich nicht, dass alle Delegierten, die für Orhan Akman gestimmt haben, mit allen seinen Handlungen und Vorschlägen einverstanden sind. Aber ich sehe es als ein Signal, als Forderung nach einer politischen und organisatorischen Neuausrichtung von ver.di zu einer Gewerkschaft, die sich Krisen und Klimakatastrophe stellt, den Klassenkampf von oben mit Klassenkampf von unten beantwortet und sozialpolitischen Kahlschlag und Kriegstreiberei entschieden entgegentritt.
* [Die Fragen stellte H. S. für Avanti².]