E. B.
Eine bunte Schar jüngerer und jung gebliebener Menschen machte sich am 7. Juli 2018 auf den Weg nach Trier. Ein Besuch der Geburtsstadt von Karl Marx war im Jubiläumsjahr des alten Weltveränderers für die ISO/IV. Internationale Rhein-Neckar ein Muss. Nicht um einem Personenkult zu huldigen, sondern um unser kritisches Wissen über einen der Urväter der internationalen ArbeiterInnenbewegung zu erweitern.
Auf den ersten Blick unübersehbar war die öffentliche Vermarktung des Analytikers der kapitalistischen Warenproduktion durch die Tourismus-Branche und den lokalen Einzelhandel.
Unser Programm war anspruchsvoll: Besuch zweier Ausstellungen und Begutachtung des von einem chinesischen Staatskünstler geschaffenen neuen Marx-Monuments. Aber es gab auch genügend Zeit für gemeinsame Erholungspausen und Gespräche in der alten Römerstadt.
Die große Landesausstellung Karl Marx – 1818-1883 – Leben.Werk. Zeit bemüht sich ernsthaft um eine umfassende Darstellung der Entwicklung des berühmtesten Sohns der Stadt. Ästhetisch, didaktisch und inhaltlich fundiert lässt sie ein realistisches Bild vor den Augen der BesucherInnen entstehen.
Umso befremdlicher sind einige Bezugnahmen auf reaktionäre und antikommunistische Geschichtsfälschungen. Beispielsweise wird nach altbekanntem Muster der Pariser Kommune von 1871 en passant die Verantwortung für ihre blutige Niederschlagung in die Schuhe geschoben. Oder die Bildershow im letzten Ausstellungsraum: Sie reiht umstandslos von der Reaktion ermordete sozialistische RevolutionärInnen wie Rosa Luxemburg oder Ernesto Che Guevara in eine Galerie mit konterrevolutionären, antisozialistischen Massenmördern wie Stalin oder Pol Pot ein. Ein Skandal!
Im Geburtshaus von Karl Marx setzt sich diese Methodik verstärkt fort. Sie ist in der neugestalteten Ausstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung keine Ausnahme, sondern leider eher die Regel. Das Niveau der inhaltlichen Darstellungen ist oft tief von der bürgerlichen Geschichtsschreibung der Zeit des Kalten Kriegs oder der Nachwende geprägt.
Beispiele gefällig? Bitte sehr: Von Marx führe über Lenin eine direkte Linie zu dem Despoten Stalin. Die Oktoberrevolution sei folglich ein Putsch, der „kommunistische“ Gewalt und Diktatur institutionalisiert und die Freiheit in aller Welt bedroht habe. Die verbrecherische Kooperation der SPD-Führung unter Ebert und Noske 1918/19 mit Reichswehr und Freikorps ist mit keinem Wort erwähnt. Auch die Verantwortung der sozialdemokratischen Politik für die krachend gescheiterte Politik des „kleineren Übels“ vor 1933 wird vertuscht. Die Rolle der SPD-Führer bei der Restauration des Kapitalismus nach 1945 oder bei der Durchsetzung der neoliberalen Wende nach 1998 ist ebenfalls kein Thema.
Ein sozialdemokratischer Historiker wie der bedauerlicherweise 2014 verstorbene Hermann Weber hätte sicherlich eine grundlegende Überarbeitung dieser Darstellung eingefordert.
Trotz alledem: Die Spurensuche in Trier war sehr lohnenswert. Wir haben unseren Horizont erweitern können. Nicht um die Welt besser zu interpretieren, sondern um geduldig unseren Beitrag zu ihrer Veränderung zu leisten.