U. D.
Am 14. November 2020 führte die ISO Rhein-Neckar ihr Online-Seminar „Kurz nochmal die Welt retten“ durch. Wir veröffentlichen das Einleitungsreferat in stark gekürzter Fassung. Teil I und Teil II erschienen in Avanti² im Januar bzw. Februar 2021.
Die Krise der Arbeiter*innenbewegung
Die Arbeiter*innenklasse ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die den kapitalistischen Irrsinn beenden und durch eine sozialistische und ökologische Rätedemokratie ersetzen könnte.
Wie sonst sollte eine Güter-Produktion, die nicht den Profit, sondern Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellt, organisiert werden können, wenn nicht durch die „Produzenten“, d. h. die Arbeitenden, selbst?
Allerdings hat dies zur Voraussetzung, dass sich die Arbeiter*innenklasse ihrer Klassenlage, ihrer Kraft und ihrer Möglichkeiten bewusst ist und über die Idee einer anderen Gesellschaft verfügt. Dieses Klassenbewusstsein ist auf Massenebene nicht vorhanden.
Neue Niederlagen
In den letzten Jahrzehnten gab es verschärfte Angriffe auf die sozialen und politischen Rechte der Arbeiter*innenklasse sowie einen politischen und organisatorischen Niedergang ihrer Organisationen. Dies hat zu existenzieller Unsicherheit und zu weiterer politischer Desorientierung geführt.
Das fehlende Klassenbewusstsein erschwert die kollektive Gegenwehr der Arbeiter*innenklasse. Selbst innerhalb gewerk- schaftlich gut organisierter Schichten führt dies zu Individualisierung, Entsolidarisierung und Zerstörung der kollektiven Identität als Klasse. So kommen zu den „alten“ Niederlagen neue hinzu.
Diese Alltagserfahrung greifen die bürgerlich-neoliberalen Ideologen auf und erklären diese zum alternativlosen „Normalzustand“: Jede® kämpft für sich allein und gewinnt oder scheitert allein.
Wenn aber gemeinsame und solidarische Gegenwehr kaum mehr möglich zu sein scheint, bleibt am Ende nur noch der individuelle (wirtschaftliche) Erfolg oder das gemeinsame Treten auf noch Schwächere. Nicht zuletzt dies begünstigt den Aufstieg rechter, nationalistischer und autoritärer Ideologien.
Ausgehen von dem was ist …
Doch auch wenn Niederlagen und Enttäuschungen schwer wiegen, so kommt es doch immer wieder zu betrieblichen und gesellschaftlichen Bewegungen und Kämpfen.
Diese beseitigen nicht unmittelbar die Unterschiede hinsichtlich der gemachten Lebens- und Arbeitserfahrungen, des Wissens und des Bewusstseins der beteiligten Menschen. Sie bauen auch nicht „spontan“ die Brücke zwischen dem „bestehenden“ Bewusstsein auf der einen Seite und der Notwendigkeit, den Kapitalismus abzuschaffen, auf der anderen.
Aber in ihnen können die Vereinzelung überwunden sowie kollektive und solidarische Aktionsformen erfahren werden. In Ihnen kann antikapitalistisches Bewusstsein auf breiterer Ebene entstehen. In ihnen können sich neue Aktivist*innen „herausbilden“.
Brücken bauen …
Brücken lassen sich nur bauen, wenn es gelingt, sozialistische Ideen, politische Forderungen und praktische Arbeit zu einer Einheit zu verschmelzen. Folgende Punkte sind dafür wichtig:
1. Aufklärung über die vielfältigen Krisen des globalen Kapitalismus und davon die Notwendigkeit ableiten, das Profitsystem zu überwinden.
2. Propagierung der Idee einer sozialistischen und ökologischen Rätedemokratie.
3. Forderungen unterstützen und /oder entwickeln, die eine unmittelbare Antwort auf die drängendsten Probleme der Arbeiter*innenklasse geben.
4. Forderungen popularisieren und in einem Aktionsplan so miteinander verknüpfen, dass sie in ihrer Dynamik und Logik letztendlich das kapitalistische System in Frage stellen.
5. Dabei reicht es nicht aus, „kluge“ Forderungen zu Papier zu bringen. Forderungen werden letztendlich nur wirksam, wenn sie von Bewegungen aufgegriffen werden und diesen zusätzlichen „Schub“ geben. Dazu ist es notwendig, in und mit den Bewegungen solidarisch zusammenarbeiten.
… eine solidarische Front schaffen
Letztendlich muss es das Ziel sein, die fortschrittlichen und kämpferischen Kerne innerhalb und außerhalb der Arbeiter*innen- klasse in einer gemeinsamen „sozialen Front“ zusammenzuführen.
Eine Front, die gegen jede Spaltung der arbeitenden Klasse, für deren gemeinsame Interessen, für vollständige Unabhängigkeit von Staat und Kapital sowie für grenzenlose internationale Solidarität eintritt.
Dabei muss beim Aufbau einer solchen Front gelten: Strikte Orientierung auf die jeweilige Basis, Förderung von Selbstorganisation und Eigenaktivität, Aufbau breiter basisdemokratischer Strukturen (Räte, Kommissionen usw.).
Eine solche Front bietet die Chance, die zurzeit noch vereinzelten Kräfte zu bündeln. Und sie könnte neue Hoffnung schaffen und den Kampf für eine andere, bessere Welt wieder auf die Tagesordnung setzen.