Am 1. August 2018 fand im Mannheimer Gewerkschaftshaus eine hochinteressante Asbest-Tagung statt. Fast 100 Betroffene und ihre Angehörigen, engagierte GewerkschafterInnen, MedizinerInnen und WissenschaftlerInnen nahmen teil.
Einerseits beleuchteten verschiedene Beiträge den Umgang mit asbestbedingten Berufskrankheiten. Andererseits kam die bis heute andauernde Vertuschung und Verharmlosung eines Massenmordes aus Profitgier zur Sprache.
Mit der Konferenz trat erstmals die neu gegründete Asbestose Selbsthilfegruppe Baden-Württemberg öffentlich in Erscheinung. Avanti² sprach danach mit dem Initiator Klaus Schuhmann, einem langjährigen Aktiven des IG Metall-Arbeitskreises Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz Mannheim-Heidelberg.
[Die Fragen stellte W.A.]
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts warnte die englische Fabrikinspektion vor Asbest. Millionen Menschen sind dieser „Wunderfaser“ bis heute weltweit zum Opfer gefallen. Warum wurde sie erst 1993 in Deutschland verboten?
K.S.: In der Tat wurde bereits 1936 die Asbestose in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen, da man um die tödlichen Gefahren und ihre zunehmende Ausbreitung wusste. Spätestens damals hätten wirksame Schutzmaßnahmen für Arbeiterinnen und Arbeiter ergriffen werden müssen.Es gibt mehrere asbestbedingte Atemwegserkrankungen: Asbestose, Kehlkopf- und Lungenkrebs, Krebs der Eierstöcke (der Frau) und das besonders aggressive Mesotheliom. Ferner wird der Krebs von Atemwegsorganen durch die Verbindung von Asbest und PAK (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) verursacht. Andere Erkrankungen von Bauchorganen sind ebenfalls möglich.Die Asbestindustrie hat mit Hilfe ihrer Lobbyverbände sowohl die öffentliche Meinung als auch die Politik beherrscht und immer wieder das Thema Asbest heruntergespielt. 1973 hat die Asbestindustrie eine Geheimkonferenz in London abgehalten mit dem Ziel, Asbestprodukte so lange wie möglich in Deutschland und Europa zu vermarkten. Es handelt sich um den größten Industrieskandal des 20. Jahrhunderts.
Können wir uns 25 Jahre nach dem Asbestverbot nicht beruhigt zurücklehnen?
K.S.: Nachweislich sterben auf der Erde mehr als 100.000 Menschen pro Jahr elendiglich an den Folgen des Kontakts mit asbesthaltigen Fasern. Die Dunkelziffer ist jedoch erheblich höher! Auch hierzulande kann es keine Entwarnung geben. Sowohl die Neuerkrankungsrate als auch die Sterbestatistiken sprechen für sich. Eine Trendwende wird erst nach 2025 erwartet, da die durchschnittliche Latenzzeit (vom Einatmen von Asbestfasern bis zum Ausbruch der Krankheit) über 32 Jahre dauern kann. Die Erkrankten befinden sich fast ausnahmslos in Rente. Ein Freund von mir berichtete, dass sein letzter Kontakt 45 Jahre her gewesen sei, bevor sein Mesotheliom ausgebrochen ist.
Das enorme Problem asbestbedingter Erkrankungen ist den zuständigen Berufsgenossenschaften bekannt. Warum lehnen sie dann aber die große Mehrzahl der Anträge auf Anerkennung als Berufskrankheit ab?
K.S.: Es ist für uns unverständlich, dass eine Berufsgenossenschaft ihre Beiträge nach unten korrigiert und gleichzeitig die Erkrankungsraten ansteigen. Bei der schlimmsten Erkrankung, dem Mesotheliom, überleben die meisten Betroffenen nicht einmal die nächsten 12 Monate. Die Wissenschaft lehrt uns, dass es diese Krebsart nur bei Kontakt mit Asbest gibt. Es geht anscheinend nur um eines - nämlich Cash, Cash, Cash!
Wie kann der erforderliche Druck aufgebaut werden, um diesem unglaublichen Skandal ein Ende zu bereiten?
K.S.: Eine Änderung der bestehenden Gesetzgebung muss her, also eine politische Lösung! Nach geltendem Recht liegt der Nachweis von Berufskrankheiten beim Betroffenen selbst. Leider. Unsere Vereinsmitglieder sind der Auffassung, dass nur die Beweislastumkehr, wie in den USA üblich, eine gravierende Verbesserung für die Betroffenen bringt. Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Gewerkschaften mehr Druck als bisher aufbauen.
Handeln die Gewerkschaften bei diesem Thema konsequent?
K.S.: Der Zwang zum Handeln ist gegeben, aber nur im sparten- und grenzübergreifenden Schulterschluss aller Gewerkschaften können wir erfolgreich sein. Hier muss mit einer Sprache gesprochen und konsequent gehandelt werden. Nur so können wir die Situation von tausenden Leidtragenden verbessern. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge, raubt eine asbestbedingte Erkrankung etwa 13 Jahre Lebenszeit.Dennoch muten die Berufsgenossenschaften und ihre „Gutachter“ vielfach den frischoperierten und erschöpften Menschen einen Prozessmarathon zu, um die Anerkennung einer Berufserkrankung durchsetzen zu können.
Welche konkreten Ziele hat die neue Asbestose Selbsthilfegruppe Baden-Württemberg, und was plant sie für die nächste Zeit?
K.S.: In der nächsten Zeit sind wir aktiv mit Info-Ständen vertreten z.B. bei den Ehrenamtstagen in der Pfalz oder bei Fortbildungsveranstaltungen des Sozialverbandes VdK. Wir beraten individuell. Wir begleiten Betroffene und deren Familienangehörige. Unsere Treffen sind öffentlich zugänglich und finden an jeden 2. Montag des Monats von 15.00 bis 16.30 Uhr in den Räumen des Gesundheitstreffpunktes Mannheim, Max-Joseph-Str. 1, statt. Neben Betroffenen sind uns auch Angehörige oder Gäste willkommen, die sich informieren möchten.