Auf dem rech­ten Auge blind …

Erklä­rung der ISO Karls­ru­he zur Kund­ge­bung von „Quer­den­ken“ und zum bru­ta­len Poli­zei­ein­satz gegen die Gegendemonstrant:innen am 03.06.2021 in Karlsruhe 

(Bei­trag für eine Bilanz)

 

1. Die bun­des­weit bewor­be­ne und gestream­te Kund­ge­bung in der Gün­ther-Klotz-Anla­ge mit dem „Querdenken“-Gründer Micha­el Ball­weg und ihrem Star­an­walt Lud­wig konn­te gera­de mal 800 Per­so­nen mobi­li­sie­ren statt der ange­mel­de­ten 1.500. Es bestä­tig­te sich der Trend der letz­ten Wochen, dass mit der wach­sen­den Zahl der Geimpf­ten, dem Sin­ken der Inzi­den­zen, dem Über­bie­tungs­wett­be­werb der Bun­des­re­gie­rung und der Lan­des­re­gie­run­gen bei den Öff­nungs­schrit­ten und v.a. durch die Aus­sicht auf einen Som­mer­ur­laub der zeit­wei­li­ge Mas­sen­ein­fluss von QD schmilzt wie die But­ter an der Son­ne. Ursprüng­lich woll­te QD eine Demons­tra­ti­on mit meh­re­ren tau­send Teil­neh­mern durch Karls­ru­he durch­füh­ren, die jedoch ver­bo­ten wur­de, das Ver­bot wur­de gericht­lich bestätigt.

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Erklä­rung der ISO Karls­ru­he zum 3.06.2021

2. Obwohl sich QD um ein betont (klein-)bürgerliches Image bemüh­te – rechts­ra­di­ka­le und faschis­ti­sche Emble­me und Fah­nen hat­te man zu Hau­se gelas­sen –, waren die Aus­füh­run­gen von Ball­weg an Zynis­mus und Men­schen­feind­lich­keit nicht zu über­bie­ten (sie­he den Bericht von Baden TV). Pro­test und Gegen­in­for­ma­ti­on dage­gen sind also mehr als notwendig.

3. Auf­grund der bis kurz vor der Ver­an­stal­tung unsi­che­ren Rechts- und Geneh­mi­gungs­la­ge konn­te zu der Gegen­kund­ge­bung des Anti­fa­schis­ti­schen Akti­ons­ko­mi­tees Karls­ru­he (AAKA) in unmit­tel­ba­rer Nähe von QD nicht adäquat und breit mobi­li­siert wer­den. Die gera­de mal 300 Teil­neh­mer waren nur „der har­te Kern“ der anti­fa­schis­ti­schen und anti­ras­sis­ti­schen Bewe­gung in Karls­ru­he. Inner­halb die­ses Spek­trums war des­halb der Ein­fluss des v.a. aktio­nis­tisch ori­en­tier­ten, post­au­to­no­men Teils (Offe­nes Anti­fa­schis­ti­sches Treffen/OAT) des­halb grö­ßer als sonst.

4. Wäh­rend „Quer­den­ken“ der „Rote Tep­pich“ aus­ge­rollt wur­de – kei­ne Maß­nah­men gegen die Nicht­ein­hal­tung von (sowie­so auf­ge­weich­ter) Mas­ken­pflicht und Abstands­re­geln –, waren die mehr als 500 Poli­zei­kräf­te gegen­über den Teil­neh­mern der Gegen­kund­ge­bung von Anfang an „auf Kra­wall gebürs­tet“: So ver­such­ten sie bereits eine Stun­de vor dem Beginn der Quer­den­ken-Kund­ge­bung, die vom Ord­nungs­amt geneh­mig­te Flä­che der Gegen­kund­ge­bung zu ver­klei­nern, was zu die­sem Zeit­punkt abge­wen­det wer­den konnte.

5. Die Blo­cka­de an der Stra­ßen­bahn­hal­te­stel­le Euro­pa­hal­le, die dazu führ­te, dass die anrei­sen­den QDler 
län­ger zum Kund­ge­bungs­platz unter­wegs waren, mag auf den ers­ten Blick ein Erfolg gewe­sen sein, aus 
unse­rer Sicht war es eher ein „Pyr­rhus­sieg“ [ein zu teu­er erkauf­ter Erfolg].

6. Unmit­tel­bar nach Ein­tref­fen der Fahr­rad­de­mo und der Blo­ckie­rer von der Euro­pa­hal­le gab es hek­ti­sche Maß­nah­men der Poli­zei­kräf­te; der Weg zwi­schen den bei­den Rasen­flä­chen wur­de mit Poli­zei­wan­nen und einer Poli­zei­ket­te zuge­stellt, anschlie­ßend die Rei­ter­staf­fel in Stel­lung gebracht und vom Pferd aus die ers­ten Rei­hen der Gegen­kund­ge­bung mit Knüp­peln, Reiz­gas und Reit­peit­schen ange­grif­fen und eini­ge Per­so­nen z.T. schwer ver­letzt; aller­dings hat nur die Poli­zei gese­hen, dass sich die Demons­tran­ten „plötz­lich“ auf die QD-Kund­ge­bung zube­we­gen woll­ten. Etwas spä­ter dran­gen zwei Poli­zei­ein­hei­ten in unser Kund­ge­bungs­are­al ein, spal­te­ten die Kund­ge­bung in zwei Tei­le und kes­sel­ten den Teil, der der QD-Kund­ge­bung am nächs­ten war, ein.

Die bevor­ste­hen­de Ein­kes­se­lung hät­te von einer umsich­ti­gen Demo­lei­tung erkannt wer­den kön­nen und Gegen­maß­nah­men hät­ten ver­an­lasst wer­den müs­sen (z.B. die Ein­schal­tung des anwe­sen­den OB Men­trup (SPD) und der eben­falls anwe­sen­den Spit­ze des Ord­nungs­amts). Die Ein­ge­kes­sel­ten wur­den dann jeweils von zwei Poli­zis­ten zu einer Poli­zei­wan­ne gebracht, die Per­so­na­li­en fest­ge­stellt, Platz­ver­wei­se erteilt und Straf­an­zei­gen vor­be­rei­tet. Die­ter Wer­ner vom Poli­zei­prä­si­di­um Karls­ru­he begrün­de­te die Ein­kes­se­lung mit der Not­wen­dig­keit der Fest­stel­lung der Per­so­na­li­en der „Blo­ckie­rer“ und nicht etwa mit Ver­stö­ßen gegen Kund­ge­bungs­auf­la­gen, wie die Poli­zei anfäng­lich behaup­tet hatte.

Wir wün­schen allen von dem Poli­zei­ein­satz Ver­letz­ten bal­di­ge Gene­sung und for­dern die sofor­ti­ge Ein­stel­lung aller Ermitt­lun­gen gegen die Gegendemonstrant:innen.

7. Danach war die Gegen­kund­ge­bung haupt­säch­lich mit dem Pro­test gegen den Poli­zei­ein­satz beschäf­tigt, zu einer Kri­tik von QD kam es gar nicht mehr, auch wenn es spä­ter noch eine Demo zum Haupt­bahn­hof gab.

8. Die Gemein­de­rats­frak­ti­on der Karls­ru­her LINKEN hat den Poli­zei­ein­satz zu Recht ver­ur­teilt und for­dert die Auf­ar­bei­tung mit einem „run­den Tisch“. Die Gemein­de­rats­frak­ti­on der LINKEN wirft den poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen zu Recht (v.a. OB Men­trup) „poli­ti­sches Ver­sa­gen“ vor, weil sie den Poli­zei­ein­satz lau­fen lie­ßen. Die Gemein­de­rats­frak­ti­on dehnt die­sen Vor­wurf auch auf die Poli­zei aus, als ob die­se ein neu­tra­ler Schieds­rich­ter zwi­schen Quer­den­kern und Rechts­ra­di­ka­len einer­seits und Antifaschist:innen ande­rer­seits sein könn­te. Die­se Hal­tung ist mehr als naiv: Seit Beginn der Coro­na­kri­se ist das Poli­zei­mus­ter stets das glei­che: Coro­na­leug­ner und die unter ihnen agie­ren­den Faschis­ten blei­ben meis­tens unbe­hel­ligt, wäh­rend lin­ke Akti­vi­tä­ten (auch bei Ein­hal­tung der Coro­na-Schutz­maß­nah­men) oft rigo­ros unter­bun­den wurden.

9. SWR und (ein­ge­schränkt) Baden TV folg­ten in ihrer Bericht­erstat­tung über­wie­gend der Dar­stel­lung der Poli­zei­kräf­te, wäh­rend KA-News gleich den Poli­zei­be­richt ver­öf­fent­lich­te, was mit Jour­na­lis­mus und 
Infor­ma­ti­on nun über­haupt nichts mehr zu tun hat. Nur die BNN infor­mier­te über die Kri­tik am 
Poli­zei­ein­satz in halb­wegs ange­mes­se­ner Wei­se. In der media­len Öffent­lich­keit wird so das Bild der 
„fried­li­chen“ Quer­den­ker und der „kra­wal­li­gen“ Anti­fa gemalt. Vor die­sem Hin­ter­grund wirkt die 
Ein­schät­zung des OAT, die Gegen­ak­ti­vi­tä­ten sei­en in der Sum­me ein „Erfolg“ gewe­sen, kaum 
nachvollziehbar.

10. Die anti­fa­schis­ti­sche, die anti­ras­sis­ti­sche Bewe­gung sowie die Struk­tu­ren gegen die Bewe­gung der 
Coro­na­leug­ner sind gefor­dert, die brei­test­mög­li­che Ein­heit bei den nächs­ten Mobi­li­sie­run­gen her­zu­stel­len, die inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung über Faschis­mus, Ras­sis­mus und Quer­den­ker­be­we­gung zu füh­ren und den Zusam­men­hang mit der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se kon­kret auf­zu­zei­gen, statt prio­ri­tär auf hoch­schwel­li­gen Aktio­nis­mus zu ori­en­tie­ren. Nur so kann dem Rechts­trend in der Gesell­schaft Ein­halt gebo­ten werden.

11. Die Mehr­fach-Kri­se, die wir erle­ben – Wirt­schafts­kri­se, Coro­na­kri­se und Kli­ma­kri­se – hat die 
Ungleich­heit und Spal­tung der Gesell­schaft ver­tieft; dage­gen gilt es eine brei­te sozia­le Front aufzubauen, 
wozu auch schon Ansät­ze vor­han­den sind (z.B. „Soli­da­risch geht anders“).

(Karls­ru­he, den 06. Juni 2021)

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