Chance oder Risiko?
S. T.
Was sind die konkreten Folgen der Digitalisierung für uns? Wie fast bei jedem Thema gibt es auch beim technologischen Fortschritt positive und negative Aspekte. Dabei gilt: Je größer die Chancen, desto größer sind die Risiken.
Beim aktuellen technologischen Stand ist es heute schon möglich, sehr viele Tätigkeiten von Maschinen oder Systemen durchführen zu lassen. Im Moment steht dem vor allem noch die rein betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung entgegen. Das heißt, oft ist menschliche Arbeitskraft billiger als ein Roboter.
Megatrends der Digitalisierung
Die Megatrends der Digitalisierung in der Arbeitswelt sind die Veränderung von:
- Arbeitsinhalten, Arbeitsaufgaben und Anforderungen
- Vernichtung von Arbeitsplätzen (z.B. durch Digitalisierung von ursprünglich manuell ausgeführten Tätigkeiten)
- Zergliederung von Arbeitsprozessen (z.B. durch Auslagerung von kleinteiligen IT-Zuarbeiten an überausgebeutete „Click Worker“)
- Digitalisierung von Entscheidungsprozessen (durch künstliche Intelligenz)
- Entgrenzung von Arbeitszeit
- ortsunabhängigen Arbeiten, die über das Internet oder ein Firmenintranet organisiert und zusammengeführt werden.
- Massendaten und deren systematische Nutzung durch statis tische Methoden („Big Data“ und „Data Mining“)
Nutzen für wen?
Im Prinzip sollte eine Technologie oder eine Wissenschaft immer dem Wohle der Menschen dienen. Doch im Kapitalismus geht es um Profitmaximierung und nicht um das Wohl der Menschheit.
Was bedeutet das für uns? Die meisten von uns müssen ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen, um im Tausch gegen Geld (mehr oder weniger)„menschenwürdig“ leben zu können.
Zwei Szenarien
Wie wird sich die kapitalistische Klassengesellschaft entwickeln, wenn auf lange Sicht kaum noch Arbeit von Menschen erledigt werden muss?
Szenario 1:
Es besteht dann die Möglichkeit, dass wir ab diesem Zeitpunkt völlig frei und selbstbestimmt leben können. Geld wäre in diesem Szenario überflüssig. Alles wäre gleichmäßig verteilt. Es gäbe keine Ausbeutung und keine Korruption mehr. Ein wunderschöner Traum. Doch er wird ohne die Überwindung des Kapitalismus nicht Wirklichkeit werden.
Szenario 2:
Die Herrschenden haben die totale Kontrolle über die arbeitenden Systeme und über alle Ressourcen unseres Planeten. Das ist ein Szenario, das höchstwahrscheinlich mit Gewalt durchgesetzt werden müsste. Tendenzen der aktuellen gesamtgesellschaftlichen Entwicklung lassen dies als nicht völlig unwahrscheinlich erscheinen. Der Kapitalismus würde sich in eine digitale Diktatur verwandeln, um die Ausbeutung unter neuen Bedingungen zu sichern.
Doch was passiert dann mit uns allen, die wir vom Verkauf unserer Arbeitskraft leben? Die große Mehrheit von uns würden schlicht und ergreifend nicht mehr gebraucht.
Wird sich der Kapitalismus in diese Richtung entwickeln und noch extremer werden? Aktuell ist er weltweit mehr denn je auf menschliche Arbeit angewiesen und auf permanentes Konsumwachstum ausgerichtet. Deshalb braucht er immer neue Absatzmärkte für seien Waren und damit mehr Konsum.
Die Lösung
Es ist kaum möglich, den technologischen Fortschritt aufzuhalten. Er soll aber der gesamten Menschheit und nicht nur den herrschenden 1 % dienen.
Die Gewerkschaften und die politische Linke sind hier in besonderem Maße gefordert. Kurzfristig wäre das derzeit größte Problem – massiver Arbeitsplatzabbau infolge der Digitalisierung – noch relativ einfach zu bewältigen. Und zwar mit der Durchsetzung einer radikal verkürzten Wochenarbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich.
Diese Forderung ist recht leicht vermittelbar, zumal sie der Überlastung der Arbeitenden, allen Arten von prekären Jobs und der Arbeitslosigkeit entgegenwirken würde. Die KollegInnen wüssten, für was sie sich einsetzen. Über gemeinsame Aktionen könnte Solidarität spürbar und gleichzeitig gewerkschaftliche und linke politische Gegenmacht gestärkt werden.
Auf lange Sicht kann allerdings die Digitalisierung nur dann ein Segen für die Menschheit werden, wenn der Kapitalismus überwunden und durch eine menschen- und umweltfreundliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung abgelöst wird.
* [Teil I erschien in Avanti², Nr. 57 von Mai 2019.]