Wichtige Weichenstellung für die kommenden Jahre
Zwischen dem 1. März und dem 31. Mai 2022 finden wieder Betriebsratswahlen statt. Ihr Ausgang entscheidet darüber mit, ob und wie in den nächsten vier Jahren die Beschäftigteninteressen in den Betrieben verteidigt werden. Avanti² hat deshalb mit zwei Betriebsratsmitgliedern aus einem Industriebetrieb mit rund 1.000 Beschäftigten in der Rhein-Neckar-Region gesprochen.*
In wenigen Monaten findet auch bei Euch die Betriebsratswahl statt. Was bedeutet die Wahl für Euch und wie bereitet Ihr Euch darauf vor?
Gerhard: Die Betriebsratswahl ist für uns sehr wichtig. Sie bietet die Chance für eine Weichenstellung zur effektiveren Durchsetzung der Beschäftigteninteressen. Hier ist zu erwähnen, dass unser BR-Gremium mit 13 Mitgliedern schon seit langem gegenüber der Geschäftsleitung nicht sehr einheitlich auftritt. Manche BR-Mitglieder meinen zum Beispiel, es sei ihre Aufgabe, auch noch die Interessen der Geschäftsleitung mit vertreten zu müssen. Das schwächt den Betriebsrat und erschwert es, mehr im Sinne der Beschäftigten zu erreichen.
Wir haben deshalb einen Kern von aktiven Kolleginnen und Kollegen gebildet, der diese Situation im Betriebsrat ändern will. Wir möchten, dass mehr Aktive, die die Interessen der Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen, in den neuen Betriebsrat gewählt werden. Dazu haben wir schon relativ früh einen Aktionsplan erstellt, in dem wir sämtliche Aufgaben inklusive der vorgegebenen zeitlichen Fristen erfasst haben. Also beginnend mit der Findung von Kandidatinnen und Kandidaten für den Wahlvorstand und endend mit der konstituierenden Sitzung des neugewählten Betriebsrats. Die dazwischenliegenden Schritte werden dabei natürlich auch erfasst und entsprechend den zeitlichen Fristen zugeordnet.
Andreas: Der Wahlvorstand wurde zwischenzeitlich schon benannt. Wir konnten auch Vertreter aus unserem aktiven Kern im Wahlvorstand platzieren. Das ist wichtig, um Fehler oder Manipulationen bei der Durchführung der Wahl aufzudecken oder auch eine Einflussnahme der Geschäftsleitung zu verhindern. Wichtig ist jetzt die Kandidatensuche für die Betriebsratswahl. Es gilt, die Menschen anzusprechen, die sich ernsthaft im Interesse der Beschäftigten engagieren wollen, die sich trauen, ihren Mund aufzumachen, und die auch bereit sind, für den Betriebsrat zu kandidieren. Zu diesem Zweck haben wir die persönliche Ansprache möglicher Kandidatinnen und Kandidaten für die einzelnen Unterstützer unseres aktiven Kerns aufgeteilt. In unseren regelmäßigen Treffen besprechen wir den weiteren Fortgang und führen die notwendigen inhaltlichen Diskussionen.
Welche inhaltlichen Themen stehen bei Euch im Vordergrund?
Gerhard: In der Produktion haben wir es verbreitet mit schwerer körperlicher Arbeit zu tun. Dadurch haben vergleichsweise viele Beschäftigte Rückenprobleme. Dazu kommt, dass die Leistungsintensivierung und die Schichtarbeit das ihre dazu beitragen, dass die Arbeitsbedingungen zum Teil mehr als zu wünschen übriglassen. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz müsste deshalb bei uns eine viel größere Rolle spielen als bisher, zumal die Mitbestimmungsmöglichkeiten aus dem Arbeitsschutzgesetz den Handlungsspielraum für den Betriebsrat wesentlich vergrößern.
Die bei uns praktizierte Schichtarbeit, die saisonal auch das Wochenende mit einbezieht, ist für einen Teil der Belegschaft ein richtiges Problem. Sie erschwert nicht nur die Organisierung des Privatlebens, sondern ist auch zusätzlich belastend, weil sie unter Teilzeitbedingungen verrichtet werden muss. Unterm Strich erhalten die Betroffenen dadurch weniger Geld als im normalen Schichtbetrieb, was für viele ein großes Problem darstellt. Der Wechsel dieser Beschäftigten in den normalen Schichtbetrieb muss in der Zukunft ermöglicht werden.
Andreas: Nicht zu vergessen ist, dass die Geschäftsleitung seit einem Jahr einen Teilbetrieb mit rund 50 Arbeitsplätzen inklusive Vertrieb und Versand verkaufen will. Bis jetzt hat sie das noch nicht geschafft. Vereinbarungen mit der Geschäftsleitung zum Schutz der dort Beschäftigten konnten bisher nicht getroffen werden. Zurzeit soll die Braut schöner gemacht werden, um sie doch noch gewinnbringend veräußern zu können. Ohne Absicherung der Belegschaft darf der zukünftige Betriebsrat den Verkauf nicht akzeptieren.
Für uns, als aktiver Kern, ist es entscheidend, die Kraft der Belegschaft in die Betriebsratsarbeit einzubinden. Wir sehen uns nicht als die Vertreter der Beschäftigten, die in deren Namen handeln, sondern als diejenigen, welche die Kolleginnen und Kollegen unmittelbar als selbst handelnde Kraft in die Auseinandersetzungen mit der Geschäftsleitung einbeziehen. Das konsequent umgesetzt garantiert aus unserer Sicht den größtmöglichen Erfolg.
Wie wollt Ihr erreichen, dass die aktivsten und am besten geeigneten Kolleginnen und Kollegen auch gewählt werden?
Andreas: Zunächst geht es darum, dass unsere Kandidatinnen und Kandidaten gemeinsame inhaltliche Positionen erarbeiten. Diese sollen dann als gemeinsames Programm der Belegschaft vermittelt werden. Dazu müssen ein oder mehrere Wahlinfos erstellt werden, worin auch unsere Aktiven mit Bild bekannt gemacht werden. Genaueres lässt sich aber erst planen, wenn feststeht, in welcher Form die Wahl erfolgt. Wir favorisieren die Persönlichkeitswahl, weil diese den Beschäftigten die größte Entscheidungsfreiheit lässt. Bei einer Listenwahl kann ja nur eine einzige Stimme vergeben werden.
Gerhard: Wir müssen uns auf beide Möglichkeiten vorbereiten. Auch bei der Persönlichkeitswahl müssen wir uns mit einer Sicherungsliste absichern, weil bis zum Abgabeschluss der Persönlichkeitswahlliste immer noch mit dem Einreichen einer gegnerischen Liste gerechnet werden muss. Es gibt genügend Beispiele, wo von „gelben“ Betriebsratsmitgliedern oder sogar von Geschäfts- oder Personalleitungen eine eigene Liste initiiert worden ist, um den Wahlerfolg für bestimmte unternehmenshörige Personen zu fördern.
Andreas: Unabhängig davon ist vor allem wichtig, dass unsere Kandidatinnen und Kandidaten bekannt und auch akzeptiert werden. Deshalb sollen sie alle gezielt die Belegschaft in den Abteilungen persönlich ansprechen. Zudem wollen wir im Vorfeld der Betriebsratswahl noch eine Betriebsversammlung durchführen. Sie werden wir dazu nutzen, um unsere inhaltlichen Positionen und unsere Wahlvorschläge bekannt zu machen. Wen man nicht kennt, den wählt man auch nicht! So einfach ist das.
Die Corona-Pandemie wird auch in der Zeit bis zu den Betriebsratswahlen bestimmend sein. Wie geht Ihr damit um?
Andreas: Wir müssen uns darauf einstellen, dass uns die Pandemie einen Strich durch die Rechnung macht. Das fängt an bei der Frage, wie wir an die Beschäftigten im „Homeoffice“ herankommen. Das betrifft bei uns im Wesentlichen die Büro-Angestellten. Das geht weiter mit dem Problem, wie wir aufgrund des Abstandsgebots die persönliche Kontaktaufnahme während der Arbeitszeit überhaupt sicherstellen können. Und natürlich müssen wir die Frage beantworten, wie wir Abteilungs- und Betriebsversammlungen durchführen können. Die bisher zum Teil sehr laxen betrieblichen Vorgaben bezüglich der Einhaltung der Pandemievorschriften dürfen für uns nicht der Maßstab sein. Das stellt uns wirklich vor große Herausforderungen, aber das betrifft auch alle anderen Kandidaturen.
Gerhard: Es stimmt zwar, dass die Pandemie auch alle anderen Kandidatinnen und Kandidaten betrifft, aber das darf uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Um die Chancen unserer Aktiven erhöhen zu können, müssen wir alle Möglichkeiten nutzen und noch einiges an Kreativität entwickeln.
Wir wünschen Euch viel Erfolg bei Euren Vorhaben!