Ein revo­lu­tio­nä­rer Auf­ruf aus dem befrei­ten KZ Buchenwald

 

W. A.

Buchen­wald war von Juli 1937 bis April 1945 eines der größ­ten KZ auf deut­schem Boden.

Damals waren dort rund 277.800 Men­schen aus 50 Län­dern dem SS-Ter­ror aus­ge­setzt. Etwa 56.000 von ihnen kamen ums Leben bzw. wur­den ermordet.
Auch Mit­glie­der und enge Kon­tak­te der IV. Inter­na­tio­na­le waren im KZ Buchen­wald wegen ihres anti­fa­schis­ti­schen Wider­stands inhaftiert. 
Die aus Nazi-Deutsch­land und dem spä­ter dar­an ange­schlos­se­nen Öster­reich stam­men­den Genos­sen bil­de­ten eine gehei­me deutsch­spra­chi­ge Zel­le, um ihren Zusam­men­halt zu stär­ken und ihr Über­le­ben zu ermöglichen.
Ein von Ernst Federn unter dem Pseud­onym Pen­sé am 19. Juni 1945 ver­fass­ter Bericht an das Inter­na­tio­na­le Sekre­ta­ri­at der IV. Inter­na­tio­na­le nennt ihre Namen. 
„Fol­gen­de Genos­sen“, schreibt Federn, „haben sich vom Jah­re 1938 bis 1945 als Anhän­ger der Vier­ten Inter­na­tio­na­le bekannt:“ Wer­ner Scholem (auf Betrei­ben von Sta­li­nis­ten 1940 durch die SS ermor­det), Fritz Reu­ter (1941 im KZ Dach­au zu Tode gekom­men), Wal­ter Wit­wer (1944 bei einem Bom­bar­de­ment des Lagers getö­tet), Karl Plätt­ner (nach der Befrei­ung 1945 aus dem KZ Eben­see an den Fol­gen der Haft gestor­ben), Wal­ter Herz (1942 in der Tötungs­an­stalt Hart­heim ermor­det) und ein Genos­se Wal­ter, des­sen Nach­na­men nicht bekannt ist. 
„Aus Öster­reich“, so Pen­sé, „waren im Lager seit 1938 Genos­se Gus­tav Gro­nich, der 1939 ent­las­sen wur­de, Gen. Ernst Federn, der am 11. April 1945 befreit wur­de, Gen. Edu­ard Kali­scher, der im Lager Ausch­witz im Win­ter 1943 von einem besof­fe­nen Kapo erschla­gen wur­de. Aus Polen Gen. Leib Ehr­lich, der auf Trans­port ging und über des­sen Schick­sal ich nichts mehr erfah­ren konn­te. 1944 kam […] Gen. Karl Fischer aus Wien, der am 11. April eben­falls befreit wurde.“
Federns Fazit lau­tet: „Unse­re Genos­sen hiel­ten immer engs­ten Kon­takt und waren bemüht, soweit es mög­lich war, die poli­ti­schen Ver­hält­nis­se zu ver­fol­gen und theo­re­tisch zu ana­ly­sie­ren. Sie haben außer­dem sich red­lich bemüht, die poli­ti­schen Gefan­ge­nen ande­rer Rich­tun­gen zu infor­mie­ren und auf­zu­klä­ren. Die deut­schen Genos­sen stan­den selbst­ver­ständ­lich mit unse­ren fran­zö­si­schen Freun­den in engs­tem […] Kon­takt, eben­so mit den bel­gi­schen Genossen.“ 
Federns Bericht benennt auch die bis heu­te oft tabui­sier­te kri­mi­nel­le Rol­le von sta­li­nis­ti­schen Häft­lin­gen: „Die jün­ge­re Frak­ti­on hat uns mit gerin­gen Aus­nah­men ver­folgt und gescha­det, wo sie konn­te. […] Die herr­schen­de KP-Cli­que setz­te es durch, daß Scholem ermor­det wur­de, daß Plätt­ner, Mel­cher und Woi­chen auf Trans­port nach Ausch­witz gin­gen, und denun­zier­te Gen. Federn […].“ Nur dank der Hil­fe aus­län­di­scher Kom­mu­nis­ten und sei­ner eige­nen Genos­sen konn­te er dem Tod entrinnen.
Kurz vor der Befrei­ung des KZ am 11. April 1945 ver­ei­tel­ten die Mit­glie­der der IV. Inter­na­tio­na­le eine von der SS ange­ord­ne­te Ver­samm­lung „der Juden“, die mit Sicher­heit töd­li­che Fol­gen für die Betrof­fe­nen gehabt hätte. 
Weni­ge Tage nach ihrer Befrei­ung mel­de­ten sich die Genos­sen der IV. Inter­na­tio­na­le mit einer Erklä­rung zu Wort.


Erklä­rung der inter­na­tio­na­lis­ti­schen Kom­mu­nis­ten Buchenwalds *

[…] Die Bour­geoi­sie und das ent­wur­zel­te Klein­bür­ger­tum haben den Faschis­mus an die Macht gebracht. Der Faschis­mus ist das Geschöpf des Kapi­ta­lis­mus. Nur die erfolg­rei­che unab­hän­gi­ge Akti­on der Arbei­ter­klas­se gegen den Kapi­ta­lis­mus ist imstan­de, das Übel des Faschis­mus samt sei­ner Wur­zel aus­zu­rei­ßen. In die­sem Kampf wird sich das zögern­de Klein­bür­ger­tum dem revo­lu­tio­när vor­stür­men­den Pro­le­ta­ri­at anschlie­ßen, wie es uns die Geschich­te der gro­ßen Revo­lu­tio­nen lehrt.

Um aus den kom­men­den Klas­sen­kämp­fen sieg­reich her­vor­zu­ge­hen, muß die deut­sche Arbei­ter­klas­se die Ver­wirk­li­chung fol­gen­der For­de­run­gen erkämpfen:
• Orga­ni­sa­ti­ons-, Ver­samm­lungs- und Pressefreiheit!
• Koali­ti­ons­frei­heit und sofor­ti­ge Wie­der­her­stel­lung aller sozia­len Errun­gen­schaf­ten von vor 1933!
• Rest­lo­se Besei­ti­gung aller faschis­ti­schen Organisationen!
• Beschlag­nah­me ihres Ver­mö­gens zuguns­ten der Opfer des Faschismus!
• Abur­tei­lung aller Trä­ger des faschis­ti­schen Staa­tes durch frei gewähl­te Volksgerichte!
• Auf­lö­sung der Wehr­macht und ihre Erset­zung durch Arbeitermilizen!
• Sofor­ti­ge freie Wahl von Arbei­ter- und Bau­ern­rä­ten in ganz Deutsch­land und Ein­be­ru­fung eines all­ge­mei­nen Räte­kon gresses!
• Trotz Aus­nüt­zung aller par­la­men­ta­ri­schen Insti­tu­tio­nen der Bour­geoi­sie für die revo­lu­tio­nä­re Pro­pa­gan­da, Bei­be­hal­tung und Erwei­te­rung der Räte!
• Ent­eig­nung der Ban­ken, der Schwer­indus­trie und des Großgrundbesitzes!
• Kon­trol­le der Pro­duk­ti­on durch die Gewerk­schaf­ten und die Arbeiterräte!
• Kei­nen Mann, kei­nen Pfen­nig für die Kriegs- und Repa­ra­ti­ons­schul­den der Bourgeoisie!
• Die Bour­geoi­sie muß zahlen!
• Für die gesamt­deut­sche sozia­lis­ti­sche Revo­lu­ti­on, gegen eine Zer­stü­cke­lung Deutschlands!
• Revo­lu­tio­nä­re Ver­brü­de­rung mit den Pro­le­ta­ri­ern der Besatzungsarmeen!
• Für ein Räte-Deutsch­land in einem Räte-Europa!
• Für die pro­le­ta­ri­sche Weltrevolution!

20. April 1945, Die inter­na­tio­na­lis­ti­schen Kom­mu­nis­ten Buchen­walds (IV. Internationale)“


* [Eine Redak­ti­ons­grup­pe, der Mar­cel Bau­frè­re, Ernst Federn, Karl Fischer und Flo­rent Gal­loy ange­hör­ten, ver­fass­te die­se Erklä­rung. Ihr Text wur­de am 20. April 1945 von den in Buchen­wald befrei­ten Genos­sen und Sym­pa­thi­san­ten der IV. Inter­na­tio­na­le ange­nom men und danach im Lager ver­teilt. Aus Platz­grün­den kön­nen wir hier nur einen Aus­zug wiedergeben.]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Mai 2025
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