Arbeitsgericht für XXXL-Kapitalismus
B.G.
Das Arbeitsgericht Mannheim musste sich unter anderem am 16. Februar 2016 mit dem Konflikt bei XXXL befassen (Verfahren 1 BVGa 2/16 ). Die Kammer unter Vorsitz des Richters Holger Willer wies den Antrag des Betriebsrats „auf Untersagung der Durchführung von Umstrukturierungsmaßnahmen im Betrieb Mannheim“ ab.
In der mittlerweile vorliegenden Begründung seines Beschlusses führte das Gericht laut einer Pressemitteilung vom 01. März 2016 aus: „Zum einen sei der Antrag des Betriebsrats bereits unzulässig, da unklar bleibe, welche konkreten Handlungen unterlassen werden sollen.“
Durch den Vortrag des Betriebsrats-Vorsitzenden Tom Becker und seines Rechtsanwaltes war jedoch offensichtlich, dass die Kündigung der 99 Beschäftigten - darunter mehrere aktive BR-Mitglieder - unter Vorwänden erfolgte.
„Zum anderen“, so die Presseerklärung weiter, „sei der Antrag jedenfalls nicht begründet: Damit überhaupt ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 111 BetrVG entstehen könne, müsse der Arbeitgeber unumkehrbare Maßnahmen ergriffen haben. Weder die tatsächliche Einstellung der betrieblichen Tätigkeit noch die den Arbeitnehmern gegenüber erklärten widerruflichen Freistellungen unter Fortzahlung ihrer Vergütung stellten solche Maßnahmen dar.“
Diese „Argumentation“ ist an klassenbewußtem Zynismus kaum zu übertreffen: Die „tatsächliche Einstellung der betrieblichen Tätigkeit“, die daraus erfolgten „widerruflichen Freistellungen“ der betreffenden KollegInnen und die damit einhergehende Zerschlagung des BR sind unübersehbarer Bestandteil der aggressiven XXXL-Strategie.
Auch ein Arbeitsgericht hat die Gesamtumstände eines Konflikts zu beachten. Die mit dem Fall befasste Kammer wollte dies jedoch partout nicht.
Ferner heißt es in der zitierten Pressemitteilung: „Auch aus der ‚Standortgarantie‘ aus der Betriebsvereinbarung vom April 2014 könne der Betriebsrat keinen Anspruch auf ein Verbot der Betriebsänderung herleiten. Denn die Garantie sei lediglich unter der Bedingung erteilt worden, dass der ‚Dienstleistungs- und Nutzungsvertrag‘ mit dem einzigen Auftraggeber weiter bestehe. Diese Bedingung sei wegen der fristlosen Kündigung des Auftraggebers vom Januar 2016 nicht mehr erfüllt.“
Es war schon bei der mündlichen Verhandlung offensichtlich, dass die Kammer überhaupt kein Interesse hatte, sich mit den unübersehbaren „Merkwürdigkeiten“ dieses Falles zu beschäftigten: Weder mit der äußerst fragwürdigen Schachtel-Konstruktion des XXXL-Konzerns, noch mit dem Bruch der Standortsicherungsvereinbarung oder mit dem nach Ansicht von BeobachterInnen sitten- und rechtswidrigen „Dienstleistungs- und Nutzungsvertrag“.
Spitzfindigkeiten
Zum Schluß der Erklärung des Arbeitsgerichts dürfen wir noch eine weitere Perle juristischer Spitzfindigkeit zur Kenntnis nehmen: „Im übrigen geht die Kammer davon aus, dass selbst die Verletzung von Informations- und Beratungsrechten des Betriebsrats keinen ‚allgemeinen Unterlassungsanspruch‘ des Betriebsrats gegen die Durchführung von betriebsändernden Maßnahmen auslösen würde: Das Gesetz sehe als einzige Rechtsfolge in § 113 III BetrVG für solche Fälle den finanziellen ‚Nachteilsausgleich‘ zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer vor.“
Mit anderen Worten: Ein Unternehmen kann beliebig die Informations- und Beratungsrechte des BR verletzen und muss maximal einen „finanziellen ‚Nachteilsausgleich‘“ in Kauf nehmen.
Mit dem Beschluss im vorliegenden Steitfall und seiner schriftlichen Begründung hat die dafür verantwortliche Kammer die rechtliche Position des XXXL-BR gleich zu Beginn der Auseinandersetzung entscheidend geschwächt. Sie hat zudem eine gefährliche juristische Tretmine gelegt. Diese kann auch anderen Betriebsratsgremien und den von ihnen vertretenen Belegschaften - selbst außerhalb des XXXL-Konzerns - noch sehr zum Nachteil gereichen.
Aufgrund des Vergleichs zwischen XXXL und dem Mannheimer Betreisbrat ist es am 30. März zu keiner Entscheidung des Landesarbeitsgericht in dieser Frage gekommen. Nicht nur die zuständige Gewerkschaft ver.di muss sich um die Aufarbeitung dieses XXXL-Urteils kümmern.