Abbau durch Produktionsverlagerung?
H. S.
176 der 232 Beschäftigten des Vliesstoff-Geschäftsbereichs Freudenberg Performance Materials Apparel in Weinheim sollen ihren Arbeitsplatz verlieren. Betriebsbedingte Kündigungen schließt das Management dabei ausdrücklich nicht aus.
Zum Hintergrund: Die Geschäftsleitung gab Ende Januar 2021 bekannt, dass sie den wesentlichen Teil der Produktion von Einlagevliesstoffen für die Bekleidungsindustrie bis Ende 2022 nach Italien verlagern und darüber hinaus den verbleibenden Rest massiv „umstrukturieren“ will.
Zukunftsperspektiven zerstören?
Das Management „begründet“ sein Vorhaben mit „Marktveränderungen“ in der Bekleidungsindustrie, die einen massiven Umsatzrückgang bewirkten. Immer mehr Verbraucher würden dem Trend zu legerer Kleidung in vielen Bereichen des Lebens folgen. Die entsprechenden Kleidungsstücke würden aber nur wenige oder gar keine Einlagevliesstoffe enthalten. Die weltweite Corona-Pandemie habe diese Entwicklung noch beschleunigt. Deshalb wolle man sich in Weinheim künftig nur noch auf die Herstellung von Basismaterial für Einlagen konzentrieren.
Die geplante Produktionsverlagerung im Verbund mit dem geplanten Wegfall der überlebenswichtigen Infrastruktur und der Dienstleistungen dient ausschließlich der Profitsteigerung. Die geplante Restbelegschaft mit 56 Beschäftigten wäre nur noch marginal. Der Wegfall zum Beispiel der Forschungs- und Entwicklungs- abteilung bedeutet nicht weniger als die Zerstörung von Zukunftsperpektiven. Eine Komplettschließung zu einem späteren Zeitpunkt wäre dann umso einfacher möglich.
Noch vor wenigen Wochen wurde gegenüber dem Betriebsrat von einem Abbau von 50 Arbeitsplätzen gesprochen. Nun sind es, sozusagen von heute auf morgen, 176 Stellen, die vernichtet werden sollen.
Pandemie als Vorwand
Auch wenn die Pandemie zu einem spürbaren Umsatzeinbruch führt, dann ist dieser nur vorübergehend. Zudem konnte sich Freudenberg in den letzten Monaten durch Kurzarbeit und coronabegründete Wirtschaftshilfen weitgehend schadlos halten. Kleider werden trotz alledem immer gebraucht. Die Pandemie ist nur ein billiger Vorwand für die angekündigten Maßnahmen. Geringere Profitmargen sind jedenfalls kein akzeptabler Grund, um jetzt in Weinheim die Arbeitsplätze zu vernichten. Zumal die Beschäftigten auch nicht schuld sind an der derzeitigen Situation, und zudem das Unternehmen in den letzten Jahren aus der Arbeit der Belegschaft keinen kleinen Profit gezogen hat.
Schon seit Jahren wurde kaum oder gar nicht mehr in die bestehenden Anlagen investiert, genau so wenig wurden Innovationen entwickelt. Mit dem Argument, dass ein großer Teil der Anlagen nicht mehr „wettbewerbsfähig“ sei, wird jetzt die Produktionsverlagerung zusätzlich begründet. Für den desolaten Zustand der Produktion und für fehlende Zukunftsperspektiven trägt allein die Geschäftsleitung die Verantwortung.
Hier wird deutlich, dass die Pandemie tatsächlich nicht ursächlich ist. Sie dient vor allem als „Argument“, um mehr Akzeptanz für die geplanten Maßnahmen zu erhalten. Es ist die Unternehmensstrategie von Freudenberg, die, wie schon so oft in der Vergangenheit, auf Verlagerung, Schließung oder Verkauf setzt, wenn die Profitsteigerung nicht ausreichend erscheint.
Kampf um alle Arbeitsplätze
Was heißt das alles für die Belegschaft, den Betriebsrat und die zuständige Gewerkschaft IG BCE?
Betriebsrat und Gewerkschaft sollten gemeinsam mit der Belegschaft einen Aktionsplan für ein gemeinsames Vorgehen und für Alternativen zum Kahlschlagkonzept des Konzerns entwickeln. Die Einbeziehung der Beschäftigten in alle Phasen des anstehenden Konflikts wird entscheidend dafür sein, ob es gelingt, den eigenen Forderungen Geltung zu verschaffen.
Neben dem Aufbau innerbetrieblicher und außerbetrieblicher Solidarität sowie der Vorbereitung gemeinsamer öffentlicher Aktionen gilt es, weitere wichtige Themen in die Auseinandersetzung zu tragen. Zum Beispiel die Frage des Erhalts der Arbeitsplätze durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Zum Beispiel das Verbot von Entlassungen. Zum Beispiel die Forderung nach Offenlegung der Bücher des Konzerns.
Freudenberg darf nicht aus der gesellschaftlichen Verantwortung entlassen werden. In Artikel 14 Abs. 2 des Grundgesetzes steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Statt der Profitmaximierung im Sinne der Eigen- tümer von Freudenberg muss es deshalb um den sozial und wirtschaftlich notwendigen Erhalt der Arbeitsplätze gehen. Die Existenz der von Arbeitsplatzvernichtung bedrohten Kolleginnen und Kollegen muss gesichert werden.
Nur wer kämpft, kann gewinnen!