Vor 10 Jahren - Torblockaden sichern Arbeitsplätze!
Angesichts der aktuellen Auseinandersetzung bei GE in Mannheim wollen wir an den erfolgreichen Kampf der Freudenberg Bausysteme-Belegschaft (FBS - heute Nora Systems GmbH) in Weinheim erinnern. Können daraus Schlussfolgerungen für den Widerstand gegen die beabsichtigte Zerschlagung des GE-Werkes in Mannheim gezogen werden?
Avanti² hat deshalb Helmut Schmitt, den Vorsitzenden der Ortsgruppe Weinheim der IG BCE und damaligen stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden von FBS, als direkt Beteiligten an den Vorgängen befragt:
Avanti²: Genau 10 Jahre ist es her, dass die Beschäftigten der damaligen Freudenberg Bausysteme KG (FBS) in Weinheim den Verkauf ihres Betriebes an einen Konkurrenten verhindert haben. Nach einer zehnstündigen Blockade aller Tore des Industrieparks Freudenberg hat das Management, am 22.01.2007, den Verkauf gestoppt. Was ist damals genau passiert, was waren die Hintergründe?
Helmut Schmitt: Im Sommer 2006 kam das Gerücht hoch, dass der Betrieb verkauft werden soll. Anfragen des Betriebsrats bei der Konzernspitze blieben unbeantwortet. Der geplante Verkauf wurde zunächst geleugnet. Im Herbst wurde eine Reihe von fremden Herren durch die Werkshallen geführt, offensichtlich diverse Kaufinteressenten. Die vom Betriebsrat in Info-Blättern und auf der Betriebsversammlung vorgetragenen Bedenken gegen die Verkaufsabsichten wurden von der Belegschaft in vollem Umfang geteilt. Der Verkauf an einen Konkurrenten würde zwangsläufig zu Personalabbau, im schlimmsten Fall sogar zur Komplett-Schließung führen.
Hinzu kam, dass die Konzernspitze noch bis zum Sommer erklärt hatte: Wenn ein positives Ergebnis von 5,5 Millionen € erzielt würde, dann könne der Betrieb selbständig im Freudenberg-Verbund verbleiben. Obwohl FBS für das Jahr 2006 ein Ergebnis von 8 Mio. € erwirtschaftet hatte und damit weit über Plan lag, sollte nun aber trotzdem verkauft werden. Als Grund wurde genannt: FBS gehöre als Bodenbelags-Hersteller nicht mehr zum Kerngeschäft. Freudenberg wolle sich im Wesentlichen als Autozulieferer aufstellen.
Avanti²: Was hat bewirkt, dass die Belegschaft sich dann so massiv zur Wehr gesetzt hat?
Helmut Schmitt: Es war die Vorgehensweise der Konzernleitung, die ihre Zusage gebrochen hatte und nun eine strategische Neuausrichtung auf die Autoindustrie zu Lasten der FBS KG verkündete. Dies wurde von der Belegschaft nicht mehr akzeptiert. Auf mehreren zusätzlichen Betriebsversammlungen und mehreren Demonstrationen in die Stadt wurde das so deutlich, dass die Konzernspitze Anfang Januar 2007 das Gerücht streute, der Verkauf sei vom Tisch.
Mitte Januar kam jedoch heraus, dass innerhalb der nächsten Tage der Verkauf durchgeführt werden solle. Betriebsrat und Belegschaft fühlten sich nur noch verarscht. Ab da schlug die Stimmung in offenen Widerstand um.
Eine Betriebsversammlung wurde kurzfristig für den 18. Januar einberufen. Der Versammlungsraum platzte aus allen Nähten. Die Wortmeldungen ließen an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Die Wut war riesengroß. Es wurde die Forderung erhoben, dass die Betriebsversammlung erst dann beendet werden dürfe, wenn der Verkauf vom Tisch sei. Jetzt seien weitergehende Aktionen erforderlich. Betriebsversammlungen und Demonstrationen würden allein nicht mehr ausreichen.
Zunächst wurde allerdings - trotz des zu diesem Zeitpunkt wütenden Orkans „Kyrill“ - beschlossen, eine weitere Demo in Weinheim zur Information der Öffentlichkeit durchzuführen. Auch das kurzfristig eingegangene Demonstrationsverbot der Polizei wegen des Orkans konnte die Belegschaft nicht abhalten. Nach der Demo wurde die Betriebsversammlung (jetzt zusätzlich mit der Spätschicht und danach noch mit der Nachtschicht) fortgeführt. Als Ergebnis der breit geführten Diskussion über die nächsten Schritte, wurde am Abend gemeinsam und demokratisch beschlossen, am Freitagmorgen, noch vor Beginn der Frühschicht, die Betriebsversammlung zu unterbrechen und sämtliche Tore des Industrieparks zu besetzen. Eine andere Sprache, so die Meinung, würde das Management nicht verstehen.
Gesagt, getan! „Zufälligerweise“ waren im Morgengrauen auch Presse und Fernsehen anwesend, um die Aktion zu dokumentieren und Öffentlichkeit herzustellen. Nachdem wir am Anfang nur unter uns waren, änderte sich das Bild aber sehr schnell. Viele Kolleginnen und Kollegen der Frühschicht aus den anderen Freudenberg-Betrieben am Standort solidarisierten sich spontan und beteiligten sich während ihrer eigenen Arbeitszeit an der Torbesetzung. Dadurch entstand eine unvergleichliche Stimmung unter den Besetzern und viele waren überwältigt von dieser Solidarität. Dazu kam, dass auch viele Bürgerinnen und Bürger von Weinheim ihre Solidarität bekundeten, in dem sie zum Beispiel die Kolleginnen und Kollegen mit Kaffee versorgten. Werkschutz und Polizei, die zwischenzeitlich gerufen worden waren, hätten ohne direkte Gewalteinwirkung nichts erreichen können. Hässliche Szenen im Fernsehen aber wollte Freudenberg offensichtlich vermeiden, weil diese dem Firmenimage absolut geschadet hätten. Somit lief die ganze Aktion friedlich ab.
Mehrere aktive Kolleginnen und Kollegen von Alstom Power Mannheim hatten sich dem Protest ebenfalls angeschlossen. Ein Kollege überbrachte die solidarischen Grüße des Alstom-Betriebsrats. Er ermunterte die Protestierenden in ihrem Kampf gegen die Konzernwillkür nicht nachzulassen und versprach die Aktionen der Freudenberger auch bei Alstom Power bekannt zu machen. Unter tosendem Beifall vermittelte er die Erfahrungen, die die Alstom-Belegschaft in den letzten Jahren gemacht hatte im Kampf um den Erhalt des Standorts Mannheim.
Avanti²: Was waren die unmittelbaren Auswirkungen der Blockade?
Helmut Schmitt: Mit ihrer Blockade, die von morgens 5:00 Uhr bis nachmittags 15:00 Uhr dauerte, verhinderten die Kolleginnen und Kollegen, dass vor allem die LKW weder vor noch zurück konnten. Das Verkehrschaos um den Industriepark Freudenberg war komplett. Die Autos und LKW stauten sich bis zur zwei Kilometer entfernten Autobahnausfahrt und in die Innenstadt.
Obwohl die LKW-Fahrer, die das Werksgelände nicht mehr verlassen konnten, massive Beeinträchtigungen hatten, waren die meisten aber doch verständnisvoll, nachdem sie die Hintergründe erfahren hatten.
Die größten Beeinträchtigungen mussten die 14 Freudenberg- und Fremdfirmen, die im Industriepark angesiedelt sind, hinnehmen. Ihre Produktion und ihre „Just in Time“-Lieferungen an die Autoindustrie waren massiv behindert bzw. gänzlich verhindert.
Nach der Blockadeaktion wurde die Betriebsversammlung wieder fortgesetzt. Der Konzernleitung wurde deutlich gemacht, dass sie die jetzt gewonnene Zeit über das Wochenende nutzen solle, ihre Verkaufsabsicht zu überdenken. Die Betriebsversammlung und auch weitere Blockadeaktionen würden solange weitergehen, bis die Rücknahme der Verkaufsentscheidung auf dem Tisch liege. Am Montagvormittag wurde dann der Verkauf offiziell gestoppt.
Avanti²: Es ist heutzutage nicht alltäglich, dass sich Belegschaften auf diese Art zur Wehr setzen. Wie ist es damals gelungen, die Belegschaft zu mobilisieren?
Helmut Schmitt: Noch wenige Wochen vorher hätten sich weder die Kolleginnen und Kollegen noch der Betriebsrat träumen lassen, dass alle gemeinsam so geschlossen und so entschlossen kämpfen würden. Die Belegschaft ist innerhalb weniger Wochen über sich hinausgewachsen, aber die Erkenntnisprozesse hatten lange davor kräftige Schübe bekommen. Vor allem das einheitliche und systematische Vorgehen des Betriebsrates und der gewerkschaftlichen Vertrauensleute hatte bewirkt, dass die Empörung der ganzen Belegschaft gewachsen ist und sich in vollem Umfang gegen die Konzernleitung richten konnte. Während der gesamten Auseinander- setzung hatte der Betriebsrat vor allem mit einer Reihe „offener Briefe“ und Statements in der Presse die Konzernleitung mit Fragen bombardiert und die Belegschaft regelmäßig mit einbezogen. Die Konzernleitung hatte immer wieder die notwendigen Auskünfte verweigert, was die Stimmung erst richtig anheizte.
Die Aktionen gegen den Verkauf wurden von der ganzen Belegschaft getragen. Bei den Demos und der Torblockade haben Kolleginnen und Kollegen sowie Betriebsräte anderer Betriebe aktiv teilgenommen. Viele fühlten sich zum ersten Mal seit Jahren wieder zusammengehörig und als Teil derer, die sich gemeinsam gegen das Diktat des Kapitals wehren müssen.
Der Konzerbetriebsrat und der Eurobetriebsrat waren ebenso einbezogen wie die Gewerkschaft IG BCE. Am wichtigsten aber war, dass die KollegInnen mit ihrem Widerstand nicht gewartet haben, ob die anderen Belegschaften oder die Gewerkschaft sie unterstützen. Sie sind selbst aktiv geworden und haben damit bewiesen, dass auch in Zeiten des Neoliberalismus betrieblicher Widerstand machbar und erfolgreich sein kann. Was in Weinheim bei Freudenberg damals geschehen ist, sollte deshalb nicht nur in Erinnerung bleiben, sondern auch von anderen Belegschaften aufgegriffen werden.
Avanti²: Helmut, vielen Dank für Deine sehr interessanten Ausführungen!