Für unse­re Rech­te streiten

 

H. N.

Laut Arti­kel 28 (1) Grund­ge­setz (GG) ist die Bun­des­re­pu­blik ein „sozia­ler und demo­kra­ti­scher Rechts­staat“. In Kri­sen­zei­ten erhält die Fas­sa­de der kapi­ta­lis­ti­schen „Rechts­staat­lich­keit“ jedoch sehr schnell tie­fe Ris­se. Immer mehr droht das „Recht des Stär­ke­ren“ zum Nor­mal­zu­stand zu werden.

For­mal gel­ten in der bür­ger­li­chen Gesell­schaft vor dem Gesetz alle als gleich. Aber die Kon­zen­tra­ti­on von Macht und Reich­tum in den Hän­den weni­ger beschleu­nigt sich in einem kaum vor­stell­ba­ren Maß. Dies ver­schärft die gesell­schaft­li­che, wirt­schaft­li­che und recht­li­che Ungleich­heit enorm.

Die herr­schen­de Klas­se ver­fügt über rie­si­ge finan­zi­el­le, juris­ti­sche und poli­ti­sche Mit­tel. So kann sie ihre kurz-, mit­tel und lang­fris­ti­gen Inter­es­sen nicht nur gegen gel­ten­des Recht durch­set­zen, son­dern die­ses auch in ihrem Sin­ne „refor­mie­ren“.

Ihre Vor­macht­stel­lung hat mas­si­ve Aus­wir­kun­gen auf fast alle Berei­che der Gesell­schaft. Aus­ge­hend von Groß­un­ter­neh­men hat sich in den letz­ten Jah­ren flä­chen­de­ckend das Sys­tem der „Dik­ta­tur der Zah­len“ durch­ge­setzt. Es ent­fes­selt die immer wil­de­re Jagd nach Pro­fi­ten und peitscht die Aus­beu­tung der arbei­ten­den Klas­se vor­an. Geset­ze, die die Herr­schaft des Kapi­tals etwas ein­schrän­ken, wer­den als „Gewinn­brem­sen“ ver­stan­den und des­halb igno­riert und untergraben.

Legal, ille­gal, …egal“
Das Mot­to die­ser Herr­schaf­ten lau­tet „Legal, ille­gal, …egal“. Es ist gleich­zei­tig der Wahl­spruch eines über­hol­ten Wirt­schafts­sys­tems, des Kapi­ta­lis­mus. Er beruht auf der Aus­beu­tung von Mensch und Natur.

Immer neue Kri­mi­nal-Fäl­le von gigan­ti­schem Aus­maß kom­men ans Tages­licht, die nicht zuletzt Deutsch­land betref­fen: Pana­ma Papers, Cum-Ex-Deals, Wire­card-Skan­dal, Geld­wä­sche (Fin­CEN-Files), Steu­er­op­ti­mie­rung durch Kon­zer­ne, Kryp­to­wäh­run­gen wie OneCoin.

Ein kur­zer media­ler Auf­schrei, gespiel­te Empö­rung auf der poli­ti­schen Ebe­ne – und das war es dann? Nein, natür­lich nicht: Es folgt ja noch meist die Iden­ti­fi­zie­rung, Ver­fol­gung und Aus­schal­tung der „Auf­klä­rer“ auf den Fuß.

Bei­spiel­haft für die­ses Vor­ge­hen ist der bekannt­ge­wor­de­ne Fall Com­merz­bank. Er zeigt nicht nur auf, wie rei­che Per­so­nen und Unter­neh­men mit Hil­fe von Ban­ken ver­su­chen, sich vor Steu­ern zu drü­cken. Er belegt auch, wie pro­ka­pi­ta­lis­ti­sche Poli­tik dies unterstützt.

1993 hat­te die dama­li­ge Bun­des­re­gie­rung die „Zins­ab­schlag­steu­er“ ein­ge­führt. Klei­ne Spar­gut­ha­ben konn­ten so nach der Aus­schöp­fung des Frei­be­trags umstands­los besteu­ert wer­den. Aber Ver­mö­gen­de, Rei­che und Super­rei­che schaff­ten damals ihre Geld­ver­mö­gen in die Schweiz oder nach Luxem­burg. Somit umgin­gen sie die Besteue­rung in Deutsch­land. Ban­ken war­ben offen für den „Zweit­wohn­sitz für Ihr Geld“.

Eine enga­gier­te vier­köp­fi­ge Grup­pe der Frank­fur­ter Steu­er­fahn­dung erhielt damals Infor­ma­tio­nen über steu­er­flüch­ti­ge Kun­den der Com­merz­bank. Sie führ­ten des­halb im Febru­ar 1996 eine Raz­zia in der Vor­stands­eta­ge der Bank durch. Für den deut­schen Fis­kus hat sich das sehr gelohnt. Über 1,2 Mil­li­ar­den Mark (rund 600 Mil­lio­nen Euro) konn­te er des­halb schon bis 2003 an Mehr­ein­nah­men verbuchen.

Poli­tik für das Kapital
Für das erfolg­rei­che Team der Steu­er­fahn­dung hat sich der Ein­satz jedoch abso­lut nicht gelohnt. Im Gegen­teil: Es wur­de danach auf „Anwei­sung von oben“ für „ver­rückt“ erklärt und aus dem Amt gemobbt. Für sei­ne ein­zel­nen Mit­glie­der begann danach eine jahr­zehn­te­lan­ge Höl­len­fahrt. Erst 2017 und 2018 gelang ihnen ein Ver­gleich mit dem Land Hessen.

Zudem beug­te die Poli­tik wei­te­ren Fahn­dungs­er­fol­gen vor. Mit der „Amts­ver­fü­gung 2001/18“ lega­li­sier­te die hes­si­sche Finanz­ver­wal­tung die Steu­er­hin­ter­zie­hung mit­tels der Stü­cke­lung in klei­ne­re Geldbeträge.

Die hier­zu­lan­de nach wie vor enor­me Steu­er­kri­mi­na­li­tät wird bis heu­te kaum in einem Haupt­ver­fah­ren vor einem deut­schen Gericht ver­folgt. Trotz stei­gen­der Ver­dachts­fäl­le bleibt die Zahl der Ankla­gen kon­stant nied­rig. Das ist kein Zufall, son­dern poli­tisch gewollt. Das „Wirt­schafts­wachs­tum“ und das Trei­ben von „Inves­to­ren“ in der Indus­trie, im Finanz- und Immo­bi­li­en­sek­tor oder im Gesund­heits­be­reich soll nicht gestört werden.

War­um nicht die durch Aus­beu­tung und Betrug ange­häuf­ten Mil­li­ar­den der Gesell­schaft zurück­ge­ben? Das wäre nur gerecht.

Gegen­macht stärken
Aber Rechts­fra­gen sind Macht­fra­gen. Ohne orga­ni­sier­te und akti­ve Gegen­macht kön­nen weder die­se Unsum­men zurück­ge­holt noch unse­re Rech­te in ande­ren Berei­chen ver­tei­digt oder gar aus­ge­wei­tet werden.

Raue Zei­ten haben begon­nen. Die Pro­pa­gie­rung des „klei­ne­ren Übels“, das Klam­mern an die kleb­ri­ge Illu­si­on der „Sozi­al­part­ner­schaft“ und der Traum von einem „grü­nen“ Kapi­ta­lis­mus sind buch­stäb­lich brandgefährlich.

Wir Akti­ven in den Gewerk­schaf­ten, in den sozia­len Bewe­gun­gen und in der zer­split­ter­ten Lin­ken ste­hen vor einer zen­tra­len Her­aus­for­de­rung. Wir müs­sen eine soli­da­ri­sche Front über alle Gren­zen hin­weg auf­bau­en. Und wir müs­sen gemein­sam für unse­re Rech­te streiten!

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Okto­ber 2020
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