Interview mit dem OST
FairMieten in der Neckarstadt*
Das Offene Stadtteiltreffen Neckarstadt (OST) greift ein Anliegen auf, bei dem es um die Perspektiven der überwiegenden Mehrheit der Bewohner*innen der Neckarstadt-West geht. Avanti² sprach mit Aktiven des OST.
Wie wird Eure Initiative im Stadtteil aufgenommen?
Ein Teil der Bewohner*innen der Neckarstadt weiß um das Problem der steigenden Mieten, und ein Großteil ist selbst davon betroffen. Andererseits gibt es auch zahlreiche nicht direkt betroffene Menschen, die sich solidarisch engagieren. Zudem gibt es Bewohner*innen, die eine abwartende Haltung nach dem Motto „Warde mer’s mol ab, mich betrifft’s ja nicht“ innehaben. Höhere Mieten und Verdrängung betreffen allerdings jede*n, sei es direkt oder indirekt durch die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete, welche stetig steigt. Die Rückmeldungen, die wir auf unsere Aktionen bekommen, sind überwiegend positiv. Vor allem an unseren Infoständen sind wir mit vielen Anwohner*innen in Kontakt gekommen, für die bezahlbare Mieten ein wichtiges Thema sind, oder die Angst haben, aus dem Viertel verdrängt zu werden. Auch die Beteiligung an unseren monatlichen Treffen ist trotz Pandemie und Online-Meetings immer noch hoch.
Ihr fordert echte Bürgerbeteiligung. Was genau versteht ihr darunter?
Wenn wir „echte“ Bürgerbeteiligung fordern, muss es auch „unechte“ geben. Darunter verstehen wir die gängige Praxis von Stadt und Immobilienwirtschaft, Bürgerbeteiligung vorzugaukeln und zu inszenieren. Besonders deutlich konnte man dieses Schauspiel bei den Begehungen im Zusammenhang mit „Westwind“ und der Vorstellung des geplanten Bistros an der Dammstraße beobachten. In dem einen Fall war die Anwesenheit der Anwohner*innen gar nicht eingeplant, und in dem anderen war von Anfang an klar, dass man die Bevölkerung vor vollendete Tatsachen stellt. Für die Altmieter*innen in diesem Bereich bedeutet das Bauvorhaben vor allem eins: Eine unwillkommene Lärmquelle.
Dass Bürgerbeteiligung so nicht funktioniert, ist offensichtlich. Es gibt hier aber auch noch andere Fallstricke. Die Verflechtung von Stadt, Immobilienwirtschaft und Gastronomie ist in der Neckarstadt so undurchsichtig, dass Transparenz die erste Bedingung für eine Bürgerbeteiligung wäre. Als Beispiel sei hier das Bistro an der Dammstraße genannt. Die Stadt verpachtet dort die Parkplätze ohne Ausschreibung, die Immobilienfirma Hildebrandt & Hees (H&H) fungiert als Bauherr und ein Gastronom aus dem Jungbusch, der eng mit H&H zusammenarbeitet, soll es bewirten. Zu wissen, wer hier was verdient, und ob die Stadt hier H&H ein „Geschenk“ macht, wäre eine wichtige Voraussetzung, um das Für und Wider des Kiosks abzuwägen. (Weitere Infos)
Wieso spielen in Eurer Kritik an der Wohnungspolitik der Stadt Mannheim einzelne Akteure wie der CDU-MdB Nikolas Löbel oder die Immobilienfirma Hildebrandt & Hees eine so große Rolle?
Nicht allein einzelne Akteur*innen stehen im Fokus unserer Kritik. Diese sind Ausdruck des Armutszeugnisses der Stadt – sie versteht Wohnungs- und Stadtteilpolitik als Immobilienökonomie und Stadtentwicklung als Förderprogramm für Investoren. Außerdem wäre eine rein abstrakte Kritik an zu hohen Mieten albern. Mieten sind immer und überall zu hoch. Ähnlich wie Löhne prinzipiell immer zu niedrig sind. Erstens bringt uns diese Erkenntnis aber nicht weiter, und zweitens fällt der Mietwahnsinn, den wir hier erleben, aus jedem strukturell erklärbaren Rahmen.
Es war Löbels individuelle Entscheidung, vier Wohnungen über ein Subunternehmen an AirBnB anzubieten, um noch einmal ein paar Euro mehr herauszuschlagen. Es ist die Entscheidung von H&H, Wohnraum zu vernichten und u. a. in der Lutherstraße Gastronomie anzusiedeln, weil sich hier mehr Pacht herauspressen lässt. Für dieses Handeln sind die Akteure zu benennen, zu kritisieren und letztlich zu bekämpfen.
Herr Löbel und H&H sind mit Sicherheit austauschbare Figuren, die in anderen Großstädten andere Namen tragen. Wir als OST sehen deren Rolle und damit einhergehende Verantwortung gegenüber allen Mannheimer*innen aber als Paradebeispiel in Bezug auf Gentrifizierung und Vertreibung. In diesem Fall ist es dann unsere Verantwortung, deren Namen zu nennen und auf die Missstände und Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen.
H&H spielen im Stadtteil zusätzlich eine spezielle Rolle: Nach ihrem bereits kritisch wahrgenommenen Handeln im Jungbusch wurde die Firma von der Stadt Mannheim im Sanierungsgebiet Neckarstadt-West zum offiziellen Partner ernannt. (Weitere Infos)
Ihr fordert u. a., dass die Stadt Mannheim verstärkt von ihrem Vorkaufsrecht in der Neckarstadt-West Gebrauch machen soll. Warum geht Ihr nicht einen Schritt weiter und fordert die Enteignung der Immobilienspekulanten nach Artikel 15 GG, wie es beispielsweise die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen!“ in Berlin tut?
Natürlich ist die Forderung nach Enteignung richtig. Wir finden es toll, dass es die Aktivist*innen in Berlin geschafft haben, diese auf die Agenda zu setzen. Berlin hat aber auch andere Rahmenbedingungen, die es möglich machen so offensiv aufzutreten. In der Neckarstadt-West haben die großen börsennotierten Immobilien- konzerne noch keine Monopolstellung, die es möglich machen würde, dass die Forderung nach Enteignung von einem breiten Bündnis getragen würde. Prinzipiell ist uns aber klar, dass wir unsere Gesellschaft und die Eigentumsverhältnisse anders organisieren müssen, wenn wir bezahlbares Wohnen für alle möglich machen wollen.
Was steht bei Euch in der nächsten Zeit an Inhalten und Aktivitäten an, und wie können Interessierte sich beteiligen?
Wir versuchen, auch in der Pandemie handlungsfähig zu bleiben. Die Spekulanten schlafen nicht, und der Ausverkauf, die Verdrängung und die Umwandlung von Wohnraum in Kneipen geht auch während Corona weiter. Deshalb halten wir unser regelmäßiges Treffen am 2. Freitag im Monat als Online-Meeting ab, und auch unsere Arbeitsgruppen organisieren sich über Videokonferenzen.
Wir arbeiten außerdem aktuell an einer Unterschriftensammlung_und beteiligen uns an der Dokumentation des SWR über die Waldhofstraße 8. Dieses Haus wurde als erstes Mietshaus in Mannheim durch die Bewohner*innen mit Hilfe des Mietshäusersyndikats dem Immobilienmarkt entzogen. Das Offene Stadtteiltreffen gab für die dortigen Mieter*innen die Initialzündung, den Kauf ihres Mietshauses selbst in die Hand zu nehmen. Im OST haben sie verstanden, dass sie bei der aktuellen Lage nicht weiter sicher dort wohnen können.
Wir planen eine Infoveranstaltung, und beteiligen uns an der deutschlandweiten „Mietenwahnsinn“-Kampagne.
Wie sieht die Neckarstadt-West in fünf Jahren in euren kühnsten Träumen aus?
Ohne zu pessimistisch klingen zu wollen: Wir glauben nicht, dass es die Zeit für kühne Träume ist. Im Kampf gegen die Gentrifizierung der Neckarstadt befinden wir uns allumfassend in der Defensive. Uns ist wichtig zu betonen, dass wir uns keine Illusionen über unsere Situation machen. Daher wollen wir lieber sagen, was ist, als uns Träume auszumalen.
*[Die Fragen stellte N. B.]