ISO-Lese­kreis Febru­ar 2023

Trotz­kis Faschismustheorie

 

R. G.

Vor 90 Jah­ren wur­de in Deutsch­land die poli­ti­sche Macht an Hit­ler und sei­ne Nazi-Par­tei über­ge­ben. Dies war das Start­si­gnal für deren mör­de­ri­sche Ver­nich­tungs- und Kriegs­po­li­tik im Inter­es­se des deut­schen Großkapitals.

Die Blut­spur des Faschis­mus lie­fert Mil­lio­nen schreck­li­cher Grün­de, um sich mit ihm zu beschäf­ti­gen. Dabei darf es nicht nur um einen his­to­ri­schen Rück­blick gehen. Viel­mehr gilt es, sei­ne Wur­zeln und Ursa­chen zu ver­ste­hen, um einen neu­en, wie auch immer gear­te­ten Faschis­mus zu verhindern.

Aus die­sen Grün­den war das The­ma des Febru­ar-Lese­krei­ses der ISO Rhein-Neckar Trotz­kis Faschis­mus­theo­rie. Als Grund­la­ge dien­te ein Text von Ernest Man­del aus dem Jahr 1968, der die Kern­ele­men­te die­ser Theo­rie zusam­men­fasst (ver­öf­fent­licht als Theo­rie­bei­la­ge der Avan­ti² Nr. 71/72).

Trotz­kis Faschismustheorie
War­um gera­de Trotz­ki? Die­ser ent­wi­ckel­te bereits vor 1933 die wohl hell­sich­tigs­te Ein­schät­zung des Faschis­mus. Unter ande­rem hat er früh davor gewarnt, dass Hit­ler sowohl die deut­sche Arbei­ter­be­we­gung als auch die Sowjet­uni­on angrei­fen wer­de. Nicht zuletzt pro­pa­gier­te er uner­müd­lich den ein­zig erfolg­ver­spre­chen­den Weg, um den Faschis­mus zurück­zu­drän­gen: Den Auf­bau einer kämp­fen­den Ein­heits­front aus KPD, SPD und Gewerkschaften.

Man­del beschreibt in sei­nem Text sechs objek­ti­ve und sub­jek­ti­ve Fak­to­ren, die Trotz­kis Faschis­mus­theo­rie beinhalte.
1. Der Faschis­mus sei Aus­druck einer tie­fen und umfas­sen­den Kri­se der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft. In die­ser Kri­se sei sei­ne his­to­ri­sche Funk­ti­on, die Bedin­gun­gen schlag­ar­tig zu Guns­ten des Kapi­tals zu verändern.

2. Auf­grund der Stär­ke der Arbei­ter­be­we­gung sei die bür­ger­lich-par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie für das Groß­ka­pi­tal zwar die „güns­tigs­te“ Herr­schafts­form, aber nicht die ein­zig mög­li­che. Wer­de das gesell­schaft­li­che Kräf­te­gleich­ge­wicht erschüt­tert, sei das Kapi­tal zur Siche­rung von Macht und Reich­tum auch zu auto­ri­tä­ren Staats­for­men bereit.

3. Auto­ri­tä­re Staats­for­men (z. B. Mili­tär­dik­ta­tur, Poli­zei­staat) könn­ten nicht allein durch Repres­si­on „erfolg­reich“ sein. Dazu brau­che es eine Mas­sen­be­we­gung, die die Arbei­ter­klas­se und ihre Orga­ni­sa­tio­nen ter­ro­ri­sie­re, ent­mu­ti­ge und nach Errei­chen der poli­ti­schen Macht die­se zerschlage.

4. Die­se Mas­sen­be­we­gung ent­ste­he unter dem Druck der Kri­se im Wesent­li­chen aus dem Klein­bür­ger­tum. In ihr wür­den sich Ver­satz­stü­cke einer „anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen“ Dem­ago­gie mit der Feind­schaft gegen die orga­ni­sier­te Arbei­ter­klas­se ver­bin­den. Sobald sie in der Lage sei, letz­te­re mit Gewalt zu bekämp­fen, sei eine faschis­ti­sche Bewe­gung ent­stan­den. Um die poli­ti­sche Macht erobern zu kön­nen, brau­che sie jedoch die Unter­stüt­zung des Großkapitals.

5. Eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung für den Erfolg des Faschis­mus sei das Feh­len eines akti­ven gemein­sa­men pro­le­ta­ri­schen Wider­stands gegen den brau­nen Ter­ror. Der Sieg des Faschis­mus sei nicht unaus­weich­lich. Im Gegen­teil: Bei ent­schlos­se­ner und ein­heit­li­cher Gegen­wehr kön­ne er ver­hin­dert werden.

6. Nach sei­nem Sieg zei­ge der Faschis­mus, dass er nicht die Inter­es­sen des Klein­bür­ger­tums ver­tre­te, son­dern die des Groß­ka­pi­tals. Die faschis­ti­sche Bewe­gung wer­de teil­wei­se in den Staats- und Unter­drü­ckungs­ap­pa­rat inte­griert, die „anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche“ Dem­ago­gie wer­de auf­ge­ben. Vor allem aber wür­den die Pro­fit­be­din­gun­gen des Groß­ka­pi­tals ver­bes­sert werden.

Gemein­sam lesen und diskutieren
Ernest Man­dels Text ist inhalt­lich dicht und in der vor­lie­gen­den Über­set­zung ohne Vor­kennt­nis­se nicht leicht ver­ständ­lich. Aber durch gemein­sa­mes Lesen und Dis­ku­tie­ren konn­ten ihn die Teil­neh­men­den für sich erar­bei­ten. Dabei wur­de deut­lich, wie hoch­ak­tu­ell Trotz­kis Faschis­mus­theo­rie ist. Gera­de der­zeit ist der Kapi­ta­lis­mus von glo­ba­len und tie­fen Kri­sen geprägt, nimmt die Zahl auto­ri­tär geführ­ter Staa­ten zu und wer­den rech­te und faschis­ti­sche Par­tei­en immer stärker.

Bis­lang fin­den die Orga­ni­sa­tio­nen der arbei­ten­den Klas­se und die sozia­len Bewe­gun­gen dar­auf kei­ne ange­mes­se­nen Ant­wor­ten. Erneut stellt sich dar­um die Auf­ga­be, eine soli­da­ri­sche Front gegen auto­ri­tä­re und faschis­ti­sche Strö­mun­gen auf­zu­bau­en. Noch ist nichts ent­schie­den. Das bewei­sen nicht zuletzt die Demo­kra­tie­be­we­gung im Iran und die aktu­el­len Mas­sen­streiks in Frankreich.

Aber den Teil­neh­men­den wur­de deut­lich, wie wich­tig und drän­gend der Auf­bau einer sol­chen Abwehr­front ist. Genau dafür lie­fer­te die­ser Lese­kreis in einer soli­da­ri­schen Atmo­sphä­re vie­le inhalt­li­che und prak­ti­sche Anregungen.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar März 2023
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