ISO-Lese­kreis Juni 2023

Nichts gegen jun­ge Bankangestellte …“

 

R. G.

Anläss­lich des hun­derts­ten Geburts­tags von Ernest Man­del erin­nert die ISO Rhein-Neckar mit ver­schie­de­nen Ver­an­stal­tun­gen an die­sen her­aus­ra­gen­den Mar­xis­ten und revo­lu­tio­nä­ren Sozia­lis­ten. So hat auch unser Lese­kreis im Juni einen Text von Man­del aus dem Jahr 1994 gele­sen und dis­ku­tiert: „Nichts gegen jun­ge Bank­an­ge­stell­te … Die ‚lan­gen Wel­len‘ der kapi­ta­lis­ti­schen Ent­wick­lung“.

DGB-Demo in Mannheim, 1. Mai 2022. (Foto: Avanti².)

DGB-Demo in Mann­heim, 1. Mai 2022. (Foto: Avanti².)

Der Text setzt sich nur am Ran­de mit jun­gen Bank­an­ge­stell­ten aus­ein­an­der, viel mehr aber mit den „lan­gen Wel­len der kapi­ta­lis­ti­schen Ent­wick­lung“. Dabei geht es Man­del vor allem um die öko­no­mi­sche und poli­ti­sche Ein­ord­nung der kapi­ta­lis­ti­schen Ent­wick­lung, die damit ver­bun­de­nen Fol­gen und Gefah­ren und die sei­ner Mei­nung nach not­wen­di­gen poli­tisch-prak­ti­schen Ant­wor­ten der arbei­ten­den Klasse.

Lan­ge Wellen“
De kapi­ta­lis­ti­sche Welt­wirt­schaft bewegt sich Man­del zufol­ge in „lan­gen Wel­len“, in deren Ver­lauf es wirt­schaft­li­che Auf- und Abschwün­ge gebe. Die lan­ge Wel­le, in der man sich 1994 befun­den habe, sei durch eine lan­ge Depres­si­on geprägt gewe­sen. Eines ihrer Kenn­zei­chen: Auch im Auf­schwung wäre die Erwerbs­lo­sig­keit nicht abge­baut worden.

Knapp und tref­fend beschreibt Man­del die bis heu­te wirk­sa­me immense Anhäu­fung von Geld in den Hän­den Weni­ger, die wach­sen­de „Glo­ba­li­sie­rung der Welt­wirt­schaft“, die zuneh­men­de „Inter­na­tio­na­li­sie­rung des Kapi­tals“ und die sich aus­deh­nen­de Spe­ku­la­ti­on auf den Devi­sen­märk­ten. Zudem ver­su­che das Kapi­tal, sei­ne Pro­fi­te zu sichern, indem es die sozia­len Siche­rungs­sys­te­me und die all­ge­mei­nen Lebens­be­din­gun­gen der arbei­ten­den Klas­se angrei­fe. Je län­ger sich die­se Ent­wick­lung fort­set­ze, umso mehr wer­de letz­te­re dadurch geschwächt.

Kri­se der Glaubwürdigkeit
Doch die­se Poli­tik unter­schät­ze die Gefah­ren, die damit für das Kapi­tal selbst ver­bun­den sei­en. Denn längst sei der Atem der apo­ka­lyp­ti­schen Rei­ter zu spü­ren: Atom­ener­gie, Krieg und Hun­ger „wer­den poli­ti­sche Fol­gen haben, wel­che die Demo­kra­tie bedro­hen“. Die Mas­sen wür­den die­se Bedro­hung und Zer­stö­rung ihrer Lebens­grund­la­gen nicht ein­fach hin­neh­men und sich mas­sen­haft dage­gen wehren.

Aller­dings ver­lau­fe die­se Ent­wick­lung „in einem welt­wei­ten Kli­ma der tie­fen Glaub­wür­dig­keits­kri­se des Sozia­lis­mus“. Ideen links von Sta­li­nis­mus und Sozi­al­de­mo­kra­tie wür­den noch nicht als glaub­wür­di­ge Alter­na­ti­ve betrach­tet werden.

Sozia­lis­mus und Selbstverwaltung
Man­del sieht daher die Not­wen­dig­keit, das gesell­schaft­li­che Gegen­mo­dell eines Sozia­lis­mus der Selbst­ver­wal­tung der Mehr­heit der Bevöl­ke­rung zu ver­mit­teln. Dazu bedür­fe es einer glaub­haf­ten Utopie.

Die­ses Pro­blem las­se sich nicht theo­re­tisch lösen, son­dern nur prak­tisch. Es brau­che his­to­ri­sche Ereig­nis­se wie die rus­si­sche und die deut­sche Revo­lu­ti­on. Wann dies gesche­he, las­se sich nicht vor­her­sa­gen. Aber es gebe Grund zu Opti­mis­mus. Nicht zuletzt, weil „wir“ vie­le und „sie“ weni­ge sei­en. So gebe es welt­weit inzwi­schen mehr als eine Mil­li­ar­de Lohn­ab­hän­gi­ge und über­all auf der Welt hät­ten sich die­se organisiert.

Gefah­ren und Widerstand
Eine gro­ße Gefahr bestehe dar­in, dass es dem Kapi­tal gelingt, die arbei­ten­de Klas­se zu zer­split­tern und zu ent­so­li­da­ri­sie­ren. Die Fol­ge wären Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus, Natio­na­lis­mus und eine Gefähr­dung der poli­ti­schen Demo­kra­tie sowie der Men­schen­rech­te. Das wesent­li­che Mit­tel dage­gen sei die Bekämp­fung der Erwerbs­lo­sig­keit durch die radi­ka­le Ver­kür­zung der Arbeitszeit.

Aus all dem zieht Man­del am Ende eine not­wen­di­ge Schluss­fol­ge­rung: „Wider­stand, Rebel­li­on, unbe­grenz­te Soli­da­ri­tät. Die unbe­grenz­te Über­zeu­gung, daß letz­ten Endes die lohn­ab­hän­gi­gen Men­schen, die 99 Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung aus­ma­chen, ihr Schick­sal selbst in die Hän­de neh­men und bestim­men können.“

Span­nen­de Diskussion
Der Text von Ernest reg­te zu einer leben­di­gen und kri­ti­schen Dis­kus­si­on an. So wur­de etwa ange­merkt, dass Man­del Fra­gen wie Öko­lo­gie und unbe­zahl­te gesell­schaft­li­che Sor­ge­ar­beit nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt habe. Am Ende waren sich aber alle Teil­neh­men­den einig: Die Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sem Text hat sich sehr gelohnt und war hilf­reich für die poli­ti­sche Tagesarbeit.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Juli / August 2023
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