Kapi­ta­lis­mus – ohne Alternative?

 

N. B.

Die Herr­schen­den stel­len den neo­li­be­ra­len Kapi­ta­lis­mus ger­ne als alter­na­tiv­los dar. Damit las­sen wir uns nicht abspei­sen und haben uns bei unse­rem acht­zehn­ten hybri­den Info­abend gefragt, wie eine eman­zi­pier­te Gesell­schaft ohne Aus­beu­tung und Zer­stö­rung von Mensch und Natur aus­se­hen könnte.

Graffito in Chemnitz, 26. Februar 2017. (Foto: Avanti².)

Graf­fi­to in Chem­nitz, 26. Febru­ar 2017. (Foto: Avanti².)

Träu­men und Uto­pien lie­ßen wir am 23. Juli frei­en Lauf, frag­ten aber auch immer wie­der danach, was denn tat­säch­lich wün­schens­wert und was mög­lich ist. Zum Ein­stieg in die Dis­kus­si­on nahm unser Refe­rent uns mit auf eine Rei­se in die zukünf­ti­ge Welt. Soli­da­risch orga­ni­siert sol­le sie sein. Die Abschaf­fung von Klas­sen und sozia­len Ungleich­hei­ten wer­de jede Form der Herr­schaft obso­let machen, Ent­schei­dun­gen wür­den dann von allen Men­schen gemein­sam getrof­fen. Mög­lich machen sol­le das unter ande­rem die Ein­füh­rung einer ein­zi­gen gemein­sa­men Sprache.

In der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on wur­de die Fra­ge der Mach­bar­keit und Sinn­haf­tig­keit einer sol­chen Orga­ni­sa­ti­ons­form auf­ge­wor­fen. Dabei wur­de deut­lich, dass es Ent- schei­dun­gen auf unter­schied­li­chen Ebe­nen des gesell­schaft­li­chen Mit­ein­an­ders geben muss und loka­le, regio­na­le oder ande­re spe­zi­fi­sche Inter­es­sen und Bedin­gun­gen nicht ein­fach über­gan­gen wer­den dürfen.

Die poli­ti­sche Orga­ni­sa­ti­ons­form, in der das bis­her am bes­ten gelun­gen ist, ist ein Räte­sys­tem. Wenn Betrie­be, Stadt­vier­tel und ande­re Orga­ni­sa­ti­ons­zu­sam­men­hän­ge ihre eige­nen Ver­tre­tun­gen wäh­len, die wie­der­um Abge­ord­ne­te auf höhe­re Ebe­nen ent­sen­den, kön­nen sowohl spe­zi­fi­sche als auch all­ge­mei­ne Inter­es­sen gewahrt wer­den. Mit dem ers­ten Bei­spiel eines sol­chen gesell­schaft­li­chen Ver­suchs konn­ten wir uns kurz dar­auf in unse­rem Som­mer­se­mi­nar aus­ein­an­der­set­zen: mit der Pari­ser Kom­mu­ne 1871.

Zwi­schen Uto­pie und Dystopie
Auf­bau­end auf dem Refe­rat ent­spann sich eine ange­reg­te Dis­kus­si­on ent­lang der Fra­ge der Tech­no­lo­gie. Wel­che Mög­lich­kei­ten bie­tet die Wei­ter­ent­wick­lung der Tech­nik für die gesell­schaft­li­che Eman­zi­pa­ti­on? Wel­che Gefah­ren birgt sie? Und wie stel­len wir uns die­se Eman­zi­pa­ti­on über­haupt vor? Dabei ging es einer­seits um die Fra­ge, ob es ein erstre­bens­wer­tes Ziel sei, unse­re Lebens­welt auf den Welt­raum aus­zu­wei­ten. Ande­rer­seits wur­de die Fra­ge auf­ge­wor­fen, inwie­weit digi­ta­le Tech­no­lo­gie noch wei­ter in unse­re all­täg­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on auf­ge­nom­men wer­den soll und wel­che Rol­le die Gen­tech­nik zur Ver­bes­se­rung des mensch­li­chen Lebens spie­len kann.

Hier­bei wur­de deut­lich, dass der Grat zwi­schen Uto­pie und Dys­to­pie sehr schmal sein kann. Die Begeis­te­rung für das, was tech­nisch mög­lich sein könn­te, ver­drängt zuwei­len die Wahr­neh­mung des­sen, was mensch- lich und gesell­schaft­lich mög­lich ist, ohne dabei räum­lich immer wei­ter zu expan­die­ren und mensch­li­che Kör­per zu opti­mie­ren. Die tech­no­lo­gi­sche Wei­ter­ent­wick­lung steht so nicht nur in einem Span­nungs­ver­hält­nis zu einem har­mo­ni­schen Umgang mit unse­rer natür­li­chen Umwelt, son­dern auch zu einem erfüll­ten, befrei­ten mensch­li­chen Miteinander.

Statt über­höh­ter Fort­schritts­phan­ta­sien wol­len wir uns für eine Gesell­schaft ein­set­zen, in der Men­schen mit all ihren kör­per­li­chen und geis­ti­gen Unter­schie­den gut mit­ein­an­der leben kön­nen. Die mensch­li­chen Kräf­te, die in einer befrei­ten Gesell­schaft ent­fes­selt wür­den, wol­len wir statt in unkon­trol­lier­te tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen eher in Berei­che wie Erzie­hung und Bil­dung flie­ßen lassen.

Der Weg zur Utopie?
Schließ­lich wur­de in der Dis­kus­si­on die Fra­ge nach der Sinn­haf­tig­keit von Uto­pien gestellt. Kön­nen wir uns über­haupt Vor­stel­lun­gen davon machen, wie ein Leben ohne die Zwän­ge, die Aus­beu­tung und die Unter­drü­ckung in allen bis­he­ri­gen Herr­schafts­for­men aus­se­hen wür­de? Und wie hilf­reich sind der­ar­ti­ge Träumereien?

Eine Uto­pie kann Kraft geben und uns immer wie­der dar­an erin­nern, dass die aktu­el­len gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se nicht auf Natur­be­din­gun­gen, son­dern auf einem Herr­schafts­sys­tem fußen. Min­des­tens genau­so wich­tig wie die Uto­pie einer befrei­ten Gesell­schaft ist aber, dass wir in unse­rer all­täg­li­chen Pra­xis an rea­len Pro­ble­men anknüp­fen und glaub­wür­di­ge Alter­na­ti­ven ver­mit­teln, die einen klei­nen Aus­blick auf das geben, was in einer ande­ren Gesell­schaft mög­lich wäre und wofür es lohnt zu kämpfen.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Sep­tem­ber 2021
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