Kli­nik­schlie­ßun­gen im Neckartal

Kin­der im Auto gebären?

K. S.

Die Coro­na-Pan­de­mie zeigt, wie uner­setz­lich ein gut aus­ge­bau­tes Gesund­heits­we­sen für die Gesell­schaft ist. Den­noch gehen die Pri­va­ti­sie­run­gen und Schlie­ßun­gen von Kran­ken­häu­sern im Land wei­ter. Ein Umden­ken der Regie­ren­den ist noch immer nicht in Sicht.

Warnstreik von Beschäftigten des Klinikums Heidelberg, 25. Januar 2018. (Foto: Avanti²)

Warn­streik von Beschäf­tig­ten des Kli­ni­kums Hei­del­berg, 25. Janu­ar 2018. (Foto: Avanti²)

Der Gemein­sa­me Bun­des­aus­schuss (G-BA) ist das höchs­te Gre­mi­um der Selbst­ver­wal­tung im deut­schen Gesund­heits­we­sen. Es ist besetzt mit Ver­tre­tun­gen von Ärz­ten, Kli­ni­ken und Gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen. Der G-BA-Vor­sit­zen­de Josef Hecken for­der­te im Juli 2021 in der FAS wei­te­re Kli­nik-Schlie­ßun­gen: „Wir haben zur­zeit 1.900 Kran­ken­häu­ser, 1.200 wären genug.“ Die neo­li­be­ra­le Ber­tels­mann-Stif­tung geht in ihren „Stu­di­en“ noch wei­ter. Sie for­dert, die Zahl der Kli­ni­ken auf unter 600 zu reduzieren.

Fort­ge­setz­te Kahlschlagpolitik
Die Fol­gen einer sol­chen Kahl­schlag­po­li­tik zei­gen sich schon jetzt im länd­li­chen Raum, zum Bei­spiel im Neckar­tal. Die Geburts­hil­fe­sta­tio­nen in Eber­bach und Mos­bach wur­den geschlos­sen, weil sie sich angeb­lich nicht „rech­ne­ten“. Seit­dem gibt es im gesam­ten Neckar­tal zwi­schen Hei­del­berg und Heil­bronn kei­ne Kli­nik mehr, in der eine Frau ihr Kind zur Welt brin­gen kann.

Im Juli 2021 blieb eine Fami­lie auf der Fahrt zur Ent­bin­dung in die Kli­nik nach Hei­del­berg (rund 30 Kilo­me­ter Weg­stre­cke von Eber­bach) im Stau ste­cken. Die Geburt ihres Kin­des fand daher im Auto statt. Sinn­bild­lich steht das für den neo­li­be­ra­len Sozi­al­ab­bau, der aus „Kos­ten­grün­den“ die mensch­li­che Daseins­vor­sor­ge ins Pri­va­te ver­schiebt. Die Kos­ten kön­nen so noch bes­ser auf die arbei­ten­de Klas­se – vor allem auf allein­er­zie­hen­de Frau­en und auf Fami­li­en – abge­wälzt wer­den. Die gesell­schaft­li­chen Fol­gen die­ser Poli­tik küm­mern die herr­schen­de Poli­tik jedoch nicht.

Ers­te Proteste
Von Schlie­ßung bedroht sind des­wei­te­ren die Kli­ni­ken in Mos­bach und in Buchen. Ein Ende des Abbaus der Kran­ken­haus­land­schaft in und um das Neckar­tal ist also nicht in Sicht. Aus die­sem Grund hat sich das „Bünd­nis für Kran­ken­haus und gute Arbeit Neckar­tal-Oden­wald” gegrün­det. Initi­iert wur­de es von Akti­ven aus der Regi­on, wie Arno Huth aus Mos­bach, sowie Gewerk­schafts­mit­glie­dern wie Ste­fan Rie­del und Kai Stöhr vom DGB Hirschhorn-Neckarsteinach.

Am 17. Juli 2021 führ­ten sie zwei Kund­ge­bun­gen in Eber­bach auf dem Neu­en Markt und in Mos­bach auf dem Markt­platz durch, um ein Ende des Kli­nik­ab­baus zu for­dern. Der Erhalt einer flä­chen­de­cken­den Kran­ken­haus­ver­sor­gung auch im länd­li­chen Raum sei not­wen­dig. „Kran­ken­häu­ser wer­den schlecht gespart, ihnen wer­den Kom­pe­ten­zen genom­men, anstatt sie zu ver­bes­sern“, so Huth. „Kran­ken­häu­ser gehö­ren aber zur Daseins­vor­sor­ge, ihr Betrieb soll­te sich nach dem Bedarf rich­ten und nicht von der Wirt­schaft­lich­keit abhängen.“

Es gehe um gleich­wer­ti­ge Lebens­ver­hält­nis­se in Stadt und Land sowie den Erhalt einer länd­li­chen Infra­struk­tur. Mit der Schlie­ßung von Kran­ken­häu­sern stei­ge die Ent­fer­nung zur nächst­ge­le­ge­nen Kli­nik. Die Anfahr­zei­ten für Not­fäl­le wür­den län­ger, Ret­tungs­kräf­te und Not­ärz­te wären durch län­ge­re Fahr­zei­ten noch stär­ker gebun­den. Kurz­um: Die wohn­ort­na­he Ver­sor­gung lei­de unter dem Kahl­schlag und den Pri­va­ti­sie­run­gen im Gesundheitssystem.

Grund­recht auf Gesundheit
Auch wur­den grund­le­gen­de Ver­än­de­run­gen hin zu einer bedarfs­ge­rech­ten Finan­zie­rung des Gesund­heits­sys­tems gefor­dert. In die­sem Fall die Abschaf­fung des Sys­tems der „dia­gno­se­be­zo­ge­nen Fall­grup­pen“ (DRG), das als „öko­no­mi­sches“ Instru­ment wach­sen­den Druck auf die Beschäf­tig­ten im Gesund­heits­we­sen aus­übe. Pro­fit­ori­en­tier­tes Den­ken und Han­deln sol­le so als ent­schei­den­der Fak­tor in den Vor­der­grund gerückt wer­den. Der eigent­li­che Auf­trag des ärzt­li­chen und pfle­ge­ri­schen Per­so­nals, eine gute Behand­lung und Ver­sor­gung der kran­ken Men­schen sicher­zu­stel­len, wer­de somit immer wei­ter erschwert.

Die Pro­tes­te gegen Kli­nik­schlie­ßun­gen und die Pri­va­ti­sie­rung des Gesund­heits­we­sens sind von gro­ßer poli­ti­scher Bedeu­tung. Es gilt jetzt über die loka­le und regio­na­le Ebe­ne hin­aus, eine bun­des­weit und inter­na­tio­nal ver­netz­te Bewe­gung im Inter­es­se nicht nur der Beschäf­tig­ten im Gesund­heits­we­sen, son­dern von uns allen auf­zu­bau­en. Gesund­heit ist ein Grund- und ein Menschenrecht!

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Okto­ber 2021
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