Ein Gespräch mit Betriebsräten (Teil II)*
Im letzten Jahr hatten wir zweimal mit aktiven Gewerkschafter*innen und Betriebsrät*innen aus der Rhein-Neckar-Region über ihre Situation in der Pandemie gesprochen. Alle hatten über zusätzliche Herausforderungen berichtet.
Teil I wurde in der Februar-Ausgabe von Avanti² Rhein-Neckar veröffentlicht.
Ihr habt berichtet, dass sich Betriebsräte aus der Arbeit zurückgezogen haben? Welche Folgen hat das?
Kevin: Bei uns ist das unterschiedlich. Die Aktiven sind noch aktiver geworden. Und die passiven, sind eher noch passiver geworden. Die schießen aus dem Hinterhalt. Das heißt, sie schauen zu, wie wir arbeiten, und wenn etwas nicht gut läuft, dann greifen sie uns an. Sie warten auf Fehler von uns, um bei den kommenden BR-Wahlen die jetzige Mehrheit zu kippen.
Heiko: Ja, bei uns ist das der Fall und das ist wirklich bitter. Es haben sich einzelne zurückgezogen. Das hat den Arbeitsdruck auf die Aktiven noch erhöht. Und die Schwierigkeit, reale Sitzungen durchzuführen, hat das Gremium zerfleddert. Vorher war klar, es gibt einmal in der Woche die BR-Sitzung und alle haben zu erscheinen und mitzuarbeiten. Dies war längere Zeit nicht der Fall, nicht einmal per Video. Dies hat das Gremium stärker auseinandergetrieben. Das war und ist für uns wirklich eine Gefahr. Seit letzten Spätherbst arbeiten wir dagegen an.
Clara: Bei uns sind die Aktiven weiterhin engagiert. Diejenigen, die vorher schon passiv waren sind komplett weggetaucht. Wir von der Minderheit versuchen, den Kontakt zu den Kolleg*innen zu halten und gehen in die Abteilungen. Aber umso mehr kriegen wir auch deren Frust ab.
Auch den Frust über die fehlende Betreuung durch die passiven BR. Es ist ja nicht so, dass die Kolleg*innen keine Probleme hätten. Im Gegenteil. Im „Stillen“ wird ja weiter die Optimierung betrieben. Und die Hygienemaßnahmen werden ja auch, gerade in der Produktion – und zwar zurecht – als belastend wahrgenommen.
Stimmt Ihr Clara zu, dass sich die Erwartung der Kolleg*innen an die Betriebsräte nicht grundlegend verändert hat?
Clara: Also so wollte ich das nicht sagen. Natürlich sind neue Fragen hinzugekommen. Zum Beispiel zur Pandemie und zum betrieblichen Hygienekonzept. Das ist neu. Und die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, schwingt mit. Aber ansonsten gibt es auch die „alten“ Probleme. Schlechte Vorgesetzte, Urlaubsprobleme, Staub, Entgeltfragen, höhere Leistungsanforderungen. Eben den ganzen üblichen Katalog. Aber genau deswegen wollen die Kolleg*innen, dass sich die Betriebsräte weiterhin darum kümmern, ihnen den Rücken stärken usw. Sie wollen auch in der Pandemie gute und aktive Betriebsräte.
Heiko: Im Kern stimme ich Clara zu. Und wenn ein Teil der Betriebsräte sich aus der Arbeit verabschiedet, wird das Problem für die Aktiven noch größer. Dann müssen der Betriebsausschuss oder die Vorsitzenden noch mehr machen. Und das kann nicht funktionieren.
Die Folge ist, dass die Verärgerung der Beschäftigten uns gegenüber zunimmt. Ich verstehe das gut. Ich hätte früher genauso reagiert. Aber damit spielen sie den Passiven und auch dem Management in die Hände. Kritik allein ändert ja auch nichts. Wir versuchen darum, diejenigen, die sich beschweren, zu bewegen, im nächsten Jahr zum Betriebsrat zu kandidieren. Da sind aufrechte Leute dabei.
Tom: Ich würde Clara auch zustimmen. Bei uns ist ganz stark Zukunftsangst und die Unsicherheit, wie es mit dem Arbeitsplatz weitergeht, zu spüren. Die einen reagieren gegenüber ihren Kolleg*innen aggressiv, die anderen schlucken und ducken sich.
Kevin: Im Unternehmen gibt es den ganz normalen „Wahnsinn“. Die Pandemie kommt nur noch dazu. Aber die Beschäftigten wollen nicht nur sehen, dass wir bei der Pandemiebe- kämpfung mitmischen, sondern auch bei den anderen Themen. Es gibt natürlich auch Beschäftigte, die sich näher bei der Unternehmensführung sehen und uns sagen, wir sollen uns aus allem raushalten, weil die Führung alles richtig macht. Aber das ist eine Minderheit.
Was uns ganz gut gelingt ist, dass wir regelmäßig die Beschäftigten in den Abteilungen aufsuchen. Probleme gibt es bei denen, die im „Homeoffice“ sind ober mobil arbeiten. Das wollen wir jetzt angehen. Allerdings haben wir bisher wie bei Clara keine Betriebsversammlungen organisiert. Aber ich finde, so etwas zu organisieren, ist einfacher gesagt als getan. Unsere Kolleg*innen sind deswegen aber nicht sauer, ihnen ist es wichtiger, dass wir regelmäßig in den Abteilungen sind.
Wir hatten schon öfters darüber gesprochen: Verfolgt der Betriebsrat eigene Ziele oder reagiert er nur auf Unternehmensentscheidungen?
Clara: Es hat sich nichts geändert. Der Betriebsrat reagiert auf Unternehmungsentscheidungen. Er definiert keine eigenen Ziele. Die Mehrheit will daran in Wirklichkeit nichts ändern. Das würde ja ihre gesamte bisherige Arbeitsweise in Frage stellen. Wir versuchen die Diskussion darüber im BR zu führen, aber mit wenig Erfolg.
In der Pandemie hat sich das eher noch verstärkt. Die meisten Betriebsräte fühlen sich abhängig von den Informationen der „Spezialisten“, also Werksärzte, Arbeitssicherheitsabteilung und Werks- und Abteilungsleiter.
Unsere Betriebsrats-Strukturen stehen auf dem Papier, arbeiten aber nicht. Das alles hat sich im letzten Jahr noch verschlechtert. Wir selbst drohen in dem Wust von Themen, mit dem uns das Unternehmen konfrontiert, unterzugehen. Für das Unternehmen gibt es nicht nur Corona, sondern auch pandemieunabhängige Ziele. Das will und kann die Mehrheit des Betriebsrates wohl nicht sehen.
Kevin: Ich finde ja, wir machen keine schlechte Arbeit. Aber dennoch sind wir eher ein reagierender Betriebsrat. Wir haben immer wieder versucht, das zu ändern, aber ohne Erfolg. Vor allem haben wir versucht, beim Arbeitsschutz ein zentrales Aktionsfeld aufzubauen. Aber da sind wir noch nicht wirklich vorangekommen.
Heiko: Wir hatten ja schon drüber gesprochen. Wir haben eigene Ziele und Leitlinien für unsere Arbeit. Aber Corona hat es verdammt schwer gemacht, am Ball zu bleiben. Und es ist auch sehr schwer, die BR-Kolleg*innen zur kontinuierlichen Arbeit zu bewegen. Corona überlagert alles und wirkt wie ein Beruhigungsmittel.
Tom: Eigene Ziele zu benennen und zu veröffentlichen, das ist in der Pandemie völlig untergegangen. Das war vorher schon keine Stärke. Außer vielleicht vor Wahlen, wenn mal wieder so ein Unsere-Erfolge-unser-Programm-Flugblatt herauskam. Alles scheint der Pandemiebekämpfung untergeordnet zu werden. Dabei sehen alle, dass das Unternehmen seine eigenen Ziele weiterhin systematisch verfolgt. Zum Beispiel die Straffung und Optimierung der Arbeitsabläufe usw.
Welche Erfahrungen habt Ihr in dem zurückliegenden Jahr gemacht?
Clara: Das Pandemiejahr war ein schwieriges Jahr für uns. Neue Anforderungen, die Technisierung unserer Arbeit, neue Arbeitsformen, das musste alles erst mal verdaut werden. Unsere Gewerkschaft hat uns zwar Material und Flyer zur Verfügung gestellt, aber bei vielen Fragen, zum Beispiel „Wie führen wir Sitzungen im BR oder mit den Vertrauensleuten durch?“, standen wir alleine da.
Was aber ganz deutlich wurde und vorhin schon gesagt worden ist: Was du in den krisenfreien Zeiten nicht aufbaust, das kannst du in der Krise nicht schaffen. Also entweder der Betriebsrat hat Arbeitsstrukturen und Kommunikationskanäle usw., oder er hat sie nicht. In der Krise sind so viele andere Dinge auf uns hereingeprasselt, dass wir das nicht aufbauen konnten.
Also müssen wir uns diesmal nach der Krise auf die nächste besser vorbereiten.
Heiko: Dem kann ich nichts hinzufügen. Stimmt hundertprozentig.
Tom: Genauso sehe ich das auch. Ich hoffe nur, dass das auch die anderen so sehen und begreifen.
Kevin: Das Jahr hat für uns mehr Anforderungen bereitgehalten als die vorherigen. Für jede Schweinerei des Unternehmens, für jede Missachtung unserer Mitbestimmung wurde als Grund Corona genannt. Und dass man jetzt schnell handeln müsste und keine Zeit zur Diskussion habe. Dem konnten wir uns gut entgegenstellen. Aber es macht wirklich mürbe.
Das Unternehmen verfolgt ja weiter seine Ziele. Und die dafür Verantwortlichen arbeiten trotz Corona weiter. Darum werden wir auf vielen Ebenen „beschäftigt“. Unter Corona-Bedingungen ist es aber schwerer als sonst, sich dagegen zu wehren und die Beschäftigten einzubeziehen. In dieser Situation war es für den aktiven Kern des Betriebsrates sehr wichtig, sich fast täglich auszutauschen und das gemeinsame Vorgehen zu besprechen.
Seid Ihr über „Euren“ Betrieb hinaus vernetzt?
Clara: Ja. Und wie schon gesagt können wir in diesem Kreis über unsere Situation reden und wie wir weiterarbeiten können. Natürlich müssen wir die Arbeit bei uns selbst machen, aber wir bekommen immer wieder Anregungen. Und mir gibt das auch Kraft, mich weiter einzusetzen.
Kevin: Ich denke, Clara spricht für uns alle. Sonst würden wir ja nicht hier sitzen. Manchmal muss man aber aufpassen. Dann erschlagen einem die vielen Vorschläge und Anregungen. Wir müssen immer prüfen, was wir davon konkret umsetzen können. Aber trotzdem ist es besser, als alleine im Topf zu schmoren.
Was würdet Ihr anderen Betriebsrät*innen empfehlen?
Clara: Wissen ist Macht. Bildet euch weiter, besucht Schulungen und vergesst niemals, warum ihr Betriebsräte seid und wer euch gewählt hat. Ihr seid ein Teil der Belegschaft. Darum muss eure Seite immer die der Belegschaft sein.
Kevin: Tauscht euch regelmäßig aus und besprecht, was zu tun ist. Versucht alle einzubinden. Aber wenn das nicht gelingt, dann trefft euch mit denen, die was tun wollen. Das Schlimmste was passieren kann ist, wenn die Aktiven nicht gemeinsam an einem Strang ziehen. Wenn alle für sich allein arbeiten oder leiden, dann ist die Gefahr groß, dass sie nicht durchhalten oder aufgeben.
Heiko: Unbedingt die Strukturen aufrechterhalten. Unbedingt den Kontakt mit euren Kolleg*innen aufrechterhalten. Dabei ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz ein zentrales Thema. Und was bislang kaum angesprochen worden ist, aber sehr wichtig ist: Aufbau der Gewerkschaft im Betrieb. Das heißt unter anderem, der Aufbau eines aktiven Vertrauensleutekörpers. Wir sind in erster Linie nicht Betriebsräte, sondern aktive Gewerkschafter*innen, die Betriebsräte sind.