Lohn, Zeit, Respekt“

Frau­en­streik in der Schweiz

 

N. B.

Mehr als 300.000 Men­schen haben laut dem Schwei­ze­ri­schen Gewerk­schafts­bund SGB am Frau­en­streik in der Schweiz am 14. Juni teilgenommen.

Frauenstreik in Zürich, 14. Juni 2023. (Foto: bfs.)

Frau­en­streik in Zürich, 14. Juni 2023. (Foto: bfs.)

Das Mot­to der Strei­ken­den: „Lohn, Zeit, Respekt“ – höhe­re Löh­ne ins­be­son­de­re in klas­sisch „weib­li­chen“ Beru­fen, mehr Zeit für bezahl­te wie unbe­zahl­te Sor­ge­ar­beit, Respekt statt ernied­ri­gen­dem Sexismus.

Frau­en­streik am 14. Juni?
Das klingt erst­mal unge­wöhn­lich. Inter­na­tio­nal wird der Frau­en­tag am 8. März began­gen. In der Schweiz ori­en­tiert sich das Datum des Frau­en­streiks an einem Ereig­nis in der Geschich­te des Lan­des: Am 14. Juni 1981 stimm­te die Mehr­heit der stimm­be­rech­tig­ten Schweizer:innen für die Auf­nah­me des Gleich­stel­lungs-Arti­kels in die Ver­fas­sung. Genau 10 Jah­re spä­ter, am 14. Juni 1991, gin­gen hun­dert­tau­sen­de Frau­en für eine kon­se­quen­te Umset­zung des Arti­kels und für die Frau­en­eman­zi­pa­ti­on auf die Stra­ße, eben­so wie sie in den Jah­ren 2019 und nun 2023 streikten.

Akti­vi­tä­ten in Gewerk­schaf­ten und Betrieben
Dabei spie­len in der Schweiz die Gewerk­schaf­ten eine bedeu­ten­de Rol­le in der Orga­ni­sa­ti­on des Frau­en­streiks – und zwar nicht in Sekt­emp­fän­gen, Soi­ré­en und mit roten Rosen, wie man­cher­orts in Deutsch­land üblich. Nein, am 14. Juni in der Schweiz rie­fen die Gewerk­schaf­ten die Frau­en zum Streik auf und orga­ni­sier­ten Aktio­nen in Betrie­ben. So ver­län­ger­ten Phar­ma-Assis­ten­tin­nen in Apo­the­ken des Kan­tons Waadt ihre Pau­se und in Zürich leg­ten Frau­en in Rei­ni­gungs­be­trie­ben ihre Arbeit zeit­wei­se nieder.

Care-Demo: Sor­gen­de und Sorge-Bedürftige
In Basel wur­de der Streik­tag von einer Care-Demo (auch: Kin­der­wa­gen­/Roll­stuhl/Rol­la­tor-Demo) eröff­net: eine Demo für alle, die Sor­ge­ar­beit leis­ten oder/und auf Sor­ge­ar­beit ange­wie­sen sind. Sor­ge­ar­beit meint alle Tätig­kei­ten, in denen Men­schen sich – bezahlt oder unbe­zahlt – um ande­re Men­schen küm­mern: in der Pfle­ge, Betreu­ung und Erzie­hung von Kin­dern, Alten und ande­ren Per­so­nen, aber auch durch Tätig­kei­ten im Haus­halt oder in der Bezie­hungs­pfle­ge und -arbeit.

Inter­na­tio­na­lis­mus
Nicht nur mit die­ser Demo drü­cken die Akti­vis­tin­nen des Frau­en­streiks Basel aus, dass sie die Frau­en­eman­zi­pa­ti­on in einem kom­ple­xen Kon­text sehen und ange­hen. Ihr Auf­ruf stellt auch den inter­na­tio­na­lis­ti­schen Cha­rak­ter der Frau­en­be­we­gung heraus:

Unse­re Streik­be­we­gung steht auf den Schul­tern der his­to­ri­schen Frau­en­be­we­gung. Unse­re For­de­run­gen machen an den Lan­des­gren­zen nicht halt. Am 14. Juni soli­da­ri­sie­ren wir uns mit den Frau­en in Afgha­ni­stan, den Demons­trie­ren­den in Iran, der femi­nis­ti­schen Anti­kriegs­be­we­gung in Russ­land, den Sport­le­rin­nen in Indi­en und all jenen, die hier unge­nannt blei­ben müs­sen, weil wir sonst wei­te­re fünf Sei­ten fül­len würden.“

Arbeits­zeit­ver­kür­zung und ande­re Forderungen
Seit Jahr­zehn­ten tra­gen Orga­ni­sa­tio­nen wie die ISO unter ande­rem die zen­tra­le For­de­rung nach Arbeits­zeit­ver­kür­zung bei vol­lem Lohn- und Per­so­nal­aus­gleich vor. Sie spie­gelt sich auch in dem Mot­to „Lohn, Zeit, Respekt“ der Schwei­zer Akti­vis­tin­nen wider: Die regu­lä­re bezahl­te Voll­ar­beits­zeit muss ver­kürzt wer­den, um allen Arbei­ten­den – Frau­en wie Män­nern – zu ermög­li­chen, neben der Lohn­ar­beit auch unbe­zahl­te Sor­ge­ar­beit außer­halb der kapi­ta­lis­ti­schen Ver­wer­tungs­zwän­ge zu leisten.

Eine Ver­kür­zung der regu­lä­ren Arbeits­zeit darf aber nicht mit einer Lohn­kür­zung ein­her­ge­hen. Sie darf auch nicht zur Fol­ge haben, dass die glei­chen Arbei­ten im Beruf in kür­ze­rer Zeit ver­rich­tet wer­den müs­sen. Die Ver­kür­zung der Arbeits­zeit muss ange­sichts der Infla­ti­on mit Lohn­er­hö­hun­gen ein­her­ge­hen, ins­be­son­de­re in den zumeist schlecht bezahl­ten klas­sisch „weib­li­chen“ Beru­fen. Ver­kürz­te Arbeits­zei­ten ermög­li­chen zudem, mehr Men­schen ein­zu­stel­len. Arbeits­zeit­ver­kür­zung mit vol­lem Lohn- und Per­so­nal­aus­gleich bedeu­tet Bekämp­fung von Erwerbs­lo­sig­keit, pre­kä­rer Arbeit und Armut.

Für anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen und revo­lu­tio­nä­ren Feminismus
Die­se For­de­rung steht jedoch nicht allein. Auf der Web­sei­te der schwei­ze­ri­schen Bewe­gung für den Sozia­lis­mus (BFS) wer­den die viel­fäl­ti­gen Berei­che der Pro­duk­ti­on und Repro­duk­ti­on, die Kol­lek­ti­vie­rung von Ver­mö­gen und Pro­duk­ti­ons­mit­teln, die Über­win­dung von Gewalt und Dis­kri­mi­nie­rung erläu­tert. In all die­sen Berei­chen braucht es grund­le­gen­de Ver­än­de­run­gen, um die Eman­zi­pa­ti­on der Frau vor­an­zu­trei­ben: in einem anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen und revo­lu­tio­nä­ren Femi­nis­mus, der die Frau­en­un­ter­drü­ckung an ihren Wur­zeln fasst.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Sep­tem­ber 2023
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