Malo­chen und die Klap­pe halten?

Zur Lage der arbei­ten­den Klas­se in Zei­ten der Pandemie.

N.B.

Das The­ma unse­res Bil­dungs­abends im April war ambi­tio­niert. Den­noch gelang es dem Refe­ren­ten, ein­drück­lich den Klas­sen­cha­rak­ter der Pan­de­mie her­aus­zu­stel­len. In der Dis­kus­si­on beson­ders enga­giert auf­ge­grif­fen wur­de die Fra­ge nach dem Bewusst­sein der arbei­ten­den Klas­se. Dies ist von Bedeu­tung, um Anknüp­fungs­punk­te für klas­sen­kämp­fe­ri­sche Poli­tik fin­den zu können.

Unser Refe­rent stell­te dar, dass von den 44 Mio. Erwerbs­tä­ti­gen in Deutsch­land 20 % als „aty­pisch Beschäf­tig­te“ arbei­ten (befris­tet oder gering­fü­gig sowie in Teil­zeit oder Zeit­ar­beit Täti­ge). Mehr als 1/5 der Beschäf­tig­ten, ins­be­son­de­re Frau­en und Migrant*innen, arbei­ten im Nied­rig­lohn­sek­tor mit einem Ent­gelt unter 11,40 €/Stunde (Stand 2018). Die Lohn­quo­ten gehen seit den 1970er Jah­ren zurück. Ins­ge­samt ste­he Deutsch­land mit an vor­ders­ter Front bei der Aus­beu­tung weltweit.

Warnstreikkundgebung der IG Metall Mannheim, 29. März 2021 (Foto: helmut-roos@web.de)

Warn­streik­kund­ge­bung der IG Metall Mann­heim, 29. März 2021 (Foto: helmut-roos@web.de)

Erschöp­fung, Unsi­cher­heit und Angst
Die Kapi­tal­sei­te set­ze vie­les dar­an, die gewerk­schaft­li­che Orga­ni­sie­rung der Arbeiter*innen zu behin­dern. Der hohe Anteil an Kleinst­un­ter­neh­men ohne Betriebs­rä­te in Deutsch­land sei u. a. das Ergeb­nis von Aus­la­ge­run­gen bestimm­ter Tätig­kei­ten in Sub­un­ter­neh­men und Dienstleistungsfirmen.

In den Betrie­ben wer­de ver­sucht, die Beleg­schaft durch psy­cho­lo­gisch gestütz­te Füh­rungs­tech­ni­ken gefü­gig zu machen. Beleg­schaf­ten wer­den aber auch gezielt gespal­ten, gesetz­li­che und tarif­li­che Rege­lun­gen unter­lau­fen und klas­sen­kämp­fe­ri­sche Betriebs­rä­te behin­dert. Das alles füh­re zu psy­chi­scher Erschöp­fung, sozia­ler Unsi­cher­heit und Angst bei feh­len­der Kampf­erfah­rung und -bereitschaft.

Neo­li­be­ra­le Propaganda
Die Arbeit der Gewerk­schaf­ten sei meist staats­kon­form und sozi­al­part­ner­schaft­lich. Ein gro­ßer Teil der arbei­ten­den Klas­se eben­so wie die sie ver­tre­ten­den Betriebs­rä­te sei schein­bar gelähmt. Dies bezeich­ne­te unser Refe­rent als das Ergeb­nis des jahr­zehn­te­lan­gen Pro­pa­gie­rens neo­li­be­ra­ler Ideo­lo­gie. Die­se behaup­te eine unver­än­der­li­che mensch­li­che Natur der Kon­kur­renz, des Indi­vi­dua­lis­mus und Ego­is­mus, wel­che zwangs­läu­fig zu sozia­ler Ungleich­heit führe.

Die Ver­an­ke­rung die­ser Ideo­lo­gie auch in der arbei­ten­den Klas­se habe die Zer­stö­rung kol­lek­ti­ver, soli­da­ri­scher Bezü­ge zur Fol­ge. Zudem bestär­ke sie den Irr­glau­ben, dass Klas­sen his­to­risch über­kom­men sei­en. In solch einem Welt­bild haben sozia­lis­ti­sche Theo­rie und Pra­xis selbst­ver­ständ­lich kei­nen Platz.

Coro­na und die Klasse
Und was hat das Gan­ze mit dem Virus zu tun? Wenig über­ra­schend sind die Ergeb­nis­se einer kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Stu­die von Dra­ga­no und Wah­ren­dorf. Dem­nach sei­en die durch­schnitt­li­chen Inzi­den­zen in Regio­nen mit hoher Erwerbs­tä­tig­keit ins­be­son­de­re in der Pro­duk­ti­on wesent­lich höher als in ande­ren. Das RKI berich­te, die COVID-19-Sterb­lich­keit sei in Regio­nen mit sozi­al stark benach­tei­lig­ter Bevöl­ke­rung um 50 - 70 % höher als in ande­ren Regio­nen. Neben den schwer­wie­gen­den gesund­heit­li­chen Risi­ken sei­en aber auch die sozia­len nicht zu ver­nach­läs­si­gen. Ein­kom­mens- und Arbeits­ver­lus­te tref­fen ins­be­son­de­re pre­kär Beschäf­tig­te und Geringverdiener*innen hart.

Die Coro­na-Pan­de­mie habe die kapi­ta­lis­ti­sche Kri­se ver­schärft. Sie sei den Herr­schen­den gele­gen gekom­men als Legi­ti­ma­ti­on ihrer Kri­sen­po­li­tik auf Kos­ten der arbei­ten­den Klas­se. Die Dis­kus­si­on um die wei­te­re Erhö­hung des Ren­ten­al­ters sei ein Vor­ge­schmack dar­auf, wer nach der Bun­des­tags­wahl im Herbst die Zeche zah­len solle.

Wir sei­en aktu­ell in der Defen­si­ve, kon­sta­tier­te ein Dis­kus­si­ons-Teil­neh­mer. Bei vie­len Arbeiter*innen stei­ge aber auch die Wut. Den lin­ken Par­tei­en und poli­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen gelin­ge es jedoch nicht, die­ses vor­han­de­ne Bewusst­sein auf­zu­grei­fen. Vie­le sei­en trotz gegen­tei­li­ger Lip­pen­be­kennt­nis­se dar­auf aus, den Kapi­ta­lis­mus mit zu ver­wal­ten, statt ihn zu über­win­den. Die meis­ten hät­ten zudem den Bezug zur arbei­ten­den Klas­se verloren.

Von „Feu­er­chen“ und „Leucht­tür­men“
Immer wie­der flamm­ten in der Dis­kus­si­on aber auch klei­ne „Feu­er­chen“ des Wider­stands auf, wenn auch aktu­ell kein „Leucht­turm“ her­aus­ste­che, wie der Refe­rent es aus­drück­te. Als Stich­wor­te fie­len die indi­ge­ne Selbst­ver­wal­tung in Chia­pas, die Ara­bi­sche Rebel­li­on 2010/11, aber auch Bewe­gun­gen wie Black Lives Mat­ter, Fri­days for Future oder das Bünd­nis Seebrücke.

Wenn die Situa­ti­on momen­tan auch manch­mal aus­sichts­los erschei­ne, so sei­en in der Geschich­te doch auch die sta­bils­ten Herr­schaf­ten irgend­wann erschüt­tert und gestürzt wor­den. Für die­se Momen­te des Auf­leh­nens gel­te es wach zu sein und die Men­schen dort abzu­ho­len, wo sie bereit sind. So lau­te­te das über­ein­stim­men­de Fazit meh­re­rer Teilnehmender.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Mai 2021
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