Teil III: Fortsetzung und Ende des Artikels aus Avanti² Nr. 9 und 10 von Mai und Juni 2015
R.G.
Das „Intergrations“- Projekt (Bewerbungstraining für über 50-jährige Erwerbslose) blieb für alle folgenlos. Ich kannte jedenfalls keinen, der dadurch einen Job bekommen hätte.
Danach ging die Misere mit den Zeitarbeitsfirmen los. Angebote wie Drei-Schicht als Verpacker / Kommissionierer mit einem Verdienst von 1200 Euro brutto brachten mich in Rage.
Als ich den Sachbearbeiter fragte, wie mensch davon leben solle und ihn dabei ungläubig anguckte, zuckte er nur mit den Schultern und verließ den Raum. Ich kochte vor Wut.
Ein anders mal wurde ich bei einer Bewerbung gefragt ob ich in der Gewerkschaft sei. „Natürlich!“, sagte ich daraufhin, und durfte anschließend den Raum verlassen.
In einem Land, wie dem unserem, das ein Bruttoinlandsprodukt von 2,1 Billionen Euro im Jahre 2012 erwirtschaftet hat, ist es asozial mit Arbeitssuchenden so umzugehen.
Ein Beispiel, um einen Begriff von den Dimensionen zu bekommen: Die Erben des verstorbenen Aldi-Gründers Karl Albrecht kommen mit 21,3 Milliarden Dollar auf Platz 37 der „Forbes-Liste“ der Multimilliardäre. Selbst, wenn sie jeden Tag eine Million Euro ausgeben würden, hätten sie erst in 58,4 Jahren dieses Vermögen verprasst. Aber es kommt ja jeden Tag neuer Profit hinzu.
Alle meine Erlebnisse und Themen konnte ich mit der Gruppe diskutieren. Hier zeichnet sich besonders aus, dass in dieser Gruppe viel Praxis gemacht wird. Meine GenossInnen kennen aus langjähriger Erfahrung die Realtiät. Sie labern nicht abstrakte, radikale Phrasen. Genau dies hat mir unheimlich viel geholfen. Ich kenne viele Gruppen - auch aus dem selben Verein - denen kann ich nur die hiesige Organisation empfehlen.
Ihr Linken, geht mal weg von Euren Computern. Geht zur Basis! Geht mal zu den Erwerbslosen, zu den prekären Beschäftigten. Denn die Basis ist immer noch die ArbeiterInnenklasse in allen ihren Facetten.
Es hilft nicht, ellenlange Artikel in Euren linken Zeitungen zu schreiben. Die liest sowieso kaum ein Mensch. Setzt Euch lieber mit der sozialen Realität auseinander und engagiert Euch im hartnäckigen sozialen Widerstand.
Ich werde jedenfalls weiterhin versuchen, mit den Erwerbslosen in Kontakt zu bleiben, die Suppenküchen aufsuchen, die Tafeln und so weiter.
Zum Schluss noch etwas Satirisches von Werner Lutz aus der Zeitung Strassen-Gazette vom März 2015, ein Glückwunsch-Schreiben zu „Zehn Jahre Hartz-IV“:
„Sehr geehrte Frau Loose, wir beglückwünschen Sie hiermit zu Ihrem persönlichen Erfolg, die ersten zehn Jahre Hartz IV überlebt zu haben.Viele, die mit Ihnen vor zehn Jahren Leistungsempfänger wurden, haben es leider nicht überlebt. Was wir Ihnen damals bei Inkraftreten übrigens verheimlicht haben, ist die Tatsache, dass Hartz IV als großes Testprogramm für das künftige ’soziale Endlager‘ Deutschland‚ konzipiert worden ist.
Zusammenfassend freuen wir uns jetzt, Ihnen mitteilen zu können, dass sich Hartz-IV dafür hervorragend eignet.
Sogenannte Sozialschmarotzer wie auch Sie wurden nämlich gezwungen mit Hartz-IV zwar nicht leben zu lernen, aber die Zeit irgendwie herumzubringen. Dass dabei ein Leben mit menschlicher Würde und ausreichender existenzieller Sicherung auf der Strecke bleibt, war den Initiatoren selbstverständlich klar und ist auch erklärte Zielsetzung.
Aber modern denkende und anpassungsfähige Menschen wie Sie haben es mit sportlichem Ehrgeiz geschafft, in den letzten Jahren einen erfolgreichen Überlebenskampf zu gestalten. Dazu gehören, wie Sie wissen, heute nicht nur der Aufenthalt in Wärmestuben oder das Wühlen in Mülleimern, sondern auch das abenteuerliche und freie Leben auf der Straße.
In ihrer großen sozialen Verantwortung haben SPD und Grüne als Wegbereiter von Hartz-IV übrigens auch das Flaschenpfand erfunden, das nicht nur einen Sinn im Leben gibt, sondern nebenbei die Städte sauber hält.
Wir hatten ursprünglich geplant, Sie und alle weiteren Hartz-IV-Empfänger zu einem Gesundheitscheck einzuladen, ersparen uns dies aber nach gründlicher Überlegung zu unserer eigenen Sicherheit.
In diesem Sinn wünschen wir Ihnen weiterhin einen angenehmen Leistungsverlauf.
Ihr Fallmanager.“