U. D.
Laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales würden rund 10 Millionen Menschen von einem Mindestlohn von 12 Euro profitieren. Das bedeutet, rund 30 % der „Kernerwerbstätigen“ erhalten mit weniger als 12 Euro in der Stunde einen Armutslohn. Dies ist ein Skandal und wirft zugleich ein grelles Licht auf die realen sozialen Verhältnisse.
Der Paritätische Armutsbericht 2020 gibt für Deutschland die erschreckende Zahl von 13,9 Mio. Armen an. Armut beginnt dabei nicht erst mit Obdachlosigkeit und Hunger, sondern wenn Menschen über so wenig Geld verfügen, dass sie „von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist“ (Bericht der Europäischen Kommission von 1983). Das ist dann der Fall, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens verfügen. Daraus hat der Bericht Armutsschwellen abgeleitet. Zum Beispiel für Alleinstehende 1074 Euro, für Paare ohne Kinder 1611 Euro, für Paare mit zwei Kindern unter 14 Jahren 2256 Euro.
Niedriglöhne erzeugen Armut
2019 gab es rund 34,3 Mio. „Kernerwerbstätige“, die abhängig beschäftigt waren. Davon 7,3 Mio. in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis. Die Mehrheit davon arbeitet für Bruttomonats- löhne unterhalb der Armutsschwelle. Aber auch viele Beschäftigte mit Vollzeitverträgen sind von Armutslöhnen betroffen. Zum Beispiel im Frisörgewerbe, in der Gastronomie, in der Logistik oder in der Gebäudereinigung.
Armut betrifft also nicht nur Arbeitslose und Kranke. Im Gegenteil, ca. 33 % der Armen sind erwerbstätig, ca. 30 % in Rente. Allein 2018 bezogen rund 1,1 Mio. lohnarbeitende Menschen Hartz-IV-Leistungen. Schließlich führen niedrige Löhne zu niedrigen Sozialleistungen bei Krankheit und Arbeitslosigkeit und zu einer niedrigen Rente.
Neoliberalismus verschärft Armut
Die neoliberale Deregulierung hat zu Gesetzesänderungen geführt, die Umstrukturierungen und Aufspaltungen von Unterneh- men vereinfacht haben. Gleichzeitig haben sie einen umfangreichen Dienstleistungs- und Niedriglohnsektor ermöglicht.
Die unter der SPD/Grünen-Regierung verabschiedeten Hartz-Gesetze zwangen Menschen massiv in Niedriglohnjobs und ermöglichten mittels Aufstockung Löhne unterhalb des Existenzmini- mums. Erst dies machte die Auslagerung von Diensten wie z. B. Küche, Logistik, Instandhaltung und Pforte möglich und profitabel.
Diese Entwicklung hat nicht nur die Konzentration von Reichtum und Macht, sondern auch das Armutsrisiko der abhängig Beschäftigten vergrößert. Mit „Transferzahlungen“ wie ALG I, ALG II, Grundrente oder Mindestlohn wird versucht, das sozialpolitische Pulverfass unter Kontrolle zu halten.
Statt 12 Euro in Stufen - 15 Euro sofort
Angesichts der aktuellen Preis-Steigerung bei Mieten, Energie und Nahrung sind die oben genannten Armutsschwellen und ein Mindestlohn von 12 Euro zu niedrig. Wer alleinstehend und kinderlos ist, erhält mit einem Mindestlohn von 12 Euro bei einer 40-Stundenwoche 2088 Euro Brutto und 1485 Euro Netto. Nach 45 Arbeitsjahren ohne Krankheit und Arbeitslosigkeit bestünde lediglich ein Anspruch auf eine Bruttorente von ca. 930 Euro.
Um mit der Rente die vom Paritätischen angenommene Armutsschwelle zu erreichen, bräuchte es eine Bruttorente von 1215 Euro. Diese wäre erst mit einem Stundenlohn von 15,70 Euro erreichbar. Deswegen ist als erster Schritt eine sofortige Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro notwendig.
Unsere Antwort
Kapitalismus ist unsozial und ungerecht. Daran ändert auch ein gesetzlicher Mindestlohn nichts. Wir kämpfen dennoch für einen Mindestlohn, weil er für Millionen Menschen eine unmittelbare Verbesserung ihrer Lebenslage bedeuten kann.
Damit der Mindestlohn tatsächlich aus der Armutsfalle führt, muss er mit ergänzenden Regelungen verbunden werden:
• Die Zahlung des Mindestlohns muss durch Betriebsräte – sofern vorhanden - oder durch gewerkschaftliche Komitees über prüft werden.
• Der Mindestlohn darf weder mit Mehrarbeit noch mit anderen Leistungen verrechnet werden.
• Mietkosten sowie Nahrungs- und Energiepreise müssen gedeckelt werden.
• Der Mindestlohn wird entsprechend der Preissteigerung automatisch erhöht.
„Es rettet uns kein höh’res Wesen …“ – diese Textstelle aus dem Lied „Die Internationale“ vermittelt eine zentrale Klassenkampferfahrung. Diese gilt es wieder zu beleben. Vertrauen wir deshalb nur auf unsere eigene Kraft.