Ein Interview mit Bernd Köhler
Im letzten Herbst sind Bernd Köhlers Nachrichten vom Untergrund erschienen. Prall gefüllt ist dieses kleine, ästhetisch gestaltete Gesamtkunstwerk mit Texten, Liedern, Bildern und Grafiken aus den Jahren 1967 bis 1989. Eine Fortsetzung mit Texten und Liedern der Zeit von 1990 bis 2019 wird in diesem Jahr erscheinen. Grund genug, um mit dem Mannheimer Musiker zu sprechen.
Schon beim Titel beginnt das Nachdenken: Nachrichten vom Untergrund?
Na ja, der Titel bezieht sich auf das gleichnamige Lied, das ich in Zeiten geschrieben habe, als die bundesdeutsche Friedensbewegung noch zu Hunderttausenden auf die Straße ging. Der Text kommentiert zugespitzt, satirisch das Verhalten von Politik und Medien gegenüber Aktivitäten, die nicht in den herrschenden Mainstream passen. So wurden die großen Aktionen der Friedensbewegung fast stereotyp begleitet von irgendwelchen spektakulär aufgemachten Berichten über russische U-Boote, die wieder mal irgendwo in schwedischen Seegewässern gesichtet wurden. Nach einer Woche war das Thema dann wieder vom Tisch, zurück blieb der fade Geschmack einer gefühlten Bedrohung. Der Versuch, unangenehme Fragesteller mit Fake-News zu überziehen, ist also nicht erst seit Trump ein erprobtes Mittel.
In meinem Lied erscheint das U-Boot übrigens in einem nahegelegenen Freischwimmbad. Hans Reffert mochte das Liedchen nicht besonders, wahrscheinlich war es ihm musikalisch zu schlicht gestrickt, aber bei den Kindern kam es sehr gut an.
Du hast Dein Buch Hans Reffert gewidmet, dem 2016 viel zu früh gestorbenen Musiker-Kollegen und Freund. Wieviel Hans steckt in dieser Lieder- und Textsammlung?
Hans habe ich Ende 1969 über die wahrscheinlich erste „Kommune” in Ludwigshafen-Rheingönheim kennengelernt. Unser erstes Konzert war kurz danach bei einer Veranstaltung für die schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis, die in den USA in einem konstruierten Mord-Prozess vor Gericht stand. Hans war, was viele seiner Rock ’n‘ Roll-Fans nicht wissen, nicht nur ein belesener Beobachter der politischen Ereignisse, er war auch immer ansprechbar, wenn es darum ging, sich aktiv einzumischen. Seine Haltung brachte er aus dem antifaschistisch und antimilitärisch geprägten Oppauer Arbeitermilieu mit, in dem er aufgewachsen war.
Das, wie unsere gemeinsamen Vorlieben für musikalische Atonalität und Dekonstruktion, war es, was uns über Jahrzehnte verband. Das Schreiben von Melodiestrukturen oder Liedtexten war bei mir oft verbunden mit der unterschwelligen Überlegung, ob es ihm gefallen könnte oder besser noch, was er wohl daraus machen würde.
Im Vorwort schreibst Du über Deine Jugend: „Hätte es damals Nazi-Jugendorganisationen gegeben wie heute, für mich wäre das in dieser Zeit attraktiv gewesen. […] Wäre nicht das ‚versiffte 68‘ (Originalzitat AfD) dazwischengekommen, keine Ahnung, welchen Weg meine Entwicklung genommen hätte.“ Was hat Dich damals vom rechten Weg abgebracht?
Eigentlich handelt das gesamte Vorwort darüber, dass Entwicklung und Veränderung immer von sehr unterschiedlichen externen Komponenten beeinflusst werden – zunächst also überhaupt nicht von Dir selbst. Keiner wird als Kommunist, Nazi oder Ausbeuter geboren. Umso wichtiger ist es, dass die gesellschaftlichen Bedingungen das Positive und Widerständige fördern, den positiven Eigenschaften einen Weg ebnen helfen. Im Großen wie im Kleinen. Irgendwie eine Binsenwahrheit, die aber trotzdem immer wieder mal ins Bewusstsein gerückt werden muss.
Mein großes Glück war es, dass ich in einer Zeit zum Denken und Handeln kam, als dafür auch die nötigen Freiräume erkämpft wurden. So konnte ich meine Widersprüche und Erkenntnisse in Lieder formulieren. Das war, neben der Tatsache immer in demokratischen Bewegungen aktiv gewesen zu sein, mein Beitrag für die damalige emanzipatorische Bewegung.
Der Themenbogen Deiner ausgewählten Lieder reicht von sehr persönlichen Gefühlen und Eindrücken bis hin zu den vielen Facetten des Klassenkampfs der Jahre nach 1968. Wie erklärst Du Dir, dass – von konkreten Zeitbezügen abgesehen – fast alle Texte eine Bedeutung für die heutigen Auseinandersetzungen haben?
Weil das nicht aufhört, die Auseinandersetzung zwischen oben und unten, das Ringen um Selbstbestimmung, um ein selbstbestimmtes Leben, um mehr Rechte, um Respekt, um gesunde Arbeits- und Lebensbedingungen, um eine gerechtere Verteilung des Wohlstands. Ich sage bewusst gerechtere Verteilung und verwende nicht das Wort „gerecht”, weil dieser Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit ebenfalls ein immerwährender Prozess sein wird. Mit Erfolgen und Rückschlägen.
Vor zwei Jahren hatte ich unter dem Titel „Oh Heiland, reiß die Himmel auf”, ein künstlerisches Projekt initiiert und inszeniert, das sich mit den Bauernkriegen und den unterschiedlichen reformatorischen Konzepten von Luther und Müntzer auseinandersetzte. Und war wieder einmal überrascht, wie viele der Fragen oder Forderungen aus dem 16. Jahrhundert nahtlos in unsere Zeit übertragbar sind. Im Sozialen, Politischen oder Philosophischen.
Beim Aufarbeiten meiner ganz frühen Texte, einige davon werde ich auf dem Konzert in Ludwigshafen singen, war ich baff über die unbefangene Radikalität wie auch die Aktualität der Inhalte. Viele wirken, als seien sie gerade gestern geschrieben worden.
In „Blauer Planet“ von 1982 heißt es: „Der Mensch wird zum Menschen / und Herrschaft zerbricht“. Trotz aller weltweiten Protestbewegungen gegen die Zustände – Herrschaft ist noch nirgendwo wirklich zerbrochen. Wie kann Musik helfen, das Prinzip Hoffnung wirksam werden zu lassen?
Musik kann der Erkenntnis eine Melodie geben, eine klingende Leitlinie sozusagen. Irgendwie irre, dass ich dieses Lied, in dem es um die ganzen aktuellen sozialen und umweltpolitischen Themen geht, schon 1982 geschrieben habe. Dann in der bleiernen Zeit vor der Jahrtausendwende ad acta gelegt und jetzt wieder neu entdeckt.
Die gesungene Vision einer herrschaftsfreien, solidarischen und menschenfreundlichen Welt, für die es sich lohnt und gelohnt hat zu leben und zu kämpfen. Oder wie es in „Keine Wahl” einem weiteren Song aus den 1980er Jahren heißt: „Wer kämpft kann verlieren / wer nicht kämpft hat schon verloren / doch um unterzugehn / wurden wir nicht geboren.”
[Die Fragen stellte W.A., 27.02.2020.]
Bernd Köhler
Nachrichten vom Untergrund
Texte und Lieder (1967–89)
Verlag Llux, 2019
Taschenbuch,_192 Seiten
Lieder, Texte, Fotos, Grafiken, Dokumente etc.
Preis: 15 Euro + 2 Euro Versandkosten
ISBN 978-3-938031-81-0
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