M. G.
Die große Beteiligung am 9. Mobilisierungstag der gewerkschaftlichen Einheitsfront („Intersyndicale“) gegen die „Rentenreform“ am 23. März 2023 entsprach der Empörung, die die Anwendung des Artikels 49.3 (Umgehen der parlamentarischen Abstimmung per Dekret) und danach Macrons provokativer TV-Auftritt ausgelöst hatten.
Die Zahlen der Demonstrierenden waren rekordverdächtig: 800.000 in Paris, 110.000 in Bordeaux, 150.000 in Toulouse, 80.000 in Nantes, 8.000 in Bourges, 15.000 in Angoulême, 1.000 in Lamballe, 20.000 in Perpignan, 30.000 in Toulon, 24.000 in Tarbes, 15.000 in Le Puy-en-Velay …
Mit dem Aktionstag am 23. März hat die Bewegung mit der unübersehbaren Beteiligung von jungen Menschen noch einen weiteren Schritt nach vorne gemacht.
Der verlängerbare Streik wird in verschiedenen Sektoren, insbesondere im Energie- und Transportsektor, aufrechterhalten. Die Folgen beginnen sich auf die Treibstoffkapazitäten auszuwirken, was die Herrschenden in große Schwierigkeiten bringt.
Hunderttausende Jugendliche aus Gymnasien, Universitäten und Betrieben beteiligen sich gemeinsam mit Lehrkräften an kleineren und größeren Demonstrationen. Vollversammlungen finden an den Universitäten statt. Es heißt, dass 400 Gymnasien und 80 Universitäten blockiert worden seien.
In vielen Städten im ganzen Land finden zudem jeden Tag Proteste aller Art statt.
Zunehmende Polizeibrutalität
Die Regierung hat die Repression gegen die Bewegung verzehnfacht. Die extrem gewalttätigen Angriffe der Sondereinheiten CRS und BRAV-M führen in Kombination mit dem Einsatz von Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstöcken zu immer mehr – teilweise sehr schweren – Verletzungen von friedlich demonstrierenden Menschen.
Die Regierung versucht der Öffentlichkeit weis zu machen, dass die Polizei die Aufgabe habe, die Demonstrierenden zu schützen. Aber es ist für jeden klar, dass die Staatsmacht sich selbst schützt. Da sie keine Legitimität mehr hat, setzt sie auf Gewalt und zögert nicht, ihre Schlägertruppen einzusetzen.
Selbst der Europarat ist alarmiert. Die Meinungsfreiheit müsse besser geschützt werden, sagte Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatović. Sie sprach von „exzessiver Anwendung von Gewalt“ durch den französischen Staat.
Die Fünfte Republik ist – wie die Pseudodebatte im Parlament gezeigt hat – für sehr viele Menschen in Frankreich undemokratisch. Sie fordern zudem den Rücktritt von Macron und seiner Regierung, da diese nur den Superreichen diene.
Die Legitimität liegt offenkundig auf der Seite der sozialen Bewegung. Die wahre Demokratie findet auf der Straße statt, bei gewerkschaftlichen oder spontanen Demonstrationen, bei Vollversammlungen, die entscheiden, wie das Projekt der Regierung für sozialen Rückschritt blockiert werden kann.
Gemeinsamer Widerstand
Angesichts der Polizeieinsätze und der Unterdrückung von Streiks ist es erforderlich, dass der Wille der großen Mehrheit der Bevölkerung sich wirksam durchsetzen kann. Dabei muss der Selbstschutz der Bewegung gestärkt werden.
Das Ausmaß der Proteste zeigt mit aller Deutlichkeit, welche Schärfe der Kampf zwischen den sozialen Klassen wieder angenommen hat. Die Möglichkeit, dass die Herrschenden zu einer autoritären Lösung greifen, kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Dies verstärkt die Notwendigkeit des Aufbaus einer möglichst breiten Einheitsfront mit einem klaren Programm.
Unsere Schwesterorganisation NPA (Neue Antikapitalistische Partei) hat deshalb ein Zusammentreffen aller Organisationen der arbeitenden Klasse und der sozialen Bewegungen vorgeschlagen, um die gemeinsame Aktion weiter stärken zu können.
Angesichts der reaktionären und isolierten Regierung, angesichts ihrer Demokratieverweigerung und angesichts der zunehmenden Repression ist nicht nur für unsere Genossinnen und Genossen der NPA der Generalstreik jetzt die richtige Reaktion.
Infoabend zu Frankreich mit Bernard Schmid – Audio des Vortrags im Netz
Am 23. März 2023 fand im Mannheimer Gewerkschaftshaus ein spannender Infoabend des Aktionsbündnisses „Solidarität statt Preistreiberei!“ statt. Bernard Schmid (Paris) sprach dort zum Thema „Revolte gegen die Konterreform bei den Renten - ‚Es gibt ein Leben vor dem Tod!‘“ Das Audio des interessanten Vortrags zu den Massenprotesten in Frankreich kann hier angehört werden: www.freie-radios.net/121145