H. S.
Die Tarifabschlüsse in den beiden letzten Coronajahren waren miserabel. In allen Branchen gab es Reallohnverluste.
Die Inflation steigt und steigt. Sie liegt mittlerweile bei weit über 7 %. Ein Ende der Preistreiberei ist nicht in Sicht. Energie- und Lebensmittelpreise schießen durch die Decke, und die Verarmung nimmt zu.
Die Rufe seitens des Kapitals und seiner politischen Helfershelfer nach Verzicht auf höhere Löhne sind nicht zu überhören. Wegen des Krieges in der Ukraine sollten wir uns in noch mehr Bescheidenheit üben. „Wir alle“ müssten ärmer werden.
Die Preissteigerungen und die skandalöse „Bekämpfung“ der Pandemie werden auf den Rücken der lohnabhängig Beschäftigten und der Ärmsten abgewälzt. Das gilt auch für die Folgen der „Wirtschaftssanktionen“ gegen Russland. Auch diese werden bereits jetzt von der arbeitenden Klasse mit steigenden Lebenshaltungskosten und wachsender Armut bezahlt.
Gegen Aufrüstung
Zusätzliche Kosten entstehen durch die Ein- richtung eines Sonderetats von 100 Milliarden Euro zur weiteren Aufrüstung der Bundeswehr und die Erhöhung des jährlichen Kriegsführungsetats Deutschlands auf mindestens 2 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP).
Diese militaristische Politik stellt die Finanzierung in Bereichen der Daseinsfürsorge wie dem Gesundheits- und Bildungswesen und auch den Kampf gegen die Klimakatastrophe noch mehr in Frage. Die Gewerkschaften müssen sich eindeutig von den Aufrüstungsbeschlüssen der Bundesregierung distanzieren und den Kampf dagegen aufnehmen.
Für offensive Lohnpolitik
Im vergangenen Jahr haben sich die Vermögen der zehn reichsten Personen in Deutschland von 144 Mrd. Dollar auf etwa 256 Mrd. Dollar erhöht. Profite und Dividenden steigen weiter.
Dem Kapital geht es auch trotz Krise, Pandemie und Krieg um die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums − und zwar von unten nach oben. Konzerne und Superreiche sind die Krisen- und Kriegsprofiteure. Der deutsche Kapitalismus und dessen Regierung produzieren soziale Ungleichheit wie kaum ein anderes Land in der EU.
In den anstehenden Tarifrunden müssen die Gewerkschaften kräftige Reallohnsteigerungen durchsetzen. Leider knicken einige Gewerkschaftsspitzen schon ein und predigen Verzicht. Sie lassen sich ohne Not auf „Brückenlösungen“ ein wie die IG BCE mit ihrer Einmalzahlung. Oder sie liebäugeln damit, wie der IGM-Bezirksleiter von Baden-Württemberg Roman Zitzelsberger.
Die Lohnrunden stehen unter dem Druck der internationalen Verwerfungen, die durch den Krieg in der Ukraine verstärkt werden. Weitere Lieferstopps und Verlängerungen der Investitionsstaus in Infrastruktur und öffentlicher Daseinsvorsorge auf- grund des gigantischen Aufrüstungsprogramms der Regierung sind die Folge.
Auch deswegen ist es dringend erforderlich, dass die Gewerkschaften einerseits konsequent den Kampf gegen das Aufrüstungsprogramm und eine Eskalation des Krieges aufnehmen und andererseits auch für eine offensive Lohnpolitik eintreten.
Gleitende Lohnskala
Mit einer offensiven Lohnpolitik und hohen Lohnforderungen, am besten als Festgeld oder Mindestbetrag, müssen die Gewerkschaften angesichts der großen Inflation dagegenhalten.
Das alleine wird aber nicht reichen, um die hochschnellenden Preissteigerungen auszugleichen. Wir brauchen eine gesetzlich verankerte gleitende Lohnskala als Ausgleich für die Inflation. Denn nur damit können wir verhindern, dass Millionen Menschen immer weiter in die Armut getrieben werden.
Wir brauchen einen wirksamen Kurswechsel der Gewerkschaftsvorstände, weg von Verzichtspolitik und Verständnis für die Kapitalinteressen. Diese Wende wird es nicht von alleine geben. Die Mitglieder müssen sie einfordern und erkämpfen:
Gewerkschaftliches Aktionsprogramm
Es braucht ein Aktionsprogramm gegen die Abwälzung der Kriegs- und Krisenkosten auf die Lohnabhängigen. Zu seiner Durchsetzung sind koordinierte, gewerkschaftsübergreifende Streiks und Demonstrationen von Kolleginnen und Kollegen, die sich in Tarifrunden befinden, erforderlich.
Der alte Gewerkschaftsspruch − „Gemeinsam sind wir stark!“ − kann und muss von einer Floskel in die reale Aktion übersetzt werden.
Es ist höchste Zeit, das tarifpolitische Kleinklein zu beenden und sich gemeinsam für folgende Forderungen einzusetzen:
• Tarifabschlüsse nicht unter Inflationsausgleich, stattdessen Reallohnsteigerungen
• Kurze Laufzeiten der Tarifverträge.
Klassenpolitische Alternativen
Zudem ist es Aufgabe der Gewerkschaften, sich im Interesse ihrer Mitglieder für eigene klassenpolitische Alternativen gegen die neoliberale, prokapitalistische Politik der Bundesregierung einzusetzen:
• Preisobergrenzen für Energie- und Grundnahrungsmittel
• Gesetzlich verankerte automatische An passung der Löhne an die Preise durch eine gleitende Lohnskala
• Nein zur weiteren Steigerung der Militär ausgaben
• Stattdessen Einsetzen eines Sonderver- mögens von 100 Milliarden Euro für öffentliche Investitionen in Gesundheit, Bildung, Soziales und Klima
• Streichung der „Schuldenbremse“
• Solidaritätsabgabe auf Vermögen des oberen 1 % der Bevölkerung
• Einführung einer Millionärssteuer von 10 % ab einer Million Euro
• Verteidigung und Ausbau von sozialen und ökologischen Standards und Er rungenschaften.
Nur durch die Organisierung, Aktivierung und Vernetzung aktiver betrieblicher und gewerkschaftlicher Kerne, nur durch die Bildung einer sozialen, ökologischen und antimilitaristischen Front wird der erforderliche Druck für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik aufgebaut werden können. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen.