Unso­zia­les bei den Sozi­al- und Erziehungsdiensten

Erfolg­rei­cher Tarifabschluss?

N. B.

Die Kurz­zu­sam­men­fas­sung des Tarif­ab­schlus­ses bei den Sozi­al- und Erzie­hungs­diens­ten zuerst: Zula­gen von monat­lich 130 bis 180 € (je nach Ent­gelt­grup­pe), jähr­lich zwei zusätz­li­che bezahl­te plus wahl­wei­se zwei unbe­zahl­te Ent­las­tungs­ta­ge, schnel­le­re Höher­grup­pie­rung durch Anpas­sung der Stu­fen­lauf­zei­ten und klei­ne­re berufs­spe­zi­fi­sche Festlegungen.

Warnstreikaktion in Mannheim, 5. Mai 2022. (Foto: Foto: helmut-roos@web.de.)

Warn­streik­ak­ti­on in Mann­heim, 5. Mai 2022. (Foto: Foto: helmut-roos@web.de.)

Auf den ers­ten Blick mag das wie ein Erfolg für die Beschäf­tig­ten bei den Sozi­al- und Erzie­hungs­diens­ten wir­ken. Bei genaue­rem Hin­se­hen ent­puppt sich die­ser Tarif­ab­schluss jedoch als fau­ler Kom­pro­miss, der kaum wirk­li­che Ver­bes­se­run­gen für die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen mit sich bringt.

Anhal­ten­de Über­las­tung
Ein zen­tra­ler Punkt bei den Tarif­ver­hand­lun­gen für die Sozi­al- und Erzie­hungs­di­ens-te ist immer wie­der, die­se von Per­so­nal­knapp­heit gepräg­ten Tätig­kei­ten attrak­ti­ver zu machen.

Mehr Men­schen in die­se Berei­che zu holen, ist der ein­zi­ge Weg aus der Unter­be­set­zung und damit aus der chro­ni­schen Über­las­tung her­aus­zu­kom­men. Ob der jet­zi­ge Tarif­ab­schluss die Attrak­ti­vi­tät der Arbeit im Sozi­al- und Erzie­hungs­dienst wirk­lich stei­gern kann, ist mehr als fraglich.

Zwei – bezie­hungs­wei­se bei Ent­gelt­ver­zicht vier – Ent­las­tungs­ta­ge ver­mö­gen bei Wei­tem nicht die täg­li­che Über­ar­bei­tung zu kom­pen­sie­ren. Vor- und Nach­be­rei­tungs­zei­ten in Kitas und ande­ren Ein­rich­tun­gen wer­den auch wei­ter­hin nicht oder nur unge­nü­gend bezahlt. Das wirkt sich nega­tiv auf die Qua­li­tät der Arbeit aus. Dar­un­ter lei­den sowohl die Beschäf­tig­ten als auch die von ihnen betreu­ten, gepfleg­ten und geför­der­ten klei­nen und gro­ßen Menschen.

Wei­te­re Real­lohn­sen­kun­gen
Lohn­er­hö­hun­gen von vier bis 5,5 Pro­zent, je nach Berufs­grup­pe, glei­chen nicht ein­mal die aktu­ell sehr hohe Infla­ti­on von über sie­ben Pro­zent aus.
Die soge­nann­ten Arbeit­ge­ber konn­ten die flä­chen­de­cken­de Höher­grup­pie­rung in den Ent­gelt­grup­pen abwen­den. Sie setz­ten damit durch, dass die Löh­ne nach der ein­ma­li­gen Erhö­hung für die fünf Jah­re der Tarif­lauf­zeit ein­ge­fro­ren bleiben.
Hin­zu kom­men nicht gera­de rosi­ge Aus­sich­ten in Bezug auf die Infla­ti­on. Das alles zusam­men lässt erwar­ten, dass der Real­lohn­ver­lust sich noch ver­schär­fen wird.
Not­wen­di­ge Bilanzierung
Die Beschäf­tig­ten und ihre Gewerk­schaft ver.di haben in der Tarif­aus­ein­an­der­set­zung gegen den mas­si­ven Wider­stand der Gegen­sei­te ankämp­fen müs­sen. Inso­fern könn­te man argu­men­tie­ren, dass die Strei­ken­den immer­hin Schlim­me­res abge­wen­det und klei­ne Ver­bes­se­run­gen durch­ge­setzt haben.

Ob die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen nach all ihrem Ein­satz nun aber gestärkt oder doch eher des­il­lu­sio­niert wei­ter durch ihren über­las­te­ten Arbeits­all­tag gehen, hängt sicher­lich von unter­schied­li­chen Fak­to­ren ab.

Vie­le Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen wären zu wei­te­ren Aktio­nen bereit gewe­sen, wenn ver.di dazu auf­ge­ru­fen hät­te, statt den schwa­chen Tarif­ab­schluss zu unterschreiben.
Wich­tig ist jetzt, die kol­lek­ti­ven Erfah­run­gen die­ser Tarif­run­de aus­zu­wer­ten und die posi­ti­ven Fak­to­ren in künf­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen weiterzuentwickeln.

Akti­vie­ren­de Gegenmacht
Der Erfolg der zukünf­ti­gen Gewerk­schafts­po­li­tik wird wesent­lich von den Mög­lich­kei­ten akti­ver und direk­ter Ein­fluss­nah­me auf das Streik­ge­sche­hen durch die Beschäf-tig­ten selbst abhängen. 
In Tarif­run­den geht es um die Arbeits­be­din­gun­gen und das Ent­gelt der Beschäf­tig­ten. Sie müs­sen daher auch die­je­ni­gen sein, die in Streik­ver­samm­lun­gen und Dele­gier­ten­kon­fe­ren­zen über die Form des Arbeits­kamp­fes ent­schei­den. Sie müs­sen auch da- rüber befin­den, ob ein Streik abge­bro­chen oder zum Erzwin­gungs­streik aus­ge­wei­tet wird.

Wirk­li­che Erfol­ge wird es nur geben, wenn sich die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen bereichs­über­grei­fend unter­stüt­zen und die jewei­li­gen Arbeits­kämp­fe kon­se­quent stärken.

Wirk­sa­me gewerk­schaft­li­che Gegen­macht erfor­dert mehr als mit eini­gen Warn­streiks geschmück­te Tarif­rou­ti­ne. Sie muss akti­vie­ren, poli­ti­sie­ren und damit Durch­set­zungs­kraft organisieren.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Juni 2022
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