Erfolgreicher Tarifabschluss?
N. B.
Die Kurzzusammenfassung des Tarifabschlusses bei den Sozial- und Erziehungsdiensten zuerst: Zulagen von monatlich 130 bis 180 € (je nach Entgeltgruppe), jährlich zwei zusätzliche bezahlte plus wahlweise zwei unbezahlte Entlastungstage, schnellere Höhergruppierung durch Anpassung der Stufenlaufzeiten und kleinere berufsspezifische Festlegungen.
Auf den ersten Blick mag das wie ein Erfolg für die Beschäftigten bei den Sozial- und Erziehungsdiensten wirken. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich dieser Tarifabschluss jedoch als fauler Kompromiss, der kaum wirkliche Verbesserungen für die Kolleginnen und Kollegen mit sich bringt.
Anhaltende Überlastung
Ein zentraler Punkt bei den Tarifverhandlungen für die Sozial- und Erziehungsdiens-te ist immer wieder, diese von Personalknappheit geprägten Tätigkeiten attraktiver zu machen.
Mehr Menschen in diese Bereiche zu holen, ist der einzige Weg aus der Unterbesetzung und damit aus der chronischen Überlastung herauszukommen. Ob der jetzige Tarifabschluss die Attraktivität der Arbeit im Sozial- und Erziehungsdienst wirklich steigern kann, ist mehr als fraglich.
Zwei – beziehungsweise bei Entgeltverzicht vier – Entlastungstage vermögen bei Weitem nicht die tägliche Überarbeitung zu kompensieren. Vor- und Nachbereitungszeiten in Kitas und anderen Einrichtungen werden auch weiterhin nicht oder nur ungenügend bezahlt. Das wirkt sich negativ auf die Qualität der Arbeit aus. Darunter leiden sowohl die Beschäftigten als auch die von ihnen betreuten, gepflegten und geförderten kleinen und großen Menschen.
Weitere Reallohnsenkungen
Lohnerhöhungen von vier bis 5,5 Prozent, je nach Berufsgruppe, gleichen nicht einmal die aktuell sehr hohe Inflation von über sieben Prozent aus.
Die sogenannten Arbeitgeber konnten die flächendeckende Höhergruppierung in den Entgeltgruppen abwenden. Sie setzten damit durch, dass die Löhne nach der einmaligen Erhöhung für die fünf Jahre der Tariflaufzeit eingefroren bleiben.
Hinzu kommen nicht gerade rosige Aussichten in Bezug auf die Inflation. Das alles zusammen lässt erwarten, dass der Reallohnverlust sich noch verschärfen wird.
Notwendige Bilanzierung
Die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft ver.di haben in der Tarifauseinandersetzung gegen den massiven Widerstand der Gegenseite ankämpfen müssen. Insofern könnte man argumentieren, dass die Streikenden immerhin Schlimmeres abgewendet und kleine Verbesserungen durchgesetzt haben.
Ob die Kolleginnen und Kollegen nach all ihrem Einsatz nun aber gestärkt oder doch eher desillusioniert weiter durch ihren überlasteten Arbeitsalltag gehen, hängt sicherlich von unterschiedlichen Faktoren ab.
Viele Kolleginnen und Kollegen wären zu weiteren Aktionen bereit gewesen, wenn ver.di dazu aufgerufen hätte, statt den schwachen Tarifabschluss zu unterschreiben.
Wichtig ist jetzt, die kollektiven Erfahrungen dieser Tarifrunde auszuwerten und die positiven Faktoren in künftigen Auseinandersetzungen weiterzuentwickeln.
Aktivierende Gegenmacht
Der Erfolg der zukünftigen Gewerkschaftspolitik wird wesentlich von den Möglichkeiten aktiver und direkter Einflussnahme auf das Streikgeschehen durch die Beschäf-tigten selbst abhängen.
In Tarifrunden geht es um die Arbeitsbedingungen und das Entgelt der Beschäftigten. Sie müssen daher auch diejenigen sein, die in Streikversammlungen und Delegiertenkonferenzen über die Form des Arbeitskampfes entscheiden. Sie müssen auch da- rüber befinden, ob ein Streik abgebrochen oder zum Erzwingungsstreik ausgeweitet wird.
Wirkliche Erfolge wird es nur geben, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen bereichsübergreifend unterstützen und die jeweiligen Arbeitskämpfe konsequent stärken.
Wirksame gewerkschaftliche Gegenmacht erfordert mehr als mit einigen Warnstreiks geschmückte Tarifroutine. Sie muss aktivieren, politisieren und damit Durchsetzungskraft organisieren.