Trotz­kis Faschismusanalyse*

 

W. A.

Im Fol­gen­den sol­len die wesent­li­chen Ele­men­te von Trotz­kis Faschis­mus­ana­ly­se dar­ge­stellt wer­den. Eine Dis­kus­si­on der Bei­trä­ge Trotz­kis in Rela­ti­on zu ande­ren, ins- beson­de­re mar­xis­ti­schen Ansät­zen zu einer Theo­rie des Faschis­mus wür­de den Rah­men spren­gen.1

Broschüre der Linken Opposition von 1933. (Bildnachweis: Provatarchiv W. A.)

Bro­schü­re der Lin­ken Oppo­si­ti­on von 1933. (Bild­nach­weis: Pro­vat­ar­chiv W. A.)

1922 und 1923 reg­te eine neu­ar­ti­ge poli­ti­sche Erschei­nung, der „Faszis­mus“, der in Ita­li­en und Deutsch­land zu beob­ach­ten war, eine Dis­kus­si­on in der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­le an, die damals noch in offe­ner Wei­se geführt wer­den konn­te und zu dif­fe­ren­zier­ten Bei­trä­gen führ­te.2

Das Auf­tre­ten des Faschis­mus bezeich­ne­te Trotz­ki 1922, als Mus­so­li­nis „Fasci“ nach Rom mar­schier­ten, als sym­pto­ma­tisch für die Leh­ren, die die herr­schen­den Klas­sen West­eu­ro­pas aus den Erfah­run­gen der rus­si­schen Revo­lu­ti­on gezo­gen hat­ten, d. h. für deren Bereit­schaft, der Gefahr einer neu­en Revo­lu­ti­on mit allen Hilfs­mit­teln und Stra­te­gien ent­ge­gen­zu­tre­ten. Und er füg­te hin­zu, dass auch die Gefahr eines „deut­schen Mus­so­li­ni“ dro­he.3

Als Trotz­ki im Som­mer 1924 den „Zusam­men­bruch der deut­schen Revo­lu­ti­on“ vom Herbst 1923 den Beginn einer neu­en Peri­ode in der Ent­wick­lung Euro­pas nann­te4, blieb sei­ne Defi­ni­ti­on des Faschis­mus noch ver­schwom­men. Der Faschis­mus konn­te nach sei­ner Ansicht in ver­schie­de­nen Län­dern eine sozi­al unter­schied­li­che Gestalt anneh­men.5 Aber sei­nem Wesen nach sei der Faschis­mus eine „For­ma­ti­on der Bour­geoi­sie zur Zeit des Bür­ger­krie­ges“. Er stel­le einen nur kur­ze Zeit andau­ern­den Aus­nah­me­zu­stand der bür­ger­li­chen Gesell­schaft dar, der ent­we­der im Fal­le des Sie­ges der sozia­lis­ti­schen Revo­lu­ti­on von der Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats abge­löst wer­de oder im Fal­le einer pro­le­ta­ri­schen Nie­der­la­ge durch die „nor­ma­le bür­ger­li­che ‚Ord­nung‘“.6

Sta­lins im Sep­tem­ber 1924 ver­kün­de­te The­se, der­zu­fol­ge die Sozi­al­de­mo­kra­tie „ein objek­tiv gemä­ßig­ter Flü­gel des Faschis­mus“ war, lehn­te er als „abso­lut unsin­nig“ ab. Wohl kön­ne man die Sozi­al­de­mo­kra­tie als lin­ken Flü­gel der bür­ger­li­chen Gesell­schaft cha­rak­te­ri­sie­ren, wenn man nicht die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Arbei­ter­ba­sis und damit den für die Sozi­al­de­mo­kra­tie bestehen­den Zwang ver­ges­se, in einem be- stimm­ten Rah­men, „nicht allein mit dem Wil­len ihres bür­ger­li­chen Her­ren zu rech­nen, son­dern auch mit den Inter­es­sen ihrer betro­ge­nen pro­le­ta­ri­schen Auf­trag­ge­ber“. Man dür­fe aber nicht über­se­hen, „daß die Sozi­al­de­mo­kra­tie und der Faschis­mus zwei ver­schie­de­ne Pole der − im Moment der Gefahr ein­heit­li­chen − bür­ger­li­chen Front dar­stel­len, aber immer­hin zwei Pole“.7

Inten­siv begann sich Trotz­ki mit der Faschis­mus­pro­ble­ma­tik nach sei­ner Aus­wei­sung aus der Sowjet­uni­on aus­ein­an­der­zu­set­zen. In der am 13. Novem­ber 1929 fer­tig­ge­stell­ten Bro­schü­re Die öster­rei­chi­sche Kri­se, die Sozi­al­de­mo­kra­tie und der Kom­mu­nis­mus8 sind bereits die wesent­li­chen Ele­men­te sei­ner in den fol­gen­den Jah­ren ver­tief­ten Faschis­mus­theo­rie ent­hal­ten.9 Sei­ne Ana­ly­se der öster­rei­chi­schen Kri­se schäl­te den Unter­schied zwi­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie und Faschis­mus anhand der öster­rei­chi­schen Kon­stel­la­ti­on schär­fer als bis­her her­aus. Den Faschis­mus bezeich­ne­te er in Rela­ti­on zur Sozi­al­de­mo­kra­tie als den „zweite(n) Knecht der Bour­geoi­sie, ganz anders als der ers­te und ihm Feind“.10 Der Faschis­mus kön­ne eine umso bedeu­ten­de­re Rol­le spie­len, je kla­rer „der Wider­spruch zwi­schen den Erfor­der­nis­sen der his­to­ri­schen Situa­ti­on und der prak­ti­schen Poli­tik der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Mas­sen­par­tei“ wer­de. Der Faschis­mus tre­te „als not­wen­di­ge Ergän­zung der Sozi­al­de­mo­kra­tie auf“, lebe von ihr und kom­me mit ihrer Hil­fe zur Macht.11

Als die Aus­wir­kun­gen der Welt­wirt­schafts­kri­se auf das Gefü­ge der Wei­ma­rer Repu­blik sich wirt­schaft­lich in einer ver­hee­ren­den Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit, poli­tisch in der Auf­lö­sung der par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie und dem Anschwel­len der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Flut, ins­be­son­de­re seit den Reichs­tags­wah­len vom 14. Sep­tem­ber 1930, bemerk­bar mach­ten, begann Trotz­ki in einer Rei­he von Arti­keln und Bro­schü­ren12 die deut­sche Ent­wick­lung aus­führ­li­cher als zuvor zu analysieren.

Broschüre der Linken Opposition von 1932. (Bildnachweis: Provatarchiv W. A.)

Bro­schü­re der Lin­ken Oppo­si­ti­on von 1932. (Bild­nach­weis: Pro­vat­ar­chiv W. A.)

Das Anwach­sen des Natio­nal­so­zia­lis­mus war Trotz­ki zufol­ge das Pro­dukt zwei­er Fak­to­ren gewe­sen: einer­seits der schar­fen gesell­schaft­li­chen Kri­se und ande­rer­seits der „revo­lu­tio- nären Schwä­che des deut­schen Pro­le­ta­ri­ats“.13

Die all­ge­mei­ne Ursa­che für den Ver­fall der bür­ger­li­chen Demo­kra­tie sah Trotz­ki im impe­ria­lis­ti­schen Ent­wick­lungs­sta­di­um des Kapi­ta­lis­mus begrün­det. Der Kapi­ta­lis­mus habe sei­ne „Blü­te­zeit“ über­schrit­ten. Er zer­stö­re „durch natio­na­le und inter­na­tio­na­le Gegen­sät­ze im Inne­ren eines jeden Lan­des die demo­kra­ti­sche Struk­tur“. Wo sich die „fort­schritt­li­che Klas­se“, also das Pro­le­ta­ri­at unfä­hig zei­ge, die Macht zu ergrei­fen und Wirt­schaft und Gesell­schaft auf sozia­lis­ti­scher Grund­la­ge neu zu gestal­ten, kön­ne der nie­der­ge­hen­de, ster­ben­de Kapi­ta­lis­mus nur mit­tels der bar­ba­ri­schen Metho­den des Faschis­mus auf­recht­erhal­ten wer­den.14

Es sei ver­häng­nis­voll für die Arbei­ter­klas­se, den Unter­schied zwi­schen bür­ger­li­cher Demo­kra­tie und Faschis­mus zu leug­nen oder zu ver­wi­schen. Zwar bezeich­ne­te er bei­de als ledig­lich unter­schied­li­che Arten kapi­ta­lis­ti­scher Herr­schaft. Aber in der bür­ger­lich-par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie sei die Exis­tenz unab­hän­gi­ger pro­le­ta­ri­scher Orga­ni­sa­tio­nen wie poli­ti­scher Par­tei­en und Gewerk­schaf­ten mög­lich. Die­se Orga­ni­sa­tio­nen bil­de­ten vom Stand­punkt der revo­lu­tio­nä­ren Mar­xis­ten Kei­me der pro­le­ta­ri­schen Demo­kra­tie im Rah­men der bür­ger­li­chen Demo­kra­tie, d. h. Stütz­punk­te, von denen aus die Arbei­ter den revo­lu­tio­nä­ren Kampf für ihre Inter­es­sen und gegen die Herr­schaft des Kapi­tals füh­ren könn­ten.15

Der Faschis­mus hin­ge­gen sei „ein beson­de­res Staats­sys­tem, begrün­det auf der Aus­rot­tung aller Ele­men­te pro­le­ta­ri­scher Demo­kra­tie in der bür­ger­li­chen Gesell­schaft“. Die Auf­ga­be eines faschis­ti­schen Sys­tems bestehe nicht allein in der Zer­schla­gung der pro­le­ta­ri­schen Vor­hut, son­dern auch dar­in, die gan­ze Arbei­ter­klas­se im Zustand erzwun­ge­ner Zer­split­te­rung zu hal­ten. Das bedeu­te die Ver­nich­tung aller pro­le­ta­ri­schen Orga­ni­sa­tio­nen, aller Stütz­punk­te der Arbei­ter. Die phy­si­sche Aus­rot­tung der revo­lu­tio­nä­ren Arbei­ter­schicht allein sei ungenügend.

Der Natio­nal­so­zia­lis­mus wer­de sich nicht auf sein dro­hen­des Ver­nich­tungs­werk in Deutsch­land beschrän­ken, warn­te er. Auch die Sowjet­uni­on müs­se mit einer direk­ten Bedro­hung durch ein faschis­ti­sches Deutsch­land rech­nen. Denn: „Hit­lers Sieg bedeu­tet Krieg gegen [die] USSR“.17

Der Ver­fall der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft“ stell­te nach Ansicht Trotz­kis „den Bona­par­tis­mus − neben dem Faschis­mus und im Zusam­men­hang mit die­sem − auf die Tages­ord­nung“.18 Unter Bona­par­tis­mus ver­stand er in die­sem Kon­text ein labi­les, weil nur auf den „mili­tä­risch-poli­zei­li­chen Appa­rat“19 und nicht auf eine sozia­le Mas­sen­ba­sis gestütz­tes, dik­ta­to­ri­sches Über­gangs­re­gime, das die par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie ablö­se. Vor allem ver­su­che es, die Funk­ti­on eines schein­bar neu­tra­len, über den Gesell­schafts­klas­sen ste­hen­den Ver­mitt­lers zwi­schen zwei sich feind­lich gegen­über­ste­hen­den gro­ßen sozia­len Lagern zu erfül­len, damit den Aus­bruch eines Bür­ger­krie­ges zu ver­hin­dern und die bür­ger­li­che Herr­schaft zu erhal­ten.20 Erst wenn die „,nor­ma­len‘ mili­tä­risch-poli­zei­li­chen Mit­tel der bür­ger­li­chen Dik­ta­tur mit­samt ihrer par­la­men­ta­ri­schen Hül­le für die Gleich­ge­wichts­er­hal­tung der Gesell­schaft“ nicht mehr aus­reich­ten, wer­de die Bour­geoi­sie den Bona­par­tis­mus durch den Faschis­mus zu erset­zen ver­su­chen.21

Permanente Revolution, Nr. 14 von Mitte Juli 1932. (Bildnachweis: Privatarchiv W.A.)

Per­ma­nen­te Revo­lu­ti­on, Nr. 14 von Mit­te Juli 1932. (Bild­nach­weis: Pri­vat­ar­chiv W.A.)

Das Klein­bür­ger­tum, das durch die Wirt­schafts­kri­se in eine ver­zwei­fel­te Lage gera­ten war, stell­te Trotz­ki zufol­ge die sozia­le Mas­sen­ba­sis der faschis­ti­schen Bewe­gung dar. Der Kern der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gie zog die­se zwi­schen Hoff­nung und Ver­zweif­lung schwan­ken­de Klas­se an: Sie ver­sprach, die­se Schich­ten durch einen Umsturz zu ret­ten, der den „Mar­xis­mus“ an einer wei­te­ren Blo­ckie­rung der Pro­spe­ri­tät von Han- del, Gewer­be und Land­wirt­schaft hin­dern soll­te.22 Die Haupt­mas­se der Faschis­ten bestehe aus „mensch­li­chem Staub“, der ledig­lich bei Wah­len zah­len­mä­ßig von Gewicht sein kön­ne, aber auf­grund sei­ner wirt­schaft­li­chen Rol­le und sei­ner Hete­ro­ge­ni­tät kei­nes­wegs auch nur ent­fernt das Gewicht der Arbei­ter­schaft in sozia­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen errei­chen kön­ne.23 Zwei­fel­los besit­ze die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Bewe­gung erfah­re­ne Kampf­ka­der und Sturm­ab­tei­lun­gen, aber ihre eigent­li­che Stär­ke beru­he vor allem auf der Zer­split­te­rung der Kräf­te ihres Tod­fein­des − der Arbei­ter­be­we­gung.24

Die rea­le Kampf­kraft einer poli­ti­schen Bewe­gung, ihre gesell­schaft­li­che Rele­vanz, hob Trotz­ki des­halb her­vor, weil er die Ana­ly­se der sozia­len Ursa­chen des Faschis­mus kei­nes­wegs auf eine rein theo­re­ti­sche Betrach­tung ein­eng­te, son­dern einen poli­ti­schen Aus­weg aus einer spe­zi­fi­schen his­to­ri­schen Situa­ti­on ver­mit­teln woll­te.25 Trotz­ki stütz­te sich dabei ins­be­son­de­re auf die poli­ti­schen Erfah­run­gen der Bol­sche­wi­ki aus dem Revo­lu­ti­ons­jahr 1917 und die tak­ti­schen Leh­ren der ers­ten vier Welt­kon­gres­se der Kom­in­tern.26

Wie bereits erwähnt, bezeich­ne­te Trotz­ki die poli­ti­sche Schwä­che des Pro­le­ta­ri­ats als zwei­te Ursa­che für das Anwach­sen des Natio­nal­so­zia­lis­mus.27 Sie setz­te sich sei­ner Ansicht nach „aus zwei Ele­men­ten zusam­men: aus der beson- deren his­to­ri­schen Rol­le der Sozi­al­de­mo­kra­tie, die­ser all­mäch­ti­gen kapi­ta­lis­ti­schen Agen­tur in den Rei­hen des Pro­le­ta­ri­ats, und aus der Unfä­hig­keit der zen­tris­ti­schen Lei­tung der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei, die Arbei­ter unter dem Ban­ner der Revo­lu­ti­on zu ver­ei­ni­gen“.28 Die KPD stel­le den „sub­jek­ti­ven Fak­tor“ dar. Hin­ge­gen sei die SPD „ein objek­ti­ves Hin­der­nis, das man hin­weg­räu­men muß“29, zumal sie „alle Bedin­gun­gen für den Sieg des Faschis­mus vor­be­rei­tet“ habe.30

Grund­te­nor sei­ner Schrif­ten war die lei­den­schaft­li­che Auf­for­de­rung an KPD und Kom­in­tern, ihren ver­häng­nis­vol­len Kurs − die Ein­schät­zung der Sozi­al­de­mo­kra­tie als Haupt­feind, die Unter­schät­zung der faschis­ti­schen Gefahr − auf­zu- geben. Denn die­se Poli­tik erlau­be es der SPD − trotz des auch in den Augen brei­ter Mas­sen immer offen­sicht­li­cher wer­den­den Bank­rotts ihrer refor­mis­ti­schen Poli­tik − wei­ter­hin den Groß­teil ihrer Anhän­ger unter Kon­trol­le zu halten.31 Statt­des­sen soll­te sie zur Ein­heits­front­tak­tik „von oben und von unten“ zurück­keh­ren. Er war davon über­zeugt, dass die­se nicht nur das ein­zi­ge Mit­tel sei, um die Arbei­ter­klas­se ver­eint in den Abwehr­kampf gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus zu füh­ren und um brei­te Tei­le der Arbei­ter­schaft dem Ein­fluss der SPD-Füh­rung zu ent­zie­hen, son­dern auch die Vor­aus­set­zung schaf­fe, um in die revo­lu­tio­nä­re Offen­si­ve über­zu­ge­hen.32 Mehr als zuvor lie­ge die Stär­ke der revo­lu­tio­nä­ren Par­tei wäh­rend der Kri­se des bür­ger­li­chen Regimes im außer­par­la­men­ta­ri­schen Mas­sen­kampf.33 Nur auf die­sem Gebiet kön­ne der Kom­mu­nis­mus ent­schei­den­de Erfol­ge errin­gen, die sozia­le und po- liti­sche Bedeu­tung des Pro­le­ta­ri­ats voll zur Ent­fal­tung brin­gen und somit die Grund­la­ge für ein Bünd­nis mit dem Klein­bür­ger­tum her­stel­len.34

Auf die Grund­zü­ge der Faschis­mus­ana­ly­se Trotz­kis konn­te sich die Ver­ei­nig­te Lin­ke Oppo­si­ti­on vom Zeit­punkt ihres Bestehens an stüt­zen. Als mas­sen­wirk­sa­mes Pro­pa­gan­da­mit­tel in Form von Bro­schü­ren stand sie den „trotz­kis­ti­schen“ Kom­mu­nis­ten im Wesent­li­chen jedoch erst ab Herbst 1931 zur Ver­fü­gung.35


Fuß­no­ten
* Die­ser Text ist ursprüng­lich erschie­nen in: Wolf­gang Alles, Für Ein­heits­front gegen Faschis­mus, Zur Poli­tik und Geschich­te der Lin­ken Oppo­si­ti­on ab 1930, Aktua­li­sier­te Neu­auf­la­ge, Köln 2022, S. 51- 59. Wir ver­öf­fent­li­chen ihn − nur gering­fü­gig ver­än­dert − mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.
1 Vgl. hier­zu Ernest Man­del, „Trotz­kis Faschis­mus­theo­rie“, in: Leo Trotz­ki, Schrif­ten über Deutsch­land (im Fol­gen­den: SÜD), Bd. I, Hrsg. Hel­mut Dah­mer, ein­ge­lei­tet von Ernest Man­del, Gesam­mel­te Wer­ke I, Frankfurt/M. 1971, S. 27 ff.
Die rela­ti­ve Aus­führ­lich­keit die­ses Tex­tes erklärt sich zum einen aus der Bedeu­tung der Schrif­ten Trotz­kis aus den Jah­ren 1930-1933, die Deut­scher als „sei­ne größ­te poli­ti­sche Tat im Exil“ bezeich­ne­te (Deut­scher, Trotz­ki III, S. 129). Zum ande­ren aber sind Trotz­kis Bei­trä­ge zur Erklä­rung des Natio­nal­so­zia­lis­mus auch heu­te noch weit­ge­hend ver­ges­sen (vgl. hier­zu Hel­mut Dah­mer, Nach­wort des Her­aus­ge­bers, in: SüD, Bd. II, S. 754 ff.). Die von Dah­mer erwähn­te klei­ne Grup­pe von Autoren, die Trotz­kis Faschis­mus­ana­ly­se über­haupt Beach­tung schenk­ten, hat sich inzwi­schen gering­fü­gig erwei­tert. Ohne Anspruch auf Voll­stän­dig­keit sei­en hier genannt:
Peter Brandt, „Ein­heits­front und Volks­front in Deutsch­land“, Pro­ble­me des Klas­sen­kampfs, 6. Jg. 1976, Nr. 1, S. 35 ff.;
Eike Hen­nig, Bür­ger­li­che Gesell­schaft und Faschis­mus in Deutsch­land, Ein For­schungs­be­richt, Frankfurt/M., 1977; 
Alex­an­der v. Pla­to, Zur Ein­schät­zung der Klas­sen­kämp­fe in der Wei­ma­rer Repu­blik, KPD und Kom­in­tern, Sozi­al­de­mo­kra­tie und Trotz­kis­mus, 2. Aufl., Ber­lin (West) 1974; Nicos Pou­lant­zas, Faschis­mus und Dik­ta­tur, Die Kom­mu­nis­ti­sche Inter­na­tio­na­le und der Faschis­mus, Mün­chen 1973; 
Gert Schä­fer, Die Kom­mu­nis­ti­sche Inter­na­tio­na­le und der Faschis­mus, 3. Aufl., Offen­bach 1977.
Eine Bewer­tung die­ser nach Ansicht des Verf. wenigs­tens teil­wei­se kri­tik­wür­di­gen Dar­stel­lun­gen kann hier nicht erfol­gen. Ledig­lich zu v. Pla­tos Recht­fer­ti­gung der KPD-Poli­tik sei ver­wie­sen auf Kon­rad Eck­hoff, „Apo­lo­gie und Tabu oder: vie­le Zita­te machen noch kei­ne Wis­sen­schaft“, die Inter­na­tio­na­le, Nr. 3 von März 1974, S. 139 ff.
2 Theo Pir­ker, Ein­füh­rung zu: Kom­in­tern und Faschis­mus, Doku­men­te zur Geschich­te und Theo­rie des Faschis­mus, hrsg. und kom­men­tiert von Theo Pir­ker, 2. Aufl., Stutt­gart 1966, S. 53 f. 
3 Deut­scher, Trotz­ki II, S. 70 f.
4 Leo Trotz­ki, „Aus­sich­ten der Welt­ent­wick­lung“, in: Leo Trotz­ki, Euro­pa und Ame­ri­ka, Zwei Reden, Ber­lin 1926, S. 16.
5 Eben­da, S. 17.
6 Ebenda.
7 Leo Trotz­ki, Die Inter­na­tio­na­le Revo­lu­ti­on und die Kom­mu­nis­ti­sche Inter­na­tio­na­le, Her­aus­ge­ge­ben und mit einem Vor­wort ver­se­hen von Hans Weber, Ber­lin 1929, S. 106 (Her­vor­he­bun­gen im Original).
8 Leo Trotz­ki, Die öster­rei­chi­sche Kri­se, die Sozi­al­de­mo­kra­tie und der Kom­mu­nis­mus, Wien, 1929.
9 SÜD, Bd. II, S. 763.
10 Leo Trotz­ki, „Die öster­rei­chi­sche Kri­se, die Sozi­al­de­mo­kra­tie und der Kom­mu­nis­mus“, in: SÜD, Bd. I, S. 55.
Heinz Brahms Behaup­tung, dass Trotz­ki die „tie­fe Kluft, die zwi­schen dem Faschis­mus und der Sozi­al­de­mo­kra­tie lag, … nicht [habe] erken­nen wol­len“, ist nicht rich­tig (Heinz Brahm, „Tro­ck­ijs Auf­ru­fe gegen Hit­ler 1930-1933“, Jahr­bü­cher für Geschich­te Ost­eu­ro­pas, 11. Jg. 1963, Heft 4, S.524). Aller­dings betrach­te­te Trotz­ki die „sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Büro­kra­tie“, die er den „ver­faul­tes­ten Teil des fau­len­den kapi­ta­lis­ti­schen Euro­pa“ nann­te, als Geg­ner der kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung (Leo Trotz­ki, Was nun?, Schick­sals­fra­gen des deut­schen Pro­le­ta­ri­ats, Ber­lin 1932, S. 4).
11 Eben­da, S. 55 f.
12 Vgl. die in SüD, Bd. I und II, ver­öf­fent­lich­ten Arbeiten.
13 Leo Trotz­ki, „Soll der Faschis­mus wirk­lich sie­gen? Deutsch­land − der Schlüs­sel zur inter­na­tio­na­len Lage“, in: Leo Trotz­ki, Soll der Faschis­mus wirk­lich sie­gen? Wie wird der Natio­nal­so­zia­lis­mus geschla­gen?, 2. Aufl., Ber­lin 1932, S. 7.
14 Leo Trotz­ki, „Hit­lers Sieg − die Schan­de der Arbei­ter­füh­rer“, in: SÜD, Bd. II, S. 475.
Bereits im Juli 1921 hat­te Trotz­ki den Kom­mu­nis­ten, die immer noch an einen unver­meid­lich bevor­ste­hen­den Aus­bruch der Revo­lu­ti­on glaub­ten, ent­ge­gen­ge­hal­ten: „Die Mensch­heit hat sich nicht immer und unwei­ger­lich auf­wärts ent­wi­ckelt … Sie kann­te in ihrer Geschich­te lan­ge Peri­oden des Sta­gnie­rens. Sie kann­te Rück­fäl­le in die Bar­ba­rei. Es hat Bei­spie­le gege­ben …, dass sich eine Gesell­schaft, die eine gewis­se Ent­wick­lungs­hö­he erreicht hat­te, nicht auf die­ser Höhe zu hal­ten ver­moch­te … Die Mensch­heit kann nie ras­ten. Jedes Gleich­ge­wicht, das im Ver­lauf von Kämp­fen zwi­schen Klas­sen und Natio­nen her­ge­stellt wer­den mag, ist sei­ner Natur nach insta­bil. Eine Gesell­schaft, die nicht auf­steigt, muß unter­ge­hen. Eine Gesell­schaft, aus der kei­ne Klas­se her­vor­geht, die ihren Auf­stieg sichern kann, zer­fällt. Dann öff­net sich der Weg in die Bar­ba­rei.“ (Zitiert nach Deut­scher, Trotz­ki II, S. 70.)
15 Deut­scher, Trotz­ki III, S. 136.
16 Leo Trotz­ki, Was nun?, Schick­sals­fra­gen des deut­schen Pro­le­ta­ri­ats, Ber­lin 1932, S. 5
17 Per­ma­nen­te Revo­lu­ti­on, 2. Jg., Nr. 17, 2. August­wo­che 1932 und Nr. 18, 3. August­wo­che 1932.
18 Leo Trotz­ki, „Der deut­sche Bona­par­tis­mus“, in: SÜD, Bd. I, S. 422.
19 Leo Trotz­ki, Der deut­sche Bona­par­tis­mus, S. 424.
Sta­bi­li­tät und Dau­er­haf­tig­keit konn­te ein bona­par­tis­ti­sches Regime sei­ner Ansicht nur errei­chen, „wenn es eine revo­lu­tio­nä­re Epo­che abschließt; wenn das Kräf­te­ver­hält­nis bereits in Kämp­fen über­prüft wur­de; wenn sich die revo­lu­tio­nä­ren Klas­sen bereits ver­aus­gabt, die besit­zen­den Klas­sen sich aber noch nicht von der Furcht befreit haben: wird der mor­gi­ge Tat nicht neue Erschüt­te­run­gen brin­gen?“ (Leo Trotz­ki, Der ein­zi­ge Weg, Ber­lin 1932, S. 9.)
Trotz­ki unter­schied außer­dem den Bona­par­tis­mus im oben­ge­nann­ten Sinn vom Bona­par­tis­mus faschis­ti­schen Ursprungs. Er ging davon aus, dass sich ein faschis­ti­sches Herr­schafts­sys­tem im Lau­fe der Zeit zur „mili­tä­risch-büro­kra­ti­schen Dik­ta­tur bona­par­tis­ti­schen Typs“ umwan­deln wer­de. (Eben­da.)
1935 über­trug er die Bona­par­tis­mus-Ana­lo­gie auf die UdSSR, indem er die sta­li­nis­ti­sche Dik­ta­tur als „Sowjet­bo­na­par­tis­mus“ bezeich­ne­te, der aus dem „büro­kra­ti­schen Zen­tris­mus“ her­vor­ge­gan­gen sei. (Vgl. hier­zu: Leo Trotz­ki, Arbei­ter­staat, Ther­mi­dor und Bona­par­tis­mus, S. 15 ff.). 
Zum Begriff des Bona­par­tis­mus vgl. auch: Georg Jung­clas, Die For­men des kapi­ta­lis­ti­schen Staa­tes, Ham­burg 1972, S. 19 ff.
20 Trotz­ki, Das deut­sche Rät­sel, in: SüD, Bd. I, S. 342.
21 Trotz­ki, Was nun?, S. 16.
22 Trotz­ki, Die öster­rei­chi­sche Kri­se, in: SÜD, Bd. I, S. 55.
23 Trotz­ki, Soll der Faschis­mus, S. 11.
24 Eben­da, S. 12 f.
25 Dah­mer, Nach­wort des Her­aus­ge­bers, in: SÜD, Bd. II, S. 755 f.
26 Wie ein roter Faden zie­hen sich die Ver­glei­che zwi­schen Russ­land 1917 und Deutsch­land 1930-1933 durch Trotz­kis Schrif­ten. Die maß­geb­li­che Betei­li­gung der Bol­sche­wi­ki an der Abwehr des kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Putsch­ver­suchs Kor­ni­lows gegen die Regie­rung Ker­en­ski im August 1917 bezeich­ne­te er immer wie­der als Vor­bild für eine kor­rek­te kom­mu­nis­ti­sche Tak­tik gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus. (Sie­he z. B. Leo Trotz­ki, „Gegen den Natio­nal­kom­mu­nis­mus, Leh­ren des ‚Roten‘ Volks­ent­scheids“, in: Leo Trotz­ki, Gegen den Natio­nal­kom­mu­nis­mus, Über Arbei­ter­kon­trol­le der Pro­duk­ti­on, 3. Aufl., Ber­lin 1932, S. 4 f.)
27 Vgl. die­sen Text, S. 2.
28 Trotz­ki, Soll der Faschis­mus, S. 7.
29 Ebenda.
30 Trotz­ki, Was nun?, S. 5.
31 Trotz­ki, Soll der Faschis­mus, S. 7.
32 Sie­he z. B. Trotz­ki, Was nun?, S. 113 f.; ders., Die Wen­dung der Kom­in­tern, S. 11 ff.
33 Trotz­ki, Wen­dung, S. 11.
34 Leo Trotz­ki, Der ein­zi­ge Weg, Ber­lin 1932, S. 15 f.
35 Nur die Bro­schü­re Die Wen­dung der Kom­in­tern und die Lage in Deutsch­land erschien bereits im Spät­jahr 1930.

Aus Theo­rie­bei­la­ge Avan­ti² Rhein-Neckar April 2024
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