Manuel Kellner
Karl Marx nannte sie „die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.“
Die nur 72 Tage der Pariser Kommune vom 18. März 1872 an waren für ihn und Friedrich Engels die erste Erfahrung einer „Diktatur des Proletariats“. Damit ist zugleich klar, was damit ursprünglich gemeint war: Eine große Gesellschaftsklasse kann nur in demokratischer Weise herrschen. So entsteht ein politisches Gemeinwesen, das von Anfang den Keim des Absterbens des Staats und jeglicher Form der Herrschaft von Menschen über Menschen in sich trägt.
Direkte Demokratie
Die Kommune ging aus freien Wahlen hervor, und in ihr waren verschiedene politische Strömungen vertreten. Das hatte also nichts mit den späteren bürokratischen Systemen zu tun, in denen eine einzige Partei herrschte oder die verfassungsmäßig festgelegte „führende Partei“ war. Eine sozialistische Demokratie ist nicht weniger demokratisch als eine bürgerlich-parlamentarische Republik, sondern sehr viel demokratischer.
Die Gewählten der Kommune waren ihrer Wählerschaft rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar. Sie erhielten für ihre Tätigkeit durchschnittlichen Arbeiterlohn. Der Gemeinderat war gesetzgebende und vollziehende Gewalt zugleich. Die Vision war die freie Assoziation solcher Kommunen, die Praktiken waren internationalistisch – selbstverständlich wurden auch „Ausländer“ gewählt.
Die Anlässe für die Errichtung der Kommune waren die konkreten drängenden Probleme des Tages. Paris war von der deutschen Armee belagert. Die bürgerliche Regierung war nach Versailles geflohen und machte mit den Besatzern gemeinsame Sache gegen die organisierte Bevölkerung von Paris. Auch spätere Erfahrungen mit radikaldemokratischen Rätebewegungen – so in Katalonien 1936 und in den russischen Revolutionen von 1905 und 1917 – zeigen, dass sie als Antwort auf aktuelle Herausforderungen entstehen. Es handelt sich um demokratisch selbstorganisierte Eingriffe großer Massen von Menschen in die politischen Entscheidungsprozesse.
Demokratische Selbstorganisation
Ansätze demokratischer Selbstorganisation sehen wir seitdem und bis heute in mehr oder weniger beindruckenden oder bescheidenen Formen in vielen gesellschaftlichen Kämpfen. Dazu gehören die demokratische Wahl von Streikkomitees wie auch die räteartige Selbstorganisation junger Leute, die im rheinischen Braunkohlerevier protestieren. Sie sind von aktuellen Beispielen fasziniert, wie den zapatistischen indigenen Gemeinden in Chiapas in Mexiko oder den demokratischen Selbstverwaltungsorganen in Rojava. Wobei sie häufig das Problem übersehen, dass in beiden Fällen weitgehend eine einzige politische Kraft alles im Griff behält …
Wir internationalen Sozialist*innen setzen uns auch heute dafür ein, die demokratische Selbstorganisation in den Kämpfen der Beschäftigten und in der fortschrittlichen gesellschaftlichen Bewegung zu stärken. Nur in dieser Weise können Keim- formen einer neuen, demokratisch-sozialistischen Ordnung entstehen. Sie ist bestens geeignet, an die Stelle der gegenwärtigen Staaten zu treten, die den Interessen des Kapitals verpflichtet sind.
Die Pariser Kommune ist inspirierend bis heute. Zwei eindrucksvolle Texte dazu sind grundlegend für linke politische Bildung: Der Bürgerkrieg in Frankreich (1871) von Karl Marx und die zwanzig Jahre später von Friedrich Engels verfasste Einleitung zu diesem großartigen Text (MEW 17, S. 313 ff bzw. S. 615 ff).