1. Mai 1933

Die Kapi­tu­la­ti­on der Gewerk­schaft vor dem faschis­ti­schen Regime*

Georg Jung­clas

Eine wich­ti­ge – wahr­schein­lich die ent­schei­den­de – Waf­fe im Kampf gegen den Faschis­mus wäre der poli­ti­sche Mas­sen­streik und schließ­lich der Gene­ral­streik gegen die Ver­fas­sungs­brü­che des „eiser­nen Gene­rals“ Hin­den­burg gewe­sen. Aber einer­seits hat­te die Gewerk­schafts­füh­rung im Kiel­was­ser des rech­ten Flü­gels sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Poli­tik die­sen Prä­si­den­ten mit auf den Schild geho­ben, und zum andern hoff­ten sie, daß man in Deutsch­land nicht ohne sie, geschwei­ge denn gegen sie, regie­ren könne.

Die­se letz­te­re Annah­me wäre rich­tig gewe­sen, wenn die Gewerk­schaf­ten die Kraft der orga­ni­sier­ten Arbei­ter zur Ver­tei­di­gung der demo­kra­ti­schen Rech­te ein­ge­setzt hät­ten. Aber die Füh­rung setz­te ihre Hoff­nun­gen nicht auf die Kraft der gewerk­schaft­li­chen Aktio­nen, son­dern auf die bes­se­re „Ein­sicht“ der durch den „sozia­len Gene­ral“ Schlei­cher reprä­sen­tier­ten poli­ti­schen Kräf­te. Durch die­sen „Aus­weg“ soll­ten die schlimms­ten Aus­wüch­se des Faschis­mus ver­hin­dert, die Ruhe im Land wie­der her­ge­stellt und Hit­ler der Weg in die Reichs­kanz­lei ver­sperrt werden.

Wie der SPD-Vor­stand, so gaben sich auch die Gewerk­schafts­füh­rer aller Lager der Illu­si­on hin, daß man die Orga­ni­sa­tio­nen durch einen Kurs der unbe­ding­ten Lega­li­tät und der poli­ti­schen Neu­tra­li­tät ret­ten kön­ne. Sie ver­moch­ten nicht die Lek­ti­on zu ler­nen, die auf dem Gebie­te der Gewerk­schafts­aus­schal­tung das faschis­ti­sche Regime Ita­li­ens von 1925-1927 erteilt hatte.

Es war ein ver­zwei­fel­ter Ver­such, durch den poli­ti­schen Selbst­mord den orga­ni­sier­ten Tod zu verhindern.

Durch ihr Zögern seit dem 30. Janu­ar hat­ten die frei­en Gewerk­schaf­ten, die stärks­ten Stüt­zen des IGB [Inter­na­tio­na­ler Gewerk­schafts­bund], nicht nur ihre eige­nen, son­dern auch vie­le inter­na­tio­na­le Chan­cen ver­spielt. Am 19. April, nach­dem der ADGB [dem Vor­läu­fer des DGB] den Auf­ruf zum 1. Mai offen bekun­det hat­te, kam es zum end­gül­ti­gen Bruch zwi­schen dem ADGB und dem Inter­na­tio­na­len Gewerkschaftsbund.

Geplan­te Unterdrückung
Ende 1932 war man sich in der NSDAP dar­über einig, daß die bestehen­den Gewerk­schaf­ten als „Klas­sen­kampf­or­ga­ni­sa­tio­nen“ zu ver­schwin­den hät­ten, um an ihre Stel­le Orga­ne eines Koope­ra­tiv-Staa­tes tre­ten zu las­sen. Nur über das Wie und das Wann des Vor­ge­hens gin­gen die Mei­nun­gen aus­ein­an­der. So war die Poli­tik Hit­lers zunächst dar­auf abge­stellt, den Block der orga­ni­sier­ten Arbei­ter­schaft mög­lichst behut­sam zu umge­hen, die Arbeits­wil­lig­keit des Arbei­ters zu erhal­ten und den Ein­druck zu ver­mei­den, als soll­te dem Arbei­ter etwas genom­men werden.

Da sich die Gewerk­schaf­ten in der ers­ten Pha­se von Hit­lers „natio­na­ler Revo­lu­ti­on“ des­halb einer gewis­sen Nach­sicht erfreu­ten, ver­stärk­te sich die Auf­fas­sung in der Gewerk- schafts­füh­rung, daß die Gewerk­schaf­ten bei genü­gen­der Anpas­sung an die neue Macht als Glied des neu­en „koope­ra­ti­ven Staa­tes“ aner­kannt würden.

Hit­ler hat­te aus den ers­ten Ergeb­nis­sen der im März ange­lau­fe­nen Betriebs­rä­te-Wah­len erneut gese­hen, daß er mit Hil­fe der NSBO [Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Betriebs­zel­len­or­ga­ni­sa­ti­on] die Betriebs­rä­te nie in die Hand bekom­men wür­de. Trotz stärks­tem Druck auf die Arbei­ter­schaft, trotz Lis­ten­ver­bin­dun­gen mit natio­nal-ten­die­ren­den Ange­stell­ten­ver­bän­den und mit unbe­deu­ten­den loka­len reak­tio­nä­ren Ar- bei­ter­ver­ei­ni­gun­gen erreich­te die NSBO nur 25 % aller Betriebs­rä­te-Man­da­te, und das auch nur dort, wo das Spe­zia­lis­ten- und Ange­stell­ten-Ele­ment den Groß­teil der Beleg­schaft aus­mach­te. Da man fürch­te­te, die Wah­len in der Groß­in­dus­trie wür­den zu Demons­tra­tio­nen gegen die NSDAP benutzt, wur­de durch ört­li­che Behin­de­run­gen die Wahl in den grö­ße­ren Betrie­ben hin­aus­ge­zö­gert, bis das Gesetz über die Betriebs­ver­tre­tun­gen vom 4. April die Hand­ha­be bot, alle Betriebs­rä­te­wah­len bis auf das Ende des Jah­res zu ver­schie­ben und staats­feind­li­che „Arbeit­neh­mer“ aus den noch bestehen­den Betriebs­rä­ten zu ent­fer­nen, so daß Nazis ein­ge­scho­ben wer­den konnten.

Die­ses Gesetz bil­de­te bereits eine Sta­ti­on in dem längst bestehen­den Plan, sich durch eine schlag­ar­ti­ge Akti­on auf Reichs­ebe­ne der Gewerk­schaf­ten zu bemäch­ti­gen. Und im Rah­men die­ses Akti­ons­pro­gram­mes wur­de das raf­fi­nier­tes­te Täu­schungs­ma­nö­ver ein­ge­fä­delt: die Erhe­bung des 1. Mai zum „Fei­er­tag der natio­na­len Arbeit“ durch das Gesetz vom 10. April 1933.

Ein selbst in der [faschis­ti­schen] Par­tei streng [geheim] gehal­te­nes „Akti­ons­ko­mi­tee“ zum „Schut­ze der Arbeit“ unter nomi­nel­ler Füh­rung Leys arbei­te­te bis zum 13. April die Ein­zel­hei­ten des Über­nah­me­pro­gramms aus, wäh­rend Goeb­bels sich als Spe­zia­list für Insze­nie­rung von Mas­sen­ver­an­stal­tun­gen der Vor­be­rei­tung des Mai­fei­er­ta­ges widmete.

Goeb­bels schrieb in sei­nem Tage­buch: „Den ers­ten Mai wer­den wir zu einer gran­dio­sen Demons­tra­ti­on deut­schen Volks­wil­lens gestal­ten. Am 2. Mai wer­den dann die Gewerk­schafts­häu­ser besetzt. Gleich­schal­tun­gen auch auf die­sem Gebiet. Es wird viel­leicht ein paar Tage Krach geben, aber dann gehö­ren sie uns. Man darf hier kei­ne Rück­sicht mehr nehmen.“

Anbie­de­rung des ADGB
Der Vor­sit­zen­de des ADGB, Lei­phart, sand­te einen „offe­nen“ Brief an Hit­ler, wor­in er erklär­te, daß die sozia­len Auf­ga­ben der Gewerk­schaf­ten gelöst wer­den müss­ten, „unge­ach­tet des Cha­rak­ters der Staats­füh­rung […] mit der For­de­rung nach und der Aner­ken­nung von Öffent­li­cher Schlich­tung haben die Gewerk­schaf­ten gezeigt, daß sie das Recht des Staa­tes, in die Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen der orga­ni­sier­ten Arbei­ter­schaft und den Unter­neh­mern ein­zu­grei­fen, aner­ken­nen. Die Gewerk­schaf­ten for­dern kei­ne Ein­mi­schung in die Staatspolitik.“

Auf einer Ver­samm­lung der gewerk­schaft­li­chen Ver­trau­ens­leu­te des Orts-Kar­tells Groß-Ham­burg erklär­te der Vor­sit­zen­de des Kar­tells, John Ehren­teit: „Wir sind gewillt und imstan­de, dem Füh­rer des neu­en Staa­tes zu hel­fen, die Wün­sche und Erwar­tun­gen der Arbei­ter auf sozia­lem und wirt­schaft­li­chem Gebiet zu erfül­len … Selbst in die­sem Augen­blick dür­fen die Gewerk­schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen ihre wirt­schaft­li­chen und sozia­len Auf­ga­ben nicht ver­säu­men. Die augen­blick­li­che Reichs­re­gie­rung hat sich das­sel­be Ziel gesetzt wie wir. Die­se Tat­sa­che macht es den Gewerk­schaf­ten mög­lich, ohne Schwie­rig­kei­ten ihren Platz inner­halb des Regie­rungs­pro­gramms zu finden.“

Durch die­se unwür­di­ge Kapi­tu­la­ti­on erreich­ten die Gewerk­schafts­füh­rer nur, daß sie den Nazis gegen­über ihre Ohn­macht demons­trier­ten, und daß Hit­ler sie spä­ter nach der Über­nah­me der Gewerk­schaf­ten durch Robert Ley & Kum­pa­ne ob die­ser Anbie­de­rungs­ver­su­che öffent­lich verhöhnte.

Die Umwand­lung des tra­di­tio­nel­len inter­na­tio­na­len Kampf­ta­ges der sozia­lis­ti­schen Arbei­ter­be­we­gung in einen natio­na­len Rum­mel war eine groß­an­ge­leg­te Pro­vo­ka­ti­on. Es wäre zu erwar­ten gewe­sen, daß sich die Gewerk­schafts­füh­rung gegen die­se Ver­ge­wal­ti­gung des 1. Mai zur Wehr set­zen wür­de. Jedoch im offi­zi­el­len Organ des ADGB erschien zum 1. Mai ein Arti­kel von Wal­ter Pohl, in dem es heißt: „Wir brau­chen gewiss nicht unse­re Flag­ge zu strei­chen, um den Sieg des Natio­nal­so­zia­lis­mus anzu­er­ken­nen. Obgleich er gewon­nen wur­de im Kampf gegen eine Par­tei, die wir eben­falls als Trä­ger der sozia­lis­ti­schen Idee anzu­se­hen gewohnt waren, ist es unser Sieg, denn heu­te steht die Auf­ga­be des Sozia­lis­mus vor der gan­zen Nation.“

In einem Auf­ruf des ADGB im Sti­le der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Phra­seo­lo­gie heißt es: „Wir begrü­ßen mit Freu­den, daß die Reichs­re­gie­rung die­sen unse­ren Tag zum Fest­tag der natio­na­len Arbeit, einen deut­schen Volks­fei­er­tag, erklärt hat. An die­sem Tage soll, wie es in den offi­zi­el­len Ver­laut­ba­run­gen heißt, der deut­sche Arbei­ter im Mit­tel­punkt des Fes­tes ste­hen. Der deut­sche Arbei­ter soll am 1. Mai stan­des­be­wußt demons­trie­ren, dass er ein gleich­be­rech­tig­tes Mit­glied der Volks­ge­mein­schaft ist.“

Nach die­ser Unter­wer­fung konn­te nicht mehr erwar­tet wer­den, daß die Mas­sen der Arbei­ter­or­ga­ni­sa­tio­nen, die noch am 5. März durch ihre Stim­men­ab­ga­ben für die Arbei­ter­par­tei­en (Sozi­al­de­mo­kra­ten 7 Mil­lio­nen 176 Tau­send − Kom­mu­nis­ten 4 Mil­lio­nen 845 Tau­send) trotz faschis­ti­schen Wahl­ter­rors ihre Treue zur sozia­lis­ti­schen Arbei­ter­be­we­gung bewie­sen, sich den Pro­vo­ka­tio­nen spon­tan widersetzten.

Beset­zung der Gewerkschaftshäuser
Am 2. Mai wur­den in ganz Deutsch­land die Gewerk­schafts­häu­ser durch SS, SA und Poli­zei besetzt. Die pro­mi­nen­ten Gewerk­schafts­füh­rer wur­den trotz ihrer Anbie­de­rungs­ver­su­che ver­haf­tet. Durch ihre wider­li­chen Kapi­tu­la­ti­ons­an­ge­bo­te woll­ten sie „ihre Orga­ni­sa­ti­on ret­ten“. Vie­le ret­te­ten nicht ein­mal ihren Kopf.

Trotz allem war die Mas­se der frei­ge­werk­schaft­lich geschul­ten Arbei­ter nicht zu blen­den. Sie oppo­nier­ten durch Pas­si­vi­tät. Kaum 30 % der Ber­li­ner Betrie­be betei­lig­ten sich an der zen­tra­len Kund­ge­bung auf dem Tem­pel­ho­fer Feld.

Mit der Prä­zi­si­on eines Uhr­werks lief die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Akti­on am 2. Mai ab. Schlag­ar­tig besetz­ten um 10 Uhr vor­mit­tags SS- und SA-Kom­man­dos als „Hilfs­po­li­zei“ im gan­zen Reichs­ge­biet die Häu­ser der frei­en Gewerk­schaf­ten, die „Bank der Arbei­ter, Ange­stell­ten und Beam­ten“ in Ber­lin samt ihren Filia­len im Reich (jetzt Bank für Gemein­wirt­schaft), alle ört­li­chen Zahl­stel­len und die Redak­ti­ons­bü­ros der frei­ge­werk­schaft­li­chen Presse.

Neben Lei­phart, Graß­mann und Wis­sell wur­den die Vor­sit­zen­den aller ein­zel­nen Ver­bän­de, die Direk­to­ren der Arbei­ter­bank, die Geschäfts­füh­rer und die lei­ten­den Funk- tio­nä­re der gesam­ten Gewerk­schafts­bü­ro­kra­tie und die Redak­teu­re der Gewerk­schafts­pres­se in „Schutz­haft“ genom­men. Das gesam­te frei­ge­werk­schaft­li­che Ver­mö­gen wur­de beschlag­nahmt und die Kon­ten gesperrt. Mit Aus­nah­me weni­ger Fäl­le (4 Ermor­dun­gen in Duis­burg) konn­ten die Aktio­nen inner­halb einer Stun­de wider­stands­los abge­wi­ckelt wer­den. Noch am sel­ben Tage wur­de auf die rest­li­chen Gewerk­schafts­ver­bän­de (Chris­ten usw.) ein Druck zwecks „frei­wil­li­ger Unter­stel­lung“ aus­ge­übt, und am 5. Mai konn­te Ley Hit­ler mel­den, daß sich alle wesent­li­chen Arbei­ter- und Ange­stell­ten­ver­bän­de mit über 8 Mil­lio­nen Mit­glie­dern „in glei­cher Wei­se bedin­gungs­los unter­stellt hätten.“

Der 2. Mai 1933 war eine Demons­tra­ti­on des Zusam­men­bruchs der deut­schen Arbei­ter­be­we­gung, der bis dahin größ­ten und tra­di­ti­ons­reichs­ten orga­ni­sier­ten Mas­sen­be­we­gung der Welt. Ihre Ohn­macht mach­te erst den Sieg des Faschis­mus mög­lich. Die­ser Sieg been­de­te eine gan­ze geschicht­li­che Periode.

Die spä­te­re Nie­der­la­ge des Natio­nal­so­zia­lis­mus eröff­ne­te einen neu­en Abschnitt deut­scher Geschich­te. Es scheint jedoch, daß die gro­ße Mehr­zahl der neu­en Füh­rungs­gar­ni­tur bis heu­te aus dem tra­gi­schen Schick­sal der deut­schen Arbei­ter­be­we­gung in den Jah­ren 1923-1933 nichts gelernt hat.


* Redak­tio­nel­le Anmerkung

Die Unter­wer­fung der deut­schen Gewerk­schafts­füh­rung unter den Faschis­mus gip­fel­te am 1. Mai 1933 im Auf­ruf des All­ge­mei­nen Deut­schen Gewerk­schafts­bun­des (ADGB) zur Betei­li­gung am „Tag der natio­na­len Arbeit“.

Die Ver­ge­wal­ti­gung des inter­na­tio­na­len Kampf­tags der arbei­ten­den Klas­se durch das Nazi-Regime betrach­te­te damals die Lin­ke Oppo­si­ti­on der KPD (LO) als raf­fi­nier­ten Schach­zug der brau­nen Herr­scher. Die erzwun­ge­nen Auf­mär­sche unter den „Fah­nen der scham­lo­ses­ten und blu­tigs­ten Unter­drü­ckung“ soll­ten, so die LO-Zei­tung Unser Wort, die „Nie­derlage in die Köp­fe des Pro­le­ta­ri­ats […] hämmern“.

Zudem sei der 1. Mai 1933 nur ein „aus­ge­klü­gel­tes Vor­spiel“ zu den Ereig­nis­sen des 2. Mai gewe­sen. Der Faschis­mus habe mit der Zer­schla­gung der frei­en Gewerk­schaf­ten die letz­ten bedeu­ten­den pro­le­ta­ri­schen Wider­stands­struk­tu­ren kampf­los aus­schal­ten kön­nen. Dies sei nicht nur der Todes­schlag Hit­lers gegen die Gewerk­schafts­be­we­gung gewe­sen, son­dern auch zugleich gegen die Sozi­al­de­mo­kra­tie und die sta­li­nis­ti­sche KPD, die alle eine Ein­heits­front gegen den Faschis­mus ver­hin­dert hätten.

Es ist kein Zufall, dass sich die­se Ein­schät­zung auch in dem nach­fol­gen­den Text unse­res Genos­sen Georg Jung­clas wie­der- fin­det. Sein Vor­trag über die Ereig­nis­se am 1. und 2. Mai 1933 wur­de zuerst als Anhang in der von der RKJ (Revo­lu­tio­när Kom­mu­nis­ti­sche Jugend) her­aus­ge­ge­be­nen Bro­schü­re Zur Geschich­te der Mai-Demons­tra­ti­on (o. O. [Mann­heim] und o. J. [1971]) ver­öf­fent­licht. Sie ent­hält das Refe­rat, das Georg Jung­clas im April 1970 bei einer Schu­lung der GIM (Grup­pe Inter­na­tio­na­le Mar­xis­ten, deut­sche Sek­ti­on der IV. Inter­na­tio- nale) gehal­ten hatte.

Wir geben den Text in der ursprüng­li­chen Schreib­wei­se wie­der, haben aber offen­sicht­li­che Feh­ler korrigiert.


Wer war Georg Jungclas?

Georg Jungclas, Anfang der 1970er Jahre. (Foto: Privat.)

Georg Jung­clas, Anfang der 1970er Jah­re. (Foto: Privat.)

Georg „Schorsch“ Jung­clas (22. Febru­ar 1902 - 11. Sep­tem­ber 1975) enga­gier­te sich schon früh für die Über­win­dung des Kapi­ta­lis­mus. 1915 schloss er sich der Frei­den­ker-Jugend an, 1916 der Frei­en Sozia­lis­ti­sche Jugend und 1919 der KPD.

Nach sei­ner Buch­händ­ler­leh­re arbei­te­te er bei der Ham­bur­ger Werft Blohm und Voß. 1921 betei­lig­te er sich an der auf­stän­di­schen „März-Akti­on“ der KPD. Danach gab er bis 1922 als Wan­der­leh­rer der KPD in Thü­rin­gen Kur­se zur Geschich­te der Arbei­ter­be­we­gung. In der Fol­ge­zeit unter­stüt­ze er in Worps­we­de den Aus­bau von Hein­rich Vogel­ers Kin­der­heim Bar­ken­hoff für die Rote Hil­fe. 1923 wur­de Georg Mit­glied des Mili­tär­ap­pa­ra­tes der KPD und betei­lig­te sich am Ham­bur­ger Aufstand.

Bis 1926 war er unter ande­rem als Ange­stell­ter der kom­mu­nis­ti­schen Buch­hand­lung Carl Hoym tätig. Seit 1926 unter­stütz­te er die lin­ke Oppo­si­ti­on der KPD. 1928 wur­de er Mit­glied des neu gegrün­de­ten Leninbunds.

1930 betei­lig­te er sich mit der Min­der­heit des Lenin­bundes an der Grün­dung der Lin­ken Oppo­si­ti­on der KPD (LO). Als füh­ren­des Mit­glied der Ham­bur­ger Orts­grup­pe half er, den ille­ga­len See­trans­port des Bul­le­tins der Oppo­si­ti­on in die sta­li­nis­ti­sche Sowjet­uni­on zu orga­ni­sie­ren. Des­halb war er in Kon­takt mit Trotz­kis Sohn Leo Sedow und kor­re­spon­dier­te mit Trotzki.

1933 muss­te Georg aus Nazi­deutsch­land nach Däne­mark flie­hen. Dort arbei­te­te er nicht nur mit däni­schen Mit­glie­dern der Inter­na­tio­na­len Lin­ken Oppo­si­ti­on zusam­men, son­dern bau­te auch eine Exil­grup­pe der deut­schen LO auf und hielt Kon­takt mit der Ham­bur­ger Orts­grup­pe. Ab April 1940 war Georg nach der Beset­zung Däne­marks durch die Wehr­macht aktiv im ille­ga­len anti­fa­schis­ti­schen Wider­stand und enga­gier­te sich als Flucht­hel­fer für jüdi­sche Menschen.

Im Mai 1944 ver­haf­te­te ihn die Gesta­po und ließ ihn in die Ker­ker des Deut­schen Reichs abtrans­por­tie­ren. Im April 1945 befrei­ten ihn US-Trup­pen in Bay­reuth aus der Gefan­gen­schaft und ret­te­ten ihn damit vor dem siche­ren Todes­ur­teil des „Volks­ge­richts­hofs“ wegen „Hoch­ver­rats“.

Ab 1946 war Georg als haupt­amt­li­cher Sekre­tär der deut­schen Sek­ti­on der IV. Inter­na­tio­na­le maß­geb­lich an deren Wie­der­auf­bau betei­ligt. Ab 1953 wur­de er wie­der­holt in die enge­re Füh­rung der IV. Inter­na­tio­na­le gewählt. Er arbei­te­te an ver­schie­de­nen Zeit­schrif­ten wie Sozia­lis­ti­sche Poli­tik oder Frei­es Alge­ri­en mit und unter­stütz­te sehr aktiv den alge­ri­schen Befreiungskampf.

Von den Sta­li­nis­ten wur­de er als „Agent“ ver­leum­det und bekämpft.

1962 hei­ra­te­te er die Köl­ner Sozia­lis­tin Hele­ne („Leni“) Perz.

Trotz zuneh­men­der Gesund­heits­pro­ble­me war Georg Jung­clas bis zu sei­nem Tod im Jahr 1975 füh­ren­des Mit­glied der deut­schen Sek­ti­on der IV. Inter­na­tio­na­le – lan­ge Jah­re übri­gens gemein­sam mit dem Mann­hei­mer Wil­ly Boepple.

1980 wur­de post­hum die Doku­men­ta­ti­on Georg Jung­clas 1902 - 1975 ver­öf­fent­licht (Juni­us Ver­lag Hamburg).

W. A., 24.04.2023


Aus Theo­rie­bei­la­ge Avan­ti² Rhein-Neckar Mai 2023
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