Cinzia Arruzza
Die Frauen- und die Arbeiterbewegung blicken auf eine wechselseitige Geschichte aus Allianzen, verpassten Gelegenheiten, offener Feindseligkeit, Annäherung und Entfremdung zurück. Als Produkt der bürgerlichen Revolutionen kam der Feminismus recht bald mit den sozialen Bewegungen und Umwälzungen in Berührung. Durch sie wurden jeweils neue demokratische Freiräume geschaffen, die den Frauen ermöglicht haben, bis dahin unbekannte Rechte zu erlangen, öffentlich das Wort zu ergreifen und sich am politischen Leben aktiv zu beteiligen.
Als die erdrückenden Mauern jahrtausendelanger Unterdrückung Risse bekommen hatten, lernten die Frauen, sich als solche zu organisieren und unabhängig für ihre Befreiung zu kämpfen. Dieser Prozess verlief freilich nicht ohne Widersprüche, sondern stieß vielmehr häufig auf Geringschätzung und Misstrauen unter den Organisationen der traditionellen Arbeiterbewegung und der Neuen Linken. Die Folgen daraus waren unterschiedlich und reichten vom mühsamen Unterfangen, die schwierigen Beziehungen aufrechtzuerhalten, bis hin zu regelrechten Zerwürfnissen.
Diese wechselvolle Dynamik spiegelte sich auch auf dem Feld der Theorie wider. Auf der Suche nach entsprechenden Antworten auf die Probleme, die durch den hart umkämpften Selbstfindungsprozess der Frauen aufgeworfen wurden, entwickelten die Vordenkerinnen der Frauenbefreiung die unterschiedlichsten Vorstellungen über das Verhältnis zwischen Geschlecht und Klasse und zwischen Patriarchat und Kapitalismus. Es gab beispielsweise Versuche, die Geschlechterfrage in den Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie zu interpretieren, die Frauenun- terdrückung aus dem Ausbeutungsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit abzuleiten oder das Verhältnis zwischen Mann und Frau als Ausdruck des Klassenantagonismus zu sehen oder gar der patriarchalischen Unterdrückung gegenüber der kapitalisti- schen Ausbeutung den Vorrang zu geben. Andererseits gab es Tendenzen, das Verhältnis zwischen Kapitalismus und Patriarchat als Verflech- tung zweier autonomer Systeme zu deuten oder umgekehrt darauf abzuheben, in welcher Art der Kapitalismus die patriarchalische Unterdrückung untergeordnet und tiefgreifend verändert hat. […]
Frauenunterdrückung und Ausbeutung
Zunächst denke ich, dass es notwendiger denn je ist, das Verhältnis von Frauenunterdrückung und Ausbeutung und vor allem die Art und Weise, wie der Kapitalismus die patriarchalischen Strukturen integriert und grundlegend geändert hat, zu reflektieren. Denn einerseits ist die Unterdrückung der Frauen ein struktureller Bestandteil der Arbeitsteilung und gehört damit unmittelbar zu den Faktoren, durch die der Kapitalismus nicht nur seine Herrschaft in ideologischer Hinsicht stärkt, sondern auch die Ausbeutung der lebendigen Arbeit und ihre Reproduktion beständig organisiert. Andererseits hat die Integration der patriarchalischen Mechanismen in den Kapitalismus selbige grundlegend gewandelt, von der Familie über die Stellung der Frau in der Produktion und das Verhältnis zwischen den Geschlechtern bis hin zur sexuellen Identität etc.
Diese komplexen Zusammenhänge zu erkennen, ist für den Marxismus absolut unumgänglich, wenn er auf dem Laufenden sein will über die gegenwärtigen Wandlungen und Krisen, vor deren Hintergrund die Globalisierung zu einem wachsenden Anteil weiblicher Arbeitskräfte führt und somit zu einem weiteren Wandel der Geschlechterverhältnisse. Anstatt die Geschlechtszugehörigkeit der Klassenzugehörigkeit unterzuordnen und darauf zu vertrauen, dass die Befreiung von der Ausbeutung automatisch zur Befreiung der Frau und Überwindung der Geschlechterrollen führt, oder umgekehrt die Klassenzugehörigkeit zu bagatellisieren und die Geschlechterdiskussion zum ideologischen Mittelpunkt zu überhöhen, sollte eher über die Komplexität der kapitalistischen Gesellschaft und ihr inneres Gefüge aus Ausbeutung, Herrschaft und Unterdrückung nachgedacht und dabei bequeme, aber wenig nützliche Vereinfachungen vermieden werden.
Ein weiteres, strikt mit dem Ersten verbundenes Anliegen ist, dass auf die theoretische Durchdringung ein Ansatz von politischer Organisierung und Aktivität folgen muss, um die zwischen Frauenbewegung und Klassenkampf entstandene Distanz zu überwinden. Dabei muss von der überholten Dialektik der „Prioritäten“ abgegangen werden, die in den früheren Auseinandersetzungen immer dazu geführt hat, den Vorrang der Klasse vor dem Geschlecht oder umgekehrt zu beteuern.
Es geht hier nicht nur um ein theoretisches Problem, sondern auch um Organisationsfragen und politische Aufgaben. Die Art und Weise, wie das Verständnis der engen Verzahnung von Kapitalismus und Frauenunterdrückung in Bewusstseinsprozesse umgesetzt werden kann und Frauen befähigt werden können, politische Organisationen und Betätigungsfelder zu schaffen, mit denen sie sich identifizieren können, ist ein noch immer ungelöstes Problem, das nur durch praktische Erfahrungen überwunden werden kann. Was wir uns unverzüglich aneignen müssen, ist die Bereitschaft, uns auf die theoretischen, politischen und organisatorischen Grundlagen zu besinnen, wenn wir politisch aktiv sein und den Kampf für die Befreiung aller Menschen führen wollen, und somit unsere Erfahrungen einem ständigen Praxistest auszusetzen. […]
Ein Geburtsfehler
Die Annahme, das Aufeinandertreffen von Feminismus und Arbeiterbewegung sei naturgegeben oder frei von Widersprüchen und Problemen, wäre vollkommen irreführend. Denn erstens entstand der Feminismus – wie oben ausgeführt – zunächst in dem Freiraum, den die bürgerlichen Revolutionen eröffnet hatten, und die ersten theoretischen Annäherungen gingen von Frauen aus, die dem (gehobenen) Mittelstand angehörten. Und zweitens war jede Arbeiterbewegung Resultat bestimmter historischer Umstände und ihre Mitglieder, Führer und Theoretiker insofern keineswegs frei von Vorurteilen, Klischeevorstellungen und Abneigungen, die aus einer Jahrtausende lang praktizierten Unterdrückung der Frau rührten
Daneben gibt es weitere Gründe, die an spezifische geschichtliche Prozesse gekoppelt sind, wie die bürokratische Degeneration der Sowjetunion und nachfolgend der internationalen Arbeiterbewegung oder die Binnendynamik in den Gruppierungen der Neuen Linken in den 60er und 70er Jahren. Der junge Marx hat durchaus, ungeachtet dessen, was sich über seine privaten Beziehungen zu den Frauen sagen lässt, in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844 geschrieben: „In dem Verhältnis zum Weib, als dem Raub und der Magd der gemeinschaftlichen Wollust, ist die unendliche Degradation ausgesprochen, in welcher der Mensch für sich selbst existiert […]“. Ebenso haben Engels und Bebel zwei Bücher verfasst, die lange Zeit als grundlegende Referenz des sozialistischen Feminismus galten und in denen das Verhältnis zwischen Mann und Frau mit dem zwischen Kapitalist und Proletarier verglichen wurde. Während Fourier in dem Grad der Emanzipation der Frau den Gradmesser für die Entwicklungsstufe einer Gesellschaft sah und die radikale Infragestellung der Geschlechterrollen propagierte, zählte die aufkom- mende Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts auch Pierre-Joseph Proudhon zu ihren Ahnherren – den wohl größten Frauenfeind des 19. Jahrhunderts.
Als unermüdlicher Streiter für die Familie und die Rolle, die der Frau darin von Natur aus zugedacht sei, war er ein strikter Gegner der Frauenerwerbsarbeit außerhalb der häuslichen Mauern. Nicht zufrieden damit, meinte er auch noch, dass die Frau dem Manne als sein Anhängsel untertan sein müsse. Denn die Frau sei entgegen ihren Ansprüchen nach Gleichheit von Natur aus dem Mann in moralischer, physischer und intellektueller Hinsicht unterlegen. Jeder Versuch zur Selbstbefreiung der Frauen wurde daher umstandslos verdammt und von sexueller Freiheit war erst gar nicht die Rede.
Derlei Positionen waren keine Ausnahme und es war auch kein Zufall, dass in der Ersten Internationale den Frauen die Teilnahme verwehrt war. Die Frauenfeindlichkeit hatte im Fall von Jeanne Deroin tragische Auswirkungen. Als Redaktionsmitglied von Voix des femmes und Gründerin einer anderen Zeitung, Opinion des femmes, war sie in der feministischen Bewegung engagiert und auf Seiten der Arbeiter in der französischen Revolution 1848 aktiv. Von August 1849 bis Mai 1850 widmete sie sich dem Aufbau einer Assoziation von Arbeiterorganisationen, die auf gleichen Rechten für Mann und Frau gründete, und für die sie auch die programmatischen Schriften verfasste. Im Mai 1850 schlossen sich 400 Arbeiterorganisationen, die aus der 48er Revolution hervorgegangen waren, zu dieser Assoziation zusammen. Als Jeanne Deroin am 29. Mai 1850 wegen Verschwörung verhaftet wurde, baten die eigenen Genossen sie, ihre Funktion in der Organisation nicht offen zu legen, da die Arbeiterassoziation in ein schlechtes Licht gerückt würde, wenn bekannt würde, dass eine Frau dahinter stünde und das Programm verfasst hätte. Hin und her gerissen zwischen ihren ehernen feministischen Überzeugungen und dem Wunsch, den Arbeiterorganisationen nicht schaden zu wollen, kapitulierte Jeanne Deroin am Ende und entschied sich, das Geheimnis für sich zu behalten. Über ihr Exil in England nach dem Putsch von Napoleon III. geriet auch in Vergessenheit, was sie geleistet hatte. Erst mit der zweiten feministischen Welle fand sie ihren Platz in der Geschichte wieder.
Frauenerwerbsarbeit als Übel?
Gegen Frauenerwerbsarbeit und für die herkömmliche Familie trat in Deutschland auch Ferdinand Lassalle ein, den freilich ein in der Arbeiterbewegung durchaus gängiges Motiv umtrieb, nämlich dass die Erwerbstätigkeit der Frauen im Allgemeinen sehr viel schlechter bezahlt wurde als bei Männern, die Erwerbsquote unter den Frauen niedriger war und insofern die Frauen eine Gefahr für die Arbeiter darstellten, da sie als Reservearmee und Reservoir billiger Arbeitskräfte fungierten. Um diesen Unterbietungswettbewerb der Löhne zu bekämpfen, kam Lassalle nicht in den Sinn, gleiche Löhne und Rechte für Mann und Frau zu fordern, sondern vielmehr die Frauen auf ihre angestammte Rolle innerhalb der Familie zu verweisen. Die Löhne der Männer sollten ausreichend erhöht werden, um davon die ganze Familie ernähren zu können, ohne auf Frauen- oder Kinderarbeit zurückgreifen zu müssen.
Frauenerwerbsarbeit galt davon abgesehen als Mittel zu Zerfall und Korruption der Arbeiterfamilie. Hierbei vermischten sich wirtschaftliche Überlegungen mit moralistischen und grundkonservativen Motiven. Dabei lag derlei Überlegungen innerhalb der Arbeiterbewegung nicht unbedingt bloßer Sexismus oder Konservatismus zugrunde. Man braucht bloß über die Lebensbedingungen der Arbeiter zu lesen, wie sie Engels in Die Lage der arbeitenden Klasse in England oder Marx im Band I des Kapitals beschrieben haben. Darin schildern sie die verheerenden Auswirkungen der verschärf-ten industriellen Ausbeutung auf die Familien, auf Lebenserwartung und Gesundheit der Arbeiter und Arbeiterinnen einschließlich der Kinder. So wird verständlich, dass die Ablehnung der Frauen- und Kinderarbeit in gewisser Weise auch dem Selbstschutz vor der allumfassenden Ausbeutung diente.
Die Positionen der Lassalleaner schufen natürlich zahlreiche Probleme nach der Vereinigung mit der Organisation von Bebel und der Gründung der deutschen Sozialdemokratie. Und sie trugen dazu bei, Clara Zetkin Steine in den Weg zu legen, während sie ohnehin schon genug Last mit den damals vorherrschenden frauenfeindlichen Tendenzen in der Arbeiterklasse hatte. Zusätzliche Probleme bereiteten später die Revisionisten in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als die autonomen Frauenorganisationen und die Zeitung Gleichheit generell revolutionäre und eindeutig antiimperialistische Positionen angenommen hatten. Daher und weil zudem der führende Kopf der revolutionären Strömung, Rosa Luxemburg, eine Frau war, droschen sie auf die Frauen und deren Organisationen und Publikationen ein, um das revolutionäre Gedankengut zu treffen.
Umstrittenes Frauenwahlrecht
In dieser Hinsicht war es während der Pariser Commune auch nicht besser gelaufen, obwohl die Frauen von Paris dort eine herausragende aktive Rolle gespielt hatten. Tatsächlich stand nie zur Debatte, das Wahlrecht auf die Frauen auszudehnen und somit war die Hälfte der Bevölkerung ausgeschlossen bei diesem ersten Versuch, eine Arbeiterdemokratie und eine Staatsform zu errichten, die sich grundlegend von der bürgerlichen unterschied.
Ganz generell war die Ausweitung des Wahlrechts auf die Frauen innerhalb der Arbeiterbewegung heftig umstritten. Denn man befürchtete, dass die Frauen, die aufgrund ihrer Unterdrückung ein weitaus weniger aktives Sozialleben führten, in ihrer Mehrheit anfällig für religiöse Einflüsse, Aberglauben und konservative Positionen seien. Ein Frauenwahlrecht würde somit zu einer Rechtsverschiebung der politischen Landschaft beitragen und die sozialistischen Parteien bestrafen. […]
Obwohl die [kapitalistische] Produktionsweise und das patriarchalische System eng miteinander verbunden sind, funktionieren beide gemäß ihrer inneren Logik und entlang spezifischer Gesetzmäßigkeiten, die wechselseitig in Einklang stehen, aber auch in Konflikt geraten können. Auch wenn der Kapitalismus das Patriarchat dazu benutzt hat und auch weiterhin benutzt, die eigene Herrschaft zu sichern und die Ausbeutung zu organisieren, können unter bestimmten Um- ständen die Bewegungsgesetze des Kapitals in ihrer „Geschlechtsblindheit“ in Widerspruch mit denen des patriarchalischen Systems geraten. Insofern muss man diese den beiden Systemen eigenen Gesetzmäßigkeiten berücksichtigen, wenn man das Wesen dieser Widersprüche erfassen will.